Dienstag, 14. März 2023

Schutz der Hochsee: Das Wunder von New York

Zeit hier  Von Andrea Böhm  8. März 2023

Über 190 Staaten beschließen ein Abkommen zum Schutz der Hochsee.

Gute Nachrichten sind rar in diesen Zeiten. Also sollte man sich möglichst lange an ihnen erfreuen. Am vergangenen Wochenende schafften Delegierte aus über 190 Nationen in New York ein Wunder:

Sie einigten sich auf den Text für ein Abkommen zum Schutz der Hohen See.
Also jener 60 Prozent der Ozeane, die nicht unter der Hoheitsgewalt von Insel- und Küstenstaaten stehen und bislang ein rechtsfreier Raum sind. Es ist binnen weniger Monate der dritte Erfolg beim globalen Umweltschutz – und das in einer Ära neuer heißer und kalter Kriege, in der viele den Multilateralismus schon für gescheitert hielten.

Nicht dass damit die Rettung des Planeten ausgemacht wäre. Bei der UN-Klimakonferenz im vergangenen November im ägyptischen Scharm al-Scheich konnten sich die Regierungen nicht auf ausreichende Reduktionen von CO₂-Emissionen einigen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Aber sie schufen trotz des Widerstands reicher Staaten endlich einen loss and damage-Fonds, aus dem arme Menschen im Globalen Süden für die erlittenen Verluste und Schäden durch den Klimawandel entschädigt werden sollen.

Wenige Wochen später beschlossen die Staaten der Weltgemeinschaft im kanadischen Montreal in einem Rahmenabkommen zur Bewahrung der Artenvielfalt, bis zum Ende des Jahrzehnts 30 Prozent der globalen Land- und Wasseroberfläche unter Schutz zu stellen. Und nun also New York.

Der Vertrag über den Schutz der Hochsee ist bis auf Weiteres ein Versprechen. In Kraft tritt er erst, wenn ihn mindestens 60 Staaten ratifiziert haben. Das muss schnell gehen, um die Überfischung, Vermüllung und Vergiftung der Weltmeere zu bremsen. Die Ozeane sind die Lebensversicherung der Menschheit. Ihre Fischbestände ernähren Milliarden, sie produzieren die Hälfte des Sauerstoffs zum Atmen, binden gigantische Mengen an CO₂. Aber ihre Ökosysteme werden immer fragiler. Fischereiflotten, vor allem chinesische, ziehen eine Schneise der Verwüstung durch die Meere. Plastikmüll findet man heute sogar auf dem Grund des Marianengrabens in 11.000 Meter Tiefe. Und mehrere Unternehmen und Regierungen hoffen jetzt auf Rohstoffe aus dem Tiefseebergbau.

Im New Yorker Abkommen sind erstaunlich weitreichende Regelungen vorgesehen – von der Festlegung von Schutzgebieten bis zu Prüfungen der Umweltverträglichkeit von Forschungsvorhaben und Plänen zum Rohstoffabbau. Dabei konnte sich die große Mehrheit der Delegationen gegen China und Russland durchsetzen, die einstimmige Beschlüsse für die Ausweisung von Schutzgebieten gefordert hatten. Das wäre einem Vetorecht gleichgekommen. Nach dem neuen Abkommen sollen auch Entscheidungen mit Dreiviertelmehrheit möglich sein. Wie ein Schutzstatus konkret definiert ist, wo genau geschützte Gebiete liegen und welche Ausnahmen zum Beispiel für Tiefseebergbau möglich sein sollen – all das muss in den nächsten Monaten in neu zu schaffenden Gremien verhandelt werden.

Ähnlich wie die UN-Klimakonferenz in Ägypten am Streit um loss and damage wäre auch die New Yorker Konferenz am Ende fast am Konflikt zwischen ärmeren und reichen Staaten gescheitert. Inselnationen in der Karibik oder afrikanische Staaten sehen in der Klimakrise ebenso wie in der Vermüllung und Überfischung der Meere das Ergebnis eines jahrhundertelangen Raubbaus reicher Länder, der sich – nun auch unter Beteiligung Chinas – bis in die Hohe See ausgedehnt hat. Die ist nicht nur reich an Bodenschätzen wie Mangan und Kobalt, sie ist auch eine biomedizinische Schatztruhe für die Pharmaindustrie. Schon jetzt besitzen Firmen aus den zehn reichsten Staaten fast 90 Prozent aller Patente auf marine genetische Ressourcen – und damit die Aussicht auf ein Milliardengeschäft mit Medikamenten und Kosmetika. Laut einer Erklärung der UN von 1970 sind die Hohe See und all ihre Ressourcen aber "gemeinsames Erbe der Menschheit". Genau darauf pochten Regierungen aus dem Globalen Süden in New York. Nun sollen Gewinne aus der biomedizinischen Meeresforschung wenigstens zum Teil in einen Fonds fließen, mit dem ärmere Länder ihre Projekte zum Meeresschutz finanzieren können. Eine gerechte Aufteilung des Erbes der Menschheit war das nicht. Aber eben ein Kompromiss, der das Wunder von New York möglich machte.



hier  web.de  06.03.2023

Einigung auf UN-Hochseeschutzabkommen: "Das Schiff hat das Ufer erreicht"



Über das Abkommen wurde bereits seit 15 Jahren verhandelt. Es muss nun von 60 Staaten ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Der Pakt gilt als entscheidend bei den globalen Bemühungen, bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen.  

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