Donnerstag, 30. März 2023

Viel Lobby, wenig Detail : Die FDP ist die Satirepartei des Jahres

hier auf web.de  27.03.2023  EINE KOLUMNE von Marie von den Benken

Volker Wissing zum Beispiel ist, was anhand seiner Aussagen und Handlungen seit Amtsantritt nicht unbedingt zu vermuten wäre, Deutscher Verkehrsminister. Als solcher ist er, auch wenn er das trotz zahlreicher Hinweise unter anderem durch das Bundesverfassungsgericht nicht zu wissen oder zu ignorieren scheint, bestimmten Klimazielen unterworfen, die er in seinem Verantwortungsbereich einhalten muss.

Diese erreicht er vor allem im entscheidenden Sektor Verkehr weiterhin nicht. Dort steigen aktuell die Emissionen sogar, obwohl Wissing verpflichtet ist, sie zu senken. Ein Konzept dafür, die hohe Anforderung an Einsparungen zu erreichen, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls keins, was über E-Fuels hinausgeht, für dessen aufopferungsvolle Verteidigung Wissing Deutschland sogar ohne mit der Wimper zu zucken vor der EU blamiert. Und für die ihm jetzt sogar ausgerechnet der Chef der Porsche AG in den Rücken fällt.

Aber auch dafür hat Wissings Parteichef, Porscheminister Christian Lindner, eine Antwort: Seiner Forderung, man solle E-Fuels nicht verbieten, man solle doch den Markt entscheiden lassen, folgt diese Woche ganz in der Tradition des Turbokapitalismus, in dem sich stets das beste Produkt ganz von alleine durchsetzt, seine Ankündigung, er wolle E-Fuels-Fahrzeuge zukünftig steuerbegünstigen. Natürlich, denn was ist auf jeden Fall als erstes nötig, wenn eine Technologie so gut ist, dass sie sich auf jeden Fall durchsetzen wird? Genau: Steuersubventionen! Als nächstes kommt dann vermutlich der Tankrabatt 2.0: nur für E-Fuels.

Gut, echte Ideen für das Erreichen der Klimaziele gäbe es zuhauf, aber die kommen unglücklicher Weise von den linksgrünversifften Traumtänzern von SPD, Grünen oder – noch schlimmer! – den Klimaaktivisten, die beispielsweise ein Tempolimit fordern. 

In diesem zumeist radikal wirtschaftsfeindlichen "Juste Milieu" (Klima- und Freiheitsexperte Ulf Poschardt) setzt man auf eine Teillösung, die niemandem wehtut, kein Geld kostet, Menschenleben rettet, das Gesundheitssystem entlastet und nebenbei wichtige Treibhausgasemissionen in Höhe von 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einspart. Mehr als zweieinhalb Mal so viel wie bisher angenommen. Und etwa hundert Mal mehr als ein kurzfristig eingeholtes Gegen-Gutachten von, raten Sie mal, genau: Volker Wissing.

Naja, okay, die beiden Wissenschaftler, die Wissing und die FDP damit beauftragt hatten, die offiziellen Zahlen des Bundesumweltamtes zu diskreditieren und das eiserne Festhalten am Nein zum Tempolimit zu legitimieren, sind irgendwie ein bisschen als Klimawandel-Leugner bekannt. Aber das kann passieren. Seriöse und renommierte Wissenschaftler findet man halt nicht mehr, die das Narrativ der FDP unterstützen würden. Da nimmt man halt, was man im Umfeld der Klima-Querdenker so finden kann.

Das ist etwa so, wie Michael Wendler und Attila Hildmann damit zu beauftragen, eine Gegenanalyse durchzuführen, ob der Corona-Impfstoff wirklich bei einem Drittel aller Deutschen zu Impfnebenwirkungen führt. Das hatte nämlich das international anerkannte "Ralf-Schuler-Institut für komplexe Bruchrechnung" zuletzt herausgefunden. Ein Drittel! Krass! Oder sogar ein Viertel, da war man (also Ralf Schuler) sich in der Kommunikation letztendlich nicht mehr so ganz sicher. Summa summarum jedenfalls etwa mindestens 40 Millionen. Allein in Deutschland. Auf jeden Fall aber viel mehr als die offiziellen Zahlen, die bislang von einer sehr niedrigen dreistelligen Zahl ausgehen.

Das könnte daran liegen, dass für Schuler offenbar auch drei Minuten leichte Armschmerzen am Einstichloch direkt nach der Impfung beim Verlassen des Impfzentrums als Impfnebenwirkung zählen. Und natürlich, dass er den Unterschied zwischen Impfnebenwirkung und Impfschäden nicht kennt. Aber Schwamm drüber. Missverständnisse gibt es auch an prominenterer Stelle: Die FDP etwa kennt den Unterschied zwischen Klimawandel und Lobbyarbeit auch nicht.

Egal, ob Du eine Schule bist, Ralf ist Schuler!

Aber Entwarnung: Schuler ist kein Minister, sondern lediglich Video-Jockey bei den Gloria von Thurn und Taxis Festspielen. Jede Woche mehrfach live aus der "Julian Reichelt Scheidungsurkunden Arena YouTube". Volker Wissing dagegen (Sie erinnern sich vermutlich nicht: das ist aktuell unser Verkehrsminister) hat ‒ hier schließt sich der Kreis ‒ sehr viel mehr Kompetenz als beispielsweise die gesamte Neo-RAF aus Klimaaktivisten und Verbots-Predigern der Grünen zusammen.

Daher nimmt er dem Tempolimit auch vollkommen losgelöst von irgendwelchen dubiosen Studien auf rein wissenschaftlicher Ebene den Wind aus den Segeln. Wissing hat nämlich: Keine Ahnung. Äh, … Nein, sorry, Schreibfehler: Keine Schilder. Ja, keine Schilder. Das war es. Tempolimit daher vom Tisch. Was soll der Verkehrsminister da machen? Er ist ja nicht Schilderminister. Nur diese ewigen Öko-Nervensägen um den Kinderbuchautor Robert Habeck und die Englischlehrerin von Lothar Matthäus (Annalena Baerbock) wollen das einfach nicht begreifen. Danke, Merkel!

Aber zurück zu Wissing. Der hat während seines E-Fuels-Desasters zum Glück eine funktionierende PR-Maschine hinter sich, die wortgewandt, kreativ und humorvoll zur Verteidigung bläst. Bei der FDP gab es offenbar ein internes Partei-Memo, das jedes Mitglied verpflichtete, unmittelbar einen "Volker Wissing ist der beste Minister"-Tweet abzusetzen.

Das ließen sich vor allem die FDP-Generalbevollmächtigten für Satire, Max Mordhorst und Michael Kruse, nicht zweimal sagen. Max Mordhorst ist nach aktuellem Recherchestand übrigens kein Künstlername für eine ursprünglich geplante und dann aus unerfindlichen Gründen kläglich gescheiterte Karriere als Comedy-Star.

Die beiden hochdekorierten Klima- und Verkehrspolitik-Koryphäen waren sich einig: Nur der heldenhafte Einsatz von Klima-Papst Volker Wissing wird Deutschland retten, denn der hat (jetzt folgt ein Zitat, das möchte ich dringend betonen, auch wenn es sich anhört, als hätte es sich Jan Böhmermann ausgedacht, um die Weltfremdheit der FDP sarkastisch zu illustrieren: "Wissing hat mit dem #49EuroTicket schon mehr Klimaschutz realisiert, als #langstreckenluisa mit ihrer gesamten parteipolitischen Polit-Agitation. Echter #Klimaschutz geht halt nur mit der #FDP". Ja, das hat Kabarett-Potenzial, oder?

Und das war noch nicht mal der problematischste Satz der Woche aus dem FDP-Tragödienstadl. Handaufleg-Olympiasieger Wolfgang Kubicki wollte wohl von der unsäglichen E-Fuels-Peinlichkeit ablenken und gab zum besten, Robert Habeck und Wladimir Putin hätten ein ähnliches Verständnis von Freiheit. Das passiert schon mal, wenn man glaubt, man müsse als Spitzenpolitiker seinen politischen Wertekompass an den Chefprotagonisten der „Welt“ ausrichten.

FDP zerlegt sich selbst

Diese Arschbomben-Taktik der FDP sorgt inzwischen auch intern für Wirbel. Hatte man sich nach der Bundestagswahl noch stolz dafür gerühmt, wie viele Erstwähler sich für die FDP entschieden hatten, muss man heute einsehen: Die jungen Liberalen haben sich nicht aus Heldenverehrung für die FDP entschieden. Im Gegenteil. Am Wochenende machten die JuLis, der Jugendverband der FDP, unmissverständlich klar, was sie von Kubicki halten: "Er ist des Amts als stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP nicht würdig."

Nicht ganz so dramatisch, aber ebenfalls gescheitert ist diese Woche der Klima-Volksentscheid in Berlin. Viele Menschen, auch ich, hatten dafür geworben, mit "Ja" zu stimmen, um Berlin endlich mal wieder in irgendwas zum Vorreiter zu machen – und dann auch noch in der zweifelsfrei extrem wichtigen Thematik Klimaschutz. Nun ist es zwar gelungen, eine Mehrheit zu einem "Ja" zu bewegen, nicht aber, eine ausreichende Menge. Bei nur knapp 35 Prozent Wahlbeteiligung stimmten rund 442.000 Menschen für "Ja", knapp 423.000 dagegen. Allerdings wären 607.518 "Ja"-Stimmen für das sogenannte Quorum notwendig gewesen.

Voller Häme bauen sich die von "Welt" und "Bild" (beide aus dem Axel Springer Verlag – Zufall oder Chiffre?) angeführten exliberalen "alles muss so bleiben, wie es ist, denn Veränderung ist Freiheitsentzug"-Journalistendarsteller dieses Scheitern nun zu einem gottgegebenen Triumph gegen den Klimaterror der Grünen und ihrer frechen Fridays For Future Kinder zusammen.

Ignoriert wird dabei, dass es in Berlin mehr "Ja"-Stimmen für den Volksentscheid gab als die CDU kürzlich Stimmen bei der Landtagswahl erhielt – und Berlin nicht etwa mit "Nein" entschieden hätte, sondern der Volksentscheid nur gescheitert ist, weil das Quorum nicht erreicht wurde. Als genau jene CDU vor einigen Wochen (wie beschrieben mit weniger Stimmen als heute für radikale Klimagesetze) stärkste Partei in Berlin wurde, hat genau dieselbe neurechte Medienbubble ihre Leitartikel und Twitter-Feeds tagelang mit der empörten Forderung tapeziert, damit wäre doch wohl eindeutig und zweifelsfrei und ganz klar entschieden, die CDU müsse den neuen Bürgermeister stellen.

Große Verlagshäuser und ehemals große Journalisten haben sich offenbar dazu entschlossen, auf ihrer Abschiedstournee nun doch wirklich alle Masken fallen zu lassen. Rechnet man das "Klimaaktivisten werden von dubiosen US-Milliardären finanziert"-Geraune noch hinzu, scheint auch Antisemitismus in einigen Häusern nicht mehr ganz so kompromisslos geächtet zu werden, wie man es sich in die Philosophie und die Arbeitsverträge schreibt.

Eine Entwicklung, die niemand begrüßen kann, der sich kein Hakenkreuz auf den Nacken hat tätowieren lassen. Aber wie sagte Fußball-Legende Rolf Rüssmann so schön: "Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt." Insofern: Setzen wir uns einfach ans Flussufer und warten, wer als nächster vorbeischwimmt. Bis Montag!

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