hier Spiegel Ein Gastbeitrag von Niklas Höhne 17.03.2023
Abschlussdokument des Weltklimarates
Zum sechsten Mal tragen Forscher das Wissen zum Klimawandel zusammen. Wie bedrohlich die Szenarien sind, haben viele Politiker noch nicht verstanden. Besonders die Verfechter des Marktes liefern zu wenige Lösungsideen.
Der Klimawandel ist bereits heute existenzbedrohend, und je mehr wir über ihn wissen, umso eindeutiger wird diese Bedrohung. Das zeigt der Synthesebericht des Weltklimarates (IPCC), der am Montag veröffentlicht werden wird, einmal mehr.
Für die weltweit größte Metastudie zur Klimakrise rechneten Tausende Forscherinnen und Forscher unzählige Szenarien durch, um herauszufinden, wie heftig die Klimakrise uns in den nächsten Jahrzehnten treffen wird.
Bei allen Unsicherheiten gibt es eine glasklare Erkenntnis: Das teuerste aller Szenarien ist das ohne Klimaschutz. Die Schäden übersteigen die nötigen Klimaschutzinvestitionen in diesem Szenario um ein Vielfaches, auch in Deutschland.
Und noch etwas ist nach dem mittlerweile sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates recht eindeutig: Das Szenario ohne Klimaschutz ist keine Option mehr, da wir das als Gesellschaft nicht überleben würden. In dieser Zukunft würde eine Kaskade von Kipppunkten im Klimasystem angestoßen, wären die Veränderungen so gravierend, dass eine Anpassung an den Klimawandel unmöglich wäre.
Diese fundamentale Bedrohung scheint jedoch von weiten Teilen der Gesellschaft und der Politik nicht verstanden zu sein. Denn viele sprechen davon, aber zu wenige handeln danach.
Klimaschutz zum machtpolitischen Spielball machen
Alle drei Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag versprochen, im Sinne des 1,5 Grad-Limits zu agieren. Wohlgemerkt, selbst eine Temperaturerhöhung von 1,5 Grad ist kein sicherer Hafen für alle. Auswirkungen, die wir heute schon sehen, würden noch deutlich verstärkt.
Dabei sind die Handlungsempfehlungen des Weltklimarates zum 1,5-Grad-Limit klar: Halbierung der globalen CO₂-Emissionen bis 2030 und Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bis spätestens Mitte des Jahrhunderts. Die Realität sieht allerdings ganz anders aus.
Die größte Forscherkooperation der Welt
Das »Intergovernmental Panel on Climate Change« (IPCC) – besser bekannt als der »Weltklimarat« – ist eine Institution der Vereinten Nationen. Es ist die größte internationale Forscherkooperation der Welt. Ihre Aufgabe: den aktuellen Kenntnisstand zum Klimawandel zusammentragen und aus wissenschaftlicher Sicht bewerten. Der jüngste Sachstandsbericht erschien am 20. März 2023, der erste im Jahr 1990.
Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fassen in den Weltklimaberichten die Erkenntnisse aus der Forschung zu einer Art Metastudie zusammen – sie selbst führen keine Studien durch, werten diese aber aus und ordnen die Ergebnisse ein. Dafür zitieren sie Zehntausende Publikationen.
In einer Abschlusssitzung müssen alle 195 Mitglieder des Weltklimarats Formulierungen diskutieren, wobei die wissenschaftlichen Aussagen des Berichts nicht verfälscht werden dürfen. Zudem müssen alle einer Zusammenfassung des Berichts zustimmen.
Weder bei den Zielen noch bei der Umsetzung sind wir auf Kurs
, das gilt sowohl für Deutschland als auch die meisten anderen Länder, die teils viel weniger zum Klimawandel beigetragen haben. Selbst wenn alle Länder ihre Klimaziele erreichen und die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 stagnieren, würden wir doppelt so viel emittieren wie für das 1,5-Grad-Ziel erlaubt.
Angesichts dieser brenzligen Situation ist es unerträglich, dass Teile der Ampel und der Opposition Klimaschutz zu einem machtpolitischen Spielball machen.
Ambitionierter Klimaschutz oder heiße Luft
Wenn alle Parteien den Aufruf des Weltklimarates wirklich ernst nähmen, würden sich viele Diskussionen erübrigen. Um die Emissionen schnell und drastisch zu senken, müssen Prioritäten gesetzt werden. Hier ein paar Beispiele:
- Strom aus Wind und Sonne statt Atom/Fusion: Regenerative Energien sind das Rückgrat der Klimawende. Eine Diskussion über Kernenergie oder gar Kernfusion als Langfristlösung ist hinfällig, da der Ausbau viel zu lange dauern würde, ganz abgesehen von den hohen Kosten, fehlender Endlagerung und hohen Sicherheitsrisiken.
- Gas sparen statt LNG/Fracking: Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas heißt, ab jetzt keine neue Infrastruktur für fossile Energieträger zu schaffen. Auch im Angesicht der Energiekrise ist Gas zu sparen das oberste Gebot, nicht neue Flüssiggas-Terminals errichten und auch keine neue heimische Förderung mit besonders schädlichem Fracking-Verfahren fördern.
- Bahn statt Autobahn: Die Verkehrswende gelingt nur, wenn Verkehr vermieden und auf die Schiene verlagert wird. Eine Diskussion zu mehr Autobahnen ist da vollkommen abwegig.
- Deutschlandticket statt Tankrabatt oder Pendlerpauschale: Zur Verkehrsverlagerung gehört auch der Berufsverkehr. Der Tankrabatt und die Erhöhung der Pendlerpauschale fördern den Autoverkehr und sind kontraproduktiv.
- E-Autos statt E-Fuels: Strom aus erneuerbaren Energien wird noch lange ein knappes Gut bleiben, das wir so effizient wie möglich einsetzen müssen. Ein Auto mit E-Fuels benötigt etwa sechsmal so viel Strom pro Kilometer wie ein Elektroauto. Wieso überhaupt noch diskutieren? Und je weniger neue Verbrenner zugelassen werden, desto mehr E-Fuels (aus überschüssigem Strom hergestellt) bleiben für Flugverkehr und Schiffe, wo Elektrifizierung schwierig ist.
- Wärmepumpen statt Gasanschlüsse: Gasanschlüsse für Neubauten sind unnötig, da bei der Planung Alternativen wie Wärmepumpen berücksichtigt werden können. Der Austausch der unzähligen Heizungen im Bestand muss jetzt anfangen, damit wir 2045, oder idealerweise noch früher, klimaneutral sind. Überhaupt auf die Idee zu kommen, für Ölheizungen zu werben, weil sie irgendwann einmal mit E-Fuels beheizt werden könnten, ist absurd.
Zugegeben: Der Weltklimarat legt sich nicht fest, ob die Transformation besser über Verbote oder den Markt erreicht werden kann. Es kommt letztlich nicht darauf an, welches politische Instrument angewendet wird, sondern wie ambitioniert es ausgestaltet wird. Was wirklich zählt, ist: Es muss schnell gehen und möglichst viel Treibhausgase vermeiden.
Weltklimarat: Ohne einen schnellen Ausstieg aus fossilen Ressourcen geht es nicht
Derzeit legen in der Ampel nur die Verfechter der Regulierungspolitik ausreichend ambitionierte Vorschläge vor, etwa das Verbrennerverbot ab 2035 oder 65 Prozent erneuerbaren Anteil bei Heizungen ab 2024 . Die erklärten Verfechter des Marktes halten sich mit konkreten Vorschlägen zurück und argumentieren abseits der Klimakrise.
In der Forschung ist unstrittig, dass ein Mix aus regulativen Maßnahmen, ein CO₂-Preis von mehreren Hundert Euro pro Tonne, differenziert nach Sektoren, und sozial verträgliche Rückverteilung der Einnahmen nötig wären, um die gebotenen drastischen Emissionsreduktionen zu erreichen. Falsche Anreize, Selbstverpflichtungen und niedrige CO₂-Preise haben in den vergangenen Jahren zu massiven Verzögerungen geführt – und sind mitschuldig daran, dass wir nun in so kurzer Zeit so viel schaffen müssen.
Der Synthesebericht des Weltklimarates ist eine Leseempfehlung an alle, die sich zu Kernenergie, E-Fuels und Gasheizungen zu Wort melden. Alle Parteien haben eine gesellschaftliche Verantwortung und müssen die Bevölkerung auf die notwendige Transformation einstimmen und nicht – wie einige Parteien – aus politischem Kalkül gegen sie mobil machen.
privat
Niklas Höhne ist Leiter des Thinktanks NewClimate Institut und Professor an der Universität Wageningen in den Niederlanden. Er ist Leiter und Mitautor von über 300 Studien zur internationalen und nationalen Klimapolitik, darunter Beiträge seit 2003 als »Lead Author« zum Vierten, Fünften und als »Contributing Author« zum Sechsten Sachstandsbericht des IPCC. Er hat den Climate Action Tracker mitentwickelt, der die Verpflichtungen und Maßnahmen der Länder zum Klimawandel begutachtet.
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