Freitag, 22. März 2024

Miniatomreaktoren sollen bei der Klimawende helfen - Ein Faktencheck

Never ending story - wann ist endlich mal Schluss mit "Grimms Märchen", wie das der Ökonom von Hirschhausen bezeichnet?

Zeit hier  Von Robert Gast  19. März 2024,

Small Modular Reactors: Der Traum vom kleinen, sicheren Atomkraftwerk

Miniatomreaktoren sollen bei der Klimawende helfen, auch in Europa. Wird Kernenergie damit billig und sicher? Oder ist das bloß PR der Nuklearindustrie? Ein Faktencheck

Der Traum vom kleinen, sicheren Atomkraftwerk

1973 war die Lage klar: Die Welt braucht Atomkraftwerke! Im Nahen Osten überfielen arabische Länder Israel, der Preis für Öl verdreifachte sich. Westliche Industrienationen stürzten in eine Energiekrise – und suchten erstmals nach einem Weg aus dem fossilen Zeitalter.

Dutzende Atomkraftwerke gingen daraufhin pro Jahr in Bau. Der Boom währte bis Mitte der Achtzigerjahre, weltweit entstanden in dieser Zeit Hunderte Nuklearanlagen. Anschließend verlor die Atomkraft an Bedeutung. Wegen hoher Kosten, Sicherheitsbedenken und dem Siegeszug der Erneuerbaren.

Doch dabei muss es nicht bleiben, finden manche Staatschefs, Unternehmer und Lobbyistinnen. Sie wollen die Atomkraft mit ihrem geringen CO₂-Ausstoß für den Kampf gegen die Klimakrise nutzen. Und die umstrittene Technologie dabei gleich auch billiger und sicherer machen.

Atomreaktoren vom Fließband

Möglich machen sollen es sogenannte Small Modular Reactors, kurz SMR. Sie wären kleiner und flexibler als bisherige Atomreaktoren. Vor allem aber soll man sie so routiniert in Serie fertigen können wie Flugzeuge, was Kosten sparen soll. Die Minimeiler könnten damit die Tausenden noch aktiven Kohlekraftwerke ersetzen, glauben Befürworter.

Zu ihnen zählen nicht nur Milliardäre wie Bill Gates. Sondern auch die Regierungen von Frankreich, Großbritannien, Kanada und den USA. Sie fördern die Minireaktoren mit viel Geld – und haben zusammen mit 21 anderen Staaten am Rande der letzten Weltklimakonferenz angekündigt, bis 2050 dreimal so viel Atomstrom zu produzieren wie heute. Sogar die EU plant seit Kurzem, die Small Modular Reactors zu fördern, am Freitag stellt sie dazu in Brüssel ein Industrieprogramm vor. Ganz nach dem Motto: 2024 ist das neue 1973!

Aber können die Miniatomkraftwerke wirklich bei der Energiewende helfen? Bringen sie tatsächlich Vorteile gegenüber größeren Modellen? Oder sind sie vor allem ein PR-Stunt der Nuklearindustrie? ZEIT ONLINE hat sich auf Spurensuche begeben – mit überraschenden Ergebnissen.

Ein Label für alles Mögliche

Wer sich für Small Modular Reactors interessiert, stößt zunächst auf ein grundsätzliches Problem: Hinter dem Begriff verbergen sich ganz verschiedene Ideen, die in etwa so viel miteinander zu tun haben wie ein klappriges Kleinflugzeug mit einem Überschalljet. Mal sind es futuristische Designs, von denen es nicht mehr gibt als eine Zeichnung. Mal Bauweisen, die seit Jahrzehnten im Einsatz sind.

Insgesamt gibt es fast 80 verschiedene Konzepte. Gemein haben sie nur, dass sie deutlich weniger elektrische Leistung bereitstellen als heutige Atomreaktoren. Diese bringen es auf 1.000 oder mehr Megawatt (MW). Das ist genug, um mehr als eine Million Haushalte mit Strom zu versorgen. Small Modular Reactors sollen hingegen maximal ein Drittel dieser Leistung haben, also rund 300 MW oder weniger.

Damit aber trifft die Definition auf alles Mögliche zu. Etwa die erste Generation von Atomkraftwerken, die man in den Sechzigerjahren noch kleiner baute als heute. Oder einen indischen Reaktortyp mit nur 220 MW, der seit 1984 an fünf Standorten in Betrieb ist. Oder die Minireaktoren, die seit dem Kalten Krieg Militär-U-Boote durch die Weltmeere tauchen lassen.

Befürworter nutzen die begriffliche Unschärfe teils gezielt aus. Etwa indem sie zwei russische Reaktoren, die seit 2020 im Maschinenraum einer Akademik Lomonossow genannten Fähre in einem Polarmeerhafen brummen, als innovativ verkaufen. Dabei trieb derselbe Typ schon in den Achtzigerjahren russische Eisbrecher an.

Viele Mythen umgeben die kleinen Reaktoren

Noch ein weiteres Missverständnis sorgt oft für Verwirrung. "Klein" ist im Fall vieler SMR relativ. Hersteller werben damit, dass die Reaktoren weniger Platz einnehmen würden als herkömmliche Atomkraftwerke. Diese belegen allerdings auch mehrere Quadratkilometer Fläche, schließlich muss auf dem Gelände nicht nur das meist 20 Meter hohe Reaktorgefäß mit den Brennstäben Platz finden. Sondern auch Pumpen, Dampferzeuger, Turbinen, Lagerbecken, Kontrollräume, Kühltürme, Umspannwerke.

Bei vielen SMR haben die Designer Pumpen, Kühlrohre und Dampferzeuger in das Innere des zylinderförmigen Reaktorgefäßes verlegt, mit der Konsequenz, dass diese nicht viel kleiner ausfallen als herkömmliche Reaktoren. Und da man stets mehrere von ihnen nebeneinander platzieren würde, bräuchte ein SMR-Atomkraftwerk pro Megawatt ähnlich viel Platz wie eine herkömmliche Nuklearanlage, so eine Schätzung (PDF) der Universität Manchester.

Sie werden wahrscheinlich keinen Gutachter finden, der Stand heute sagt:
Diese Reaktoren sind inhärent sicher.

Sara Beck, Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit

Dafür sollen die Minikraftwerke sicherer sein. Hersteller behaupten sogar, dass sich ein SMR bei einem Störfall selbst abschaltet und ohne Hilfe von außen herunterkühlt. Zu einer Kernschmelze soll es daher nicht kommen können, die Reaktoren seien "inhärent sicher". Und wenn doch einmal radioaktive Stoffe entweichen sollten, sollen sie das Anlagengelände nicht verlassen können.

Unabhängige Fachleute wie Sara Beck von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) sehen solche Versprechen sehr kritisch. "Sie werden wahrscheinlich keinen Gutachter finden, der Stand heute sagt: Diese Reaktoren sind inhärent sicher." Denn dafür müssten die Neulinge erst mehrjährige Prüfungen von Aufsichtsbehörden überstehen. "Und bei den allermeisten SMR-Konzepten stehen wir hier weltweit erst ganz am Anfang."

Sicherheitsvorteile, aber vielleicht nur in der Theorie

Auch eine 2021 erschienene Studie (PDF) im Auftrag des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) sieht den Hype um die Kleinreaktoren kritisch. Ihr Fazit: Prinzipiell könnten viele von ihnen zwar Sicherheitsvorteile bringen, unter anderem, weil sie stärker auf passive Kühlung ohne Hilfe von störanfälligen Pumpen setzen. In der Praxis könnte davon aber nicht viel übrig bleiben.

Etwa weil die Hersteller wegen der vermeintlich garantierten Sicherheit an zusätzlichen Notfallsystemen sparen, die Atomkraftwerke gegen Naturkatastrophen oder Terroranschläge absichern. Oder, wenn am Ende Tausende oder sogar Zehntausende SMR gebaut werden, sie zwar individuell sicherer sein mögen. Aber durch ihre schiere Zahl die Wahrscheinlichkeit für Störfälle insgesamt vergrößern.

Und dann ist da noch die Frage nach dem Atommüll. Länder wie Finnland haben zwar mittlerweile ein Endlager dafür, das die strahlenden Abfälle bis in alle Ewigkeit sicher verwahren soll. Aber Kritiker monieren, dass die Kosten dafür bei der Atomkraft nicht richtig eingepreist werden. Schließlich könnten sie über viele Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende anfallen – und werden dabei, sobald die Rücklagen der Atomwirtschaft aufgebraucht sind, von der Gemeinschaft getragen.

Der Müll bleibt ein Problem

Die meisten Konzepte für Small Modular Reactors ändern nichts an diesem Problem. Viele von ihnen könnten pro Megawatt Leistung sogar mehr und gefährlicheren Atommüll produzieren als bisherige Atomkraftwerke, ergab eine Studie der Universität Stanford und einer ehemaligen Leiterin der US-Atomaufsichtsbehörde (PNAS: Macfarlane et al., 2022).

Unter den kursierenden Ideen gibt es zwar auch Hightechkonzepte, die diese oder andere Schwächen nicht haben. Allerdings haben Kraftwerksbauer mit vielen dieser Technologien bisher keine oder nur wenig praktische Erfahrung. Oder aber Reaktoren, die einzelne der Techniken erproben, laufen längst nicht so gut wie in den Idealvorstellungen von Physikern.

Weltweit speisen mehr als 400 Atomkraftwerke in insgesamt 33 Ländern Strom ins Netz, im Durchschnitt sind sie 31 Jahre alt. Zusammen decken sie neun Prozent des weltweiten Strombedarfs. Die mit Abstand größten Atomstromproduzenten sind dabei die USA, China, Frankreich und Russland, gefolgt von Südkorea, Kanada, der Ukraine, Spanien und Japan.

Die Rolle des Atomstroms in den jeweiligen Ländern ist sehr unterschiedlich. In den USA und Russland trägt er etwa ein Fünftel zur Stromversorgung bei, in China sind es nur fünf Prozent. In Frankreich kommen dagegen zwei Drittel des Stroms aus Kernspaltung – auch wenn die 56 Kraftwerke des Landes zuletzt wegen Reparaturen und Dürren sehr oft ausgefallen sind.

Frankreich stellt insgesamt die Hälfte des Atomstroms in der EU bereit. Knapp die Hälfte der 27 EU-Staaten setzen derzeit auf Kernenergie, die andere Hälfte lehnt sie ab. Seit dem Ukraine-Krieg hat die Zahl der Befürworter Umfragen zufolge zugenommen. Manche EU-Länder haben zuletzt einen Einstieg angekündigt, etwa Polen und Estland – beide wollen dabei unter anderem auf Small Modular Reactors setzen.

Fachleute wie Sara Beck räumen daher vor allem jenen SMR Chancen ein, die gut erprobte Designs klug weiterentwickeln. Damit aber bleibt von den 80 Konzepten nur eine Handvoll übrig. "Das sind in erster Linie Leichtwasserreaktoren", sagt Beck. Und meint damit die weltweit häufigste Reaktorart, in der zirkulierendes Wasser Uranbrennstäbe kühlt – gewissermaßen der Linienflieger unter den Atomkraftwerken.

Doch sie zu modernisieren, zu schrumpfen, genehmigen zu lassen und dann in Serie zu produzieren, scheint schwieriger zu sein, als viele in der Nuklearbranche erwartet haben. So schwierig, dass in den USA und in Europa in den vergangenen 15 Jahren kein Kleinreaktor über das Planungsstadium hinausgekommen ist.

Das Vorzeigeprojekt für SMR endete im Debakel

Besonders bitter für Anhänger der Small Modular Reactors verlief ein Vorzeigeprojekt im Mittleren Westen der USA. Dort, auf dem Gelände eines Kernforschungszentrums am Rande der Kleinstadt Idaho Falls, plante das US-Unternehmen NuScale sechs schicke 77-Megawatt-Reaktoren. Halb unterirdisch in einem Wasserpool gelegen, sollten sie ab 2029 Strom erzeugen.

Das US-Energieministerium schoss Hunderte Millionen Dollar für Konzeptstudien und Genehmigungsverfahren zu. NuScale hatte außerdem Kommunen und örtliche Stromanbieter für das sogenannte Carbon Free Power Project gewonnen. Und kündigte im Überschwang weitere Minikraftwerke an: im US-Bundesstaat South Carolina, in Rumänien, in Polen, in der Ukraine.

Doch dann scheiterte das Vorzeigeprojekt in Idaho spektakulär. Ein Gutachten kam auf Baukosten von 9,6 Milliarden US-Dollar – fast doppelt so viel wie zuvor veranschlagt und pro Megawatt mehr als selbst die teuersten herkömmlichen Atomkraftwerke. Die beteiligten Kommunen stiegen daraufhin aus, im November 2023 erklärte NuScale das Projekt für gescheitert.

Das Aus bestärkte das Bild, das Beobachter seit Langem von der Atomkraft zeichnen. Als Technologie, die stets teurer ist und länger auf sich warten lässt als versprochen – und trotzdem von manchen Regierungen immer weiter gefördert wird. Oder wie es Mycle Schneider formuliert: "Mit der Atomindustrie geht es seit vielen Jahren bergab."

Branche im Abwärtstrend

Schneider gibt seit 2007 Jahr für Jahr von Paris aus den umfassendsten unabhängigen Bericht über die Atomindustrie heraus. Zusammen mit anderen atomkritischen Analysten und Wissenschaftlern trägt er darin Informationen über alle laufenden Nuklearprojekte zusammen.

Small Modular Reactors tauchen seit Jahren in den Berichten auf. Allerdings als Paradebeispiel für das Zerrbild, das Lobbyisten und Medien von der atomaren Wirklichkeit zeichnen. "Wir sind im La-La-Land gelandet", sagt Schneider. Und meint damit: Trotz der allgegenwärtigen Präsenz in der öffentlichen Debatte spielt Atomkraft bei der globalen Energiewende im Grunde keine Rolle – und SMR werden daran nichts ändern.

2023 ging in China nur ein einziges neues AKW in Betrieb –
und mehr als 200-mal so viel Solarkapazität.

Mycle Schneider, Atomkraftanalyst

Schneider kann seinen Eindruck mit Zahlen und Statistiken untermauern. Etwa mit der global installierten nuklearen Kraftwerkskapazität, die seit Langem stagniert, weil auf jeden Neubau im Schnitt ein AKW kommt, das vom Netz geht. Oder dem Anteil am Strommix, der seit 1996 immer weiter gesunken ist, auf derzeit neun Prozent. Beim Primärenergiebedarf, in den auch die Wärmeversorgung einfließt, sind es je nach Schätzung sogar nur zwischen zwei und vier Prozent.

Und das einzige Land, das auf eigenem Boden noch im großen Stil Atomkraftwerke baut, ist China. Doch selbst das autokratische Regime tauge nicht als Beispiel für eine nukleare Renaissance, sagt Schneider. "2023 ging dort nur ein einziges neues AKW in Betrieb – und mehr als 200-mal so viel Solarkapazität." Für den Analysten steht daher fest: Die Atomkraft wird immer weiter an Bedeutung verlieren. Allein wegen der Kosten.

Tatsächlich zeigen historische Analysen, dass neue Atomkraftwerke seit den Siebzigerjahren immer teurer geworden sind (Energy Policy: Koomey et al., 2017). Zuletzt haben sie bei Großprojekten in Finnland, Frankreich, England und den USA jeden Rahmen gesprengt. Stets waren für die Neubauten dort zweistellige Milliardenbeträge fällig und damit ein Vielfaches der geplanten Kosten.

Viele Nuklearkonzerne sind hoch verschuldet

Heute werden Atomkraftwerke daher fast nur noch von russischen oder chinesischen Staatskonzernen gebaut. Die wenigen westlichen Unternehmen, die sich den Bau noch zutrauen, werden nur dann aktiv, wenn Regierungen sie stark unterstützen; mit günstigen Krediten, Versicherungen oder jahrzehntelange Abnahmegarantien für den Strom. Trotzdem sind viele der Firmen hoch verschuldet, etwa der französische Nuklearriese EDF, der 2023 verstaatlicht wurde.

Small Modular Reactors sollten diesen Trend eigentlich umkehren, indem sie Atomkraft für Kunden attraktiv machen, die sich keine zweistelligen Milliardenbeträge als Startinvestment leisten können. Etwa Bergbaukonzerne, die abgelegene Minen mit Strom versorgen wollen, oder Länder wie Jordanien, Ägypten oder Nigeria.

Aber nicht nur Kritiker wie Schneider haben große Zweifel daran, ob das gelingen kann. Auch die Nuklearindustrie diskutiert seit Langem darüber. Schließlich haben Firmen und Forschungsinstitute seit der Jahrtausendwende immer wieder SMR-Konzepte vorgestellt. Doch fast immer blieb es bei vagen Absichtserklärungen, auf die dann nichts folgte – offenbar aus Kostengründen.

"Wirtschaftlich sind SMR völlig perspektivlos", sagt der Ökonom Christian von Hirschhausen, der an der TU Berlin zu dem Thema forscht. Schließlich gilt in der Atomwirtschaft seit Langem der Grundsatz: Je mehr Megawatt ein Kraftwerk hat, desto eher lohnt es sich. Etwa weil es Rabatt für Beton gibt oder die Kosten für teure Genehmigungsverfahren gleich bleiben, egal wie groß die Anlage wird.

Teuer, teurer, Atomkraft

Small Modular Reactors sollen diese Größenvorteile mittels Serienproduktion ausgleichen. Statt die riesigen Reaktorbehälter erst auf der Baustelle Teil für Teil zusammenfügen, sollen sie in Fabriken entstehen. Und dann bereits fertig verschweißt ausgeliefert werden. Nur: Wie gut das funktioniert und ob sich damit Kosten sparen lassen, ist völlig unklar. Fest steht nur, dass bisherige Schätzungen oft zu optimistisch sind, etwa weil sie den Rückbau der Anlagen nicht richtig berücksichtigen (Renewable and Sustainable Energy Reviews: Mignacca et al., 2020).

Kritiker erwarten daher, dass Hunderte, wenn nicht Tausende Exemplare eines Typs vom Band laufen müssten, bis die kleinen Reaktoren konkurrenzfähig werden. Und konkurrenzfähig hieße in diesem Fall bloß: ähnlich teuer wie klassische Atomkraftwerke. Die es laut aktuellen Analysen (PDF), wie etwa von der Investmentbank Lazard, allerdings weder mit Sonne, Wind, Gas und je nach Schätzung nicht mal mit Kohlekraftwerken aufnehmen können. "Die ganze Debatte erinnert mich daher an Grimms Märchen", sagt der Berliner Ökonom von Hirschhausen.

Befürworter verweisen dagegen darauf, dass Rückschläge bei der Technologieentwicklung nun einmal dazugehörten. Und es einfach noch zehn oder 20 Jahre dauern werde bis zur Marktreife der kleinen Atomkraftwerke. Auch GRS-Fachfrau Sara Beck will das nicht ausschließen: "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass zumindest SMR-Prototypen gebaut werden."

Milliardenschwere Hilfe aus Washington

So stellt es auch Michel Berthélemy dar. Der Franzose ist Stabschef der Nuclear Energy Agency, die zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehört. "Wenn wir alles richtig machen, können SMR ein Erfolg werden", sagt er. Schließlich gebe es bei vielen Projekten Fortschritte. Etwa in Kanada, wo der Konzern GE-Hitachi vier Kleinreaktoren bei Toronto bauen will. Oder auf dem Gelände eines Kohlekraftwerks im US-Bundesstaat Wyoming, wo Bill Gates Start-up TerraPower einen am Supercomputer entworfenen SMR plant. Oder in Tschechien und Schweden, wo andere Firmen 2023 mal wieder Absichtserklärungen unterzeichnet haben.

Insgesamt stehe bei elf SMR-Projekten mittlerweile die Finanzierung, hält die Nuclear Energy Agency in einem aktuellen Bericht fest. Wohl auch deshalb, weil die Atommächte großzügig die Entwicklung subventionieren. Der US-Kongress hat jüngst sogar mit großer Mehrheit beschlossen, das Genehmigungsverfahren stark zu vereinfachen. Frankreich hingegen fördert mit einer halben Milliarde einen Kleinreaktor namens Nuward, der ab 2035 gebaut werden soll.

Für Berthélemy konkurrieren solche Projekte dabei weniger mit Sonne, Wind und herkömmlicher Atomkraft. Sondern mit Technologien, die fossile Kraftwerke ersetzen oder sie zumindest klimaneutral machen sollen. Also Wasserstoffkraftwerke, der Umbau der Netze für flächendeckende Wind- und Sonnenenergie oder die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) in Gaskraftwerken.

Der Bedarf an klimafreundlicher Energie ist gigantisch

Alle diese Dinge seien schwierig, sagt Berthélemy. Gleichzeitig sei der Bedarf an CO₂-armer Energie einfach gigantisch und viele Länder und Industrien täten sich schwer, ihre Klimaziele zu erreichen. Sprich: Selbst wenn Atomkraft und SMR teuer bleiben – vielleicht findet sich doch eine Nische für sie. Davon geht auch der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Sachstandbericht aus: In fast allen Szenarien, in denen die Menschheit das 1,5- oder 2-Grad-Ziel erreicht, kommt ein Teil des Stroms aus Atomkraftwerken.

Allerdings ist die Rolle der Meiler je nach Szenario sehr unterschiedlich. Mal bleibt die globale Kraftwerkskapazität bis 2050 fast konstant, mal verdreifacht sie sich – ganz so, wie es 25 Staaten am Rand der letzten Klimakonferenz im Dezember 2023 in Dubai angekündigt haben.

Ein nüchterner Blick auf die Kosten und den schlechten Zustand der Nuklearindustrie lässt einen solchen Ausbau allerdings illusorisch erscheinen, sagen Kritiker. Zumal es auch eine ganz andere Erklärung als Klimaschutz für die Kernkraftallianz gibt. So fehlen auf der Liste der Unterstützer ausgerechnet China und Russland, die seit Langem die Hauptexporteure von Nukleartechnik sind. Und die sich damit nach Einschätzung westlicher Strategen gezielt Einfluss und Loyalitäten in anderen Erdteilen sichern. 

"Der Plan der westlichen Atommächte ist wohl, selbst Atomkraftwerke anzubieten und so – selbst wenn es bei unerfüllten Plänen bleibt – den geopolitischen Einfluss der beiden zu begrenzen", vermutet Atomanalyst Mycle Schneider. Und womit ginge das besser als mit kleinen Reaktoren aus westlicher Serienproduktion?

So gesehen ist es wahrscheinlich zweitrangig, was die Small Modular Reactors am Ende kosten werden. Manche Staaten werden sie bauen, zumindest vereinzelt. Aber wahrscheinlich werden es am Ende längst nicht so viele sein wie damals nach der Ölkrise. Schließlich hat die Welt mittlerweile gelernt, dass es einfachere, billigere und sicherere Wege in eine Welt ohne fossile Energien gibt.



heise online  hier  22.03.2024   Andreas Wilkens

Studie zur Atomkraft: Alternative Reaktoren lösen nicht das Endlagerproblem

Die "Generation IV" von Atomreaktoren sieht das für nukleare Entsorgung zuständige Bundesamt nicht als Lösung für den Klimawandel und das Endlagerproblem.

Neuartige Reaktorkonzepte lösen nicht das Problem, ein Endlager für radioaktive Abfälle zu finden, meint Christian Kühn, Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Auch beantworteten sie nicht die drängenden Fragen des Klimaschutzes. Das Fazit zieht Kühn nach einer wissenschaftlichen Studie, die das BASE vom Öko-Institut, der Technischen Universität Berlin sowie dem Physikerbüro Bremen anfertigen ließ.

Angesichts des Klimawandels und der durch die Invasion Russland in die Ukraine ausgelösten Energiekrise hat die Atomkraft in einigen Ländern einen Anschub bekommen, in Brüssel haben sich gerade 30 dazu verpflichtet, sie auszubauen. Dabei werden in Ländern wie Frankreich und Großbritannien nicht nur neue herkömmliche Atomkraftwerke geplant und gebaut, sie ziehen auch neue Ansätze in Betracht.

Auch nach Jahrzehnten keine Marktreife

Momentan sei nicht absehbar, dass solche Kraftwerke der "Generation IV" in den Markt eingeführt werden, geht aus der Studie hervor (PDF). "Trotz teils intensiver Werbung von Herstellern sehen wir derzeit keine Entwicklung, die den Bau von alternativen Reaktortypen in den kommenden Jahren in großem Maßstab wahrscheinlich macht", sagte Kühn.

In der Studie werden sieben Konzepte betrachtet, darunter blei- und gasgekühlte Reaktoren, Salzschmelzereaktoren oder beschleunigergetriebene Systeme. Alle unter dem Stichwort "Generation IV" diskutierten Konzepte würden seit Jahrzehnten entwickelt und hätten bisher keine Marktreife erreicht, heißt es in der Studie. Falls die technischen Hürden und Sicherheitsfragen gelöst werden können, würde die weitere Entwicklung wahrscheinlich mehrere Jahrzehnte dauern.

Auch alternative Reaktoren würden hochradioaktive Abfälle erzeugen, sie könnten sich zudem deutlich von den Abfällen der Leichtwasserreaktoren unterscheiden. Wenn beispielsweise keine festen Brennelemente, sondern Salzschmelze verwendet werde, wäre die Abfallbehandlung deutlich erschwert, denn heutige Endlagerplanungen seien in aller Regel nicht auf diese Abfälle ausgelegt. Durch Wiederaufbereitungstechnik ließen sich zwar hoch radioaktive Abfälle reduzieren, es fielen aber deutlich mehr mittel- und schwachradioaktive Abfälle an.

Kein Regelwerk vorhanden

Auch die Transmutation wird in der Studie kritisch gesehen. Damit ist gemeint, Bestandteile der bestehenden hoch radioaktiven Abfälle zu spalten. Dies wäre erstens mit einem hohen Aufwand über einen langen Zeitraum verbunden. Zweitens würde dadurch der Flächenbedarf eines Endlagers nur gering reduziert, weil die langlebigen Spaltprodukte, die den größten Einfluss auf die Sicherheit haben, sich nur schlecht transmutieren ließen.

Bill Gates' Mini-AKW stoßen im Bundesamt für nukleare Entsorgung auf Widerstand

Obendrein bauten bestehende Regelwerke etwa der IAEA, in den USA, Kanada oder Großbritannien auf lange Betriebserfahrung mit Leichtwasserreaktoren auf. Entsprechend enthielten sie technologiespezifische Vorgaben, die nicht direkt auf alternative Reaktorkonzepte anwendbar seien. Zwar würden Regeln überarbeitet, bis diese aber fundiert seien, könne das mangels Betriebserfahrung lange dauern.

Auch zu dem Konzept der Small Modular Reactors – auch Mini-AKW genannt – hat das BASE bereits ein Gutachten anfertigen lassen. Das Öko-Institut kam dabei zu dem Schluss, Mini-AKW hätten zwar potenziell sicherheitstechnische Vorteile gegenüber großen Atomkraftwerken, die hohe Anzahl an notwendigen Reaktoren würde jedoch die damit verbundenen Risiken deutlich erhöhen. Zudem seien Fragen zu Sicherheit, Transport, Rückbau sowie zur Zwischen- und Endlagerung bislang ungeklärt.

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