Freitag, 1. März 2024

Europa wird Vorreiter im Naturschutz

Riffreporter hier   von Thomas Krumenacker  27.02.2024

Nach zähem Ringen verabschiedet das Europaparlament das Gesetz zur Renaturierung. Das Nature Restoration Law hat das Potenzial zum Gamechanger in der Biodiversitätskrise zu werden. Und es ist in Zeiten unmäßig rechtspopulistischer Attacken auf den Naturschutz ein starkes Signal.

Die Bilder waren ebenso verstörend wie symbolträchtig. Ein wütender Mob aus Landwirten setzte Inmitten des Europaviertels von Brüssel einen Baum in Brand. Zuvor hatte bereits einer der Demonstranten seine kreischende Motorsäge in den Stamm gerammt. Als das kahle Bäumchen lichterloh in Flammen stand, jubelten die Landwirte frenetisch: Ausgerechnet Angehörige der Berufsgruppe, die für sich in Anspruch nimmt, die Natur zu schützen, steckt sie in Brand. Der Baum starb als Symbol für den von den Protestierenden verhassten Green Deal – des Vorzeigeprojekts von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für eine klima- und naturgerechte Umgestaltung der europäischen Staaten.

In dieser seit Wochen aufgeheizten Atmosphäre stimmten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments am Dienstag in Straßburg über das Gesetz zur Renaturierung ab. Selbst notorische Optimisten unter den Befürwortern hatten zum Schluss nicht mehr erwartet, dass es ausreichend Zustimmung finden wird. Doch mit einer gar nicht so knappen Mehrheit stimmten die Parlamentarier für das EU-Renaturierungsgesetz. Selbst etwa zwei Dutzend konservative und sogar einige rechtspopulistische Abgeordnete votierten dafür, obwohl ihre Fraktionsspitzen bis zuletzt mit teilweise falschen Argumenten Front gegen das Gesetz gemacht hatten.

Grafik mit dem Abstimmungsergebnis: Das Ergebnis der Abstimmung – am Ende nicht so knapp, wie von den Befürwortern befürchtet.

Paradigmenwechsel: Schutz der kläglichen Naturreste reicht nicht

Das Gesetz ist nicht irgendeine weitere Vorschrift aus Brüssel – es hat das Zeug, zum Gamechanger in der Biodiversitätskrise zu werden. Denn das Restoration Law ist das weltweit erste Gesetz, dass eine ganze Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, Natur nicht nur zu bewahren, sondern zusätzlich bereits zerstörte oder geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen. Es trägt damit einer fundamentalen Erkenntnis aus der Biodiversitätsforschung Rechnung: Der Schutz der verbliebenen kläglichen Reste von Natur reicht nicht mehr aus, um den steilen Abwärtstrend in der Biodiversitätskrise zu stoppen. Um die Wende zu schaffen, müssen zerstörte oder geschädigte Ökosysteme aktiv renaturiert werden.

Das Gesetz folgt damit auch den Beschlüssen der Weltnaturkonferenz von Montreal, bei der sich die Staatengemeinschaft auf das Doppelziel verständigt hatte, 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen und auf weiteren 30 Prozent der Erdoberfläche Renaturierung zu betreiben. Anders als die Ergebnisse von Montreal hat das EU-Gesetz aber unmittelbar bindend für die Mitgliedstaaten und muss auch nicht noch einmal von den jeweiligen nationalen Parlamenten beschlossen werden.

Ein Fünftel der Fläche der EU soll grün werden

Kern des Gesetzes ist die Verpflichtung, bis zum Jahr 2030 Maßnahmen zur Renaturierung zerstörter oder geschädigter Ökosysteme auf 20 Prozent der Fläche der Staatengemeinschaft einzuleiten. Die Vorgabe gilt für alle Ökosysteme – vom Meer bis zum Gebirgswald. Bis 2050 sollen alle geschädigten Ökosysteme in den Genuss von Renaturierungsmaßnahmen kommen.

Der Anlauf zur flächendeckenden Renaturierung ist bitter nötig, um den dramatischen Verlust der Artenvielfalt in der EU zu stoppen. Der Verlust von Lebensräumen und der darin lebenden Tier- und Pflanzenarten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in der EU stark beschleunigt. Nach mehr als einem Jahrhundert der Industrialisierung sind inzwischen mehr als 80 Prozent aller Lebensräume in der Gemeinschaft einem schlechten ökologischen Zustand.

Artenschwund hat Folgen für Menschen

Viele Tier- und Pflanzenarten kämpfen ums Überleben. Dieser Verlust an Biodiversität hat auch unmittelbare Folgen für die Menschen und die Wirtschaft in der Gemeinschaft: Kanalisierte Flüsse und zerstörte Auen bieten keinen wirksamen Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels mehr und die geschädigten Wälder haben sich bereits zu Emittenten von Treibhausgasen entwickelt, statt sie zu speichern. Auch das Insektensterben in Folge einer zu intensiven Landwirtschaft entwickelt sich mittlerweile zu einer ernsten Gefahr für die Lebensmittelproduktion. Schon heute leidet die Hälfte der von Bestäubung abhängigen Ackerkulturen in der EU unter Mangelerscheinungen.

Gesetz bringt Klima- und Naturschutz zusammen

Besonders umstritten waren die im Gesetz vorgesehenen Renaturierungen auf Landwirtschaftsflächen. Sie fallen in das Gesetz, weil ein erklecklicher Teil der Landwirtschaft auf trockengelegten Moorböden stattfindet. Bis 2030 sollten auf 30 Prozent der für landwirtschaftliche Nutzung entwässerten Moore Renaturierung auf dem Weg sein, ein Viertel davon soll wiedervernässt werden. Die Anhebung der Wasserstände gilt als wirksamste Methode, um die biologische Vielfalt auf zerstörten Mooren zu fördern und den Ausstoß großer Mengen Treibhausgase aus dem trockenen Torfboden zu stoppen. Degradierte Moorböden tragen zu sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen bei.

Kein Landwirt wird zur Renaturierung gezwungen

Um die Bedenken der Landwirte auszuräumen, wurde in den Verhandlungen ein Passus in das Gesetz eingefügt, der ausdrücklich festlegt, dass Landwirte nicht verpflichtet werden können, an Programmen zur Wiedervernässung teilzunehmen. Geplant sind stattdessen finanziell lukrative Anreize für die freiwillige Teilnahme an solchen Programmen.

„Gesetz für die Landwirtschaft“

Darauf, dass das Renaturierungsgesetz nicht gegen die Landwirtschaft gerichtet ist, sondern sogar überlebenswichtig für sie ist, haben zahlreiche Wissenschaftler hingewiesen. Mehr als 6000 Forscherinnen und Forscher haben in einem Appell die Verabschiedung des Gesetzes gefordert – gerade um die Landwirtschaft zu erhalten. Denn die ökologische Krise in der Agrarlandschaft gefährde die Ernährungssicherheit in Europa, argumentieren sie.

Ein fortschreitender Verlust der biologischen Vielfalt, etwa von Vögeln und Insekten, führe zu weiteren Verschlechterungen bei Bestäubung, Bodengesundheit und natürlicher Schädlingsbekämpfung, argumentieren sie. »Wenn die EU die Gesundheit, Produktivität und Widerstandsfähigkeit ihrer Böden … wiederherstellen will und die Natur weiterhin die europäische Ernährungssicherheit, die Beschäftigung, die Abschwächung des Klimawandels und die Wirtschaft unterstützen soll, muss sie ihr Gesetz zur Wiederherstellung der Natur verabschieden und umsetzen«, heißt es in dem Appell.

„Es geht um einen Wandel mit der Landwirtschaft – nicht gegen sie“, sagt er. Flächen könnten nur dann zur Nahrungsproduktion genutzt werden, wenn darauf lebensfähige ökologische Strukturen existierten. „Naturschutz, Landwirtschaft und die Sicherung von Erträgen sollten wir als Dreiklang begreifen.“

„Wir können es schaffen,
die Menschen bei uns und weltweit mit Nahrungsmitteln zu versorgen,
Landwirten ein gutes Auskommen zu gewährleisten und
gleichzeitig die Umwelt deutlich weniger zu belasten.“:
Der Biodiversitätsforscher Josef Settele wirbt für das Gesetz.

Und die Landwirte? Sie sieht Settele letztlich als Dienstleister für die Gesellschaft, die das bereitstellten, was die Gesellschaft nachfrage. Gesünderes Essen, sauberes Wasser, Klimaschutz; Das alles müsse angemessen honoriert werden. „Wir können es schaffen, die Menschen bei uns und weltweit mit Nahrungsmitteln zu versorgen, Landwirten ein gutes Auskommen zu gewährleisten und gleichzeitig die Umwelt deutlich weniger zu belasten.“

Staaten haben zwei Jahre für die Planung

Bis die große Renaturierungswelle rollt, kann es aber noch dauern. Nach Inkrafttreten haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, eigene Pläne für die Umsetzung des Gesetzes zu erarbeiten und nach Brüssel zu übermitteln. Die EU-Kommission hat dann ein halbes Jahr Zeit, die Entwürfe zu bewerten und Verbesserungsvorschläge zu machen. Allerdings ist der Spielraum der Mitgliedstaaten sehr groß. Sie müssen die Anregungen aus Brüssel in ihren Plänen lediglich „berücksichtigen“, sind also nicht daran gebunden.

Allianz aus Konservativen, Rechtspopulisten und Agrarlobby scheitert

Zuletzt hatten nur einflussreiche Wald- und industrienahe Landwirtschaftsverbände gegen das Gesetz mobil gemacht. Der europäische Landwirtschafts-Dachverband Copa-Cogeca hatte den EU-Abgeordneten sogar eine vorbereitete Abstimmungsliste zugeschickt, in der die Zustimmung zu Änderungsanträge aus dem Lager rechtspopulistischer Parteien empfohlen wurde. Dagegen hatten zuletzt selbst sehr konservative Verbände wie der europäische Jäger-Dachverband Face und Industrieverbände wie der Windenergieverband für die Annahme des Gesetzes geworben.

Von der Leyen kann sich auf eigene Leute nicht verlassen

Obwohl das Nature Restoration Law das ökologische Vorzeigeprojekt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) war und auch von einer CDU-Politikerin maßgeblich mit ausgehandelt worden war, sollte es nach dem Willen der EVP-Spitze um Fraktionschef Manfred Weber (CSU) mit den Stimmen aus ihrem eigenen Lager zu Fall gebracht werden.

Die Fraktionsspitze gab noch am Montag die Parole aus, gemeinsam mit Rechtspopulisten gegen das Gesetz zu stimmen. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnen allerdings auch konservative EU-Abgeordnete das Gesetz als tragbar – und rund zwei Dutzend stimmten dafür. Die Annahme des Gesetzes ist deshalb nicht nur eine große Chance für die Natur in Europa, sondern auch eine Absage konservativer Demokraten an einen Rechtsruck innerhalb des bürgerlichen Lagers und der etablierten Verbände der Landwirtschaft.

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