Dienstag, 28. Januar 2025

Der Puffer wäre so gut wie weg, würde der LULUCF-Bereich real einberechnet

Frankfurter Rundschau hier   26.01.2025, Von: Jörg Staude

Wenn Bäume als Helfer ausfallen

Deutschland setzt mit seinem Klimaschutzgesetz auf die Wälder, um seine Ziele zu erreichen. Doch die Bundesinventur zeigt: Die grüne Lunge trägt nicht wie erwartet zur CO2-Speicherung bei.

Das Ritual ist seit zehn Jahren gleich: Kaum ist Neujahr vorbei, verkündet der Thinktank Agora Energiewende die CO2-Bilanz Deutschlands fürs verflossene Jahr. 2024 stand eine CO2-Reduktion um drei Prozent zu Buche.

Bild: Symbolbild aus dem Alti, dazu kommt noch die Bedrohung des Waldes durch Kiesgruben

Die Emissionsbilanz weist allerdings seit Jahren eine gewaltige Leerstelle auf. Denn das Konzept „klimaneutrales Deutschland“ baut nicht nur auf – bestenfalls sinkende – Emissionen, sondern auch auf CO2-Senken.

So enthält das geltende Klimagesetz das Ziel, dass im Jahr 2030 Wälder, Moore, Äcker und Grünland zusammen 25 Millionen Tonnen CO2 absorbieren sollen. Dieser ganze Bereich wird im Klimasprech als Landnutzungs-Emissionen bezeichnet, oder kurz als LULUCF – für „Land Use, Land Use-Change and Forestry“.

Auch in der 2024er-Bilanz speist Agora Energiewende den Sektor mit dürren Worten ab. Bei LULUCF sei der Wald die wichtigste Kohlenstoffsenke, schreibt der Thinktank und schränkt ein: Der neuesten, vierten Bundeswaldinventur zufolge ist der Wald seit 2017 zu einer Nettoquelle von Treibhausgasen geworden. Allerdings werde sich der Wald bis 2030 wieder zu einer moderaten Senke entwickeln.

Dass der Wald bald wieder zu einer Senke wird, gibt die im Oktober 2024 veröffentlichte Bundeswaldinventur allerdings nicht her. Das schwante bereits zu der Zeit auch der Bundesumweltministerin. Ihr Ressort werde noch bewerten, welche Folgen die Waldinventur für den Klima-Umbau der Wälder habe, kündigte Steffi Lemke (Grüne) vor gut vier Monaten an. Diese Bewertung liege noch nicht vor, ließ das Ministerium jetzt auf Nachfrage wissen.

Inzwischen hat aber die Wissenschaft schon gerechnet. Eingetreten ist demnach ein dramatisches Umkippen der Klima-Wirkung der hiesigen Wälder.

So heißt es beim Öko-Institut in Darmstadt: Vor der jüngsten Waldinventur war für die Jahre 2018 bis 2022 angenommen worden, dass die Bäume in Deutschland jedes Jahr zwischen 27 und 39 Millionen Tonnen CO2 aus der Luft holen und den Kohlenstoff dann in ihrer Biomasse speichern.

Tatsächlich aber haben die Waldbäume in dem von der Inventur untersuchten Zeitraum, dieser umfasst die Jahre 2017 bis 2022, im Schnitt jährlich mehr als 25 Millionen Tonnen CO2 abgegeben.

Der Switch ist dramatisch: Die Emissionsbilanz des deutschen Waldes kippte innerhalb weniger Jahre von „negativ“ zu „positiv“ in einer Größenordnung von etwa 50 Millionen Tonnen.

Das entspricht ungefähr den jährlichen Emissionen des deutschen Agrarsektors. Die Gründe fürs Umkippen sind vielfältig. In den Zeitraum fielen mehrere Dürrejahre. Auf rund zwei Millionen Hektar wurden Baumbestände geschädigt, starben teilweise vollständig ab. Allein der Fichtenvorrat schrumpfte laut den Angaben um fast ein Fünftel.

Verrotten die Bäume im Wald oder wird das Holz aus dem Wald geholt, verbrannt oder zu Produkten verarbeitet, wird früher oder später der Kohlenstoff als CO2 wieder frei.

Die gehäuften Dürrejahre sind Folgen der Erderwärmung. Offenbar sind in den Prognosen bisher die Augen davor verschlossen worden, wie sehr der Klimawandel die CO2-Leistung der Wälder beeinträchtigt. Die zuvor angenommene große Senkenleistung, ist beim Öko-Institut zu lesen, habe auch auf vereinfachten Waldmodellen beruht, die die Wirkungen des Klimawandels auf den Wald nicht genügend berücksichtigten.

Der große CO2-Exodus aus dem Wald lässt sich nicht so leicht „reparieren“. Junge Bäume auf aufgeforsteten Flächen bauen anfangs nur wenig Holzvorrat auf. Und wer viel CO2 im Wald speichern will, muss das Holz dort lassen.

Wolle sich die Politik dem Klimaziel von 25 Millionen Tonnen Senkenleistung wieder annähern, müsste die künftige Holznutzung um 30 bis 50 Prozent reduziert werden, kommentieren Andreas Bolte und Bernhard Osterburg vom bundeseigenen Thünen-Institut die Lage. Gegen so eine Einschränkung läuft nicht nur die Holz- und Forstwirtschaft Sturm – auch die beiden Thünen-Wissenschaftler lehnen einen klimapolitischen Rückzug aus dem Wald ab. Das würde Initiativen zum klimaneutralen Bauen mit Holz gefährden oder auch den klimagerechten Waldumbau selbst, warnen Waldökologe Bolte und Agrarökonom Osterburg. Denn eine neue Baumgeneration unter den Altbäumen brauche Licht, und das koste Kohlenstoffspeicher.

Stattdessen sprechen sich die beiden Thünen-Experten dafür aus, die „unrealistischen“ und „starren“ Ziele des Klimaschutzgesetzes für den Sektor zu ändern. Ihr Vorschlag: Auch Emissionen aus der Landnutzung sollten mit anderen Sektoren „verrechnet“ werden können – so wie derzeit die zusätzliche CO2-Einsparung der Energiewirtschaft die Mehremissionen von Verkehr und Gebäuden kompensiert.

Für eine „aggregierte Betrachtung“ der Emissionen im Klimagesetz spricht sich auch der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium aus. Warum die Politik ausgerechnet in diesem Bereich mit komplexen Ökosystemen, die in ihrer Klimaleistung sehr stark durch den globalen Wandel beeinflusst würden, nicht in die Gesamtemissionen einbeziehe, sei „schwer nachzuvollziehen“, schreibt der Beirat in einer Stellungnahme.

Mit konkreten Schlüssen hält sich das Bundesumweltministerium zurück. Eine Sprecherin weist auf Nachfrage darauf hin, dass die Ziele im Klimaschutzgesetz „sehr ambitioniert“ seien. Um insbesondere das Ziel für 2030 erreichen zu können, müsse beim Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ „nachgesteuert“ und „ergänzt“ werden, betont die Sprecherin.

Dies bereite das Ministerium derzeit vor, damit eine neue Regierung so schnell wie möglich ein Maßnahmenpaket beschließen könne.

So sehr allerdings die klimapolitische Logik dafür spricht, CO2-Senken gleichberechtigt im Klimaschutzgesetz zu berücksichtigen, so wenig wird sich jede künftige Bundesregierung darauf einlassen. 2024 lagen die CO2-Emissionen Deutschlands noch um 36 Millionen Tonnen unter der vom Klimagesetz gezogenen Obergrenze.

Der Puffer wäre so gut wie weg, würde der LULUCF-Bereich real einberechnet. Deutschland käme plötzlich unter Druck, in Sektoren wie Energie, Verkehr und Gebäude die Emissionen noch stärker oder überhaupt erst zu mindern.

In so eine Zwangslage wird sich keine Bundesregierung begeben. Es ist einfacher, die Klimaziele bei der Landnutzung unverbindlich zu lassen und sich den Klimaeffekt des Waldes wie bei Agora Energiewende weiter schönzurechnen.

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