Wirtschaftsfachmann entzaubert trügerische Wahlversprechen vor Bundestagswahl
Im Vorlauf zur Bundestagswahl häufen sich die Versprechen der Parteien. Jede Partei will die Steuern senken. Doch wie ist das zu finanzieren?
In zwei Monaten sind bereits die Neuwahlen. Am 23. Februar treten die Deutschen den Gang zur Wahlurne an. So kurz vor der Bundestagswahl buhlen die Parteien, um die Gunst der Wählerschaft. Parteiprogramme sollen die Bürgerinnen und Bürger über die Agenden der Parteien informieren. Was dabei alle gemeinsam haben: Entlastungen für den Geldbeutel. Was einen Experten besonders schockiert, ist, „dass die Parteien, die Wähler und die Wählerinnen hinters Licht führen wollen“.
Ökonom über FDP-Programm zur Bundestagswahl 2025: Steuerentlastungen „für die Topverdiener“
Im Interview mit der Augsburger Allgemeinen erklärt Ökonom Marcel Fratzscher vom „Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“, wieso viele der Rechnungen der Parteien zu geplanten Steuerentlastungen aus seiner Sicht einfach unrealistisch sind. „Wenn ich mir die FDP angucke - 138 Milliarden Euro Steuererleichterungen zum größten Teil für die Topverdiener“, erklärt Fratzscher.
Denn die Steuersenkungen müssen natürlich irgendwie wieder reingeholt werden, oder im Bundeshaushalt klafft ein Loch. Die FDP will das vor allem durch Einsparen in anderen Bereichen des Bundeshaushalts – denn gegen eine Reform der Schuldenbremse ist die Partei nach wie vor. Die Einhaltung der Schuldenbremse ist sogar „zentrales Gebot“, wie es im Wahlprogramm heißt. Im Programm schlägt Christian Lindners Partei außerdem vor, die Unternehmenssteuer auf unter 25 Prozent zu senken. Der Spitzensteuersatz soll künftig erst ab einem Verdienst von 96.600 Euro greifen.
Unehrliche Forderungen zur Finanzierung der Versprechen vor der Bundestagswahl 2025
Für Fratzscher sind solche Forderungen „nicht ehrlich“. „Wenn man den Leuten sagt: ‚macht Euch keine Sorgen, Steuererhöhungen gibt es nicht. Hier sind riesige Steuererleichterungen für die Spitzenverdiener und Unternehmen. Und übrigens wollen wir auch mehr Geld für Bildung und Infrastruktur ausgeben und dabei die Schuldenbremse einhalten‘, dann ist das nicht ehrlich“, führt Fratzscher aus. Ähnlich sehen die Versprechen auch beim Wahlprogramm der CDU aus. Die werben nämlich auch mit Steuersenkungen – und lehnen ebenfalls eine Reform der Schuldenbremse ab.
Schon vor zwei Wochen urteilte Ökonom Jens Südekum bei der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ ähnlich. Hier stellte Thorsten Frei (CDU) das neue Programm Friedrich Merz‘ vor und versprach ebenfalls Entlastungen. Wie das ganze genau finanziert werden sollte, blieb der CDU-Politiker jedoch schuldig. Ähnlich wie die FDP visiert die CDU einen Spitzensteuersatz ab 80.000 Euro Verdienst an.
Finanzierbar soll das alles durch eine wachsende Wirtschaft werden, „das ist die frohe Hoffnung“, so Südekum. „Man bräuchte Wachstumsraten von 10 Prozent. 10 Prozent Wirtschaftswachstum in einem Jahr, das hat es quasi in der Geschichte der Bundesrepublik“ einmal gegeben, erklärte der Ökonom.
Auch Grüne und SPD sind vor der Bundestagswahl 2025 für Entlastungen
Doch auch Grüne und SPD wollen Entlastungen, vor allem für den Mittelstand und Geringverdiener. In ihren Parteiprogrammen steht auch, wie man vorhat, die Entlastungen zu finanzieren. Zum einen durch eine Reform der Schuldenbremse, also über die Aufnahme von neuen Krediten, zum anderen über Steuererhöhungen für Spitzenverdiener. In einem Interview mit der Bild Zeitung schlug Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck beispielsweise eine Miliardärssteuer vor, die für die Bildung verwendet werden solle.
Bei Union und FDP bleibt vor der Bundestagswahl 2025 „ein großes Fragezeichen“
Das Institut der Deutschen Wirtschaft urteilt in einer Analyse zu den geplanten Steuersenkungen von FPD und Union: „Bei Union und FDP gibt es hier ein großes Fragezeichen: Die FDP setzt auf eine Rückbesinnung auf die Kernaufgaben des Bundes und damit auf Einsparungen. Auch die Union will sparen. Die Schuldenbremse soll bei beiden Parteien bleiben. Von Steuererhöhungen an anderer Stelle ist nicht die Rede.“ Weiter führt das Institut an: „Die Antwort bleibt auch deshalb offen, weil fast die Hälfte der Mindereinnahmen bei Ländern und Kommunen anfallen würden, die nicht ohne weiteres mitziehen dürften.“
Doch auch bei den Grünen und der SDP entstünde ein Loch im Haushalt. Das würde zwar deutlich kleiner als bei der FDP und Union ausfallen, doch Fratzscher merkt an: „Wir brauchen in den nächsten Jahren jedes Jahr zusätzliche Investitionen von 40 Milliarden Euro in Straßen, Schienen, Brücken und Schulen. Das habe nicht ich ausgerechnet, sondern der Bundesverband der Deutschen Industrie.“
Auch der „Deutsche Gewerkschaftsbund“ oder die „IG Metall“ fordern eine Reform der Schuldenbremse, um Zukunftsinvestitionen tätigen zu könne und der deutschen Wirtschaft zu helfen.
Süddeutsche Zeitung hier Kommentar von Roland Preuß 17. Dezember 2024
Es ist eine Illusion, Milliarden bei den Ärmeren holen zu können
Union, FDP und AfD behaupten, ihre teuren Wahlversprechen ließen sich auch durch Einsparungen beim Bürgergeld finanzieren. Ein gefährlicher Irrtum.
Dieser Wahlkampf wird brutal. Und das liegt nicht nur an den rhetorischen Giftpfeilen, die Scholz und Merz, Lindner und Weidel bereits aufeinander abschießen. Es liegt vielmehr daran, wen die Akteure der Mitte und rechts davon als Problem in Deutschland ausgemacht haben, als diejenigen, bei denen es Geld zu holen gibt, viel Geld: die Bezieher von Bürgergeld, diejenigen, die am Existenzminimum leben. Wenn Union, FDP oder AfD erklären sollen, wie sie ihre Forderungen nach niedrigeren Steuern, nach der Abschaffung des Soli für Bestverdiener, höheren Verteidigungsausgaben und schlaglochfreien Straßen finanzieren wollen, zeigen alle drei Parteien als Erstes auf die fast vier Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldbezieher. Hier, behauptete Friedrich Merz vor wenigen Tagen, ließen sich „zweistellige Milliardenbeträge einsparen“.
Da steht er also, der Geldbaum, den alle gesucht haben, angeblich muss man ihn nur fest genug treten, dann wird er schon etwas abwerfen. Der Kanzlerkandidat der Union nährt die Illusion, dass sich mit schärferen Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose, mit strengeren Regeln für ihr Vermögen, mit einem Zurück Richtung Hartz-IV-System ein Jobwunder schaffen lässt. Daran hat sich bereits die Ampelregierung verhoben, ihre Haushaltspläne sahen Einsparungen beim Bürgergeld von 5,5 Milliarden Euro vor. Schon das hätte einen unerhörten Einstellungsboom bei Bürgergeldempfängern vorausgesetzt. Merz will nun sogar mindestens zehn Milliarden rausholen, bei den Ärmsten des Landes. Stichhaltige Belege, wie das zu schaffen sein soll, bleibt er schuldig.
CDU, CSU und AfD haben es mit ihren seit Jahren andauernden Attacken geschafft, das Bürgergeld in Verruf zu bringen. Und das, obwohl die Union das Bürgergeldgesetz in Verhandlungen durchaus verbessert und dann selbst zugestimmt hatte. Schon richtig, das Modell hat Mängel. Das Bürgergeld muss die Menschen wieder mehr fordern, Schwarzarbeit und anderer Missbrauch müssen effektiver bekämpft werden. Doch der Kern ist richtig: mehr auf die Förderung und Ausbildung von Langzeitarbeitslosen zu setzen. Vor 15 Jahren hatte etwa die Hälfte der Bezieher im alten Hartz-IV-System keine abgeschlossene Berufsausbildung, inzwischen sind es fast zwei Drittel. Es bringt nichts, diese Menschen von einem Helferjob zum nächsten zu scheuchen. Man muss schon etwas in ihre Betreuung und Ausbildung investieren, damit sie dauerhaft in Arbeit bleiben. Das kostet Geld, viel Geld. Das Bürgergeld eignet sich nicht für die schnelle Milliarden-Ernte.
Jetzt beziehen mehr als 700 000 geflüchtete Ukrainer Bürgergeld
Ohne den Krieg in der Ukraine liefe es nicht nur in vielen Unternehmen besser, auch die Bilanz des Bürgergelds wäre eine andere. Unter der Ampelregierung ist die Zahl der Hilfebezieher gestiegen, so lautet der Dauervorwurf. Auf den ersten Blick ist das richtig. Es ist nur so: Vor gut fünf Jahren, unter Kanzlerin Angela Merkel und dem alten Hartz-IV-System, das noch die komplette Streichung der Hilfe erlaubte, waren es nur 150 000 Hilfebezieher weniger als heute. Inzwischen sind allerdings mehr als 700 000 geflüchtete Ukrainer ins Bürgergeld hinzugekommen. Ohne sie würde das Bürgergeld wohl als Erfolgsgeschichte gefeiert.
An wichtige Fragen trauen sich weder Union noch SPD heran: an die Rente zum Beispiel
Solche entscheidenden Details aber spielen im Wahlkampf keine Rolle. Es ist viel einfacher, auf die Millionen Bürgergeldbezieher zu zeigen, eine Gruppe, die sich schwer als Lobby organisieren lässt und die als mögliche Wähler weitgehend wegfallen, weil fast die Hälfte ausländische Staatsbürger sind. An die entscheidenden Fragen des Sozialstaats dagegen trauen sich weder Union noch SPD heran: Wie gestaltet man das Rentensystem so, dass die Kosten der Alterung Deutschlands fair geteilt werden zwischen Jung und Alt sowie reichen und ärmeren Senioren? Wie will man die stark wachsenden Beiträge für Gesundheit und Pflege eindämmen, wo müssen sich die Wählerinnen und Wähler womöglich auf Einschnitte einstellen? In den Programmen von Union und SPD dominiert hier das Weiter-so, man will allenfalls an Schräubchen ran, keinesfalls aber an die Altersgrenze für die Rente. Angeblich lässt sich die Sanierung des deutschen Sozialstaats schaffen, ohne dass jemand dafür nennenswert Arbeit leisten muss.
Schon gar nicht will man das Thema Beamtenpensionen ansprechen, die „Ruhegehälter“ der Staatsdiener fallen meist deutlich höher aus als Renten nach 40 oder mehr Jahren Vollzeitjob. Die Pensionen stellen einen stattlichen Haushaltsposten beim Bund und vor allem bei den Ländern dar – und es gibt durchaus gute Modelle, junge Staatsdiener schrittweise ins Rentensystem einzugliedern. Hierzu findet sich – mit Ausnahme eines Satzes bei den Grünen – kein Wort in den Wahlprogrammen. Der Aufschrei wäre sicher groß. Da liegt es doch viel näher, man bastelt an der großen Illusion vom Geldbaum Bürgergeld, den man nur heftig genug schütteln muss.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen