In Deutschland tobt der Kampf um mehr Bürgerbeteiligung, insbesondere die CDU tut sich schwer damit.
Bei den "Empfehlungen zur Ernährungspolitik" kritisiert CDU- Amthor laut Welt-Bericht den Einsatz „herbeiquotierter Räte“ und warf der Ampel eine "Aushöhlung des Parlaments" vor, worauf die FAZ ihn direkt ansprach: „Lieber Kollege Amthor, wovor haben Sie eigentlich Angst?“ (hier) Amthor habe offenbar „richtig Angst“, dass die Entscheidungen des Bundestags durch die Bürger umfänglich reflektiert würden.
hier Utopia Benjamin Hecht, 5. Februar 2024, Maja Göpel
Ist konsequenter Klimaschutz in einer Demokratie möglich? Transformationsforscherin Maja Göpel sagt ja, doch dafür müsste Deutschland sein Demokratieverständnis ändern.
Maja Göpel ist eine der bekanntesten Expertinnen, wenn es um die nachhaltige Transformation der Wirtschaft geht. Im Interview mit Watson thematisiert die Ökonomin das Verhältnis zwischen Demokratie und Klimaschutz.
„Einfach mal durchregieren und sagen, wie was läuft“, das würden sich viele wünschen, die die Dringlichkeit der Klimakrise verstanden hätten, sagt Göpel. So würden China und andere nicht-westliche Länder abwertend reden über die „durch Lobbyismus und Konzerne ausgehöhlten Konsumgesellschaften, die eine Energie- oder Mobilitätswende nie hinbekommen werden“, erklärt die Expertin.
Doch führt der einzige Weg aus der Klimakrise tatsächlich in ein autoritäres System?
Göpel lehnt diese Gedanken entschieden ab. Stattdessen sollten wir unser Demokratieverständnis hinterfragen. Sie fordert eine Demokratie, mit der wir „freiheitlich und koordiniert – und nicht mikrokontrolliert – unsere gesellschaftlichen Ziele wie den Klimaschutz erreichen können“, so Göpel gegenüber Watson.
Maja Göpel fordert Bürgerräte
Göpel meint, die demokratischen Prozesse in Deutschland müssten „wirkungsvoller organisiert und vor allem transparenter“ werden. Eine Möglichkeit dafür seien Bürgerräte für wichtige gesellschaftliche Themen. Dabei werden möglichst repräsentativ Menschen aus allen möglichen Gesellschaftsschichten ausgewählt, um gemeinsam über politische Maßnahmen zu diskutieren und anschließend Handlungsempfehlungen an die Regierung abzugeben.
Bürgerräte „erhöhen nachweislich die Bereitwilligkeit für strukturelle Veränderungen“, erklärt Göpel. Sie verweist dabei auf Beispiele aus Irland und Frankreich. In Irland hat ein Bürgerrat etwa das Abtreibungsverbot gekippt. In Frankreich führte diese Form der demokratischen Abstimmung zu umfangreichen Vorschlägen für besseren Klimaschutz, die jedoch von der Regierung um Präsident Emmanuel Macron größtenteils abgelehnt wurden.
Göpel: Menschen sind „vernunftbegabte Wesen“
Die Transformationsforscherin glaubt daran, dass sich mehr Menschen für Klimaschutzmaßnahmen aussprechen würden, wenn es Bürgerräte dafür gibt. Sie würden dabei merken, was möglich ist und was nicht, was entsprechende Maßnahmen kosten und was sie gewinnen können, wenn sie die Regeln ändern. Die Nachhaltigkeitsexpertin findet dies beruhigend. In Bürgerräten würde sich zeigen, „dass wir vernunftbegabte Wesen sind, die bereit sind zu lernen, loszulassen und neu zu teilen, wenn es in der Summe zu einem guten Ergebnis kommt“, so Göpel.
Bürgerräte kommen in Deutschland bereits zum Einsatz
Bereits 2021 gab es einen Bürgerrat zum Thema Klimaschutz in Deutschland. Es wurden 80 Empfehlungen an die Bundesregierung erarbeitet, darunter etwa der Vorschlag, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuverlegen.
Den Klimaaktivist:innen der Letzten Generation zufolge wurden den Ergebnissen allerdings zu wenig Beachtung geschenkt. Sie fordern einen neuen Anlauf. Allerdings soll die Regierung vorher öffentlich zusagen, die dabei erarbeiteten Maßnahmen und Gesetzesvorgaben tatsächlich in das Parlament einzubringen und sich dort für deren Umsetzung einzusetzen.
Da die Klebe-Aktionen der Letzten Generation mit dieser Forderung keinen Erfolg hatten, hat die Organisation vor Kurzem angekündigt, in Zukunft andere Formen des Protests zu wählen. Utopia berichtete.
Auch bei anderen Themen ist die aktuelle Bundesregierung Bürgerräten nicht abgeneigt. Erst im vergangenen September kamen 160 Bürger:innen zusammen, um Vorschläge zum Thema Ernährungspolitik zu erarbeiten. Die Ergebnisse wurden Mitte Januar im Bundestag vorgestellt. Ende Januar startete außerdem der Bürgerrat zum Thema „Gemeinsame Verkehrswende in Stadt und Land“.
Watson hier 03.02.2024,Josephine Andreoli
Warum Klimaschutz eine Chance ist: Maja Göpels Ideen für Gerechtigkeit
Für eine lebenswerte Zukunft müssen wir uns trauen, loszulaufen und gemeinsam zu lernen, meint die renommierte Transformationsforscherin Maja Göpel. Wie wir mehr Gerechtigkeit für alle schaffen und Klimaschutz neu denken, erzählt sie im Interview.
watson: Im Jahr 2023 hat sich die Klimakrise spürbar zugespitzt: Es war das wohl heißeste Jahr seit 125.000 Jahren, Extremwetter und Katastrophen inklusive. Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht, Frau Göpel?
Maja Göpel: Um ehrlich zu sein, wüsste ich nicht, was ich anderes tun sollte, als immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass wir die Dinge auch anders machen können. Das Wunderbare an uns Menschen ist doch, dass wir so innovativ und lernend unterwegs sind. Solange wir uns weigern, richtig hinzusehen und dieses Puzzle zu lösen, werden wir es nicht schaffen. Aber sobald wir uns dem ernsthaft stellen, sehe ich keinen Grund, warum wir es nicht schaffen sollten.
Um die Erderhitzung zu begrenzen, muss möglichst schnell möglichst viel CO₂ eingespart werden. Was macht gute Klimaschutzmaßnahmen aus?
Da sind drei Dinge entscheidend: Die Maßnahme muss im Verhältnis zum Ziel stehen, sie muss also eine ausreichende Wirkung haben. Außerdem muss sie fair sein, also eine Art Wertekompass eingebaut haben, der die Verletzlichsten schützt. Und jede einzelne Person interessiert natürlich, was das mit der eigenen Situation macht.
Wie meinen Sie das?
Es interessiert uns der Vergleich mit denen, die wir als unsere Peer Group verstehen. Aber es ist jetzt schon klar, dass diejenigen, die Lebensstile mit großen CO₂-Fußabdrücken pflegen, mehr Verantwortung übernehmen müssen, als andere. Oft gehen diese Lebensstile aber auch mit hohen finanziellen Ressourcen einher und dann passt das Verursacherprinzip als Gerechtigkeitsprämisse.
Das ist eigentlich sogar schon im Koalitionsvertrag formuliert: Es braucht den Abbau umweltschädlicher Subventionen. Dazu gehören laut Umweltbundesamt etwa 65 Milliarden, die für Dinge wie das Dienstwagenprivileg, die Pendlerpauschale für Autofahrer:innen, Ausnahmen in der Energiewirtschaft oder einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für Kerosin oder auf tierische Produkte wie Fleisch ausgegeben werden. Hier ließe sich budgetneutral umschichten, um eine entsprechende Lenkungswirkung zu erzielen. Außerdem sollte man die Schuldenbremse reformieren.
Warum?
Man muss Investitionen von Verschuldung differenzieren, vor allem dann, wenn sich die Investitionen in Zukunft positiv auswirken. Und das ist ja bei den erneuerbaren Energien eindeutig der Fall: Die Kosten für den Brennstoff fallen weg, die Kosten durch die Klimaveränderung werden reduziert.
Das Wort "Klimaschutz" ist oft negativ behaftet. Brauchen wir eine Wortneuerung?
Es gibt Neuro-Wissenschaftler:innen, die ganz klar sagen, man müsse von Menschenschutz sprechen. Das passiert ja auch teils schon dadurch, dass von Planetary Health gesprochen wird. Es geht um die menschliche Gesundheit in Abhängigkeit von "gesunden" Ökosystemen: Wenn es zu heiß wird, können wir uns nicht mehr fortbewegen, es gibt zu wenig Wasser, Wälder und Feuchtgebiete trocknen aus, die Artenvielfalt bricht ein – nicht besonders artgerechte Haltung für ein biologisches Wesen wie uns Menschen. Unsere Wirtschaft und unser Wohlstandsmodell sollten sich primär daran orientieren, dass wir eine verlässliche und gesunde Daseinsvorsorge erhalten.
Klingt logisch.
Ich habe das Gefühl, dass wir einen anderen Rahmen brauchen, um wieder miteinander in den Dialog zu kommen, gerade jetzt durch diese lagerbildenden polarisierenden parteipolitischen Strategien: Alles, was mit der Natur zu tun hat, ist grün. Und dann haben wir eine grüne Partei und die anderen Parteien können sich diesen "grünen" Themen gar nicht annehmen, ohne dass sie den Grünen quasi Zugeständnisse machen. Das ist doch völlig absurd!
Nochmal zurück zum Klimaschutz: Glauben Sie, dass das auch mit früheren Aktionen der Letzten Generation zusammenhängt?
Den Umfragen zufolge ja. Wobei ich es als Gesellschaftswissenschaftlerin viel interessanter finde, zu schauen, was dieses Verhalten hervorgerufen hat. Wenn man Personen der Letzten Generation fragt, erzählen sie einem, dass sie vorher Briefe an die Regierung geschrieben, demonstriert und sich im Alltag eingesetzt haben. Aber politisch sind nicht mal ausreichend Maßnahmen verabschiedet worden, die dem Einhalten der Klimaschutzziele entsprechen würden – und die sind noch zu locker für das 1,5-Grad-Ziel. Viele haben also aus einem großen Ohnmachtsgefühl agiert. Und die Forderungen, die sie haben, sind nun wirklich nicht radikal.
Die dafür eingesetzten Mittel waren schon radikal. Waren die Aktionen trotzdem gerechtfertigt?
Das Mittel des zivilen Ungehorsams ist eines, das unsere Gesetzgebung kennt und entsprechend behandelt. Es ist lange nicht zum Einsatz gekommen, was ein Zeichen für ein gutes Funktionieren der Demokratie gewesen ist. Dass sich die Aktionen dann gegen alle Bürger:innen im Alltag gewendet haben, hat viele aufgebracht und das verstehe ich natürlich gut. Ich finde das nicht leicht zu beurteilen und glaube, dass wir erst in der Zukunft abschließend bewerten werden, was die Aktionen gebracht haben oder nicht. So einige Rechte sind in der Vergangenheit nicht freundlich, sondern konfrontativ eingefordert worden, zum Beispiel in der Frauenbewegung. Aber ich muss zugeben, zum Teil verstehe ich die Aktionen nicht.
Immer öfter kommt die Frage auf, ob die Demokratie die richtige Gesellschaftsform ist, um die Klimakrise zu bewältigen.
Gerade im internationalen Raum merke ich, dass einige, die die Dringlichkeit verstanden haben, sich so etwas wie China wünschen: Einfach mal durchregieren und sagen, wie was läuft. Andere aus China und nicht-westlichen Ländern sprechen auch abwertend über die durch Lobbyismus und Konzerne ausgehöhlten Konsumgesellschaften, die eine Energie- oder Mobilitätswende nie hinbekommen werden.
Und was glauben Sie?
Ich persönlich glaube, dass wir sehr gut daran tun, uns immer wieder zu fragen, was unser Demokratieverständnis ist, mit dem wir freiheitlich und koordiniert – und nicht mikrokontrolliert – unsere gesellschaftlichen Ziele wie den Klimaschutz erreichen können.
Was meinen Sie damit?
Wir sollten uns nicht die Frage stellen: Demokratie – ja oder nein.
Sondern?
Wir sollten unser Innovationspotenzial ausschöpfen und schauen, wie wir demokratische Prozesse wirkungsvoller organisiert und vor allem transparenter bekommen. Der Bürgerrat, den auch die Letzte Generation fordert, ist ja nur ein Beispiel dafür, wie man möglichst repräsentativ unterschiedliche Akteur:innen zusammenbekommt und sie aktiv daran mitwirken können, klimapolitische Maßnahmen zu empfehlen. Auch welche Regeln und Steuern es heute gesellschaftlichen Akteur:innen erschweren, umzusteuern, gehört auf den Tisch. Darüber reden wir viel zu wenig.
Was – so die Hoffnung – zu strengeren Maßnahmen führen soll.
Zu einer Neuausrichtung der Lenkungswirkung unserer politischen Rahmenbedingungen. Und genau dafür muss ich diese erst einmal verstehen. Bürgerräte, in denen das offen diskutiert wird, erhöhen nachweislich die Bereitwilligkeit für strukturelle Veränderungen. Das hat man in Irland beim Bürgerrat zum Thema Abtreibungen gesehen, aber auch in Frankreich bei der Klimapolitik.
Woran liegt das?
Weil die Menschen merken, was heute nicht möglich ist und was das kostet – und vor allem dann eben auch, was sie gewinnen können, wenn sie die Regeln ändern. Und das ist ja eigentlich ziemlich beruhigend – weil sich doch immer wieder zeigt, dass wir vernunftbegabte Wesen sind, die breit sind, zu lernen, loszulassen und neu zu teilen, wenn es in der Summe zu einem guten Ergebnis kommt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen