BR hier Judith Heitkamp
Sie werden inzwischen mit den Taliban verglichen und bekommen Haftstrafen fürs Sich-Festkleben an Bildern und Straßen. Hier ist eine Radikalisierung im Gange - aber nur eine bei den Reaktionen auf die Protestaktionen, meint der Soziologe Nils Kumkar.
schon vorbei -Plakat der letzten Generation: Knast-Talk
"Das Öl auf dem Kunstwerk ist mittlerweile weggewischt, aber das Öl im Feuer der Empörung, das sprudelt munter nach", twitterte gestern der Publizist und Bremer Soziologe Nils Kumkar. Er untersucht seit geraumer Zeit die Resonanz der "Letzten Generation" in den Massenmedien und kommt zu interessanten Schlüssen.
Seine Prämisse: Die letzte Generation gehe davon aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung ohnehin für stärkere Klimaschutzmaßnahmen sei. "Sie wählen Aktionen, die massenmediale Resonanz erzeugen. Über die Art der Resonanz können sie aber nicht verfügen. Und das trifft auf eine Politik, die gerade augenscheinlich nicht wirklich über Klimaschutzpolitik reden will".
"Letzte Generation" hat starke Symbole gewählt
Solange die Grünen in der Opposition waren, konnten sie sich stark mit den Zielen von Fridays for Futur und anderen Klimaschutz-Bewegungen solidarisieren. Jetzt aber könnten sie - so Kumkar – "nur schlecht oder ungern sagen, wir möchten mehr machen. Weil das würde ja das eigene Versagen thematisieren".
Nicht allein beim Beschmieren des Grundgesetz-Kunstwerks, sondern auch sonst arbeitet der Protest der "Letzten Generation" stark mit Symbolen. Viele Menschen lassen sich auf diese Symbolebene nicht ein oder kritisieren das als ineffektiv zum Erreichen der praktischen Ziele. Doch stimmt das?
Die "Letzte Generation", die als relativ kleine soziale Bewegung wenig Menschen direkt mobilisieren könne, habe aber durchaus die Hoffnung, dass durch ihre Aktionen mehr passiere: "Man muss halt Empörung generieren. Ich glaube, das passiert denen nicht aus Versehen", so Kumkar.
Wird die "Letzte Generation" immer radikaler?
Die Taliban-Vorwürfe und das Weitermachen trotz der Haftstrafen suggerieren, dass die Lage eskaliert. Aber Anzeichen für eine Radikalisierung der Klima-Bewegung sieht Nils Kumkar nicht: "Es ist nicht radikaler, sich an die Straße zu kleben, als Kartoffelbrei auf Monet zu werfen. Und es ist auch nicht unbedingt radikaler, Farbe auf Plexiglasstelen zu kippen, als sich an der Straße festzukleben. Das sind alles Aktionsformen mit sehr vergleichbarem Eskalationsniveau".
Doch die Art und Weise, wie Politik und Medien auf die Proteste reagieren werde „immer radikaler: Was wir beobachten, ist, dass die Politik auf diese Aktion reagiert, indem sie vor allem über die Aktionsform redet und dass die Medien dieses Gerede aufgreifen und Nachrichtenwert generieren, indem sie das mit der Vermutung unterlegen, da würde jetzt eine Radikalisierung vorliegen. Also die Vorwürfe, die der Bewegung gemacht werden, die radikalisieren sich."
"Ganz normaler ziviler Ungehorsam"
Insgesamt betrachtet Kumkar die Form der Proteste der "Letzten Generation" als "ganz normalen zivilen Ungehorsam. Das hat in einer parlamentarischen Demokratie die Funktion, darauf zu reagieren, wenn bestimmte Themen politisch nicht bearbeitet werden, obwohl es in der Gesellschaft das Bedürfnis danach gibt, dass sie bearbeitet werden. Dann sorgen Proteste dafür, dass diese Themen in der Kommunikation gesetzt werden. Und dann muss die Politik sich dazu verhalten. Das ist ein völlig normaler Vorgang."
Mehr zu den aktuellen Aktionen der letzten Generation
Berliner Zeitung hier Maria Windisch Andreas Kopietz dpa 07.03.2023
Berlin: Letzte Generation schießt mit Feuerwehrauto Wasser auf Ministerium
Mitglieder der Letzten Generation haben am Dienstag Wasser auf das Verkehrsministerium in Berlin geschossen. Zum Einsatz kam ein gemietetes Löschfahrzeug....
Von der Gruppe heißt es in einer Presseerklärung dazu, dass sich der Protest in Richtung des FDP-Verkehrsministers Volker Wissing richte. Dazu hat die Letzte Generation „dem Verkehrsministerium eine kalte Dusche verpasst“
„FDP-Minister Wissing tritt Recht mit Füßen. Er bricht nachweislich das Klimaschutzgesetz und blockiert jetzt auch noch Klimaschutz für ganz Europa“, sagte Jakob Beyer, Sprecher von der Gruppe Letzte Generation. ...
Letzte-Generation-Mitglieder gaben an, sie seien von Freiwilliger Feuerwehr
Als Mitglieder der Letzten Generation das Tanklöschfahrzeug bei dem Verleiher mieteten, gaben sie sich dort als Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr aus. Im gesamten Bundesgebiet gibt es Verleiher, die Löschfahrzeuge aller Art vermieten. Dies ist zum Beispiel nötig, wenn auf dörflichen Feuerwachen oder bei Werksfeuerwehren ein Fahrzeug in die Werkstatt musste.
Die Gewerkschaft der Polizei erklärte zu der Aktion: „Es ist unfassbar, dass diese kriminelle Organisation mit der Feuerwehr ein Symbol des demokratischen Rechtsstaates für ihren scheinheiligen Kampf missbraucht und hier das Bild erwecken möchte, dass diese Straftaten durch unsere Kollegen unterstützt werden.“...
Spiegel hier Ein Debattencheck von Frauke Böger 06.03.2023 Was ist denn jetzt schon wieder? Grundgesetz zerstört!!!
Am Wochenende hat die »Letzte Generation« erneut zugeschlagen – diesmal traf es ein Denkmal für das deutsche Grundgesetz. Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten.
Worum geht’s?
Aktivisten der »Letzten Generation« haben am Samstag das Denkmal »Grundgesetz 49« am Bundestag in Berlin mit einer schwarzen Flüssigkeit beschmiert und Plakate daran befestigt, auf denen »Erdöl oder Grundrechte?« stand.
Daraufhin ist die programmierte Empörung losgegangen, die sich vor allem darauf stürzte, die Aktivisten hätten das Grundgesetz angegriffen und beschmutzt und seien somit Feinde der Demokratie.
Hier die drei vermutlich drastischsten Twitter-Reaktionen aus der Politik:
»Was für eine billige, würdelose Aktion. Ihr scheißt auf die Grundrechte, zerstört Kunst ähnlich wie die Taliban und fühlt Euch noch als Heldinnen und Helden! Glaubt Ihr allen Ernstes, Ihr bringt damit den Klimaschutz voran?!« Michael Roth, SPD, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages
»Aufmerksamkeit ist kein Selbstzweck. Wer für Klimaschutz demonstriert, kann das durchaus auf eine Weise tun, die weder brav noch angepasst ist. Kunstwerke zerstören, unsere freiheitliche Verfassung+Demokratie lächerlich machen, bewirkt für die Sache sicher nichts – im Gegenteil!«
Ralf Stegner, SPD, Mitglied des Bundestages
»Mit der öffentlichen Zerstörung des Grundgesetzes hat die Letzte Generation ihre hässliche Fratze endgültig fallen lassen und gezeigt wo sie steht: Gegen den Staat und gegen die freiheitlich, demokratische Grundordnung. Diese Hasser der Freiheit sind der letzte Abschaum.«
Frank Müller-Rosentritt, FDP, Mitglied des Bundestages
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser kritisierte die Aktion: »Es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür, ausgerechnet die Grundrechte zu beschmieren – und das auch noch am Bundestag, dem Herz unserer Demokratie. Das zeigt, dass diese Leute nur Chaos im Sinn haben. Diese völlig unwürdige Aktion muss nun konsequent strafrechtlich verfolgt werden«, sagte die SPD-Politikerin der »Bild am Sonntag«.
Worum geht’s eigentlich?
Die Klimaaktivisten wollten laut eigenen Angaben darauf aufmerksam machen, dass Grundrechte bereits in Gefahr seien, durch die Politik der Bundesregierung, die zu zögerlich auf den Klimawandel reagiere. In ihrer Pressemitteilung zu der Aktion heißt es: »Das Verbrennen von Erdöl führt uns in die Klimahölle. In der Klimahölle gibt es keine Menschenwürde, keine Freiheit und kein Recht auf Leben. Die Bundesregierung schützt unsere Grundrechte nicht.«
Sie verweisen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021, das besagte, das deutsche Klimaschutzgesetz sei teilweise verfassungswidrig.
Meine Kollegin Susanne Götze hatte damals analysiert , dass die Richter:innen erklärten,
»dass die Gefahr besteht, dass durch künftig sehr hohe Emissionseinsparungen die Freiheit des Einzelnen ›potenziell betroffen‹ ist und damit von drastischen Einschränkungen bedroht.
Der Gesetzgeber müsse deshalb ›zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit‹ entsprechende Vorkehrungen treffen und die Einsparungen besser verteilen.
Für die Klimaneutralität reichen die Regelungen im Klimagesetz nicht aus, deshalb muss die Regierung für die Zeit ab 2031 einen Fahrplan vorlegen.«
Die Bundesregierung hat nun das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ausgerufen. Das ist der »Letzten Generation« zu spät.
Worum geht’s nicht?
Die Abschaffung des Grundgesetzes oder der Demokratie, jedenfalls lässt sich das aus dieser Aktion nicht ableiten. Man könnte darin auch eine Aufforderung zum Handeln sehen – an die Bundesregierung, um das Grundgesetz vor der Klimakatastrophe in der Zukunft zu schützen....
07.03.2023 | VON MEY DUDIN UND STEFAN FUHR, EPD hier im Südkurier
„Ein Bärendienst für Klimaprotest“
Die Umweltschutzorganisation WWF befürchtet angesichts der jüngsten Klima-Aktionen der Letzten Generation ein sinkendes Verständnis in der Gesellschaft für Klimaschutz-Anliegen. „Das ist falsche Symbolik“, sagte der geschäftsführende Vorstand von WWF Deutschland, Christoph Heinrich, mit Blick auf die Öl-Attacke auf das Grundgesetz-Denkmal in Berlin. „Hier wird dem Klimaprotest ein Bärendienst erwiesen.“ (Was noch zu beweisen wäre..)
Aktivisten der Letzten Generation hatten das Grundgesetz-Denkmal am Samstag mit schwarzer Farbe übergossen. Sie wollten damit auf die aus ihrer Sicht unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung aufmerksam machen und forderten einen früheren Ausstieg aus fossilen Energieträgern wie Erdöl. Die Protestaktion löste parteiübergreifend Empörung aus.
Mischung aus Leim und Farbe
An der Aktion seien sechs Menschen beteiligt gewesen, teilte die Polizei Berlin mit. Wie ein Sprecher sagte, handelte es sich bei der Flüssigkeit um eine Mischung aus Tapetenleim und Farbe. Gegen die sechs Tatverdächtigen sei ein Strafermittlungsverfahren wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung eingeleitet worden. (nur eine Begründung? wo gibt`s denn so was? Da hat die Ravensburger Polizei aber wesentlich mehr in petto!)
Die Klimabeauftragte des Auswärtigen Amtes, Jennifer Morgan, appelliert an die „Letzte Generation“, sich bei Protesten an die Gesetze zu halten. „Ich kann den Frust der jungen Leute verstehen“, sagte die Staatssekretärin. Denn trotz eindringlicher wissenschaftlicher Warnungen sei die Welt beim Klimaschutz bislang nicht ausreichend vorangekommen. „Aber jeder Aktivismus muss sich unbedingt an die geltenden Gesetze halten“, betonte die 56-Jährige: „Denn Gesetze schützen uns alle.“
Mit einer Aktion vor dem Bundesverkehrsministerium in Berlin protestierten Klimaschutz-Aktivisten gestern zudem gegen die Verkehrspolitik der Bundesregierung. Die Gruppe Letzte Generation teilte mit, man habe das Gebäude mit Wasser aus einem Feuerwehrauto bespritzt und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) „eine kalte Dusche“ verpasst.
In Heilbronn waren am Montag zwei Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation wegen einer Straßenblockade zu mehrmonatigen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Laut einer Sprecherin ist es die erste Haftstrafe ohne Bewährung, zu der Aktivisten der Gruppe verurteilt wurden. Die Männer wurden vom Amtsgericht Heilbronn zu jeweils drei und zwei Monaten Haft verurteilt. Sie hatten sich am 6. Februar auf einer Straße in Heilbronn festgeklebt. Angeklagt waren sie wegen Nötigung.
Laut Gericht wurden drei weitere Aktivisten zu unterschiedlichen Geldstrafen zu jeweils 60 Tagessätzen verurteilt. Das strengere Urteil gegen die zwei Männer sei erforderlich zur „Einwirkung auf die Täterpersönlichkeit“, sagte der Gerichtssprecher. Bewährungsstrafen würde man erlassen, wenn man von einer positiven Kriminalprognose ausgehe, also dass sich derartige Straftaten nicht wiederholten. Die Männer hätten aber vor Gericht erklärt, dass sie mit den Aktionen weitermachen wollten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
07.03.2023Kommentar: Was die Klimaaktivisten wollen
Letzte Generation: Die Klimaaktivisten der Letzten Generation kleben sich immer wieder auf Straßen fest und machen mit umstrittenen Protestaktionen auf sich aufmerksam. Die Gruppierung setzt sich für eine konsequente Klimawende ein.
Ziele: Sie fordert die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets, ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen sowie die Einberufung eines Gesellschaftsrats mit dem Ziel, bis 2030 Nullemissionen zu erreichen.
Einigungen: Die Klimaschutzgruppe bietet einen Stopp ihrer Proteste an, wenn die Bundesregierung auf ihre Forderungen eingeht. Die Oberbürgermeister in Tübingen (Boris Palmer), Hannover (Belit Onay, Grüne) und Marburg (Thomas Spies, SPD) haben zuletzt mit der Letzten Generation einen Stopp der Klebeproteste vereinbart. (dpa)
und natürlich fehlt bisher der Postillion!
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