Dienstag, 28. März 2023

Soziale Kipppunkte und Klimaschatten, Wertewandel und Herdeneffekt - gegen die Zukunftsangst!

 Riffreporter  von   27.03.2023

Wie soziale Kipppunkte uns im Kampf gegen die Klimakrise helfen 

Klima-Kolumne: Das Zeitfenster, das uns bleibt, um den Klimawandel zu stoppen, schließt sich rapide. Doch das Konzept der sozialen Kipppunkte gibt Hoffnung. Bereits eine kleine engagierte Minderheit kann tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen anstoßen, den Klimaschutz voranbringen.

Als ich vergangene Woche den finalen Teil des neuen Weltklimaberichts gelesen hatte, wollte ich mich am liebsten direkt ins Bett legen, die Augen schließen und mir vorstellen, das alles beträfe mich nicht. Das Zeitfenster, das uns bleibt, um den Klimawandel zu stoppen, schließt sich rapide. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist kaum noch erreichbar. Wenn ich jemals Kinder bekommen sollte, werden sie wahrscheinlich in einer Welt leben, die man niemanden wünschen mag. Hallo, Zukunftsangst!

Zur gleichen Zeit blockiert die FDP Klimaschutzmaßnahmen wie das Tempolimit, die Bundesregierung will vor Rügen ein Terminal für Flüssigerdgas bauen und die US-Regierung hat das große Ölbohr-Projekt Willow in Alaska genehmigt. Bye-bye, Klimaschutz!

Manchmal verliere ich angesichts der aktuellen Entwicklungen den Mut, würde am liebsten nicht mehr über die Klimakrise schreiben, das Thema einfach ignorieren. Ganz ehrlich: Wie sollen wir es bei all den fatalen politischen Entscheidungen bitte schaffen, die Emissionen bis 2030 um die Hälfte zu senken?

Soziale Kipppunkte in der Klimakrise

Es gibt jedoch etwas, das mir derzeit aus dem pessimistischen Gedankenstrudel heraushilft: das Phänomen der sozialen Kipppunkte – ein realer Mechanismus, der in allen menschlichen Gesellschaften zu beobachten ist. Er funktioniert in etwa so: Eine Tasse steht am Rand einer Tischkante. Schiebt man sie mit dem Finger voran, passiert erstmal nichts. Doch irgendwann kommt dann ein Punkt, der Kipppunkt eben, an dem die Tasse zu Boden fällt.

Eines der bekanntesten historischen Beispiele für das Auftreten von Kipppunkten ist die Frauenbewegung. Eine kleine Minderheit von Aktivistinnen stieß im 19. Jahrhundert eine Bewegung an, der es gelang, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern – weltweit. Die Frauen kippten eine jahrhundertealte Geschlechterordnung, die den meisten ihrer Zeitgenossen und -genossinnen so unumstößlich wie ein Naturgesetz erschien. Allerdings brauchten sie dazu Jahrzehnte; erst um die Wende zum 20. Jahrhundert führten die ersten Länder das Frauenwahlrecht ein. Und völlige Gleichberechtigung ist bis heute nirgendwo erreicht.

Eine kleine Minderheit reicht aus, um die Mehrheit zu bewegen

Normen und Werte ändern sich eben nur sehr langsam – diese Erfahrung macht zurzeit auch die Klimabewegung. Die politischen und gesellschaftlichen Widerstände etwa gegen eine konsequente Energiewende erscheinen oft unüberwindbar. Aber das muss nicht so bleiben. Allein das Sprechen über ein bestimmtes Anliegen beeinflusst Menschen in ihren sozialen Normen, bestenfalls in ihrem Verhalten. In der Psychologie nennt man das auch soziale Ansteckung". Und das Gute ist: Man muss nicht jede:n überzeugen, um die Mehrheit zu bewegen.

Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher und ehemaliger Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), hat als erster das Prinzip der Kippelemente in die Klima-Forschung eingebracht. Zunächst bezogen auf die Physik: Wenn bestimmte Temperatur-Schwellenwerte überschritten werden, führt dies zu schnellen und unumkehrbaren Veränderungen des Erdklimas – dazu zählt zum Beispiel das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds.

Aber Schellnhuber setzt auch auf die Dynamik gesellschaftlicher Kipppunkte: „Wir können die bereits angestoßenen dynamischen Kippvorgänge im Erdsystem (…) nur dann eindämmen, wenn wir gesellschaftliche Kipppvorgänge anstoßen“, sagt er. Deshalb hat er unter der Leitung der Sozialwissenschaftlerin Ilona Otto an einer Studie zu sozialen Kippelementen mitgearbeitet.

Verbreitung von Technologien, sozialen Normen, Verhaltensmuster

Diese können ohne einen vorhersehbaren Auslöser tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen anstoßen, Verhaltensmuster, Technologien und soziale Normen verbreiten. Die Autor:innen der Studie haben dafür die aussichtsreichsten Bereiche identifiziert, in denen gesellschaftliche Kippmechanismen in den kommenden Jahren möglich sind.

Zu den wirksamsten und kurzfristigsten Elementen zählen die Autor:innen die Finanzmärkte. Wenn nur neun Prozent der Finanzinvestor:innen ihr Kapital nicht mehr in die Förderung fossiler Brennstoffe lenkten, sondern damit grüne Projekte, unterstützten, könnte das den gesamten Finanzmarkt zum Kippen bringen – in nur wenigen Tagen. Das bedeutet: Bereits eine kleine Minderheit kann große Veränderungen bewirken.

Es gibt auch Kippelemente, die ihre Wirkung erst langfristig entfalten. Dazu zählt unter anderem die Klimabildung, die bereits im Kindergarten ansetzen kann, um heranwachsende Generationen aktiv über die Klimakrise aufzuklären und nachhaltiges Verhalten zu fördern. Auch neue Protestbewegungen wie Fridays for Future werden von den Forschenden zum Punkt Bildung gezählt.

Ich kann aus eigener Erfahrung bezeugen, wie wirksam Umweltbildung ist. Meine Grundschullehrerin hat uns sehr früh für Natur- und Artenschutz sensibilisiert, ist mit uns mitten in der Großstadt in Parks gegangen. Sie hat uns ihre Liebe zu Insekten, Blumen, Tieren, Bäumen vermittelt und es dadurch geschafft, mein Umweltbewusstsein zu wecken. Später im Gymnasium hat mein Geografielehrer vom Klimawandel erzählt. Gut 15 Jahre ist das jetzt her, aber wenn ich mit gleichaltrigen Freund:innen spreche, merke ich immer noch: Das war damals etwas Besonderes. Danke dafür, Herr Freitag!

Manchmal stelle ich mir vor, wie die Welt heute aussehen würde, hätten wir schon alle vor 20 Jahren die Klimakrise aktiv im Unterricht besprochen. Wahrscheinlich wären wir schon sehr viel weiter.

Klimafreundliches Verhalten stärken

Klimafreundliches Verhalten ist noch längst nicht Standard, aber das kann sich ändern. Soziale Experimente haben gezeigt: Wenn sich nur 5 Prozent einer Gruppe für neue Normen und Werte entscheiden und diese konsequent nutzen, passen sich andere an – und verstärken den Kipp-Prozess.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel sich in den vergangenen Jahren dank Fridays for Future in Sachen Klimaschutz getan hat, zumindest im öffentlichen Bewusstsein. Die Mehrheit der Deutschen ist mittlerweile besorgt über den Klimawandel. Unternehmen setzen zunehmend auf Nachhaltigkeit – leider oft auch auf Greenwashing, aber das ist ein anderes Thema. Für 81 Prozent der jungen Deutschen ist die Haltung eines potenziellen Arbeitgebers zum Thema Klima entscheidend für die Jobauswahl, wie eine aktuelle Umfrage der Europäischen Investitionsbank zeigt.

Dass dieser Bewusstseinswandel sich auch in konkreten Handlungen niederschlägt, stelle ich auch in meiner Umgebung fest. Jedes Mal, wenn ich einen Supermarkt betrete, sehe ich neue Fleischalternativen im Regal stehen. Immer mehr Menschen setzen auf erneuerbare Energien. Allein in meiner Nachbarschaft wurden in den vergangenen Monaten mehrere Solarzellen an Balkone geschraubt. Eine entsprechende Förderung gibt es von der Stadt Berlin. Selbst meine über 70-jährigen Eltern sympathisieren offen mit der Letzten Generation. Was Schnellnhuber als sich selbst verstärkende Dynamik in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft bezeichnet, die von Kippelementen ausgelöst wird – ich zumindest kann sie definitiv erkennen.

Immer mehr Menschen bringen Veränderungen voran. Irgendwann ist eine kritische Masse erreicht, und dann reicht ein kleiner Auslöser, ein kleiner Schubs, um die Tasse über die Tischkante zu schieben, das große Ganze zum Kippen zu bringen. Ich finde das motivierend – und blicke trotzdem weiterhin besorgt und auch mit Wut auf die fehlenden Klimaschutzmaßnahmen. Die Zeit drängt, die Zukunftsangst bleibt. Immerhin: Auch das Schreiben über die Klimakrise beeinflusst soziale Normen, bewegt zum Handeln – ein Grund für mich dranzubleiben. 


27.02.2023  Deutschlandfunk hier

Soziale Kipppunkte im Klimawandel: Große Veränderungen mit Zuversicht bewirken

Sogenannte soziale Kipppunkte geraten beim Klimaschutz zunehmend in den Blick: Das Verhalten einiger weniger kann auf das Verhalten von vielen erheblichen Einfluss nehmen. Wie genau geht das vonstatten?

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Wertewandel und Herdeneffekt

Ein wichtiger Hebel sind soziale Normen, also ungeschriebene Regeln in einer Gemeinschaft – etwa, dass man bei Inlandsreisen besser die Bahn als das Flugzeug nimmt. „Soziale Normen liefern ein Skript, eine Vorlage dafür, wie sich die oder der Einzelne in bestimmten Situationen verhalten sollte“, sagt der Sozialpsychologe Immo Fritsche von der Universität Leipzig. „Damit haben sie eine unheimliche Macht über uns, auch wenn wir davon gar nichts bemerken.“

Eine besondere Kraft entwickeln sie jedoch dann, wenn sie ins Bewusstsein gerückt werden. Das Gefühl, keine Kontrolle über die Folgen eigener Handlungen zu haben, nicht wirkmächtig zu sein, führt häufig dazu, dass Menschen untätig bleiben. Als Teil einer Gruppe können Menschen das Gefühl von Wirkmächtigkeit zurückgewinnen.

Mit Slogans wie "There is no Planet B" (Es gibt keinen Planeten B) forderten Schüler bei der Fridays-for-Future-Demonstration in New York Politiker zum Handeln gegen den Klimawandel auf. Bei der Klima-Demonstration am 20.09.2019 zogen nach Angaben der Organisatoren 250.000 vor allem junge Menschen durch Manhattan.

Je mehr Menschen an eine Überzeugung glauben, umso intensiver wirken sie daran mit, sie umzusetzen. Um zu bewirken, dass sich in der breiten Bevölkerung das Verhalten ändert, ist es dabei nicht nötig, gleich von Anfang an alle zu überzeugen.

Wie Damon Centola von der Universität Pennsylvania gemeinsam mit anderen Forschern 2018 in einer Studie zeigen konnte, ist der Kipppunkt, ab dem sich gesellschaftliche Normen ändern, schon früher erreicht, nämlich sobald eine kritische Masse von etwa einem Viertel der Bevölkerung davon überzeugt ist, dass neue soziale Konventionen nötig sind.

Welche sozialen Kipppunkte gibt es beim Klimaschutz?

Das Konzept der sozialen Kipppunkte spielt in Bezug auf den Klimawandel eine immer größere Rolle. Auch wenn man hier beim Begriff Kipppunkt zunächst an die sechs großen Kippelemente denkt, die laut Fachwelt die Erderwärmung vor allem vorantreiben: die Eisschmelze in Antarktis und Grönland, das Auftauen der Permafrostböden, die Abschwächung der Atlantikzirkulation, die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und das Korallensterben.

Laut Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber lassen sich solche Kippvorgänge im Erdsystem nur eindämmen, wenn wir auch gesellschaftliche Kippvorgänge anstoßen, so dass sich klimafreundliches Verhalten in der Gesellschaft stark beschleunigt.

Die Energiewende bis zum Jahr 2045 werde scheitern, wenn man sie als rein technologische Transformation angehe, mahnt die Arbeitsgruppe der Wissenschaftsakademien in ihrer aktuellen Stellungnahme. Deutschland könne nur dann so schnell klimaneutral werden, wenn die Nachfrage nach Energie sinke – wenn Wirtschaft, Haushalte und Verkehr also ihren Verbrauch zurückschrauben.

Konsumverhalten als Kippelement

Entscheidend für das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels ist also der soziale Wandel. Das zeigt auch eine Studie des Exzellenzclusters „Klima, Klimawandel und Gesellschaft“ (CLICCS) der Universität Hamburg. Bisher sei dieser jedoch unzureichend. Es gebe zwar immer mehr Klimaschutzbewegungen und -projekte und auch Gerichtsurteile zu Gunsten von Klimabelangen. Bei den „gesellschaftlichen Treibern“ Unternehmen und globaler Konsum sehe die Lage aber anders aus.

Ansätze für mehr sozialen Wandel gibt es reichlich: Ein Team am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat 2020 in einer Studie Fachleute weltweit befragt, welche sozialen Kippelemente sie sehen. Dabei kamen mehr als 200 unterschiedliche Vorschläge heraus, etwa die Umwidmung staatlicher Subventionen, Digitalisierung, Vorgaben für Investitionen, Proteste auf der Straße oder Fleischersatzprodukte.

Wichtig ist laut Studie auch die Aufklärung über den Klimawandel und die moralischen Implikationen in Bezug auf die Emissionen.

Was würde uns ermöglichen, in Bezug auf die Klimakrise mehr zu tun als jetzt, wenn auch die Erfolgsaussichten geringer geworden sind im globalen Maßstab – und zwar einfach zum Beispiel aus reiner Selbstachtung? Das fragt der Philosoph Thomas Metzinger und spricht von einer neuen „Bewusstseinskultur“. Es geht darum, zusammen zu überlegen, was gute und wertvolle Bewusstseinszustände sind. Und zwar, sagt Metzinger, „ich drücke das jetzt mal ein bisschen romantisch und religiös aus, um des eigenen Seelenheils Willen“.

Wie wichtig sind Einzelne, um soziale Kipppunkte zu erreichen?

Das Konzept der sozialen Kipppunkte kann Menschen Zuversicht geben, dass sie trotz eskalierender globaler Krisen einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten können.

„Es gibt durchaus einige Forschung dazu, was jeder Einzelne tun kann“, sagt die Analystin und Klimakommunikatorin Susan Joy Hassol. „Die fünf wichtigsten Dinge sind: ein Kind weniger bekommen, ohne Auto leben, Flugreisen vermeiden, grüne Energie beziehen und vegetarisch oder vegan leben.“

Und es braucht vor allem mehr Menschen, die über ihr klimafreundliches Verhalten reden. Geht es um die Klimakrise, schätzen viele Menschen schlichtweg falsch ein, was die Mehrheit denkt. Das trägt dazu bei, weniger klimabewusst zu handeln.

Schon das Gespräch über die Klimakrise verändert die wahrgenommene soziale Norm. Und damit – nach dem aktuellen Stand der Forschung – auch die Bereitschaft, etwas zu unternehmen. Der lebensbedrohende Kontext beim Klimawandel schafft zudem günstige Rahmenbedingungen für einen sozialen Kipppunkt.

Dass ein Mensch einen großen Unterschied machen kann, zeigte Eckardt Heukamp, der letzte Landwirt von Lützerath. Außer ihm war in dem kleinen Dorf im Braunkohleabbaugebiet niemand mehr verblieben. Heukamp stellte sich, unterstützt von der Klimaprotestbewegung, dem Energiekonzern RWE lange in den Weg.

Auch wenn der Ort inzwischen komplett geräumt wurde: Der Widerstand hat sehr viel Aufmerksamkeit gebracht. So wie der von Greta Thunberg, die alleine in Schulstreik ging – und damit eine weltweite Protestbewegung losgetreten hat.

Wie sich das Wissen um Klimaschutz fördern und klimagesundes Verhalten erreichen lässt, erforscht das Institute for Planetary Health Behavior an der Universität Erfurt. Ein wesentlicher Punkt ist die Risikowahrnehmung, sagt die Direktorin Cornelia Betsch, die mit ihrem Team zu Verhalten und Einstellungen in der Klimakrise forscht. „Viele Leute wissen nicht, wie der Klimawandel sich auf unsere Gesundheit auswirkt. Und wer das aber weiß, der verhält sich auch anders“, sagt sie.

Es geht aber nicht nur darum, durch Wissensvermittlung, Einstellungen zu ändern, sondern auch um die Akzeptanz von politischen Maßnahmen, die größere Prozesse anstoßen können – beispielsweise eine geringere Besteuerung von klimafreundlichen gegenüber klimaschädlichen Lebensmitteln, sagt Betsch. Die Bevölkerung muss mitgenommen werden.

Umfragen zeigen zudem, dass die Öffentlichkeit sich eine Führungsrolle der Regierung wünscht, wenn es darum geht, wie Einzelne ihren Teil zum Klima und Umweltschutz beitragen können.

Welche Kritik gibt es an dem Konzept sozialer Kipppunkte?

Doch es gibt die Kritik, dass Individuen beim Klimaschutz zu stark in die Verantwortung genommen werden. Als Sinnbild gilt der CO2-Fußabdruck. Denn wer die Schuld bei Einzelnen sucht, sucht sie eher nicht woanders.

„Wer über individuelle CO2-Fußabdrücke redet,
 übersieht wirklich, dass große Unternehmen
etwa 70 Prozent der Umweltverschmutzung verursachen“,
 mahnt Jennifer Marlon, Wissenschaftlerin an der Yale School of the Environment.

Einige große Konzerne, sagt Marlon, haben ein massives Interesse daran, von ihrer Verantwortung abzulenken. Anfang der 2000er-Jahre habe es eine Reihe von PR-Kampagnen von Konzernen wie dem Energieunternehmen BP gegeben, die in Sachen Klima- und Umweltschutz den Blick auf das Konsumverhalten richteten. Nestlé veröffentlichte 2021 eine „Klimastudie“, die Kritiker als „Greenwashing“ bezeichneten.

Ethisches und ökologisches Konsumverhalten kann zudem zum Privileg von Menschen werden, die es sich leisten können, kritisiert Sighard Neckel, Soziologe an der Universität Hamburg. Das eigene umweltbewusste Verhalten hervorzuheben, um so eine soziale Norm zu schaffen, berge sogar Gefahren für eine Gesellschaft.

„Man muss tunlichst vermeiden,
dass ökologische Formen der Lebensführung zu einer Attitüde werden,
mit der sich bessergestellte soziale Kreise von anderen eben auch sichtbar abgrenzen können
und vielleicht auch sichtbar abgrenzen wollen“,
warnt Neckel.

"Der ‚Klimaschatten‘ beinhaltet zum Beispiel,
wen du wählst,
ob du dich für einen Systemwandel einsetzt oder
für die Einrichtung von Fahrradwegen in deinem Viertel kämpfst.
Oder auch, wo du dein Geld anlegst und welche Unternehmen du unterstützt."

Die Klimakommunikatorin Susan Hassol setzt auf einen Ansatz, den sie „Klima-Schatten“ nennt.

Es geht nicht nur um individuellen Konsum, sondern auch darum, dass Einzelne die Strukturen beeinflussen. „Die Psychologie des Umweltschutzes konzentriert sich mittlerweile viel mehr auch auf politisches Handeln von Einzelnen“, sagt auch der Sozialpsychologe Immo Fritsche.

Denn: Es gibt Menschen, die Autofahren und Fleisch essen – und die trotzdem einen kleineren Klimaschatten haben als Menschen, die auf ein Auto verzichten. Menschen wie der Landwirt in Lützerath, die sich Konzernen und Politik in den Weg stellen.

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