Freitag, 22. März 2024

Interessen von Öl- und Gasfirmen dürften Forschungsergebnisse nicht weiter untergraben - »Es ist Zeit für Veränderungen«

 

hier  SPIEGEL Klimabericht  Freitag, 8. März 2024  Susanne Götze

Ein ehemaliger Leitautor des wichtigsten Berichts zum Zustand unseres Klimas hält die Arbeitsweise des Gremiums für unzeitgemäß. Interessen von Öl- und Gasfirmen dürften Forschungsergebnisse nicht weiter untergraben.

Die Klimakrise schreitet unerbittlich voran, gleichzeitig geraten die Klimabewegung und Klimapolitik immer mehr in den Hintergrund. Am Donnerstag gab es schon wieder traurige Rekorde zu vermelden: Der vergangene Monat war global der wärmste Februar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, berichtete das EU-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus.

Damit wurde im neunten Monat in Folge ein weltweiter Temperaturrekord erreicht. Laut den Messungen war der Februar in diesem Jahr 1,77 Grad Celsius wärmer als im Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900. Ein weiteres Allzeithoch gibt es auch für die Meeresoberfläche. Mit gut 21 Grad Celsius Ende des Monats sei sie noch wärmer gewesen als beim bisherigen Höchststand im August 2023, teilte der Erdbeobachtungsdienst mit.

Was das für die Ökosysteme und das Klimasystem bedeutet, hat mein Kollege Johann Grolle in dieser Woche aufgeschrieben: »Fürs Wetter bedeuten warme Meere zweierlei: heftigere Niederschläge, weil bei höheren Temperaturen mehr Wasser verdunstet und warme Luft mehr Wasser aufnehmen kann; und eine Zunahme der Stürme, denn mehr Wärme heißt, dass mehr Energie im Wettersystem steckt, die sich in Sturmtiefs entladen kann.« Das wiederum trifft dann auch die Menschen, etwa in Kalifornien, schreibt Johann: »Dort kann inzwischen jedes Kind davon erzählen, wie gefährlich die ›atmosphärischen Flüsse‹ sind.«

Johann hat auch mit dem Copernicus-Direktor Carlo Buontempo gesprochen. »Buontempo erstaunen nicht die Rekorde selbst. Ihn wundere vielmehr das Maß, in dem frühere Rekordwerte übertroffen wurden«, heißt es in Johanns spannendem Bericht. (Den vollständigen Artikel lesen Sie hier (S+)).

Kritik am IPCC: »Es ist Zeit für Veränderungen«

Buontempo ist nicht der einzige Wissenschaftler, der sich Sorgen macht. Den deutschen Klimaforscher Hans-Otto Pörtner beunruhigt, wie schnell sich das Fenster einer noch möglichen nachhaltigen Entwicklung gerade schließt, wie die Folgen des Klimawandels sich verstärken und die Welt irreversibel verändern. Pörtner ist Professor für Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut und der Universität Bremen und war acht Jahre lang Ko-Vorsitzender einer Arbeitsgruppe im Weltklimarat IPCC, dadurch auch Mitglied im Vorstand des Rates. Auch an dem im vergangenen Jahr erschienenen 6. Weltklimabericht (S+) hat er mitgewirkt.

Mittlerweile hat die Arbeit am 7. Weltklimabericht begonnen, der wahrscheinlich um 2030 erscheinen wird. Pörtner ist nicht mehr dabei – und gerade deshalb kann er nun unverblümt Kritik üben, wie er dem SPIEGEL im Gespräch erklärt. »Ich habe jahrelang die Arbeit des IPCC begleitet und war auch auf vielen Uno-Klimakonferenzen, und ich glaube, dass die Zeit reif ist für durchgreifende Veränderungen«, so Pörtner. Seiner Meinung nach ist das prominenteste Klimaforschungsgremium zu sehr von politischem Kalkül beeinflusst.

Es sei immer klar gewesen, dass der IPCC kein rein wissenschaftliches Gremium sei, so der Forscher. »Das war und ist seine Stärke. Aber in Zeiten drängender Verschärfungen in der Klima- und Artenschutzkrise wird es mehr und mehr zu einer Schwäche.« Der Rat benötige Reformen in internen Prozessen und weniger politisch motivierten Einfluss. Anderenfalls sei zu befürchten, dass der IPCC den aktuellen Entwicklungen hinterherlaufe und keine Politikberatung für zeitgerechtes Handeln mehr liefern kann, erklärt der Forscher in einem Gastbeitrag für »Table Media«. »Es muss mehr Freiheit geben, neue Wege zu gehen

Konkret kritisiert Pörtner die politische Einflussnahme einiger der 195 Mitgliedstaaten auf die Arbeit des IPCC. Bisher bestimmen die Länder allein, wer im Vorstand sitzt und entschieden durch die Nominierung mit, wer bei den Berichten mitschreibt. Dabei sollte mehr nach fachlichen Kriterien ausgewählt werden, findet der Forscher. Auch bei der Themensetzung hätten die Regierungen zu viel Mitsprache. Es ist laut Pörtner wichtig, dass die Wissenschaftler mehr Schwerpunkte setzen und schneller auf Ereignisse reagieren können. Zudem gebe es bei den Abstimmungen über die Berichte Reformbedarf. Über die Zusammenfassung der Weltklimaberichte stimmen Länder und Wissenschaftler im Konsensprinzip ab – was bei zu starker politischer Einflussnahme wieder zur Verwässerung von Formulierungen führen könne.

Zudem sei der Zeitraum zwischen den Berichten mittlerweile zu groß: Innerhalb von sieben Jahren passiere einfach zu viel – die Folgen der Klimakrise träfen die Welt in immer kürzeren Abständen. Deshalb fordert Pörtner »fokussierte Sonderberichte« und schnellere Reaktionen des Rates auf Defizite bei der internationalen Klimapolitik.

Besonders scharf kritisiert Pörtner die Interessen von öl- und gasproduzierenden Ländern. Er habe auf der vergangenen Uno-Konferenz in Dubai im Dezember 2023 mitbekommen, wie hart diese Branchen um ihr Überleben kämpften. »Verzögerungsstrategien von Regierungen verhindern mehr und mehr die vollständige Umsetzung zeitkritischer wissenschaftlicher Befunde des Weltklimarates.«

Nahezu alle wichtigen öl- und gasproduzierenden Länder versuchten zu leugnen oder auszublenden, dass es eine enge Verbindung gibt zwischen der Förderung und Nutzung fossiler Energieträger und dem gefährlich fortschreitenden Klimawandel. Und er schreibt weiter: »Förderländer mit einseitiger Abhängigkeit ihrer Wirtschaft haben hier eine lange Tradition des Widerstands in UNFCCC und IPCC, aber auch Länder mit nach wie vor hohem Kohleverbrauch oder westliche Länder mit Öl- und Gasförderung sind hier nicht ausgenommen.« So könnten sich etwa im IPCC konstruktiv mitarbeitende westliche Länder wie Kanada oder die USA hinter den Verzögerungsstrategien der vordergründig als Ölländer wahrgenommenen Parteien verstecken.

Diese Beobachtungen kann wohl jeder teilen, der Uno-Klimakonferenzen kennt. Das 28. Treffen in Dubai zeigte diese Einflussnahmen besonders eindrücklich. Länder wie Saudi-Arabien preschten vor, um Formulierungen zum Ausstieg aus Öl und Gas zu verwässern. Die USA, Kanada oder Deutschland setzten sich vordergründig für eine ehrgeizige Klimapolitik ein und konnten dank dieser Länder leicht von ihren eigenen fossilen Interessen ablenken.

Auch muss der IPCC aufpassen, dass er nicht zum Feigenblatt für öl- und gasfördernde Staaten wird. Geschehen ist das in Dubai, als COP-Präsident Sultan Ahmed Al Jaber (Vereinigte Arabische Emirate) sich vor der Presse für eine Äußerung rechtfertigen musste: Er hatte den Ausstieg aus fossilen Energien mit der Rückkehr der Welt in die Steinzeit verglichen. Auf der Pressekonferenz holte er sich den neuen Chef des Weltklimarates, Jim Skea, mit aufs Podium. Der saß dann ziemlich bedröppelt da und nickte brav zu den Rechtfertigungen von Al Jaber.

Die Kritik von Wissenschaftlern wie Pörtner am IPCC ist auch deshalb so ungewöhnlich, weil sich die meisten Fachleute mit Kritik am IPCC stark zurückhalten. Viele seiner Kollegen wollen selbst bei den Berichten mitwirken. Außerdem wollen die meisten rechten Populisten und Klimawandelleugnern (zu Recht) keine Angriffsfläche bieten.

Pörtners Anregungen sind jedoch keine Fundamentalkritik – im Gegenteil: Er will das Gremium stärken und der Wissenschaft mehr Gehör verschaffen. Denn was nutzen all die Erkenntnisse, wenn sie in Schubladen verstauben oder von fossilen Lobbys verdreht werden, um den Klimaschutz zu untergraben.


Ihre Susanne Götze, Redakteurin Wissenschaft

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