Montag, 25. März 2024

»Hungern bis ihr Ehrlich seid« : Hungerstreik für eine Regierungserklärung

hier Webseite der Aktivisten

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die folgenden einfachen Wahrheiten in einer Regierungserklärung auszusprechen:

Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch die Klima­katastrophe extrem gefährdet.

Der CO₂-Gehalt in der Luft ist viel zu hoch (0,42‰). Der Weltklimarat zeigt einen Weg (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”), mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat.

Dieser Pfad hat einen Zielwert von 0,35‰ (bis zum Jahr 2150). Das bedeutet, es sind bereits jetzt hunderte Gigatonnen zu viel CO₂ in der Luft.

Wir müssen jetzt, wenn auch mit Jahren Verspätung, radikal umsteuern.

Das Leben auf dem Planeten Erde ist im Belagerungszustand. Wir befinden uns mittlerweile auf unbekanntem Terrain. Seit mehreren Jahrzehnten warnen Wissenschaftler:innen vor extremen klimatischen Entwicklungen, hervorgerufen durch menschliche Aktivitäten und eine fortgeschrittene Belastung der Atmosphäre durch Treibhausgase.

Die Zeit ist jetzt abgelaufen. Wir sehen die Manifestation der Vorhersagen der Klimawissenschaft in einer alarmierenden und beispiellosen Abfolge von Extremereignissen, die erschütternde Szenen menschlichen Leidens produzieren. 

Im Juli 2023 kommentierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Situation mit den Worten: 

“The era of global warming has ended. 

The era of global boiling has arrived.”


Wie der EU-Klimadienst Copernicus im Februar 2024 bekanntgab, hat die globale Durchschnittstemperatur erstmals zwölf Monate lang über 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter gelegen. [1] Zudem lag die atmosphärische CO₂-Konzentration zuletzt vor circa 15 Mio. Jahren auf einem ähnlich hohen Niveau [2] [3] wie 2022 (417,07 ppm)[4] Die aktuelle Anstiegsrate der Treibhausgaskonzentrationen und der damit einhergehende Anstieg des Klimaantriebs übertrifft die des Paleozän/Eozän-Temperaturmaximum (PETM – vor etwa 56 Millionen Jahren) um das zehnfache. Dieser erdgeschichtlich stärkste rekonstruierte Temperaturanstieg ging damals mit einem Massenaussterben sondergleichen einher, wobei etwa 30-50% der Arten von der Erde verschwanden. [5]

Diese klimahistorischen Daten legen nahe, dass sich unsere Erde langfristig auf klimatische Bedingungen zubewegt, die einen vollkommen anderen Planeten kreieren, als die Menschheit ihn in ihrer Geschichte je erlebt hat.

Eine CO₂-Konzentration von maximal 350 ppm ist für den langfristigen Fortbestand der menschlichen Zivilisation unerlässlich.[6] Auch der vom IPCC skizzierte „shared socioeconomic pathway“ SSP1-1.9 (“very low”), welcher den Weg zur Einhaltung der 1,5°C-Grenze vorzeichnet, hat das Erreichen der 350 ppm Marke bis zum Jahr 2150 zum Ziel. [7] Diese Minderung des Gehalts an Treibhausgasen in der Atmosphäre ist alternativlos, da der gegenwärtige Gehalt einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 8-10 °C bedingt. Dass wir diese Erhitzung im Moment in ihrer Drastik noch nicht spüren, darf uns nicht in falscher Sicherheit wiegen: erst in 100 Jahren werden 63% dieser 8-10 °C an Erhitzung erreicht sein. Von welch entscheidender Bedeutung der Unterschied zwischen 350 und 420 ppm CO₂ in der Atmosphäre ist, lässt sich auch mithilfe eines weiteren Aspektes illustrieren: es ist zu erwarten, dass der Meeresspiegel bei einem dauerhaften CO₂-Gehalt von 420 ppm mehr als 35 Meter über dem Niveau, den er bei 350 ppm hätte, liegen wird. Ganze Landstriche würden in der Folge unbewohnbar werden und im Meer versinken. [8]

Fast alle Staaten der Erde haben auf der 21. UN-Klimakonferenz 2015 (COP 21) mit dem Übereinkommen von Paris einen Vertrag unterzeichnet, nach dem sie sämtliche Anstrengungen unternehmen wollen, um den menschengemachten globalen Temperaturanstieg auf 1.5 ° C zu begrenzen. [9] Der 1,5 Grad Pfad wurde aus­gewählt, weil bei einem Anstieg darüber, die Situation nicht nur katastrophal sein könnte, sondern hinsichtlich der natürlichen Lebensgrundlagen vollkommen außer Kontrolle gerät: denn oberhalb von ca. 1,5° C Erwärmung werden die sogenannten Kippelemente im globalen Klimasystem ausgelöst. [10] Das bedeutet unter anderem:

ein Abtauen des grönländischen Eisschildes, wodurch der Meeresspiegel um bis zu sieben Meter ansteigen kann

ein Auftauen des sibirischen und nordamerikanischen Permafrost, wodurch riesige Mengen Methan freigesetzt werden

das Absterben des Great Barrier Reef (weltweit größtes Korallenriff)

Um diese Katastrophen noch abwenden zu können, ist es notwendig, das Emittieren von CO₂ sofort zu stoppen: denn schon jetzt beträgt die CO₂-Konzentration in unserer Atmosphäre 420 ppm. Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde und das Land, das hinsichtlich historisch kumulierter CO₂-Emissionen weltweit den sechsten Platz belegt. [11] Zudem wurden bereits 2021 die von der Bundesregierung bisher ergriffenen Maßnahmen zum Klimaschutz vom Bundesverfassungsgericht als unzureichend und somit nicht verfassungskonform eingestuft. Seitdem führt zwar ein Mann die Regierungsgeschäfte, der sich selbst als “Klimakanzler” betitelt, dabei jedoch keinerlei Skrupel verspürt, in Rekordtempo neue fossile Infrastrukturen in Form von LNG-Terminals aus dem Boden zu stampfen. 

Mit dieser öffentlich zur Schau gestellten Doppelmoral wird ein effektiver Schutz unserer Lebensgrundlagen ferne Utopie bleiben. Es braucht das Eingeständnis, welch verheerende Auswirkungen die von uns Tag für Tag forcierte Erderhitzung auf das Leben von mehreren Milliarden Menschen (das IPCC nennt eine Zahl von 3.3- 3.6 Milliarden Menschen [12]) heute schon hat und vielfach verstärkt in Zukunft haben wird. Dazu gehören beispielsweise die Häufung von Extremwettern in Kombination mit Dürre, Überflutungen oder Flächenbränden, aber auch das vermehrte Auftreten von Zoonosen, die das Potential haben, akut das gesamte gesellschaftliche Leben lahm zu legen. [13] Dabei wird die Erderhitzung auch Aspekte globaler (Un)Gerechtigkeit schonungslos offenlegen: dem IPCC zufolge sind es insbesondere die Menschen in Afrika, Asien, Zentral und Südamerika sowie in kleinen Inselstaaten, die am ehesten von Klimawandel induzierten Folgen wie akutem Nahrungsmangel und verringerter Sicherheit der Trinkwasserversorgung betroffen sind. [14]

Das IPCC bestätigt außerdem, dass sich auch im globalen Norden eine Korrelation zwischen sozialem Status und Betroffenheit von den Folgen der Erderhitzung nachweisen lässt: unter Hitzewellen und urbaner Wasserknappheit leiden in erster Linie ökonomisch und sozial marginalisierte Schichten. [15]

Es braucht einen radikalen Wandel in Politik und Gesellschaft, um die schon jetzt verheerenden Folgen der Klimaerhitzung in Zukunft noch bestmöglich eindämmen zu können. Wir wollen die Bundesregierung und unseren Kanzler Olaf Scholz an die Pflicht erinnern, die Lebensgrundlagen der jetzigen und zukünftiger Generationen gemäß Grundgesetz Artikel 20a zu schützen. Um hier in Deutschland bestmöglich unseren Teil zu dieser globalen Kraftanstrengung beitragen zu können, braucht es unserer Überzeugung nach von Seiten unserer politischen Entscheidungsträger:innen vor allem eines: schonungslose Ehrlichkeit.


Quellen (Links wurden direkt den Zahlen zugeordnet)

[5] Hansen, J. et. al.: Global warming in the pipeline. Oxford Open Climate Change, Vol. 3, Issue 1, 2023.

[6] Hansen, J. et.al.: Target Atmospheric CO₂ : Where Should Humanity Aim?, Open Atmos. Sci. J., 2, 217–231, Oct. 2008.

[7] Meinshausen, M. et.al.: The shared socio-economic pathway (SSP) greenhouse gas

concentrations and their extensions to 2500, Geoscientific Model Development, 13, 3571–3605, Aug. 2020

[8] IPCC (Hrsg.): Climate Change 2007: Working Group I: The Physical Science Basis. Cambridge

University Press, 2007, Kapitel 6.3.2: What Does the Record of the Mid-Pliocene Show? (englisch, ipcc.ch): “Geologic evidence and isotopes agree that sea level was at least 15 to 25 m above modern levels.”

[13] IPCC-Bericht 2022 (Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung): S. 9

https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/downloads/reportIPCC_AR6_WGII_SummaryForPolicymakers.pdf

[14] ebd.

[15] ebd. S.10



hier Louisa Theresa Braun 21.03.2024, 

Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick vom Bündnis »Hungern bis ihr Ehrlich seid« fordert von Bundeskanzler Olaf Scholz Ehrlichkeit in der Klimakrise

Noch geht es Wolfgang Metzeler-Kick »voll okay«, wie er »nd« sagt. An einigen Tagen sei er nicht ganz so leistungsfähig, nach einem Einkauf zum Beispiel restlos erschöpft gewesen. An einem anderen Tag habe er dafür sogar einen Umzug geschafft – und das, obwohl der Klimaaktivist aus München seit zwei Wochen nichts gegessen hat. Seit dem 7. März ist Metzeler-Kick im Hungerstreik und verbindet damit eine Forderung an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Dieser solle eine Regierungserklärung abgeben, die die Klimakatastrophe als »eine existenzielle Bedrohung der menschlichen Zivilisation« benennt. Außerdem solle Scholz erklären, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre viel zu hoch sei, der 1,5-Grad-Pfad des Weltklimarates dringend eingeschlagen werden müsse und dafür »radikales Umsteuern jetzt notwendig« sei. Dass alle vier Punkte wissenschaftlich belegt sind, hat der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bestätigt.

Zusammen mit etwa zwei Dutzend weiteren Aktivist*innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung hat Metzeler-Kick für diesen Hungerstreik das Bündnis »Hungern bis ihr Ehrlich seid« ins Leben gerufen. Der Name – ein Appell an die Politik – ist Programm. Ehrlichkeit, das bedeutet für den 49-jährigen Ingenieur für technischen Umweltschutz, öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass jetzt schon viel zu viel CO2 in der Luft ist, das eigentlich herausgenommen werden müsste – stattdessen bewege sich die Welt aber »komplett in die falsche Richtung«.

Daran kann eine Regierungserklärung zwar nicht direkt etwas ändern. Doch viele Menschen verdrängten den aktuellen Zustand des Klimas – das könnte eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers durchaus beeinflussen, hofft Metzeler-Kick. Bislang »benehmen wir uns wie ein Krebspatient, der leugnet, dass er Krebs hat. Es geht nicht darum, etwas weniger zu rauchen.« Doch die Politik verschweige die Wahrheit.

Wenn sich das ändere, könnten darauf vielleicht auch die notwendigen Schritte folgen. So ähnlich sei es bei Corona gewesen: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe zu Beginn der Pandemie in einer Regierungserklärung vorgerechnet, wie viele Tote zu erwarten seien. »Dann wurden die Maßnahmen verschärft. Diese Ehrlichkeit war dafür erst einmal notwendig«, sagt Metzeler-Kick. Außerdem sei ihm wichtig gewesen, dass die Forderung ja eigentlich leicht zu erfüllen sei – bevor er sein Leben aufs Spiel setzte.

Nach demselben Prinzip haben sieben junge Klimaaktivist*innen vor zweieinhalb Jahren ein Gespräch mit Scholz, der damals noch Kanzlerkandidat war, über einen Klimanotstand durchgesetzt. Allerdings hatte dieser erst zugesagt, als zwei von ihnen in der vierten Hungerstreikwoche auch noch das Wasser abgesetzt hatten. Metzler-Kick plant, seinen Hungerstreik deutlich länger durchzuziehen. Zurzeit trinke er täglich noch 215 Milliliter mit Wasser verdünntem Multivitamin-Saft, wodurch er körperlich nicht so schnell abbaue. Erst wenn es auf die EU-Wahlen zugehe, werde er wohl »eskalieren« und erst den Saft, dann auch das Wasser absetzen. »Wenn Scholz mich verhungern lässt, soll seine Partei wenigstens noch ein paar Prozentpunkte einbüßen«, sagt er.

Natürlich habe er nicht vor zu sterben und werde während des Hungerstreiks auch medizinisch begleitet. Doch größere Angst als vor dem trockenen Hungerstreik habe er vor der Ohnmacht. Davor, dass auch weiterhin alle Worst-Case-Klimaszenarien eintreten. »Wir rasen volle Kanne in die Klimahölle – diesen Albtraum halte ich nicht aus.« Er habe selbst mal bei BMW gearbeitet, einem Konzern, der die Klimahölle eher weiter befeuert. Deshalb wollte er umschulen zum Krankenpfleger, brach die Ausbildung jedoch ab, um sich der Letzten Generation anzuschließen.

Für seinen Aktivismus saß er im November 2022 bereits 18 Tage in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München. Dort bestreikte er schon einmal die Nahrungsaufnahme – im Gefängnis gilt dies als das letzte verbliebene Protestmittel. Nun, über ein Jahr später, stelle er fest, dass er generell schon alle friedlichen Möglichkeiten zu protestieren ausgenutzt habe, »außer Tomatensauce auf Bilder schmeißen«. Eigentlich bleibe ihm also auch in der Freiheit nur noch der Hungerstreik, um den Druck auf die Politik zu erhöhen. Den jetzigen Zeitpunkt habe er auch von dem aktuell herrschende Wetterphänomen El Niño abhängig gemacht, eine Meereserwärmung, die die Klimakrise in vielen Teilen der Welt noch verschärft.

Am Montag startet das Bündnis »Hungern bis ihr Ehrlich seid« ein Klimacamp im Berliner Spreebogenpark, in der Nähe des Bundeskanzleramts, wo Metzeler-Kick zelten und öffentlich hungern wird. Sein Mitstreiter Richard Cluse will sich dem Hungerstreik anschließen, wie er am Sonntag in Karlsruhe verkündete. Dort erinnerte das Bündnis am dritten Jahrestag des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz an »die bisher ausgebliebene gesetzliche Umsetzung einer verfassungskonformen Klimapolitik«. Das Camp in Berlin soll auch für Vorträge und Workshops genutzt werden, zudem hofft das Bündnis auf weitere Mitstreiter*innen.

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