Dienstag, 14. Januar 2025

Glücklich im Wolkenkuckucksheim mit CDU und AFD und Meloni

 hier  TAZ  10.1.2025   Von Bernward Janzing

Atomkraft? Wie bitte?

Fragen und Antworten zur Kernkraft
Die Union will abgeschaltete Atomkraftwerke einfach wieder anknipsen. Warum sich das leicht sagen, aber kaum umsetzen lässt.

Worum geht es?
Aus der derzeitigen Opposition im Bundestag werden Stimmen laut, die das Abschalten der letzten drei deutschen Atomkraftwerke im April 2023 als „eine ideologisch motivierte Fehlentscheidung“ bezeichnen. So steht es zum Beispiel in der „Neuen Energie-Agenda für Deutschland“, einem Diskussionsentwurf der CDU/CSU-Fraktion. Die Union strebt nun „schnellstmöglich eine fachliche Bestandsaufnahme“ an, um zu ermitteln, „ob angesichts des jeweiligen Rückbau-Stadiums eine Wiederaufnahme des Betriebs der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke unter vertretbarem technischem und finanziellem Aufwand noch möglich ist“. Die Kernkraft soll der Union zufolge helfen, Deutschland zum „klimaneutralen Indus­trieland“ zu machen.

Stehen die abgeschalteten Atomkraftwerke noch?
Isar 2 nahe Landshut in Niederbayern zählt zu den drei im April 2023 stillgelegten Reaktoren. Während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wiederholt erklärte, das Atomkraftwerk wieder in Betrieb nehmen zu wollen, teilt die Betreiberfirma PreussenElektra (PEL) auf Anfrage mit, an dem Standort sei „im ersten Rückbaujahr mehr geschehen als in jeder anderen PEL-Anlage zuvor“.

Am Block 2 in Neckarwestheim wurde laut Betreiber EnBW im Sommer 2024 mit den ersten größeren Rückbaumaßnahmen begonnen. Ziemlich am Anfang des Prozesses steht noch der Reaktor Emsland von RWE. Auch die schon früher abgeschalteten Atomkraftwerke werden demontiert. So ist das PEL-Kraftwerk Grohnde in Niedersachsen seit Januar 2024 im Rückbau. Im RWE-Reaktor Gundremmingen C in Bayern wurde der innere Teil des Kühlturms abgebaut, auch die Generatoren wurden schon demontiert. Im baden-württembergischen Philippsburg sprengte EnBW bereits im Mai 2020 die beiden Kühltürme. Am wenigsten passiert ist bisher im PEL-Kraftwerk Brokdorf, Schleswig-Holstein, wo erst im Dezember der Rückbau begann.

Könnte man einzelne Reaktorblöcke wieder anschalten?
„Rein technisch“, sagt Sven Dokter, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), sei eine Wiederinbetriebnahme zwar möglich, doch sei ein solcher Schritt „je nach Fortschritt des Rückbaus zeitlich und finanziell sehr aufwendig“. Da bei jedem Reaktor der Rückbau der Komponenten einem individuellen Ablaufplan folgt, brächte die Rückabwicklung des Rückbaus je nach Anlage sehr unterschiedliche Herausforderungen.

Ein Problem könnte zum Beispiel darin bestehen, dass neue technische Komponenten an Orten eingebaut werden müssten, an denen – anders als bei einem Neubau – durch den langjährigen Betrieb hohe Strahlung herrscht. Das ginge an manchen Stellen nur mit ferngesteuerten Robotern, was die Kosten erheblich treiben dürfte. Es gibt für ein Kernkraftwerk auch ein definitives Ende: Spätestens, wenn die Zerlegung des Reaktordruckbehälters begonnen hat, ist es unwiderruflich vorbei mit der betreffenden Anlage. Einen neuen Reaktordruckbehälter, der bei Neubauten stets im Rohbau platziert wird, wird man nämlich nicht mehr in eine bestehende Kraftwerksanlage einbauen können.

Was passiert, falls die nächste Regierung den Weiterbetrieb zulässt?
Durch diesen Schritt alleine wohl gar nichts. Es gilt als ausgeschlossen, dass einer der drei Betreiber von sich aus das unternehmerische Risiko eingehen würde, den Rückbauprozess umzukehren. Denn es wäre auch bei einer atomkraftfreundlichen Regierung die Unsicherheit zu groß, dass nach wenigen Jahren das Pendel doch wieder in die andere Richtung ausschlägt. Solche Risiken will kein Unternehmen tragen, das langfristige Investitionen tätigt.

Was sagen die Unternehmen?
Auf die Anfrage, welche Auswirkungen eine angenommene Änderung des Atomgesetzes auf den Rückbau der eigenen Anlagen hätte, teilt PreussenElektra mit, man beschäftige sich nicht „mit derartigen Gedankenspielen“: „Wir fokussieren uns ausschließlich darauf, unsere Kraftwerke gemäß den gesetzlichen Vorgaben schnell und sicher zurückzubauen.“ Auch die beiden anderen Konzerne haben sich in den letzten Wochen öffentlich von solchen Gedanken distanziert.

Der RWE-Vorstandsvorsitzende Markus Krebber wurde im Handelsblatt mit den Worten zitiert: „Wir sind hierzulande über den Punkt hinaus, an dem wir abgeschaltete Atomkraftwerke wieder zurück ans Netz bringen sollten.“ EnBW-Kernkraftchef Jörg Michels sagte vor wenigen Wochen: „Der Rückbaustatus unserer fünf Kernkraftwerke ist praktisch gesehen irreversibel.“ Ein EnBW-Sprecher ergänzte nun auf Anfrage: „Eine hypothetische Änderung des Atomgesetzes hätte keinen Einfluss auf den Rückbau der EnBW-Kernkraftwerke.“

Rechnet sich eine Reaktivierung?
Nein – es sei denn, der Staat würde Kosten übernehmen und auch alle finanziellen Risiken der Betreiber absichern. Das aber ist kaum realistisch, zumal diese Garantien sehr umfassend sein müssten, weil auch von den künftigen Strommärkten finanzielle Risiken für den Betrieb von Atomkraftwerken ausgehen. Es wird immer mehr Stunden geben, in denen wegen der Photovoltaik oder der Windkraft die Strompreise im Großhandel bei null oder darunter liegen. Deshalb dürften flexible Kraftwerke, die kurzfristig je nach Bedarf einspringen können, künftig wirtschaftlich im Vorteil sein gegenüber Grundlastkraftwerken, die auf den Dauerbetrieb ausgelegt sind.

Wie lange würde es dauern, alte Reaktoren wieder herzurichten?
Unklar, aber in jedem Fall viele Jahre. Denn sobald der Rückbau begonnen hat, ist für die betreffende Anlage die Betriebsgenehmigung erloschen und kann nicht wieder in Kraft gesetzt werden. Die Genehmigung müsste also neu beantragt werden, wobei Klagen wahrscheinlich sind. Damit würden aber die Firmen, wie auch die Genehmigungsbehörden juristisches Neuland betreten.

Wahrscheinlich ist, dass dann Grundsatzfragen das Genehmigungsverfahren zu einem extrem langwierigen Prozess machen würden. Schon alleine die Frage, an welchen Stellen des Verfahrens man das aktuelle Regelwerk heranzieht und wo vielleicht noch Regelungen aus der Bauzeit angewandt werden können, dürfte zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Zumal es auch international keinen Fall gibt, bei dem ein bereits im Rückbau befindlicher Reaktor nochmal zurück ans Netz gebracht wurde.

Was ist an den alten Standorten geplant?
Bekannt wurden vor allem zwei Projekte: 

In Brokdorf prüft PreussenElektra gemeinsam mit Eon die Errichtung eines großen Batteriespeichers. Er soll nach aktuellen Plänen in zwei Stufen auf bis zu 800 Megawatt Leistung und mit einer Speicherkapazität von 1.600 Megawattstunden ausgebaut werden. Er wäre damit nach Angaben von PEL der bislang größte Batteriespeicher in der EU. „Unter Berücksichtigung aller Interessen und der bestehenden Infrastruktur vor Ort ist ein Batteriespeicher derzeit die nachhaltigste Weiterentwicklung des Areals“, sagt das Unternehmen.

Unterdessen hat der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW auf dem Gelände des früheren AKW Philipps­burg mit dem Bau einer Station für die Übertragungsleitung Ultranet begonnen.
Sie soll künftig 2.000 Megawatt aus Nordrhein-Westfalen nach Baden-Württemberg bringen. Eine solche Konverterstation für ein Hochspannungsgleichstromübertragungskabel benötigt eine Fläche von 100.000 Quadratmetern. Um für dieses Projekt zügig Platz zu schaffen, hatte EnBW bald nach Abschaltung des zweiten Blocks die Kühltürme gesprengt.



TAZ hier  22.10.2024

Rückkehr zur Atomkraft: Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen

Die Regierung Meloni will wieder in die Atomenergie einsteigen. Die Voraussetzungen sollen bis Ende des Jahres geschaffen sein.

Die italienische Regierung schiebt die Rückkehr zur Atomkraft an und will erstmals seit fast 40 Jahren wieder ein Atomkraftwerk errichten. Bis zum Ende des Jahres solle der erforderliche Gesetzesrahmen vorliegen, kündigte Unternehmensminister Aldolfo Urso am Montag an.

Damit wolle die Regierung sicherstellen, „dass in Italien neue Kernkraftwerke der dritten und vierten Generation errichtet werden können“, so Urso am Rande einer Wirtschaftskonferenz in Mailand. „Wir wollen keine Kernreaktoren aus anderen Ländern importieren. Wir wollen sie in Italien mit italienischer Technologie und Wissenschaft bauen, um sie in andere Länder zu exportieren.“

Nach dem größten Atomunfall in der Geschichte im ukrainischen Tschernobyl hatte Italien im November 1987 in einem Referendum den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Im Juni 2011 – drei Monate nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima - stimmten bei einem weiteren Referendum der damaligen Regierung unter Silvio Berlusconi rund 94 Prozent der Ita­lie­ne­r:in­nen dagegen, zur Atomenergie zurückzukehren.

Inzwischen hat sich das Stimmungsbild offenbar geändert. Vor allem seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist die Energiesicherheit zu einem wichtigen Thema geworden, da Italien sich wie alle anderen westlichen Staaten vom russischen Gas gelöst hat.

Kein italienischer Alleingang
Zugleich hinkt der Ausbau der erneuerbaren Energien den Zielen hinterher. 2023 deckten sie erst 37 Prozent des Bedarfs ab – eigentlich will Italien bis 2030 bei 70 Prozent sein.

Die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vertritt auch deshalb die Meinung, dass Atomenergie klimapolitisch unerlässlich ist, um die Treibhausgasemissionen zu senken. Pläne, wieder neue Atomkraftwerke zu bauen, hatte im vergangenen Jahr bereits Infrastrukturminister Matteo Salvini verkündet.

Auch andere Länder wie die USA, Japan, Großbritannien oder Frankreich haben Pläne zum Ausbau der Atomenergie. Neben den Risiken des Betriebs und der ungelösten Frage der Endlagerung von Atommüll sind aber vor allem die immens hohen Kosten neuer Reaktoren ein Problem.

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