FRIEDRICHSHAFEN: Zukunft Hirschlatts spaltet Meinungen
Friedrichshafen benötigt Wohnraum, doch gegen ein konkretes Projekt gibt es Widerstand. Die Stadt will im Ortsteil Hirschlatt Flächen mit Gewerbe- und vor allem Wohneinheiten bebauen. Das würde bedeuten, dass das Dorf rasch mehr als das Doppelte an Einwohnern hätte. Die Kritiker sehen diese Entwicklung als zu schnell an und wünschen sich moderates Wachstum. Zudem bemängeln sie zu großen Flächenverbrauch.
19.03.2023 | VON BENJAMIN SCHMIDT BENJAMIN.SCHMIDT@SUEDKURIER.DE
....Einer, der sich hier auskennt, ist Ortsvorsteher Achim Baumeister. Bereits seit 23 Jahren ist er aktiv in der Lokalpolitik, sitzt zudem für die Freien Wähler im Gemeinderat Friedrichshafen. „Hirschlatt ist Teil der Gemeinde Ettenkirch, die Ortschaften gehören zur Stadt am Bodensee“, erklärt Baumeister. Und Friedrichshafen braucht Wohnraum. Deswegen hat die Stadtverwaltung dem Gemeinderat im Dezember 2021 folgenden Vorschlag präsentiert: Auf einer drei Hektar großen Fläche sollten bis zu 150 Wohneinheiten entstehen. Das hieße: Die Bevölkerung würde sich auf einen Schlag mehr als verdoppeln. Baumeister betont, es fehle an Straßen, Geschäften, Kitas und Schulen. „Zudem sind wir stolz auf unsere Gemeinschaft. Die kann nur moderat wachsen.“
Etwa ein Jahr später, im September 2022, stand erneut der Entscheid über einen Projektentwurf an – für 120 statt 150 Wohneinheiten. Baumeister: „Das war für uns genauso wenig vertretbar.“ Auch der Gemeinderat sah das so – und schmetterte den Vorschlag mehrheitlich ab. Doch das Bauprojekt bleibt weiterhin auf der Agenda – Friedrichshafen hat das Areal zum Teil erworben und sich zum Ziel gesetzt, mehr Wohnraum zu schaffen. Auf Anfrage schreibt Stadtsprecherin Monika Blank, man befinde sich derzeit in internen Abstimmungen. Nicht öffentlich wird also um Lösungen gerungen.
Wenige Tage vor dem Treffen mit Achim Baumeister stehen drei Frauen am Ortseingang von Hirschlatt. Sie halten Banner hoch. Auf ihnen ist zu lesen: „Weniger Flächenverbrauch!“ sowie: „Das 1,5-Grad-Ziel umsetzen!“ Barbara Herzig, Petra Karg und Hermine Städele sind Teil des Aktionsbündnisses Zukunftsfähiger Regionalplan. Hinter dem bürokratisch klingenden Wort verbirgt sich ein Regelwerk, das über Jahrzehnte hinweg das Gesicht der Region prägen wird. Herzig: „Der Regionalplan legt die Raumplanung in den Landkreisen Bodenseekreis, Sigmaringen und Ravensburg für die nächsten 15 bis 20 Jahre fest.“ Das bedeutet: Wo künftig in den Kreisen Gewerbeflächen oder Baugebiete entstehen – und wo Ressourcen abgebaut werden –, für all das wird die Grundlage gelegt. Direkt vor Hirschlatt ist auf 30 Hektar ein Gewerbegebiet angedacht.
Barbara Herzig erzählt: „Die Gruppe Scientists for Future hat eine wissenschaftliche Analyse vorgelegt.“ Diese kommt zum Schluss: Der aktuelle Regionalplan verhindert das Erreichen der Klimaziele, zu denen sich die Bundesregierung verpflichtet hat. Herzig und ihre Mitstreiter haben deswegen eine Online-Petition gestartet und bislang über 4000 Stimmen gesammelt. Die Argumente: Wo Häuser und Industriehallen stehen, wachsen keine Pflanzen. Es fehlt also an Ressourcen, die Kohlendioxid filtern und speichern. Eine starke Zersiedelung führe zudem zu höherem Verkehrsaufkommen. „Hirschlatt steht hier exemplarisch für die aktuell schlechte Fassung des Regionalplans“, ist sich Barbara Herzig sicher. „Wir fordern Verdichtung und kluge Raumkonzepte, Natur muss erhalten bleiben!“
Auch Achim Baumeister hat sich – so wie der Gemeinderat – gegen das Gewerbegebiet ausgesprochen. „Uns fehlt es an passenden Straßen, und ich fürchte bei einem Gebiet von 30 Hektar um die Lebensqualität im Dorf.“ Im Regionalplan steht das Areal weiterhin, trotz des Widerspruchs. Denn nicht etwa die Gemeinden bestimmen über das Regelwerk, sondern der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben. ....
Vorranggebiete
Die momentan vorliegende Fassung des Regionalplans Bodensee-Oberschwaben sieht folgende Flächen mit insgesamt 118 Hektar für Industrie und Gewerbe im Bodenseekreis vor:
Friedrichshafen (Hirschlatt) 30 Hektar
Meckenbeuren (Ehrlosen-Erweiterung) 15 Hektar
Salem (Neufrach) 27 Hektar
Tettnang (Bechlingen/Bürgermoos) 8 sowie 19 Hektar
Überlingen (Andelshofen) 19 Hektar
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen