Dienstag, 19. März 2024

Rückbau bis 2045 geplant - 90 Prozent werden verschwinden: Das müssen Sie zum Ende der Gasnetze wissen

hier Focus Christoph Sackmann (München) 19.3.24

Das deutsche Erdgasnetz ist rund 600.000 Kilometer lang. Weil Gebäude bis 2045 klimaneutral sein müssen, wird es immer weniger Gasheizungen geben. Entsprechend plant die Bundesregierung auch, die Verteilernetze für Erdgas zurückzubauen. Aufregung darum ist aber unangebracht.

Was ist die Ausgangslage?

810.412 Gigawattstunden Erdgas hat Deutschland im vergangenen Jahr verbraucht. Der Großteil davon ging an die Industrie. 

Haushalte beziehen davon rund ein Drittel. Rund 19,6 Millionen Wohnungen, knapp die Hälfte aller, werden so beheizt. Bis 2045 wird ihre Zahl auf 0 sinken, denn Haushalte müssen nach dem Klimaschutzgesetz bis dahin klimaneutral sein. Gas als Brennstoff wird aus dem Gebäudesektor verschwinden.

Das hat Auswirkungen auf die Gasnetze, mit denen heutzutage der Rohstoff in jedes Haus mit Gasheizung geliefert wird.

Wenn viel weniger Gas durch Deutschland geleitet werden muss, sind auch wesentlich weniger Rohre, Verteilstationen und Steuerungsinfrastruktur erforderlich. Die Bundesregierung, Netzbetreiber und Energieexperten gehen deswegen allesamt davon aus, dass ein großer Teil dieser Infrastruktur nicht mehr benötigt wird und entsprechend zurückgebaut werden kann. Das Bundeswirtschaftsministerium hat zu dem Thema vergangene Woche ein „ Green Paper “ veröffentlicht. Solche Grünbücher haben keine Bedeutung im Gesetzgebungsverfahren und stellen keine konkreten Pläne dar, sondern dienen nur als Grundlage, um ein Thema mit Wissenschaft und Öffentlichkeit zu diskutieren. Entsprechend endet es auch mit einer Liste von 33 offenen Fragen.

Wie groß ist das deutsche Gasnetz?

Das Verteilnetz für Erdgas in Deutschland umfasst gigantische 600.000 Kilometer an Leitungen. Nur 44.000 Kilometer davon bestehen aus Fernleitungen, die Gas über große Distanzen transportieren. Die Mehrheit sind regionale und lokale Netze. In den Hauptleitungen fließt das Gas mit einem hohen Druck von bis zu 100 Bar, also dem 100-fachen des Luftdrucks an der Erdoberfläche. Damit dieser Druck stabil bleibt, müssen alle 100 bis 150 Kilometer Verdichterstationen gebaut werden, die das ankommende Gas wieder auf 100 Bar komprimieren. Sie senken auch den Druck für das Mittel- und Niedrignutznetz, über das Gas an Gewerbe- und Haushaltskunden geliefert wird. 54 solcher Stationen stehen in Deutschland. Hinzu kommen rund 40 Gasspeicher, in denen Erdgas vorgehalten wird. Die sieben größten fassen jeweils mehr als eine Milliarde Kubikmeter.

Wie viel Gasnetz wird noch benötigt?

Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) schätzte im vergangenen Jahr, dass 80 bis 90 Prozent der Gasinfrastruktur bis 2045 abgebaut werden kann. Übrig blieben nur Leitungen für Industriebetriebe, die nicht komplett auf Erdgas verzichten können, und Leitungen für „grüne Gase“, also zum Beispiel klimaneutral hergestellten Wasserstoff. Letztere werden aber nur einen geringen Teil der künftigen Heizungen in Deutschland ausmachen. „In der Fläche wird das Geschäft mit den Gasnetzen nicht mehr stattfinden“, sagt Stefan Schönberger von BCG gegenüber dem Handelsblatt .

Warum muss man deswegen die Leitungen zurückbauen?

Gasleitungen liegen nicht einfach in der Erde. Sie verursachen Kosten. Verteilstationen, Leitungen, Anschlüsse und vieles mehr muss gewartet und repariert werden, damit es reibungslos funktioniert. Verbraucher bezahlen diesen Service über die Netzentgelte mit jeder verbrauchten Kilowattstunde mit. Sinkt nun die Zahl der Gasverbraucher absehbar stark ab, weil immer weniger mit Erdgas geheizt wird, während die Kosten für die Instandhaltung des Netzes gleich bleiben, erhöhen sich also die Netzentgelte für jeden Verbraucher. Würden nur noch 10 Prozent der Nutzer 100 Prozent der Infrastruktur finanzieren müssen, würden die Netzentgelte um das Zehnfache ansteigen. Das ist für Nutzer wie für Energieversorger Unsinn. Sinkt die Zahl der Gaskunden, kommt für jeden Versorger der Punkt, an dem ein lokales Gasnetz nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann. Ein Rückbau ist dann auch deswegen eine gute Option, weil das Material, aus dem die Gasinfrastruktur besteht, einen hohen Sachwert hat – es wäre also auch unsinnig, diese Werte einfach verrotten zu lassen.

Was passiert, wenn ich mit Gas heize, aber mein Versorger die Leitungen abbaut?

Grundsätzlich darf Ihr Energieversorger seine Infrastruktur nicht einfach von heute auf morgen abbauen. Seine Kunden haben schließlich einen Vertrag mit ihm geschlossen, der die Lieferung von Erdgas beinhaltet. Im Dezember vergangenen Jahres hatte die EU erstmals beschlossen, dass Versorger nicht nur diese Verträge, sondern auch die Anschlüsse kündigen dürfen, um die Klimaziele einzuhalten. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Ein Netzbetreiber darf seine Infrastruktur erst zurückbauen, wenn er einen staatlich genehmigten Netzstilllegungsplan vorweisen kann. In diesem muss auch erklärt werden, wie die Versorgungssicherheit für Verbraucher gewährleistet wird. Das verlagert die Verantwortung für die Stilllegung auf den Staat. Weil dieser die Versorgungssicherheit von Haushalten gewährleisten muss, ist es ausgeschlossen, dass sie plötzlich ohne Heizung dastehen.

Deutschland muss die Richtlinie der EU noch in nationales Recht umsetzen und dabei ausformulieren, wann und wie Gasnetze stillgelegt werden können, ohne dass Verbraucher dadurch zu stark benachteiligt werden. Das wird aber nicht bedeuten, dass Sie als einziger Gasheizungskunde in einer Stadt Anspruch darauf haben werden, dass die Stadt das Gasnetz weiterbetreibt.

Lohnt es sich dann jetzt noch, eine Gasheizung einzubauen?

Wenn Sie gerade das Für und Wider des Einbaus einer Gasheizung abwägen, dann sollten die Pläne zum Rückbau der Gasinfrastruktur nur einen kleinen Teil der Überlegungen ausmachen. Die Netze werden schließlich nicht über Nacht abgebaut, sondern schrittweise in den kommenden 20 Jahren. So lange hält eine neue Gasheizung noch durch, dann müssten Sie sie ohnehin durch ein klimaneutrales Gerät ersetzen. Ob und wann in Ihrer Region ein möglicher Rückbau geplant ist, können Sie bei Ihrem lokalen Netzbetreiber – oft den Stadtwerken – erfragen. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little prognostiziert, dass bis 2030 ein Drittel weniger Gasheizungen neu verbaut werden als heute und bis 2040 rund 65 Prozent weniger. Der Netzabbau dürfte dieser Entwicklung hinterherhinken. Möglich, dass ein Großteil der Netze erst nach 2045 abgebaut wird.

Was passiert, wenn ein Gasleitung abgebaut wird, die unter meinem Garten verläuft?

Teile der deutschen Gasinfrastruktur verlaufen tatsächlich unter privaten Grundstücken, also zum Beispiel unter Gärten oder Häusern. Die Energieversorger besitzen dazu sogenannte Wegerechte. Simpel erklärt: Ein Unternehmen darf in Ihren privaten Besitz eindringen, wenn das der Versorgung der Allgemeinheit mit wichtigen Gütern wie Strom, Gas und Wasser dient.

Sollte eine Leitung zurückgebaut werden, die etwa unter Ihrem Garten verläuft, müssen Sie das akzeptieren. Der Netzbetreiber ist umgekehrt aber verpflichtet, die Maßnahme gut zu planen. Das bedeutet erstens, Ihnen frühzeitig Bescheid zu sagen, bei den Arbeiten Ihren Grundbesitz so wenig wie möglich zu beeinträchtigen und für eventuelle Schäden oder die Wiederherstellung Ihres Grundstücks aufzukommen.

Was passiert mit zurückgebauten Gasleitungen?

Ältere Gasrohre bestehen in der Regel aus Metall, meist Stahl oder Kupfer. Neuere Rohre, gerade für den Weg vom Netz- zum Hausanschluss, werden oft aus Kunststoff hergestellt. Entsprechend unterschiedlich ist das Recycling. Stahl- und Kupferrohre können in der Regel einfach eingeschmolzen und das gewonnene Metall anderweitig verwendet werden. Die Recyclingquote ist hier hoch. Bei Kunststoffrohren ist das schwieriger, wobei sich in den vergangenen 10 bis 15 Jahren die Zahl der Unternehmen, die Kunststoffrohre entweder gleich aus recycelbaren Materialien herstellen oder sich auf das Recycling älterer Kunststoffe spezialisiert haben, steigt. In vielen Fällen können bisherige Gasrohre aus Kunststoff so auch für andere Zwecke umgebaut werden – etwa als Kabelrohr.

Warum nutzen wir das Gasnetz nicht einfach für Wasserstoff?

Der Laie mag denken, dass Wasserstoff doch auch einfach nur ein Gas ist, doch das stimmt nur bedingt. Wasserstoff hat andere chemische und physikalische Eigenschaften als Erdgas. So könnte reiner Wasserstoff Bauteile des Gasnetzes angreifen und beschädigen. Besonders Stahlrohre sind anfällig. Vor einem Einsatz von reinem Wasserstoff müsste deswegen jeder Leitungskilometer in Deutschland überprüft und gegebenenfalls repariert oder ausgetauscht werden. Auch die Speicher und Verteilstationen müssten umgebaut werden, weil Wasserstoff unter anderen Bedingungen und Druckstufen gelagert und transportiert werden muss. Insgesamt würde der Umbau wohl Milliarden Euro kosten, wäre gestreckt auf die rund 20 Jahre bis 2045 aber machbar.

Doch noch lässt sich nicht voraussagen, wie viele Verbraucher überhaupt Wasserstoff als Heizrohstoff nutzen würden. Bisher können sogenannte H2Ready-Heizungen maximal 20 Prozent Wasserstoff und 80 Prozent Erdgas nutzen. Reine Wasserstoff-Heizungen gibt es bis jetzt nicht. Ebenso fehlt es an einer Produktionsinfrastruktur.

Ferner ergeben Wasserstoffheizungen kaum Sinn. Schließlich wird für grünen Wasserstoff erneuerbare Energie eingesetzt, um Wasserstoff zu produzieren, der dann angetrieben von erneuerbaren Energien über das Gasnetz transportiert und dort für Heizenergie verbrannt wird. Das geschieht mit einem viel schlechteren Wirkungsgrad: „Zum Beispiel ergibt ein Volumenanteil von zehn Prozent Wasserstoff nur einen energetischen Anteil von 3,4 Prozent“, sagt das Münchner Umweltinstitut. Zudem gingen schon 30 Prozent der eingesetzten Energie bei der Herstellung von grünem Wasserstoff verloren.

Wesentlich effektiver ist es daher, die erneuerbare Energie direkt zum Heizen zu benutzen – etwa in Form von Wärmepumpen. „Der Einsatz von Wasserstoffheizungen in der dezentralen Wärmeversorgung ist wegen des höheren Bedarfs an Wasserstoff ineffizient“, urteilte auch Prognos AG in einer Studie zu dem Thema.


RND hier  Andreas Niesmann  18.03.2024

Worauf sich Verbraucher einstellen müssen

Wärmewende: Was passiert mit Deutschlands Gasnetz?

Eine Meldung erhitzt die Gemüter: Plant Wirtschaftsminister Robert Habeck den Rückbau des deutschen Gasnetzes? Die Antwort lautet nein – und trotzdem könnten Teile der Infrastruktur auf Dauer verschwinden. Wir erklären, worauf sich Verbraucherinnen und Verbraucher einstellen müssen.

Die Fragen bewegen Energieexperten schon lange. Was passiert mit dem deutschen Gasnetz, wenn immer mehr Haushalte auf alternative Heiztechnologien umsteigen? Und: Könnte es sogar sein, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eines Tages zum Umstieg gezwungen werden – einfach weil das Netz abgeschaltet wird?

Der frühere Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Graichen, pflegte solche Fragen recht undiplomatisch zu beantworten. Im Frühjahr 2022 etwa brachte er bei einer Veranstaltung deutscher Stadtwerkevertreter die gesamte Branche gegen sich auf, als er dem entsetzten Fachpublikum empfahl, besser schon mal mit den Planungen für den „Rückbau“ der Netze zu beginnen. Erdgas werde im Jahr 2045 mit Sicherheit nicht mehr durch die Röhren fließen, und dessen Ersatz durch grünen Wasserstoff sei nichts weiter als eine „Träumerei“, ließ der Staatssekretär damals wissen.

Zwar wurde Graichen ein Jahr später im Zuge der sogenannten Trauzeugenaffäre in den einstweiligen Ruhestand versetzt und sein Heizungsgesetz deutlich entschärft, das Thema Netze aber eignet sich nach wie vor als Aufreger. Am Montagmorgen meldete die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf ein Regierungspapier, dass im Wirtschaftsministerium die Planungen für den Rückbau des Gasnetzes liefen: „Millionen Gaskunden betroffen.“

Was sich las wie ein neuerlicher Angriff auf der Deutschen liebste Heiztechnologie, ist bei Lichte betrachtet weniger dramatisch. Nach RND-Informationen gibt es weder einen fertigen Plan noch ein konkretes Ziel des Ministeriums, sondern lediglich einen Konsultationsprozess zwischen der Bundesregierung und den 700 Gasverteilnetzbetreibern. Dabei sollen regulatorische Fragen geklärt werden, die sich aus dem Voranschreiten der Wärmewende ergeben.

Irgendwann werden die Netzentgelte zu teuer

Derzeit heizt etwa jeder zweite deutsche Haushalt mit Erdgas. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die steigende CO₂-Abgabe auf fossile Brennstoffe sowie die üppige Sanierungsförderung durch den Bund in den kommenden Jahren Millionen Hausbesitzer zu einem Umstieg bewegen wird. In der Folge werden die aktuell noch auf viele Schultern verteilten Netzkosten von immer weniger Kunden zu tragen sein, was den Umstieg weiter beschleunigen dürfte.

Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem Netzbetreiber vor der Frage stehen, ob sich der Weiterbetrieb für die wenigen verbliebenen Kunden noch lohnt und welche alternativen Möglichkeiten zur Versorgung es gibt. Das dürfte zwar noch Jahre bis Jahrzehnte dauern, aber Bundesregierung und kommunale Unternehmen wollen vorbereitet sein.

Aus der Branche heißt es, die Anpassung des veralteten Rechtsrahmens sei nötig, da im Zuge der Wärmewende absehbar nicht alle Gasnetze weiterbetrieben werden könnten. Ob grüner Wasserstoff eine Option sei, müsse die lokale Wärmeplanung vor Ort entscheiden, sagte ein Sprecher des Stadtwerkeverbandes VKU dem RND. Parallele Netzstrukturen für Wasserstoff und Wärme aufrechtzuerhalten mache wenig Sinn. „Dort, wo Wärmenetze ausgebaut werden sollen, wird es zumindest im Regelfall auf Dauer nicht auch noch Gasnetze geben“, so der VKU-Sprecher.

Es gebe keinen fertigen Plan, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. „Die Gasverteilernetze müssen im Rahmen der Transformation sicher weiter betrieben werden“, sagte eine Sprecherin. „Die Gewährleistung einer jederzeit sicheren und vor allem noch wirtschaftlichen Versorgung bis zum Aufbau entsprechender Versorgungsalternativen ist sicherzustellen.“

Das Wirtschaftsministerium habe derzeit nur Fragen zum zukünftigen Regulierungsrahmen formuliert und bewusst verschiedene Optionen zur Diskussion gestellt. „Es geht hier um Fragen, nicht um Festlegungen“, betonte die Sprecherin. Die Antworten in der Konsultation würden abgewartet und dann in Ruhe ausgewertet.

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