Montag, 25. März 2024

Cannabis und Genderverbot: Sorry, Logik. Wir sind doch in Bayern!

immer wieder sehr erfrischend: Der Blick von Christian Stöcker auf das politische Tagesgeschehen

hier im Spiegel / Eine Kolumne von Christian Stöcker  24.03.2024,

Wenn Markus Söder Sprachverbote erteilt und Gras bekämpft, hat das nichts mit Prinzipien zu tun, sondern mit Identitätspolitik für ein fiktives Bayern. Im echten Bayern kiffen mehr Leute als im Bundesdurchschnitt.

In den Neunzigerjahren hatte ich in meiner Heimatstadt Würzburg einen entfernten Bekannten, der das Haar schulterlang trug, wie ich war er Psychologiestudent. Er kam aus einer anderen Stadt und reiste am Wochenende regelmäßig mit dem Zug nach Hause. Der Mann hatte ausgeprägte gesundheitliche Ängste und hielt sich schon deshalb von jeder Art von Drogen besorgt fern.

Das änderte nichts daran, dass er am Würzburger Bahnhof regelmäßig dieselbe Erfahrung machte: Beim Durchqueren der Bahnhofshalle wurde er von dort patrouillierenden Streifenpolizisten angehalten, nach seinem Ausweis gefragt, durchsucht und aufgefordert, auch sein Gepäck zur Durchsuchung zur Verfügung zu stellen.

Dazu gab es kostenlose Gesundheitstipps. Ein Polizeibeamter erklärte meinem wie immer völlig drogenfreien Bekannten etwa unaufgefordert, während sein Kollege dessen Rucksack durchwühlte: »Kiffen macht doof. Da platzen die Gehirnzellen.« Als Psychologiestudent wusste mein Bekannter es deutlich besser als der Beamte, verhielt sich aber klugerweise still. Lange Haare und eine große Klappe sind an bayerischen Bahnhöfen eine besonders gefährliche Kombination.

Schnauzer und Lederjacken

In der anderen Richtung waren die Klischees von größerer praktischer Relevanz: Es war unter bayerischen Klubgängern damals noch ein mit viel Heiterkeit weitererzähltes offenes Geheimnis, dass man bayerische Zivilpolizisten im Nachtleben oft an ihrem Doppelpack-Look mit Schnauzer und Lederjacke erkennen konnte.

All das geschah zu einer Zeit, zu der es in vielen deutschen Großstädten längst ganz selbstverständlich nach Gras roch, zu der nicht nur in Berliner Techno-Klubs Ecstasy konsumiert wurde wie Smarties, und Frisuren in den meisten zivilisierten Nationen nicht mehr als zuverlässiger Hinweis auf die politische Gesinnung oder das Konsumverhalten interpretiert wurden. Aber wir waren eben in Bayern.

Erst Alkoholunfall, dann Verkehrsminister

Dem Land, dessen ehemaliger Innenminister einmal erklärte, wenn man langsam genug trinke, könne man auch nach zwei Maß Bier noch Auto fahren (gemeint ist Günther Beckstein, CSU). Dem Land, in dem man (in diesem Fall Otto Wiesheu, CSU), zuerst mit 1,99 Promille am Steuer einen Menschen töten und anschließend trotzdem Verkehrsminister werden  konnte. 80 Prozent aller unter Alkoholeinfluss verursachten Unfälle mit Personenschaden entfallen übrigens auf Männer .

In eben diesem Land wird im Moment mit Formulierungen wie »unverantwortlich«, »politischer Sündenfall«, »Gefährdung der Bevölkerung«, »schädlich« auf diese andere berauschende Substanz – Cannabis – eingedroschen . Aber es geht eben nicht um Fakten, sondern um Bayern.

Viele Menschen, die in diesem Bundesland aufgewachsen sind, kennen Geschichten wie die obige oder haben sie selbst erlebt. Das Ausmaß und der Aufwand, mit dem im Land des kulturell verankerten Bierzeltvollrausches die Repression gegen die wesentlich harmlosere Substanz betrieben wurde und wird, ist bemerkenswert. Mit der tatsächlichen Gefährlichkeit des Stoffs ist dieses Ausmaß und die damit einhergehende Belehrungspenetranz (»da platzen die Gehirnzellen«) nicht zu erklären.

Mehr Kiffer als im Bundesdurchschnitt

Sehr erfolgreich ist das Ganze bis heute übrigens nicht: Bundesweit haben in den vergangenen 12 Monaten  8,8 Prozent der Erwachsenen von 18 bis 64 Cannabisprodukte konsumiert – in Bayern waren es 9,1 Prozent. Was könnte die so bemühte aber gleichzeitig so erfolglose bayerische Polizei alles mit den Ressourcen anstellen, die sie in die Verfolgung eines Zehntels der eigenen Bevölkerung steckt! Bayern werde »mit Sicherheit kein lauschiges Plätzchen zum Kiffen«, sagte Söders Gesundheitsministerin  kürzlich. Da hat Judith Gerlach recht: Es ist längst eins.

Die Sprachbarriere fällt

»Langhaarige Kiffer«, das ist selbstverständlich ein aus der Zeit gefallenes Klischee, und das war auch schon in den Neunzigern so. Nicht nur in Bayern kiffen auch Versicherungsmakler, Ärztinnen, Handwerker und Personalerinnen gelegentlich mal. Wir haben es hier nicht mit der Wirklichkeit zu tun, sondern mit einem Echo.

Dem Echo der Ära, in der Franz-Josef-Strauß Bayern gefühlte jahrzehntelang als Ministerpräsident mit absolutistischen Habitus regierte. Strauß, der gern mal »stockbesoffen« (so seine eigene Ehefrau) nach Hause kam. Es ist, als sei dort in manchen Köpfen die Zeit circa 1969 stehen geblieben, als man »langhaarige Gammler« als ernste Bedrohung für die abendländische Zivilisation betrachtete, aber ein alkoholbedingter Totalabsturz zum männlichen Feierabendrepertoire dazugehörte (mancherorts ist das selbstverständlich bis heute so).

Gestern »Gammler«, heute »links-grün«

Die »Gammler«-Klischees sind augenscheinlich weiterhin sehr lebendig, etwa im Kopf von Markus Söder. Und bei der AfD, denn genau diese Assoziation soll die leider mittlerweile auch von manchen in der Union übernommene Klischeebombe »links-grün versifft« hervorrufen. Auch wenn sie auf korrekt gekleidete und frisierte Leute wie Cem Özdemir, Robert Habeck oder Annalena Baerbock so gar nicht passen will. Söder, Hubert Aiwanger, Friedrich Merz (»Kreuzberg ist nicht Deutschland«), kurz: Alle, die derzeit versuchen, den politischen Diskurs weiter nach rechts zu verschieben, tun das, indem sie sich an diesem Klischee, an diesem Strohmann abstützen. Der Bürgerschreck der Siebziger, aber als virtuelle Realität.

Wie das groteske, totalitär anmutende »Verbot«, an Schulen, Hochschulen und Behörden sprachlich beide Geschlechter einzubeziehen, sind diese Klischees ein Element der gefühlten bayerischen Identität, nach der insbesondere Markus Söder fortwährend zu tasten scheint. Es ist ermüdend, ihm dabei zuzusehen. »Markus Söder überrascht nicht mehr, er langweilt«, so Robert Pausch vor ein paar Wochen in einem viel beachteten Text in der »Zeit« .

50 plus X? Das war einmal

Die Zeiten von Strauß, in denen »50 Prozent plus X« und entsprechende Dominanzsprüche der CSU noch eine Berechtigung hatten, sind längst vorbei. Aber Söder betrachtet es offenkundig weiter als opportun, Identitätspolitik statt Politik zu machen. Was damals die langhaarigen Gammler waren, sind heute die Grünen (vermutlich sind das sogar dieselben Leute!): Kulturzersetzende, mit Argwohn zu strafende Quertreiber, die das Kiffen erlauben und anders reden wollen als man selbst. Ein Angriff auf die gefühlte bayerische Identität, damals wie heute. Natürlich ist das heute so falsch wie damals.

Durch diese Brille betrachtet wirken das bayerische »Genderverbot« und der Versuch, die Cannabislegalisierung doch noch irgendwie zu kippen, mindestens am Klima der Angst unter bayerischen Kiffern  nichts zu ändern, zwar nicht weniger heuchlerisch, aber folgerichtig: Söder versucht augenscheinlich, mit dem Anti-Gras-Furor seiner Partei ausnahmsweise mal noch reaktionärer zu wirken als die Freien Wähler . Denn deren Bundesprogramm steht einer Freigabe offen gegenüber. Wir wollen noch mehr verbieten als die! Der Populist Söder versucht, populistischer zu sein als der Populist Aiwanger, der ihn von rechts bedrängt.

»Freiheit« zum An- und Ausknipsen

In Wahrheit ist die CSU, die die Grünen gern »Verbotspartei« schimpft, natürlich die wahre Verbotspartei: Cannabisverbot, Genderverbot, Tanzverbot. Es ist blanker Hohn, dass ausgerechnet Söder ständig von »Freiheit« redet und davon, dass »die Deutschen erwachsen genug« seien, »selbst zu entscheiden, was sie essen oder wie sie sprechen wollen« (Söder 2023). Viele Bayern haben diese Freiheit künftig nicht mehr. Mit Logik hat das nichts zu tun, aber mit bayerischen Identity Politics.

Es geht Söder auch nicht um Rationalität: Alkohol tötet, anders als Cannabis, jedes Jahr Zehntausende . Und doch lässt sich der Ministerpräsident ständig mit Bierkrügen in der Hand fotografieren. Es geht auch nie um irgendwelche Prinzipien, denn Prinzipien sind mit Söders Stil inkompatibel. »Freiheit« ist für ihn, wie für Friedrich Merz, nur eine Phrase, eine Behauptung ohne Konsequenz, die man jederzeit an- oder ausknipsen kann, wie es halt gerade passt.

Es geht immer um Identität als Ersatz für echte Politik. Und diese Identität ist die eines älteren, grantigen Mannes am Stammtisch, der die Welt nicht mehr versteht und zunehmend von ihr angeekelt ist. Die Identität der Leute, zu denen Hubert Aiwanger in seinen durchgebrüllten Reden voller Nonsens spricht, die Identität des »So lange du deine Füße unter meinen Tisch streckst«-Patriarchen.

Nur leider taugt der identitätspolitische Kampf gegen das Echo eines über 50 Jahre alten Klischees nicht einmal bedingt als Richtschnur für sinnvolle Politik in der komplizierten Gegenwart. 


 hier



Watson  hier Ein Kommentar von Swen Thissen  20.03.2024,

Genderverbot in Bayern: Was bedeutet das? Nichts! 

Das ist Populismus ohne Wirkung, liebe Söder:innen

Es ist passiert: Bayern hat das Gendern verboten. In Schulen, an Universitäten und in Behörden dürfen Sternchen oder Doppelpunkte nicht genutzt werden. Das hat das Kabinett beschlossen und die dafür notwendigen Anpassungen an der "Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern" vorgenommen.

Bemerkenswert an diesem Schritt ist vor allem die anschließende Argumentation. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sieht darin einen Weg, "um Diskursräume in einer liberalen Gesellschaft offenzuhalten". Eine "ideologisch geprägte Sprache" hingegen exkludiere.

Wow.

Noch besser ist nur der vorauseilende Hinweis der Staatskanzlei, dass dieser Beschluss "unabhängig von etwaigen künftigen Entscheidungen des Rates für deutsche Rechtschreibung zu der Frage der Verwendung von Sonderzeichen" gültig sei.

Zur Erklärung: Der Rechtschreibrat ist die Institution, auf die sich Kritiker:innen von gendergerechter Sprache gerne berufen. Denn: Er empfiehlt den Genderstern oder -doppelpunkt weiterhin nicht.

Noch nicht.

Im Juli 2023 bekräftigte der Rat seine ablehnende Haltung, die er zwei Jahre zuvor kommuniziert hatte, ließ aber durchblicken, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Josef Lange, der Vorsitzende, sagte: "Ich hätte mir ein weiterführendes Ergebnis versprochen. Das war bei allem guten Willen nicht zu erreichen." Der Rat ergänzte in seiner Mitteilung: Die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen und werde weiter beobachtet.

Das Gendern nicht zu supporten, ist eine Sache. Es ausdrücklich zu untersagen, eine andere.

Die Kritik am nun erlassenen Genderverbot wurde schon vor Wochen von mehreren Seiten geäußert, denn der Beschluss war absehbar. "Ein staatlich verordnetes Genderverbot befördert eine queerfeindliche Stimmung im Land und ist Wasser auf die Mühlen derer, die seit Langem gegen queere Menschen hetzen, ihre Lebensrealitäten als ungleichwertig stigmatisieren und im Extremfall als 'lebensunwert' gewaltsam verfolgen", schrieb ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Verbänden im Februar allen Fraktionen des bayerischen Landtags, die AfD ausgenommen.

"Es gibt nirgendwo eine Pflicht zum Gendern, und noch absurder ist die Idee, dies den Menschen verbieten zu wollen", ergänzte der Vorsitzende des DGB Bayern, Bernhard Stiedl. "Es wäre viel wichtiger, jetzt über wichtige Zukunftsaufgaben zu sprechen."

Das Problem jedoch ist: An Argumenten sind die Söder:innen der Regierungsparteien Bayerns nicht interessiert. Sie haben sich längst auf das populistische Niveau der AfD herabgelassen. In der verzweifelten Hoffnung, den Rechten und Rechtsradikalen Stimmen abzujagen.

Populist:innen formulieren Probleme, die es nicht gibt, und unterfüttern sie mit alternativen Fakten ("Irgendjemand will irgendjemandem vorschreiben, wie man zu sprechen hat"), bauen sich Stück für Stück ihre Feindbilder auf ("Die Grünen wollen mir mein Schnitzel verbieten"), tun so, als würden sie für alle sprechen ("Wir werden das Kiffen nicht akzeptieren"), skizzieren den Untergang unserer Gesellschaft ("Alle Bürgergeld-Empfänger:innen treiben den Staat in den Ruin") und schaffen dann maximal verkürzte Lösungen, die nichts bewirken ("Wir verbieten das Gendern").

Schon im Wahlkampf 2023 hatte Markus Söder kein Wahlprogramm, das diesen Namen verdient hätte, sondern war einzig und allein damit beschäftigt, die Grünen zu diffamieren. (Es sei denn, er musste sich Zeit dafür nehmen, auf Instagram oder Tiktok über seine Essensgewohnheiten zu sprechen, was er offensichtlich für eine gelungene Social-Media-Strategie hält, während Nazis die sozialen Netzwerke mit Fake News fluten.) So gesehen ist sich die Regierung Bayerns treu geblieben.

Monatelang grölten ihre Politiker:innen in Bierzelten herum, man ließe sich von niemandem verbieten, wie man zu sprechen habe. Erst recht nicht von der "Verbotspartei", den Grünen. Nur um nun den Menschen nun zu verbieten, zu schreiben, wie man möchte.

Es bleibt die Frage, wie sich sogar Politiker:innen von einem "innen" so getriggert fühlen können, dass sie diesem Thema ein solches Gewicht verleihen.

Immerhin führt die Entscheidung der Sprachpolizist:innen nicht dazu, dass Schüler:innen nicht mehr gendern dürfen. Gendergerechte Sprache in Klassenarbeiten wird zwar markiert, aber nicht als Fehler gewertet.

CSU-Chef Söder will günstiges Fleisch "ohne schlechtes Gewissen"

Unklar ist noch, was beispielsweise mit Lehrer:innen geschieht, die zum Beispiel in einem Brief an die Eltern gendern. Es ist zu vermuten: nichts. Die Regierung betonte am Dienstag, man werde alle Fälle einzeln abwägen. Es ist kaum vorstellbar, dass sich irgendjemand in Bayern erblödet, eine Lehrkraft wegen eines Sternchens zu entlassen.

Auch deshalb ist das Genderverbot der Sprachpolizist:innen in Bayern am Ende nicht ernstzunehmen. Es hilft niemandem, kostet nichts und gibt billigen Applaus von rechts. Es wird aber mit Sicherheit nicht dazu führen, dass junge Menschen Wert auf geschlechtergerechte Sprache legen.

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