Süddeutsche Zeitung hier Von Thomas Hummel 9. März 2023
Dank Wasserstoff könnten Gasleitungen auch künftig weiter genutzt werden.
Keine gute Idee, sagen jedoch Experten. Der Stoff werde absehbar kaum verfügbar sein - und wenn doch teuer.
Wie sollen die Menschen künftig ihre Wohnungen wärmen? Ob Klimaschutz, Abhängigkeit vom früheren Lieferanten Russland oder steigende Preise - Deutschland hat sich darauf verständigt, sich perspektivisch vom Erdgas zu verabschieden. Dabei ist die Infrastruktur enorm, sagenhafte 511 000 Kilometer lang ist das Erdgasnetz im Land, zumeist unter der Erde. Die Frage wird zunehmend relevant, ob man diese Rohre dafür nutzen sollte, andere Gase wie Biomethan oder Wasserstoff durchzuleiten und damit Wohnungen und Häuser zu beheizen. Umweltverbände kommen nun zu dem Schluss, dass dieser Plan keine gute Lösung ist.
Der World Wide Fund for Nature (WWF), der Naturschutzbund (Nabu) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnen in einem Strategiepapier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, vor einem "gewaltigen Etikettenschwindel" und einem Einfallstor für eine verschleppte Dekarbonisierung und Transformation im Wärmesektor. Sie fordern die Gesetzgeber in Berlin und Brüssel auf, "Heizungsanlagen, die technisch in der Lage sind, Wasserstoff oder biogene Gase zu nutzen" nicht als "erneuerbar" zu deklarieren. Sie fürchten, dass am Ende weiterhin Erdgas durch die Leitungen fließen werde, weil es die "grünen" Gase nicht ausreichend geben wird und sie in der Industrie, im Schwerlast- oder Flugverkehr dringender gebraucht würden.
Die Bundesregierung diskutiert aktuell über einen Entwurf des Bau- und Wirtschaftsministeriums zum Gebäudeenergiegesetz, die Europäische Union arbeitet an einer Novelle ihrer Gebäuderichtlinie. Beide Male geht es um die Wärmewende hin zu erneuerbaren Energien. Doch die Details sind umstritten. Ähnlich wie bei der Debatte um E-Fuels für den Verbrennungsmotor in Autos ist die Frage, ob auch hier klimaneutrale Gase gefördert werden sollen. Oder ob es auf eine weitgehende Elektrifizierung hinausläuft.
Fast die Hälfte aller Gebäude in Deutschland wird aktuell mit Erdgas beheizt, im vergangenen Jahr lag der Verbrauch bei etwa 350 Terawattstunden (TWh). Um davon wegzukommen, wird die strombasierte Wärmepumpe eine Hauptrolle spielen, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte zuletzt an, von 2024 an würden pro Jahr 500 000 strombasierte Wärmepumpen installiert. Gerade städtische Quartiere und Mehrfamilienhäuser benötigen allerdings oft andere Lösungen, und so kommen neben Fernwärme oder Solarthermie auch "grüne" Gase ins Spiel, die durch die alten Leitungen laufen könnten.
Wasserstoffheizungen sind ineffizient und teuer, sagen die Umweltverbände
Doch Experten schätzen, dass Wasserstoff (H₂) erst von 2030 an eine signifikante Rolle in der Energieversorgung spielen wird, denn noch fehlt die Infrastruktur zur Herstellung, zum Transport und zur Nutzung. WWF, Nabu und DUH glauben, dass H₂ noch lange ein begehrtes, aber rares Gut sein wird und deshalb entsprechend kostspielig. Vor allem "grüner" Wasserstoff, also mittels Elektrolyse und erneuerbaren Energien hergestellt. Zudem seien H₂-Heizungen vergleichsweise technisch ineffizient.
Auch Biomethan als Lösung halten die Verbände für eine Illusion. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 240 Anlagen, in denen Biogas zu Biomethan umgewandelt wird, das als Erdgasersatz verwendet werden kann. Diese tragen elf TWh zur Wärmeerzeugung bei. Da Bioenergie häufig auf landwirtschaftlichen Betrieben hergestellt wird und Anschlüsse ans Wärmenetz oft weit entfernt liegen, lasse sich der Einsatz von Biomethan nur geringfügig ausweiten, glauben WWF, Nabu und DUH. Sie folgern, dass "grüne" Gase nur "in klar definierten und gut begründeten Ausnahmefällen" eine Option zum Heizen sein sollten.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) teilt weitgehend die Bedenken. Er will aber in der Gesetzgebung weder Wasserstoff noch biogene Gase ausschließen. Nach seinen Plänen sollen neu eingebaute Heizungen bereits von 2024 an mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das sei ausdrücklich technologieoffen formuliert, also auch mit Wasserstoff möglich, sagte Habeck am Dienstag bei einer Tagung des Stadtwerkeverbands VKU in Berlin. Die Frage ist: Ist das ein glaubwürdiges Versprechen? Habeck deutete ebenfalls Zweifel an, ob der Stoff zur Wärmegewinnung in großen Mengen verfügbar und bezahlbar sein werde.
Ganz anders sehen das die Interessenvertreter der Gaswirtschaft. Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) schätzte in einer Stellungnahme im vergangenen August, dass bei Biomethan schon bis 2030 eine Verzehnfachung auf 100 TWh möglich sei. Zudem sei es aus Sicht des DVGW nicht zutreffend, dass Wasserstoff mittel- bis langfristig teuer und eine knappe Ressource sein werde. Der Verein forderte die Politik auf, die "richtigen Rahmenbedingungen" zu setzen, dann würde H₂ sowohl 2030 als auch 2045 "in mehr als ausreichenden Mengen" zu Verfügung stehen. Der DVGW räumte zwar ein, dabei mit optimistischen Annahmen gerechnet zu haben. Doch auch das Fraunhofer-Institut plädierte in einer Studie dafür, Wasserstoff zum Heizen in Wohnungen nicht prinzipiell auszuschließen, sondern sich die Option je nach lokaler Lage und Situation offenzuhalten.
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