Deutschlandfunk hier Von Birgit Schneider | 24.03.2024
Beim Sprechen über den Klimawandel geraten viele Menschen in eine Abwärtsspirale, an deren Ende ihnen die Worte fehlen. Wir haben es bisher nicht geschafft, uns der CO2-Neutralität anzunähern. Es gilt, über neue Narrative ins Handeln zu kommen.
„Recht auf Überleben“: Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ protestieren in Wien. (picture alliance / Zumapress / Andreas Stroh)
Die Wirklichkeit braucht neue sinnstiftende Erzählungen, denn Handlungen sind oft durch Erzählungen und Bilder geleitet. Gleichzeitig gilt, was der Schriftsteller Amitav Ghosh sagt: „Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kultur und deshalb eine der Imagination.“
Auch wenn die Folgen des Klimawandels nicht mehr zu übersehen sind und das Thema allgegenwärtig ist, fehlt uns das Vorstellungsvermögen dafür, was der Klimawandel bedeutet.
Um den Mut aufzubringen, eine Welt im Wandel zu denken, braucht es neue Imaginationen und neue Geschichten.
Birgit Schneider bringt Perspektiven und Stimmen zusammen und eröffnet neue Denkräume für die vielen kulturellen Facetten des Klimawandels jenseits von globaler Durchschnittstemperatur oder Kipppunkten. Sie versucht, Antworten auf die Frage zu finden, wie sich Menschen in den gemäßigten Breiten den Klimawandel vorstellen, welche Imaginationen und Geschichten sie dabei leiten. Sie stellt Perspektivwechsel, Widerspruch und auch ungewöhnliche Sichtweisen heraus, die unsere begrenzte Vorstellungskraft zu weiten vermögen. Denn um die Lücke zwischen Wissen und Handeln zu überwinden, macht es einen großen Unterschied, wie wir uns den Klimawandel erzählen.
Birgit Schneider ist Professorin für „Wissenskulturen und mediale Umgebungen“ an der Universität Potsdam. Im Zentrum ihrer Forschungen steht das Verhältnis von Ökologie und Medien. Bekannt geworden ist sie mit ihren Büchern „Klimabilder – Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel“ (2018) und, jüngst, „Der Anfang einer neuen Welt. Wie wir uns vom Klimawandel erzählen, ohne zu verstummen“ (2023).
Damit uns nicht die Wörter ausgehen – Auf der Suche nach Erzählformen für die Klimakrise
Die Folgen der Erderwärmung rücken uns immer mehr auf den Leib. Mit jeder Flut oder Hitzewelle, aber auch mit jedem neuen Rekordwert in den Nachrichten, kann die Stimmung in eine Abwärtsspirale kippen, an deren Ende viele verstummen, weil in diesen Entwicklungen eine destabilisierte Welt aufscheint, die uns Angst macht. Das Verstummen erscheint zunächst widersprüchlich, denn seit ein paar Jahren gibt es wenige Themen, über die so viel geredet wird wie über den Klimawandel. Die globale Erwärmung ist ein Gemeinplatz geworden. In Deutschland haben die Bewegung Fridays for Future seit 2018 und die Letzte Generation seit Ende 2021 bewirkt, dass das Thema fast jeder, fast jedem und mitunter täglich gegenwärtig ist.
Doch selbst wenn darüber so viel gesprochen und geschrieben wird, gibt es eine Schwelle, über die all diese Wörter nicht gelangen. Es ist, als müssten wir mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit leben. Ein Drama ohne Happy End. Schnell in den Modus der Hoffnung wechseln: Jeder kann etwas tun. Die Techniken sind doch da! Doch der Zweifel bleibt. Denn es sind keine Lösungen in Sicht, die mit dem Tempo der Erwärmung Schritt halten können – jedes Jahr erreichen die Emissionen einen neuen Rekord. Folgeprobleme technischer Lösungen sprengen ebenfalls jeden Rahmen, und schließlich ist das Phänomen auch noch global. Oder wir landen in verkeilten Streitgesprächen. Weiterhin gilt: Schnell das Thema wechseln, um der Resignation keinen Raum zu geben! Zu düster und hoffnungslos sind diese Vorstellungen.....
Krise der Imagination
„Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kultur und deshalb eine der Imagination“, schreibt der indische Autor Amitav Gosh. Der Schriftsteller meint, dass eine Auseinandersetzung mit dem Klimawandel voraussetzt, in Bildern denken zu können. Andersherum kann es ein Denken in Bildern nur geben, indem die Imagination die Krise überwindet. Wenn wir aber über die Krise der Imagination hinwegkommen wollen und in Zeiten der globalen Erwärmung positive Erzählungen anschaubar machen wollen, müssen wir zunächst die problematischen Fundamente unserer bisherigen Zukunftserzählungen genau betrachten. Denn wenn man die Deutungshoheit der alten Fundamente nicht infrage stellt und ihre Gewissheiten nicht aufweicht oder durchbricht, können die Imaginationen und das Denken nicht abseits bekannter und gefestigter Geländer verlaufen. Ein „Denken ohne Geländer“, wie Hannah Arendt es formulierte, ein Denken, das alternative Akteure und neue Bezugssysteme einbezieht, ist so unmöglich. Die Imagination bleibt eingeengt zwischen festen Schranken. Die Antwort auf die Frage, wie wir in die heutige Situation geraten sind, ist ein Beitrag, den insbesondere kritische Perspektiven wie die Geisteswissenschaften leisten können. Haben wir dafür die Zeit? Nein. Aber wir müssen dies trotzdem tun.
Was die Klimakrise betrifft, scheitert die Imagination jedoch an mehreren Stellen.
Als ich begann, mir die wissenschaftlichen Bilder vom Klimawandel seit den ersten Klimaberichten anzuschauen, stieß ich bald auf einen großen Widerspruch. Auch wenn diese Bilder von Temperaturanstiegen und Meereisrückgang alles zu zeigen scheinen, was wir über die Klimazukunft wissen können, sprengen sie unsere Vorstellungskraft. Die farbigen Kurven übersteigen unser Imaginationsvermögen, sie sind als Ereignis zu groß und zu maßlos, um erfasst und begriffen zu werden. Auch in den erfolgreichsten Bildern, die uns den Wandel des Klimas besonders eindrucksvoll zeigen, klafft eine Lücke, tut sich ein Abgrund auf.
In unserer heutigen Welt gehören Klimawandel und Biodiversitätsverlust zu den kritischsten und beängstigendsten Problemen, mit denen wir konfrontiert sind. Diese Phänomene zu verstehen, ist eine gewaltige Aufgabe. Literatur macht die „Katastrophe ohne Ereignis“ erfahrbar.......
Stellen wir uns vor die meisten Staaten der Erde schalten in den kommenden fünf Jahren ihre fossilen Technologien ab und werden klimaneutral. Zudem gelangen die Technologien, die CO2 in großem Stil wieder aus der Luft entnehmen, dank immenser Förderung und internationaler Zusammenarbeit zur Marktreife. Auf diese Weise gelingt es, Hunderte von Gigatonnen CO2 und andere Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Deutschland schafft außerdem Einsparungen, weil nicht mehr Konzerne, sondern die Gemeinden selbst Windkrafträder und Solarpanels besitzen, also ihren eigenen Strom vor Ort erzeugen. Eingespart wird auch, weil der öffentliche Verkehr inzwischen so gut organisiert ist, dass Autos unattraktiv geworden sind. Gegen die Erhitzung sind Straßen und Dächer in vielen Städten inzwischen weiß bemalt, außerdem wurde viel Teer auf diesen Straßen und Plätzen durch Grün ersetzt. Die Städte sind im Sommer nicht nur kühler, sondern es wird auch mehr Regenwasser gesammelt. Die Farbe des Himmels wiederum ist seit ein paar Jahren phasenweise etwas milchig. Denn immer wieder injiziert die EU mittels Ballons große Mengen von Partikeln in die Atmosphäre, die die Sonneneinstrahlung reduzieren. Dafür sind die Sonnenuntergänge durch die Reflexion der Staubnebel glutrot und prachtvoll.
An derartigen Szenen lässt sich prüfen, welche Erzählungen für uns glaubhaft und plausibel sind und welche unrealistisch erscheinen, welche wir uns wünschen und welche uns mit Freude oder Ängsten erfüllen. Welchen Unterschied macht es, wie wir uns die Zukunft, die Transformationen und die Veränderungen unserer Welt erzählen? 2018 sprachen in Deutschland plötzlich alle über den Klimawandel. Das Thema war endlich ganz oben auf der Agenda, nicht nur auf den Wissenschaftsseiten von Zeitungen oder anlässlich einer neuen Klimakonferenz. Gleichzeitig wurde der Ruf nach neuen Narrativen in den letzten Jahren immer lauter. From story to action: Gemeinden, Unternehmen, NGOs, Politiker:innen, Kampagnenmachende und Werbeleute meinen, dass eine gemeinsame, starke Erzählung endlich zur Umsetzung der Klimaziele führen würde.
„Wir wollen ein fossilfreies Leben innerhalb einer Generation ermöglichen.“ So lautet seit einigen Jahren der Text auf einer Serie von Werbetafeln der Firma Vattenfall an einem der meistbefahrenen U-Bahngleise einer deutschen Großstadt. Die Bebilderung der Kampagne zeigt junge Menschen an einem deutschen Strand, grüne Energiewendelandschaften. Ein Energieunternehmen wirbt damit, sich selbst auf dem Weg in eine fossilfreie Zukunft neu zu erfinden. Seine Werbestrateg:innen ersinnen eine Zukunftskampagne für ein fossilfreies Deutschland, als wären sie es, die das Bundes-Klimaschutzgesetz bewerben müssten, in dem genau dieses Ziel als Gesetz formuliert ist. Visionen für eine CO2-neutrale Welt werden derzeit eher in der Werbung als in der Zivilgesellschaft oder der Politik entworfen, so lautet eine mögliche Erklärung. An dieser Art der Werbung zeigt sich aber auch: Ausgangssituation und Ziele werden klar benannt. Allein der Weg dorthin bleibt vage und offen.
Narrative besitzen Macht, sie machen Politik. Denn es macht einen großen Unterschied, welche Erzählung, welches Narrativ gewählt wird. Die Weltuntergangserzählung folgt einem anderen Narrativ als die Erzählung technischer Lösungen oder grünen Wachstums. In Kriegszeiten sind Narrative Teil von Desinformation, Propaganda und Mobilmachung. Weil Begriffe wie ‚Narrativ‘, ‚Mindset‘ ‚Storytelling‘ und ‚Framing‘ seit einigen Jahren als buzzwords allgegenwärtig sind, erachte ich es als essentiell, zunächst zu fragen, was Erzählungen leisten können und was ihre Grenzen sind, aber auch, wann sie problematisch werden. Sonst werden diese Begriffe zu einem leeren Zentrum, das sich mit ganz unterschiedlichen Erwartungen füllen lässt. Wer beginnt, über Narrative nachzudenken, merkt aber auch, dass plötzlich fast alles, was wir über den Klimawandel kommunizieren, zu einem Narrativ wird oder zumindest Teil eines solchen ist. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, warum der Begriff des Narrativs aktuell eine solche Konjunktur hat, was für Hoffnungen, Deutungen und Erwartungen sich in diesem Wort eigentlich bündeln.
Nachdenken über den Klimawandel
Wenn seit einigen Jahren der Ruf nach neuen Erzählungen und Methoden des Storytelling, also des Geschichtenerzählens, im Bereich der Klimawandelkommunikation immer lauter wird, dann liegt dies an einem Dreiklang von Gründen. Erstens konnte die Erzähl- und Kognitionsforschung zeigen, wie sehr Menschen in Erzählungen denken. Geschichten sind eine der wichtigsten Formen, um sich die Wirklichkeit zu erschließen, um Themen in Form von sinnstiftenden Erzählungen zu begreifen. Erzählformate vermögen es, Neues oder Erlebtes in Kategorien zu bringen. Sie erklären aus der Vergangenheit, warum etwas so geworden ist, wie es ist, aber sie entwerfen gleichzeitig, was deshalb für die Zukunft erwartet werden kann. Jede Erzählung ist eine Suche nach Sinn und beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen und deuten.
Weil es zweitens die Gesellschaft bislang nicht geschafft hat, sich in Richtung einer CO2-Neutralität zu transformieren, da also das Wissen allein nicht zu genug Handeln führt, hoffen viele Akteur:innen, den Wandel über neue Narrative, also neue Sichten auf die Wirklichkeit anzuregen – vom Erzählen zum Handeln. Denn Handlungen sind oft durch Erzählungen und Bilder geleitet. Dabei kommt zum Tragen, dass Narrative immer bestimmte Gefühle und Werturteile transportieren, also normativ wirken. Darauf bauen Demokratien auf, weil sie den Wandel nur mit großem Rückhalt in der Gesellschaft vorantreiben können. Die Narrative müssen dabei transparent in ihren Zielen wie in ihren Motiven sein. Dies unterscheidet sie von Narrativen im Kontext der „dunklen Propaganda“, die ihre eigentlichen Ziele verschleiert und Narrative als Waffe nutzt. Wenn grundsätzlich gilt, dass Narrative unser Handeln prägen, gilt es diesen Zusammenhang zu nutzen, also zunächst das Denken zu verändern: Change your mind and the rest will follow. Die seit einigen Jahren hohe Konjunktur des Begriffs ‚Narrativ‘ steht mithin für ein weit verbreitetes Vertrauen in die Macht von Narrativen, also Ideen in Form von Bildern und Worten: Wenn ich schon nicht die Macht habe, die Wirklichkeit direkt zu verändern, kann ich diese Veränderung mit anderen Narrativen zumindest auf den Weg bringen. Nachhaltigkeit etwa könnte erreicht werden, indem positive Imaginationen von Zukunft geschaffen werden, also zum Beispiel nicht als Verzicht, sondern als ein besseres und einfacheres Leben und neue Formen der Gemeinschaft.
Im Fall der globalen Erwärmung sollen deshalb drittens nicht mehr Katastrophengeschichten erzählt werden, die ohnmächtig machen, sondern positive und konstruktive Geschichten, die motivieren und ermächtigen, anstatt zu bremsen. Die globale Erwärmung soll in ein anderes Narrativ gefasst, neu erzählt werden. Derartige neue Geschichten werden zurzeit händeringend gesucht. Wer aber kann und soll diese Erzählungen erfinden? Zu Erzählenden machen sich Transformationsdesigner:innen, Kommunikationsagenturen, Umweltkommunikator:innen und viele andere.....
Auf Basis dieser Überlegungen können wir die Metanarrative für die menschengemachte Erderwärmung noch einmal genauer unterscheiden. Zwei besonders einflussreiche Narrative sind die folgenden: Die Menschen (Gegner) verwandeln die ehemals intakte Erde (Ausgangssituation) durch ihr ausbeuterisches Verhalten in eine ausgebeutete und ökologisch zerstörte Erde (Endsituation). Oder die Menschen (Retter) werden Technologien finden, welche die Zerstörungen (Ausgangssituation) aufhält und die Welt sogar in eine grünere (Endsituation) transformiert. Andere, dem Technikoptimismus und dem Untergang unter- und nebengeordnete Narrative, sind Wohl und Gesundheit, Solidarität und Kooperation, das Ziel einer umfassenden Renaturierung, die Stärkung von Resilienz oder die Idee der Natur als etwas Heiligem.
Auch Daten erzählen Geschichten. Dies gilt nicht zuletzt für die meisten Kurven und Karten aus den Berichten des Weltklimarats. .....
Welche Geschichte erscheint hier? Bereits mit den abstraktesten Kurven verknüpft sich oft eine Erzählung, die seit der griechischen Poetik Tragödie heißt. Durch die CO2-intensive Lebensweise drohen verheerende Katastrophen, die wie biblische Plagen erscheinen. .....
Welche Vorstellungen von Zukunft, vom Gang der Welt und der Menschheit verknüpfen sich mit derartigen Kurven kulturell, wenn sie den wissenschaftlichen Kontext verlassen? Mit kulturwissenschaftlichem Blick würde ich sagen, dass die Vorstellungen nicht beliebig sind. Wie bei den farbigen Klecksen eines Rorschachtests zur Psychodiagnose, in die wir Bilder hineinsehen, die bereits in uns vorhanden sind, setzen auch die Klimakarten und -kurven in den Köpfen der Rezipient:innen bestimmte Bilder frei, aller Abstraktion zum Trotz. Bilder aus dem kulturellen Gedächtnis schießen ein, lagern sich in Schichten über die roten Karten und ansteigenden Kurven. Für viele sind es die Bilder der biblischen Apokalypse, einer höllischen Heißzeit oder einer Welt ohne Menschen, also die kulturell überlieferten Mythen, denen auch Nicht-Bibelkundige in zahlreichen Erzählungen und Katastrophenfilmen begegnen.
Gleichermaßen wichtig für den Erfolg neuer Narrative ist es jedoch, die Zeichen zu sehen, dass der Wandel tatsächlich einsetzt. Dies können einerseits Zahlen sein, wie sie auf den Zählstellen für Fahrräder in Städten täglich für alle erhoben werden, die vorbeifahren, und die zeigen, wie normal das Radfahren in einer Stadt geworden ist. Dies kann aber auch der Ausbau von verkehrsberuhigten, begrünten Straßen oder Radwegen sein, der verdeutlicht, dass die Verkehrswende vorankommt. Noch besser wäre es, wenn die CO2-Emissionen tatsächlich rapide abflachen würden. Eine Vielzahl solcher Signale wäre wichtig. Denn ohne ein solches Feedback aus der Realität erstarren die Visionen zu leeren Versprechungen, die den Glauben an den Wandel und so letztlich die Taten bremsen.
Die wichtigste Erkenntnis für mich bei meiner Beschäftigung mit der Geschichte der Zukunft war: Falsche Glaubenssätze prägen, weil sie unreflektiert bleiben, die Hintergrundannahmen der Wirklichkeit weiter. Und Narrative entstehen niemals aus dem Nichts, können also nicht vollkommen frei designed werden. Deshalb gleicht der Blick in die Zukunft oftmals einem Blick zurück. Die Erzählungen basieren immer auf den kulturellen Handlungs- und Denkmustern der Gesellschaft, in der sie entstehen. ....
Dies klingt für alle Visionssuchenden zunächst nach einer schlechten Nachricht, wenn es doch in Anbetracht ökologischer Krisen darum geht, etwas neu zu denken. Umso wichtiger ist es, die Kräfte aus der Vergangenheit zu erkennen, welche die heutigen Zukunftsvorstellungen fest im Griff haben. Das würde ich mir für alle Narrativ-Werkstätten wünschen: Lernen Sie aus alten Narrativen, um diese überhaupt verlernen und neu denken zu können! Wer sich damit befasst, woher unsere Zukunftserzählungen und -bilder kommen, kann diese kritisch hinterfragen und auf diese Weise veraltete und unangemessene Vorstellungen aufbrechen.
Was folgt aus der Kritik der Narrative für diese Krise der Imagination? Das Denken über den Klimawandel ist festgefahren und erstarrt. Die Bilder sind gleichsam durchsichtig geworden, die Geschichten sind so bekannt, dass viele weder an sie glauben noch emotional von ihnen berührt werden. Um die fixen Erzählungen aufzubrechen und zu verflüssigen, plädiere ich dafür, alle Perspektiven und Ideen auf den Tisch zu legen, um auswählen, ausschneiden und rekombinieren zu können, was weiterhin gewollt ist – und was nicht. Dabei braucht es auch die schlechten, veralteten Erzählungen, weil wir erst von deren Unzulänglichkeiten ausgehend neue Bilder entwickeln können. Wenn es gelingt, die erstarrten Leitbilder in Bewegung zu versetzen und andere, durchaus kleinteilige und lokale Visionen zu entwickeln, kann das helfen, das Denken zu verändern. Erst ein neues Denken über die alten Bilder bringt neue Bilder hervor, die wiederum neue Gedanken ermöglichen.
Ich hatte den Vortrag mit der Beobachtung begonnen, wann Gespräche über die Klimakrise verstummen. Um dem Verstummen entgegenzuwirken, bräuchten wir viel mehr Imaginationen, die von sehr viel unterschiedlicheren Akteur:innen entwickelt und auch zur Kenntnis genommen werden. Denn es kann für unsere sehr uneinheitlichen Gesellschaften nicht das eine Bild, die eine Erzählung geben, die „wirksam“ alle Probleme löst. Es gibt kein Bild, hinter dem sich alle versammeln könnten, wie wir es vor allem aus großen Religionen kennen, auch wenn derartige Bilder es vermögen, besonders viele Menschen hinter einer Idee zu vereinen. Doch so wie es nicht ratsam ist, auf die eine technische Lösung zu hoffen, muss es auch viele Bilder mit vielen Lösungen von ganz unterschiedlichen Akteur:innen geben. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn Bilder zu nur symbolischen Lösungen werden, wenn sie in rein visueller Weise, wie in der Werbung, die Heilung versprechen, wenn wir uns also schöne Bilder von einer Welt machen, die nie Wirklichkeit wird.
Denken, Fühlen, Sprechen und Imaginieren sind miteinander verbundene Aktivitäten, die sich wechselseitig bedingen. Es ist von größter Wichtigkeit, vielfältiger über das Thema Klimawandel zu reden, zu imaginieren und nachzudenken und dabei auch die Gefühle ernst zu nehmen. Das kann bedeuten, ganz andere Gespräche als bisher zu führen, an neuen Orten und mit anderen Teilnehmenden. Es bedeutet, Menschen zuzuhören, die außerhalb der westlichen Metanarrative stehen und auf diese Weise neue Perspektiven zu erlangen. Und es ist zentral, über den Klimawandel nicht mehr allein als wissenschaftlichen Zusammenhang zu sprechen, sondern diesen ebenso als gefühlte und erlebte Realität zu thematisieren, die ganz unterschiedlich sein kann. Und hierbei können die Literatur und die Kunst einen Beitrag leisten, weil sie unsere Vorstellungen und Sichtweisen ausweiten, und weil sie der Ort sein können, an dem die erstarrten Erzählungen, auch ganz kleinteilig und ohne Helden, neues Denken und Fühlen erprobbar machen.....
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