Süddeutsche Zeitung hier 8. März 2023,Von Felix Reek
Raumverteilung in Städten: Das angeblich größte Fahrradparkhaus der Welt steht in Utrecht in den Niederlanden. Es hat mehr als 13 000 Stellplätze.
..Das Fahrradparkhaus in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof von Amsterdam ist das neueste Prestigeprojekt der niederländischen Hauptstadt. Ein gigantisches Objekt mit direktem Anschluss an den Hauptbahnhof und die U-Bahn, mit Platz für 7000 Fahrräder, davon 700 von Sharing-Anbietern. 60 Millionen Euro hat der Bau gekostet, nach nur vier Jahren wurde er Ende Januar fertiggestellt. Soeben hat eine zweite große Garage geöffnet.
Konsequente Fahrradpolitik in den Niederlanden
Das Spektakulärste ist aber nicht, wie schnell der Bau vonstattenging, sondern sein Entstehungsort: Der "Fietsenstalling", auf Deutsch die "Fahrradaufbewahrung", liegt unter Wasser, wie die Stadt in einem Zeitraffer-Video auf Twitter zeigt. Um die unterirdische Parkanlage zu errichten, musste zunächst das Wasser aus dem Hafenbecken vor dem Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert abgelassen werden. Danach folgte der Boden des Parkhauses, ein Lastkran lieferte riesige Säulen, um das Dach zu stützen, im Anschluss wurde der Bau wieder geflutet.
Das hat vor allem praktische Gründe. 200 000 Reisende kommen jeden Tag am Bahnhof von Amsterdam an, die Hälfte davon mit dem Fahrrad. Der unterirdische "Fietsenstalling" löste ein drängendes Problem: Vorher standen die Räder eng aneinander gekettet auf herkömmlichen Stellplätzen. Oder an Laternen, Bäumen und Geländern. Jetzt können mehr Fahrräder sicher verstaut werden, ohne oberirdischen öffentlichen Raum zu belegen. Wie in jeder Großstadt ist der Platz in Amsterdam rar.
Für die Niederlande ist das nur eines von vielen Großprojekten. In Utrecht gibt es eine noch größere Bike-Garage mit 12 000 Stellplätzen - allerdings über Wasser. 125 000 Radler sind hier jeden Tag unterwegs, 60 Prozent aller Fahrten ins Stadtzentrum legen die Menschen mit dem Fahrrad zurück.
Das Ergebnis einer seit den Siebzigerjahren konsequent auf Radler ausgerichteten Verkehrspolitik.
"Wenn man möchte, dass Menschen auf das Auto verzichten",sagte Stientje van Veldhoven, die niederländische Staatssekretärin für Infrastruktur, der britischen Zeitung The Guardian, "muss man sicherstellen, dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel einfach und bequem ist." Dazu gehören auch ausreichende, sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. In Deutschland geht das bisher nur schleppend voran.
Wenig Raum, viel Bürokratie
Bike-Parkhäuser in der Größenordnung wie in Amsterdam gibt es derzeit nicht in der Bundesrepublik, obwohl der Bedarf hoch ist. Die klassische Lösung an Bahnhöfen und Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel ist eine überdachte Fläche mit Abstellmöglichkeiten. Sie bieten aber keinen Schutz gegen die Witterung, und sonderlich sicher sind sie auch nicht.
Die größten Hindernisse für bessere Lösungen sind der knappe Raum in Städten und die Bürokratie. Von der Projektentwicklung bis zum eigentlichen Bau vergehen Jahre. In Berlin zum Beispiel sind aktuell fünf Fahrradparkhäuser geplant, unter anderem am S-Bahnhof Ostkreuz und am U-Bahnhof Pankow. Bis der Bau beginnen kann, müssen die Projekte mehrere Stufen durchlaufen. In der "Machbarkeitsuntersuchung" wird bewertet, ob die entsprechende Fläche für ein Fahrradparkhaus verfügbar ist. Danach findet eine "gesamtheitliche Betrachtung" über die Ausführbarkeit statt, also ob der Bau realisierbar ist. Erst danach folgen die eigentliche Planung und der Bau. Keines der fünf Projekte ist bisher über die Machbarkeitsstudie hinausgekommen. Am weitesten fortgeschritten ist ein Fahrradparkhaus am Bahnhof Ostkreuz in Berlin, wo 2000 neue Stellplätze entstehen könnten.
Das heißt aber nicht, dass deutsche Städte nicht versuchen, die Probleme zu lösen. In Berlin wurden seit 2017 beispielsweise 7500 Fahrradbügel eingerichtet. Das sind zweistöckige Ständer, in denen die Bikes übereinander abgestellt werden können. Am Rathaus Schöneberg startete der Pilotbetrieb von Park Your Bike, einem Dienst, der kostenpflichtig abschließbare Boxen zur Verfügung stellt. Eine Art Mini-Garage fürs Fahrrad.
Das größte Fahrradparkhaus steht in Münster
In Hamburg sollen bis 2030 etwa 40 000 Stellplätze für Fahrräder an Schnellbahn-Haltestellen entstehen. Die Bike+Ride-Stellplätze seien gut nachgefragt, gibt die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) an, die Auslastung liegt bei 80 Prozent. 40 Millionen Euro pro Jahr gehen in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur. Schnelle Lösungen versprechen die sogenannten Fahrradhäuschen, die seit 1985 in besonders eng bebauten Wohngebieten auf Initiativen von Privatpersonen zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um zwölfeckige Rundbauten aus Holz und Stahl, in denen zwölf Fahrräder hochkant in einem Drehkarussell eingehängt werden. 400 davon soll es in Hamburg geben.
Das größte deutsche Fahrradparkhaus steht derzeit am Hauptbahnhof Münster. Eröffnet im Juni 1999, sollte die "Radstation" mit 3300 Plätzen das wilde Abstellen der Bikes vor dem Hauptbahnhof beenden. Die Stadt in Nordrhein-Westfalen nutzte dazu eine ehemalige Fußgängerunterführung, der Glasbau darüber sorgt für mehr Licht. Ein Tagesticket kostet 90 Cent, im Parkhaus gibt es eine eigene Werkstatt und eine Waschanlage für Fahrräder.
Projekte wie diese gibt es in vielen Städten. In Eberswalde in Brandenburg öffnete im vergangenen Jahr ein Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof. Das Gebäude der Stadt in Brandenburg wurde klimaeffizient geplant und besteht zum größten Teil aus Holz. Den eigenen Strombedarf deckt das Fahrradparkhaus mit einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach.
Auch in Nürnberg können Radler ihre Bikes am Nelson-Mandela-Platz sicher abstellen. In den 110 Meter langen Bau passen bis zu 284 herkömmliche Bikes, zusätzlich bietet das Parkhaus Flächen für Lasten- und Liegeräder sowie Ladestationen für E-Bikes. Während Pendler in Nürnberg ihre Räder noch selbst parken müssen, geschieht das in Offenburg in Baden-Württemberg vollautomatisch. Der quaderförmige Bau am Hauptbahnhof besitzt auf zwei Seiten jeweils sechs Schächte für die Bikes. Hier werden die Fahrräder hineingefahren, den Rest erledigt die Technik des Gebäudes.
Bis zu 120 Fahrräder, die auf zehn Paletten verteilt werden, passen in das Parkhaus. Der Vorteil ist der geringe Platzbedarf im Vergleich zu den gewöhnlichen Radboxen, die es auch am Offenburger Bahnhof gibt. Das Parkhaus beansprucht nur 55 Quadratmeter.
Den stetig steigenden Bedarf können diese deutschen Angebote aber nicht decken. Gerade der Boom von teuren E-Bikes hat den Wunsch nach sicheren Abstellplätzen noch einmal vergrößert. Konzepte und Lösungen gibt es viele, im Vergleich zu den Niederlanden hat Deutschland aber noch Nachholbedarf. Das Fahrrad ist hier ein Transportmittel unter vielen, nur 23 Prozent der Bürger nutzen es für den Weg in die Arbeit. Wenn sich das ändern soll, braucht es nicht nur eine bessere Infrastruktur, sondern auch mehr sichere Abstellplätze. Der Anfang ist zumindest gemacht.
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