SPIEGEL Klimabericht hier 10. März 2023 Susanne Götze
Das Wichtigste zum größten Thema unserer Zeit
Haltbarkeitsfristen für Nachrichten zum Klima werden immer kürzer: Was heute noch unwahrscheinlich erscheint – ein Szenario unter vielen –, tritt morgen schon ein. Wer heute noch als Alarmist gilt, kann morgen schon der größte Realist sein.
In Deutschland wurde wohl noch nie so viel über Klimapolitik diskutiert wie derzeit – befeuert von Extremwetterereignissen, die Familien obdachlos oder alte und kranke Menschen vorzeitig versterben lassen. Bremser und Verharmloser der Klimakrise gelten deshalb nicht mehr nur als wissenschaftsfeindlich, sondern zunehmend als verantwortungslos.
Nun erhärtet sich die Annahme, dass die Klimakrise auch die Wirtschaft und den Steuerzahler teuer zu stehen kommt. Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnten durch die Folgen der Klimakrise auf Deutschland Kosten zwischen 280 und 900 Milliarden Euro zukommen. Je weniger man tut, desto teurer wird es. Die Zahlen führen die Erzählung, dass Klimaschutz und Anpassung »so teuer« seien, endgültig ad absurdum. Zum Vergleich: Die Ausgaben des Bundeshaushalts in diesem Jahr betragen, alles zusammengenommen, 470 Milliarden Euro.
Die Studie wurde vom Bundeswirtschafts- und Umweltministerium in Auftrag gegeben, verfasst haben sie das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) und die Prognos AG. Letztere schrieben übrigens vor ein paar Jahren noch Studien für die Nord Stream 2 (S+) AG.
Die Verfasser spielen in mehreren Szenarien (schwach, mittel und stark) durch, wie viel die Klimakrise die Volkswirtschaft kosten wird. Dabei gehen sie detailliert vor: Bei Dürren berücksichtigen sie nicht nur die Ertragsausfälle von Landwirten, sondern auch steigende Lebensmittelpreise, verändertes Konsumverhalten oder Lieferengpässe bei Zwischenprodukten und Rohstoffen, etwa durch Niedrigwasser im Rhein.
Verglichen mit der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg ist der Klimawandel für die deutsche Wirtschaft langfristig das größere Problem, zeigt die Studie. Beispiel internationaler Handel: Durch unterbrochene Lieferketten steigen die Preise für Güter auf dem Weltmarkt. Je nachdem, welchem Szenario man folgt, schrumpft das Bruttoinlandsprodukt bis 2050 zwischen 20 und 200 Milliarden Euro. Und das ist nicht alles: Die Exporte – von denen die deutsche Wirtschaft derzeit noch hochgradig abhängig ist – reduzieren sich demnach über den gesamten Zeitraum um bis zu 1560 Milliarden Euro. Auch die Importe fallen bis zu 1740 Milliarden Euro geringer aus. Für die Bürgerinnen bedeutet das Preissteigerungen, »was zu einer teilweisen Reduktion im Konsum führt«, heißt es in der Studie.
»Dieser Verlust ist so hoch, dass die Wirtschaft nicht weiter wachsen, sondern im Gegenteil selbst bei schwachem Klimawandel ohne Anpassung schrumpfen wird«, schreiben die Autoren. Und dann kommt der Satz, den der britische Ökonom Nicholas Stern schon seit 20 Jahren predigt: »Ein starker Klimawandel führt im Vergleich jeweils zu deutlich höheren Kosten als ein mittlerer oder schwacher Klimawandel.« Stern ging in seinem Bericht von 2006 (mittlerweile gibt es eine Neuauflage) von einem Verlust des globalen BIP von 5 bis 20 Prozent aus, wenn die Staaten nicht genug in Klimaschutz investieren. Ärmere Länder würden laut Stern überproportional starke Einbußen erleiden, weil sie sich schlechter schützen könnten.
Das ist in Hinblick auf die Debatte über rückläufiges Wachstum schon fast ein Treppenwitz: Gerade jene, die den Klimaschutz so lange verzögert haben, warnen, er könnte zu teuer sein und der Wirtschaft schaden. Dabei macht die jüngste Studie einmal mehr klar: je weniger Klimaschutz, desto schlimmer wird der Degrowth-Alptraum der Wirtschaftsliberalen.
Dass die Wirtschaft in der Klimakrise schwächelt, hat auch mit unserer Gesundheit zu tun. Bei durchschnittlich mehr heißen Tagen pro Jahr steigt die Arbeitsunfähigkeit. Bereits zwischen 2011 und 2019 wächst die Zahl der Krankmeldungen proportional zur Anzahl heißer Tage, heißt es in der Studie. Die Statistiken der gesetzlichen Krankenversicherung zeigten bereits im vergangenen Jahrzehnt »besonders viele Arbeitsunfähigkeitstage«, schreiben die Autoren. Hitze macht also nicht nur krank, sondern schadet auch den Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen, die dann Ausfälle haben.
Nun könnten Kritiker das alles als Horrorszenarien abtun, gebe es nicht bereits Daten aus den vergangenen Jahren, die diesen Trend ebenfalls belegen: Allein von 2000 bis 2021 schätzen Forscher die materiellen Schäden in Folge von Extremwettereignissen auf mindestens 145 Milliarden Euro. Erinnern Sie sich noch an das Jahr 2021 mit der verheerenden Hochwasserkatastrophe im Ahrtal? Damals schnürte die Bundesregierung ein Hilfspaket von 30 Milliarden (!) Euro. Wenn künftig mehrere solcher Ereignisse parallel passieren, könnten Extremwetter recht schnell eine feste, aber unkalkulierbare Größe in jedem Bundeshaushalt werden.
Das Fazit der Studie: Die durchschnittlichen jährlichen Kosten der Extremereignisse der vergangenen 20 Jahre könnten sich bis 2050 um das Anderthalb- bis Fünffache erhöhen.
Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Nicht nur mit mehr Klimaschutz, sondern vor allem auch mit Anpassung an Extremwetter (S+) könne man »Schäden und Kosten der Klimawandelfolgen reduzieren«. Und das nicht zu knapp, laut Auswertung ist eine Reduktion um 60 bis 100 Prozent möglich. Was getan werden muss, ist seit Jahren bekannt. Wenig wurde davon bisher umgesetzt:
• Begrünung von Städten, etwa an Fassaden oder durch das Anlegen von Parks, kleinen Stadtwäldern und Grünstreifen, sowie Entsiegelung von zubetonierten Flächen gegen hohe Temperaturen an heißen Tagen sowie zur Starkregenvorsorge
• Renaturierung von Mooren, Feuchtgebieten und Umbau von Wäldern
• Natürlicher Hochwasserschutz durch weniger Bebauung an Flüssen und die Renaturierung von Auenlandschaften
• Entwicklung von Alternativen zur Schifffahrt, um Lieferengpässen bei Niedrigwasser vorzubeugen
• Klimacheck von kritischen Infrastrukturen wie Krankenhäusern und Chemiefabriken
• Entwicklung hitzeresistenter Sorten und andere Bodenbewirtschaftung in der Landwirtschaft
Wer genau hinschaut, erkennt das Konfliktpotenzial in vielen Maßnahmen: Irgendwo müssen die Flächen für Renaturierungen oder Hochwasserflächen herkommen oder der Platz in der Stadt für mehr Grünflächen. Veränderung bedeutet auch, dass einige zum Wohl aller zurückstecken müssen. Das dürfte nicht jedem gefallen. Klimaforscher warnen zudem vor den Grenzen der Anpassung – auch in Deutschland. Nicht alles kann abgefedert und ein Weiter-so garantiert werden.
Albert Einstein sagte einst: »Probleme lassen sich niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.« Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Klimaanpassungsstrategie und ein Klimaanpassungsgesetz versprochen. Derzeit ist das Gesetz laut Regierungskreisen kurz vor der finalen Abstimmung. Wir dürfen also gespannt sein, ob es nun endlich losgeht.
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