Zeit hier Annika Joeres 23.3.23
Frankreich setzt weiterhin hauptsächlich auf Atomkraft. Doch weil die immer teuer wird, fehlen dafür Milliardenbeträge. Sie sollen nun in Brüssel aufgetrieben werden.
Wenn heute der Europäische Rat tagt, wird Frankreich vor allem für eine Sache kämpfen: möglichst viel Atomenergie in möglichst viele grüne EU-Programme. Denn das Nachbarland ist wie kaum ein zweiter Staat auf der Welt abhängig von Atomkraft – und muss für seine künftige Stromversorgung sehr viel Geld in 56 altersschwache Meiler stecken. Zugleich entscheidet Brüssel gerade darüber, wo und wie viele Milliarden Euro künftig investiert werden dürfen, welche Finanzhilfen ein Staat etwa leisten darf.
So hat Frankreich bereits erreicht, Atomkraft im Vorschlag für das "Null-Industrie-Gesetz" zu verankern – sie könnte damit leichter genehmigt und Forschung dazu bezuschusst werden. Auch für von der EU künftig bezuschusste Wasserstoffprojekte kann sich Frankreich laut dem Vorschlag mit nuklear produziertem Wasserstoff bewerben. Schon im vergangenen Jahr hatte Macrons Fraktion in Brüssel durchgesetzt, dass nukleare Energie in der sogenannten Taxonomie anerkannt wurde: Sie ist ein Bewertungssystem für nachhaltige Investments. Mit diesem grünen Stempel wird es der französischen Regierung leichter fallen, Geld am internationalen Finanzmarkt für die geplanten sechs neuen AKW aufzutreiben.
Dass Frankreich in Brüssel so ausdauernd für Atomkraft lobbyiert, hat einen nachvollziehbaren Grund: Noch immer bezieht Frankreich 70 Prozent seines Stroms aus Atomkraft – und tut sich extrem schwer damit, erneuerbare Energien zu entwickeln, obwohl das Land an seinen Küstenstreifen am Mittelmeer und Atlantik viel Windkraft generieren könnte. Auch die Solarenergie ist kaum entwickelt: Zwar scheint im Süden des Landes die Sonne rund doppelt so lange wie in Deutschland, aber es sind kaum Solarpaneele installiert. Solar- und Windkraft zusammen sorgen heute nur für etwas mehr als ein Fünftel des Stroms in Frankreich, in Deutschland liegt dieser Anteil derzeit etwa doppelt so hoch. Das Land wird also, zumindest mit diesem langsamen Ausbautempo, noch sehr lange von Atomkraft abhängig sein.
Kostspielige Mängel
Also braucht Frankreich Geld, viel Geld. Die meisten Reaktoren sind schon über 30 Jahre alt und weisen immer wieder neue und sehr kostspielige Mängel auf: Im AKW Penly wurde Anfang März ein 23 Millimeter tiefer Riss entdeckt, in einer Rohrleitung mit radioaktivem Kühlwasser von nur 27 Millimetern. "Es ist ein bedeutsamer Riss, der die Wahrscheinlichkeit eines Bruchs der Leitung erhöht", heißt es dazu in einer Pressemitteilung der Nuklearen Aufsichtsbehörde ASN. Schon im vergangenen Jahr musste EDF 25 Reaktoren runterfahren, um Risse durch sogenannte Spannungskorrosionen im Primärkreislauf zu reparieren. Alleine diese Wartung kostete Dutzende Milliarden Euro.
Während also alle umliegenden Länder ihre Stromkosten langfristig werden reduzieren können – schließlich wird Solar- und Windenergie stets günstiger –, wird Frankreich immer mehr investieren müssen. Viele internationale Prognosen wie etwa die des australischen Wissenschaftsverbandes CSIRO gehen davon aus, dass Atomkraft künftig sechs- bis zehnmal teurer sein wird als Solarenergie – selbst wenn noch bislang aufwendige Speichertechnologien für Erneuerbare dazugerechnet werden. Auch der französischen Regierung ist klar, dass private Investments in Atomkraft künftig ausbleiben werden: Sie hat daher den Konzern EDF, der alle 56 AKW betreibt, im vergangenen Jahr verstaatlicht. Schon zuvor zahlten Bürgerinnen und Bürger über ihre Steuern sehr viel Geld in die nukleare Energie ein: In Europa gibt es kein Land, das seine Atomkraftwerke dauerhaft so hoch subventioniert wie Frankreich, die EU beziffert die staatlichen Hilfen auf zwischen 400 und 600 Milliarden Euro zwischen 2017 und 2020.
Das ist eine Summe, deren Höhe besonders im Vergleich deutlich wird: Macron begründet etwa seine umstrittene Rentenreform damit, dass die Pensionskasse in zehn Jahren ein Defizit von 20 Milliarden Euro aufweisen könnte. Also zehnmal weniger als die Summen, die letztlich an den EDF-Konzern gehen.
Atomkraft verstärkt die Wasserknappheit
Neben der Reparatur der alten Meiler wird Paris auch die sechs neuen Reaktoren finanzieren müssen, deren Bau Macron für Mitte der 2030er-Jahre angekündigt hat. Sie würden, so EDF, "Investitionen von extremer Höhe" benötigen. Aus diesen Worten sprechen schmerzhafte Erfahrungen: Die jüngsten Neubauten des Konzerns in Finnland und im französischen Flamanville wurden um ein Vielfaches teurer als gedacht.
Völlig ungeklärt ist auch, wie die 56 Atomkraftwerke mit den häufiger auftretenden Dürren in der Klimakrise zurechtkommen sollen – sie alle brauchen Kühlwasser für die Meiler. Führt der angrenzende Fluss zu wenig Wasser, müssen sie, wie schon im vergangenen Sommer, ihre Produktion drosseln. Zugleich bringen sie mit ihrem Bedarf an dem immer kostbarer werdenden Gut umliegende Gemeinden in Not: In Südfrankreich werden augenblicklich Dutzende Orte nur noch mit Tanklastern beliefert, weil Flüsse und Grundwasser zu niedrig gefallen sind, um alle Bürgerinnen und Bürger zu versorgen.
Diese zunehmenden Probleme kamen in dieser Woche auch auf einer Anhörung im Senat zur Sprache, der zweiten Kammer des französischen Parlaments.
"Wir müssen uns auf Konflikte um Wasser mit anderen Nutzern vorbereiten", sagte dort die Finanzexpertin des Rechnungshofes, Annie Podeur. Auf Konflikte der AKW-Betreiber mit Landwirten, der Tourismusbranche oder auch den Verbrauchern. "Es fehlt bis heute ein landesweites Konzept, wie die Reaktoren mit der Klimakrise zurechtkommen sollen", kritisierte Podeur. Noch schwerwiegender fiel ihr Urteil aus, wie zuverlässig der französische Atompark künftig Strom produzieren wird: "Unsere Prognosen besagen, dass die Produktion 2050 dreimal so häufig wie heute in heißen Zeiten gedrosselt werden muss."
Auch diese vorhersehbaren Produktionsausfälle werden Frankreich dazu zwingen, mehr Energie einzukaufen – und damit das Angebot in Europa zu verringern und die Preise steigen zu lassen. So wird die Finanzierung seiner Atomkraftwerke in den kommenden Jahrzehnten, trotz der eingeforderten EU-Hilfen, immer schwerer fallen. Deshalb hat die Regierung nun angekündigt, das Geld vom staatlichen Sparbuch, dem "livret A", in die neuen Reaktoren zu stecken. Das Sparkonto wird von der französischen Regierung verwaltet. Bislang wurden die ersparten Milliarden von dem staatlichen Finanzinstitut Caisse des Dépôts noch anders investiert: in Sozialwohnungen.
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