Sonntag, 10. März 2024

Wie braun ist grüne Energie?

Ein beeindruckend wahrer Satz:  "Natürlich führt kein Weg an der Energiewende vorbei, aber genauso wenig an Menschenrechten."  Der vermeintlich große Wurf ist halt manchmal nicht das Richtige, es braucht viele kleine, bis zum Ende gedachte Würfe.

hier  Treibhauspost

Die Klimakrise ist zugleich Ergebnis und Ursache rassistischer Unterdrückung. Wo genau sind die Schnittstellen – und wie sehen die Lösungen aus?

Mach mal für zehn Sekunden die Augen zu und überlege Dir, woran Du als Erstes denkst, wenn Du das Wort Rassismus liest.  

Wieder da? 

Vor meinem inneren Auge flattern sofort Deutschlandfahnen vorbei, das AfD-Logo, Worte und Gesichter von Politiker*innen, die sich öffentlich rassistisch äußern. Doch das ist nur der oberflächliche Teil, der der in den Nachrichten jeden Tag sichtbar ist. Rassismus hört aber nicht bei Worten auf. Als Nächstes denke ich an Oury Jalloh, Synagogen mit Polizeischutz, Hanau. 

Und dann sind da noch diese Momente, von denen auch ich ein Lied singen kann. Und wo kommst du eigentlich her? Du hast aber gut Deutsch gelernt. Andere können davon nicht nur ein Lied singen, sondern ganze Alben schreiben.  

Vielleicht assoziierst Du ja ähnliche Dinge mit Rassismus (oder auch ganz andere). Woran wohl die wenigsten denken: Windräder, Wasserstoff und CO₂-Zertifikate. Aber warum eigentlich? Schließlich werden auch durch sie Menschen diskriminiert, vertrieben und unterdrückt, vor allem im Globalen Süden. Zum Vorteil von weißen Menschen und Unternehmen, die von ihnen geführt werden.  

Disclaimer vorab: Alles, was Du jetzt liest, taugt nicht als Whataboutism-Argument gegen die Energiewende. Es geht um das Wie und nicht um das Ob. Es geht um soziale Ungerechtigkeiten der Transformation, die viel zu häufig ausgeblendet werden. 

Energie-Kolonialismus 2.0 

Sind Windräder, Solarpanele und grüner Wasserstoff nicht eigentlich „die guten“ Technologien? Die, von denen wir noch viel mehr brauchen? Ja – und nein. Dahinter liegt der feine, aber gar nicht mal so kleine Unterschied zwischen klimaneutral und klimagerecht. 

Die Energiewende, so wie sie bisher umgesetzt wurde, zielt vor allem auf Klimaneutralität für die Industrieländer ab – gerecht läuft es dabei nicht immer ab. Im Gegenteil: Allzu oft geht grüne Energie einher mit postkolonialer Unterdrückung. Wie hängt das alles miteinander zusammen? 

Nehmen wir die immer beliebter werdenden Balkonkraftwerke. Ihre Zahl hat sich in Deutschland allein 2023 im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Eine gute Nachricht, oder? Kommt drauf an, wen Du fragst.  

Acht der zehn größten Solarzellen-Hersteller kommen aus China, einem totalitären Regime, das Menschenrechte mit Füßen tritt. Ihre Ressourcen beziehen die Hersteller vor allem aus dem Globalen Süden, zum Beispiel Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo, Kupfer aus Sambia und Nickel aus Indonesien.  

In diesen Ländern haben die Menschen mit krassen Folgen zu kämpfen. Gewässer werden verseucht, wodurch für die lokale Bevölkerung Nahrungsmittel und Einkommensquellen wegfallen. Indigene Bevölkerung wird bedroht und vertrieben (und teilweise Schlimmeres), damit neue Bauprojekte entstehen können. In den Rohstoffminen herrschen teilweise katastrophale Arbeitsbedingungen unter Gesundheits- und Lebensgefahr. 

Vom Westen nichts Neues 

Zudem sollen Sambia, Indonesien und Co., wenn es nach einigen Industriestaaten geht, am liebsten nur günstige Arbeitskräfte stellen und Rohstofflieferanten bleiben. Europa könnte dann weiterhin bequem die Technologie und wertvolle Endprodukte bereitstellen. „Das war genau das Muster, das seit dem Kolonialismus manifestiert wurde“, schreibt Martina Backes vom Bildungszentrum iz3w. So entgehe vielen Entwicklungsländern die Chance, selbst technologische Kapazitäten und Marktwissen aufzubauen sowie den landeseigenen Bedarf an grüner Energie zu decken.  

Das bringt Länder des Globalen Südens in eine paradoxe Lage. Während sie grünen Strom oder Wasserstoff in großem Stil nach Europa exportieren, fahren einige gleichzeitig die fossile Energiegewinnung hoch, um ihren eigenen Eigenbedarf zu decken. Wer kann es ihnen verübeln? 

So sind Länder des Globalen Südens gezwungen (oder ökonomisch motiviert), die Klimakrise weiter zu befeuern, obwohl sie die Folgen am stärksten spüren und gleichzeitig die wenigsten Mittel haben, um sich vor ihnen zu schützen. 34 Staaten planen gerade noch den Bau neuer Kohlekraftwerke. 

Klimarassismus meets Kapitalismus 

Die Gewinnung seltener Erden im Globalen Süden ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie verwoben die Klimakrise mit unserem kaputten Wirtschaftssystem ist. Ein zynisches Argument könnte nämlich so lauten: Die Menschenrechtsverletzungen sind verkraftbar, schließlich werden wir dadurch bald klimaneutral. In zwei harten Jahrzehnten die gesamte Weltwirtschaft auf grün krempeln und dann drehen sich so viele Windräder und E-Auto-Reifen, dass wir die Klimakrise endlich gemeistert haben und niemand mehr in Kobalt-Minen schuften muss.  

Die Sache hat nur einen Haken: unendliches Wirtschaftswachstum.  

Bis 2050 soll sich die Weltwirtschaft, wenn alles „nach Plan“ läuft, ungefähr verdoppeln – nach den jetzigen Spielregeln des Kapitalismus. Der Energiehunger einer solchen Wirtschaft mit Wachstumszwang ist: genau, unendlich.  

In einer klimaneutralen Welt müsste sich die Leistung aller Windräder, Solarpaneele und Batterien etwa alle 30 bis 40 Jahre verdoppeln, um die wachsende Weltwirtschaft mit Energie zu versorgen. Und zwar für immer. Das rechnet der Anthropologe Jason Hickel in seinem Buch „Less is More“ vor. 

Ein klimaneutral gewordener Alptraum für die Menschen, die all die benötigten Rohstoffe dafür abbauen müssen.  

Enteignungen für ThyssenKrupp 

Eine weiteres Symptom von Klimarassismus ist sogenanntes Green Grabbing: Die Enteignung und Vertreibung lokaler Bevölkerung aus ihrem Zuhause durch Regierungen und Konzerne für erneuerbare Energien oder CO₂-Zertifikate.  

Beispiel: Saudi-Arabien. Die letzte Bundesregierung fand die Idee gut, mit der saudischen Monarchie (let’s call it Diktatur) ein Wasserstoffabkommen abzuschließen. Grüner Wasserstoff soll im großen Stil aus der noch nicht existierenden Wüsten-Megacity Neom importiert werden. Die Idee könnte aus dem ersten Drehbuchentwurf von Dune III kommen und sie ist wahrscheinlich ähnlich brutal. 

Auf dem Gelände, auf dem Neom entstehen soll, leben 28.000 Menschen. Sie haben sich dort Familien, Häuser, Existenzen aufgebaut – und stehen jetzt im Weg. Die saudische Regierung zwingt sie, ihr Zuhause zu verlassen. Es seien mindestens 50 Verhaftungen dokumentiert worden, darunter fünf Menschen, die zum Tode verurteilt wurden, weil sie sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen, sagte die Menschenrechtsaktivistin Lina Al-Hathloul der Tagesschau.  

Wer von solch abscheulichen Verbrechen in Saudi-Arabien profitiert? Auch deutsche Unternehmen, allen voran der Stahlkonzern ThyssenKrupp (der Rassismus und Ausbeutung übrigens schon im Zweiten Weltkrieg nicht so schlecht fand). Dessen Tochterunternehmen Nucera soll die Elektrolyse-Technologie für die Wasserstoffproduktion in Neom liefern.  

Rechtsextreme Klimaleugnung 

Ein weiteres Symptom, das entsteht, wenn sich Klimakrise und Rassismus die rechte Hand entgegenstrecken: Wissenschaftsleugnung. Dass Rechtsextreme eher keine Hafermilch-Ultras sind, dürfte wenig überraschen. Die Verflechtungen von rassistischer Gesinnung und Einstellung zu Klima (und Wissenschaft) reichen jedoch viel tiefer. 

In einem ARD-Deutschlandtrend von 2019 stimmten immerhin 86 Prozent aller Befragten der Aussage zu „Das Klima ändert sich verstärkt durch den Einfluss des Menschen“. Unter AfD-Wähler*innen waren es nur 60 Prozent.  

Das ist natürlich kein Zufall, sondern liegt zu einem großen Teil an gezielter Desinformation. Im Parteiprogramm der AfD wird „Kohlendioxid als unverzichtbarer Bestandteil allen Lebens“ gepriesen und die IPCC-Modelle als nicht zutreffend dargestellt. (Dabei wird 20 Seiten vorher noch vor einer „Völkerwanderung historischen Ausmaßes“ aufgrund von Klimaextremen gewarnt.) 

Für ihre Desinformations-Kampagnen arbeitet die AfD eng mit rechten Think Tanks zusammen. Bekanntestes Beispiel in Deutschland ist das Klimaleugnungs-Institut EIKE, das unter anderem Gelder von seinem US-Pendant, dem Heartland Institute, erhält. Dieses wiederum wird mitfinanziert von fossilen Konzernen wie ExxonMobil. 

Die fossile Industrie und rechte Parteien teilen sich damit den Agendapunkt der Wissenschafts- und Klimaleugnung. Braunkohle trägt die Farbe braun damit völlig zurecht im Namen.  

Grüner Nationalismus 

Nicht alle rechten Parteien und Politiker*innen leugnen jedoch die Klimakrise und ihre Folgen. Der Soziologe Matthias Quent beschreibt in seinem Buch Klimarassismus auch einen grünen Nationalismus, in dem der menschengemachte Klimawandel durchaus anerkannt werde: „Im grün-technologischen Nationalismus wird neoliberale Technikgläubigkeit mit grünen Wachstumszielen verbunden, während nach außen Abschottung, Menschenrechtsverletzungen und die Zerstörung der Ressourcen unterstützt werden.“ 

Ein Beispiel für eine Light-Version des grünen Nationalismus: die schwarz-grüne Regierung in Österreich setze ihre eigenen Rohstoffinteressen für E-Mobilität durch und schotte sich gleichzeitig gegenüber geflüchteten Menschen ab.  

Im Zentrum des grünen Nationalismus stehe nationaler Umweltschutz bei internationaler Ausbeutung und Dominanz, insbesondere gegenüber den Ländern des Globalen Südens, schreiben Quent und seine Co-Autoren. Die Klimakrise anzuerkennen, ist also bei weitem kein zuverlässiges Indiz dafür, kein Nazi zu sein. 

Und jetzt? 

Energiewende ohne Klimagerechtigkeit heißt für viele Länder des Globalen Südens unterm Strich: Neokolonialismus. Die Hauptverursacher der Klimakrise haben sich mit dem „grünen Kapitalismus“ (ich würde eher sagen: Net-Zero-Kapitalismus) ein klimaneutrales Märchen ausgedacht. 

Es ist ein falsches Versprechen an sich selbst, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Allem voran: Ihr von vornherein zum Scheitern verurteiltes Wirtschaftssystem, das auf der völlig absurden Annahme unendlicher Ressourcen basiert.  

Da Klimarassismus so viele verschiedene Gesichter hat (ironischerweise), gibt es auch diverse Lösungsansätze. Allem voran muss Europa die ausbeuterischen, postkolonialen Strukturen endlich abbauen, die durch den Wachstumszwang aufrechterhalten werden. Ein besonders wirksamer Hebel dabei wäre: Suffizienz, also das Herunterfahren des industriellen Energiebedarfs.  

Heißt mit anderen Worten: Dinge, die nicht produziert werden müssen, aber besonders energieintensiv sind (SUVs, Steaks, Privatjets), einfach nicht produzieren. Dafür sollte es viel mehr umfassende und zukunftsweisende Verbote geben (ich weiß, ist leichter gesagt als getan). Für alles andere braucht es hingegen ein funktionierendes und effektives EU-Lieferketten-Gesetz. Eines, das es Konzernen wie ThyssenKrupp oder VW schwerer macht, auf Ausbeutung als Geschäftsmodell zu setzen. Wenn Unternehmen in Zukunft verklagt werden können, wenn ihre Produkte (oder Teile davon) zu menschen- und naturunwürdigen Bedingungen abgebaut wurden, wäre viel gewonnen.  

Suffizienz und Energie sparen, das schlägt Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen auch auf individueller Ebene vor. Zusätzlich: Spenden an lokale Projekte zur Energiegerechtigkeit im Globalen Süden „als Akt reparativer, also ausgleichender Gerechtigkeit“. Sinnvoller als CO₂-Geisterzertifikate zu kaufen, ist das allemal. 

Auch auf institutioneller Ebene kann und muss angepackt werden. Das Gegenteil von Rassismus ist selbstverständliche Diversität, und genau davon braucht es viel viel mehr in Führungspositionen und Regierungsämtern, damit die Stimmen von diskriminierten Menschen und Gruppen viel eher gehört werden. 

Grüner Rassismus, das klingt falsch. Es klingt nach Widerspruch. Denn eigentlich hilft ja die Energiewende dabei, fossile, postkoloniale Strukturen abzubauen. Es sei ein energieethisches Dilemma, das es anzuerkennen gilt, schreibt Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen. Das finde ich eine ziemlich passende Ein-Satz-Analyse. Natürlich führt kein Weg an der Energiewende vorbei, aber genauso wenig an Menschenrechten.  

Die Widersprüche dieses Dilemmas anzuerkennen, heißt dabei natürlich nicht, sie auch zu akzeptieren. Denn niemals, unter keinen Umständen, dürfen wir Rassismus akzeptieren. Auch nicht, wenn er grün ist. 

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