Deutschlandfunk hier anhören Barenberg, Jasper | 07. Januar 2025
Kemfert (DIW) zur gemischten Bilanz trotz weniger CO2-AusstoßKlimaziel-Bilanz 2024
Kemfert (DIW): „Emissionsbilanz resultiert nicht aus Klimaschutz“
Deutschland hat durch weniger Treibhausgas-Ausstoß sein eigenes Klimaziel für 2024 erreicht. Für Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert ist das ein zwiespältiger Erfolg. Denn er betreffe nur den Energiesektor, die anderen hinkten weit hinterher.
FRankfurter Rundschau hier 07.01.2025 Von: Joachim Wille
Voran beim Klima
Deutschland liegt mit der Klimabilanz unter den Industrieländern vorne. Dennoch muss das Tempo verdoppelt werden.
Positive Nachricht gefällig? Es geht voran mit dem Klimaschutz. Im Jahr 1990, beim Start der Anstrengungen zur Minderung der Treibhausgasemissionen, pustete Deutschland aus Kraftwerken, Schonsteinen und Auspuffen die gewaltige Menge von 1251 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre. Im vorigen Jahr, 2024, waren es nur noch 656 Millionen, also etwas mehr als die Hälfte, wie die Bilanz des Thinktanks Agora Energiewende zeigt.
Man muss sich klarmachen: Zuletzt lagen die deutschen Emissionen in den 1950er Jahren auf diesem Niveau, bei einem deutlich geringeren Wohlstandsniveau, bei einem verglichen mit heute minimalen Autoverkehr, bei viel kleinerer Pro-Kopf-Wohnfläche und bei einem weit niedrigeren Konsumniveau.
Es ist richtig, diesen Erfolg beim Klimaschutz zu würdigen. Deutschland liegt mit der Bilanz unter den großen Industrieländern weit vorne. Ein nicht unerheblicher Teil der CO2-Einsparung ist zwar dem Ab- und Umbau der ineffizienten, schmutzigen DDR-Industrie geschuldet, die nach der Wende nicht mehr konkurrenzfähig war.
Doch insgesamt wäre dieser Erfolg bei den Emissionen nicht ohne eine aktive und erfolgreiche Energiewendepolitik möglich gewesen, vor allem nicht ohne den Aufbau der erneuerbaren Energien, das Auslaufen der Kohlekraftwerke und zahlreiche Maßnahmen in anderen Bereichen. Bereits heute führt das dazu, dass weniger fossile Energien importiert werden müssen und das Geld in Investitionen im eignen Land fließt.
Also alles im grünen Bereich? Leider noch nicht. Trotz der Erfolge gilt: Die Herausforderungen, die Deutschland bis zu der für 2045 angepeilten Klimaneutralität zu bewältigen hat, sind sogar noch größer als die zurückliegenden. Denn während die Bundesrepublik für die erste Hälfte der CO2-Minderung rund dreieinhalb Jahrzehnte gebraucht hat, bleiben für den Rest nur noch zwei. Das heißt, das Tempo des Umbaus muss praktisch verdoppelt werden.
Die aktuelle Agora-Bilanz zeigt erneut, dass die Energiewende zwar im Strombereich gut läuft, die anderen zentralen Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr aber hinterherhinken. Das kann nicht so bleiben. Zwar wird Strom künftig eine immer größere Rolle auch in den anderen Bereichen spielen – Stichworte: Elektrifizierung in der Industrieproduktion, Wärmepumpe, E-Motor in Autos –, doch müssen dafür schnell auch die richtigen Strukturen geschaffen werden.
Es braucht mehr gezielte Anreize, um diese Transformation zu schaffen. Das geht von einem subventionierten Industriestrompreis für kritische Branchen über geringere Netzentgelte für Wärmepumpennutzer bis zu einer intelligenten Förderung von E-Autos, die auch Gebrauchte einschließt.
Die Herausforderungen für die nächste Bundesregierung im Bereich Klimaschutz sind also sehr groß. Die neue Koalition, wohl unter Führung von CDU und CSU, muss für die Nachzüglersektoren jene „Fortschrittskoalition“ werden, die die Ampel nur postuliert hat.
Hoffnung macht hier, dass sowohl die Union als auch SPD und Grüne, die als Juniorpartner infrage kommen, jenseits sonstiger Differenzen etwa bei Atomkraftnutzung, Verbrennerverbot und Klimageld am Datum 2045 für die Klimaneutralität festhalten wollen, anders als die FDP, die nun 2050 anpeilt, und anders als die AfD, die ohnehin im fossilen Zeitalter bleiben will. Sie folgen damit dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Klimaschutzanstrengungen nicht auf künftige Generationen verschoben werden dürfen.
Die neue Regierung hat hier einen großen Job, aber auch große Chancen, da eine CO2-neutrale Wirtschaft Wertschöpfung im Inland und Jobs schafft. Es bleiben nur fünf Legislaturperioden, um die Treibhausgase auf netto null herunterzufahren. Die Weichen dafür müssen jetzt gestellt werden.
TAZ hier 7.1.2025 Von Jonas Waack
Erfolgreich
erschummelt
Deutschland hat 2024 mehr CO₂ eingespart, als es sich vorgenommen hat. Diesen Erfolg hat sich die Bundesregierung aber selbst hergebastelt.
Deutschland hat sein selbst gestecktes Klimaziel für 2024 erreicht: Im vergangenen Jahr wurden 18 Millionen Tonnen CO₂ weniger ausgestoßen als im Vorjahr. Das ist ein Rückgang von drei Prozent und der dritte Rückgang in Folge, wenn auch mit niedrigerem Tempo als in den Vorjahren. Das meldet die Denkfabrik Agora Energiewende. Verglichen mit 1990 halbierte sich der CO₂-Ausstoß.
Dass Deutschland sein Klimaziel erfüllt hat, kann die Bundesregierung nur behaupten, weil sie die verpflichtenden Jahresziele für einzelne Sektoren in ihrem neuen Klimaschutzgesetz vergangenen Sommer abgeschafft hat. Denn während der Stromsektor für 80 Prozent des Rückgangs der Emissionen verantwortlich ist, wurden in den Sektoren Verkehr und Gebäude sowie in der Industrie keine Fortschritte gemacht. Unter dem alten Klimaschutzgesetz hätten die zuständigen Ministerien jetzt Sofortprogramme zur CO₂-Reduktion vorlegen müssen. Das neue Gesetz sieht das nicht mehr vor.
Die CO₂-Einsparungen im Stromsektor lassen sich Agora Energiewende zufolge vor allem darauf zurückführen, dass 2024 Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 6,1 Gigawatt stillgelegt wurden, etwa ein Sechstel der Kohlestromkapazität. Ausgeglichen wurde das durch eine Rekorderzeugung der Erneuerbaren, die 55 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs lieferten, sowie durch gestiegene Stromimporte. Auch diese bestanden zur Hälfte aus Ökostrom, ein Viertel war zudem CO₂-armer Atomstrom.
Agora-Chef Simon Müller lobt die Politik: Im Stromsektor zeigten die Klimaschutzmaßnahmen der vergangenen Jahre immer stärker ihre Wirkung. „Deutschland bereitet mit einem deutlichen Plus bei den erneuerbaren Energien und der positiven Entwicklung beim Netzausbau den Weg für eine erfolgreiche Transformation in allen Sektoren.“ Dabei profitiere die Bundesrepublik zunehmend von günstigeren Börsenstrompreisen.
Viele Rekorde im Stromsektor
Der Ausbau der erneuerbaren Energien läuft Agora Energiewende zufolge gut. Der Ausbaurekord für Solarkraftwerke von 2023 wurde im vergangenen Jahr erneut übertroffen. Zwar seien zu wenig neue Windräder aufgestellt worden, dafür wurden 2024 aber neue Onshore-Windkraftanlagen mit einer Leistung von 13 Gigawatt genehmigt. Das ist ein neuer Rekord und dreimal so viel wie noch vor zwei Jahren.
Laut Simon Müller trübt sich das positive Bild vor allem in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie: „Ein zentraler Grund für den Mangel an strukturellem Klimaschutz in diesen Sektoren ist die Verunsicherung bei Haushalten und Unternehmen. Diese führte zu einer allgemeinen Investitionszurückhaltung – trotz 2024 insgesamt rückläufiger Stromkosten.“
Zum Beispiel wurde dem Agora-Bericht zufolge 2024 nur noch halb so viel in Wärmepumpen investiert wie im Jahr zuvor, auch die Investitionen in die energetische Sanierung von Häusern sei auf einem historischen Tiefstand. Im Verkehrssektor gingen die Emissionen nur leicht zurück, vor allem wegen weniger Lkw-Verkehr aufgrund der schlechten Wirtschaftslage. Der Pkw-Verkehr nahm sogar noch leicht zu.
Während die Bundesregierung die jährlichen Ziele für Gebäude und Verkehr abgeschafft hat, gibt es sie auf EU-Ebene noch. Agora Energiewende zufolge verfehlt Deutschland diese Ziele um 12 Millionen Tonnen CO₂.
Die Klimaziele zu verfehlen wird teuer
Bleibt Deutschland bis 2030 auf dem aktuellen Kurs, müsste der Bund einer Studie des Umweltverbands Transport & Environment zufolge rund 16 Milliarden Euro bezahlen. Denn wenn ein Land nicht genug Treibhausgas einspart, muss es Zertifikate von anderen EU-Staaten zukaufen.
Agora Energiewende fordert deshalb viel höhere Investitionen in Sanierungen und klimaneutrales Heizen wie Wärmepumpen und erneuerbar erzeugte Fernwärme. Im Verkehrssektor sollten Autos mit hohem CO₂-Verbrauch stärker besteuert werden. Zudem fehle der Bundesregierung eine Strategie, wie der ÖPNV ausgebaut, finanziert und preiswert gemacht werden kann.
Auffällig ist, dass die von Agora Energiewende berechneten CO₂-Emissionen für 2024 wie schon öfter niedriger sind als vorausgesagt. Das Umweltbundesamt hatte im März vergangenen Jahres 21 Millionen Tonnen CO₂ mehr angenommen als nun tatsächlich ausgestoßen wurden.
Grund dafür ist laut Energiewirtschaftsexperten Manfred Fischedick vor allem die schlechte Wirtschaftslage. In Deutschland „sind deutlich weniger energie- und CO₂-intensive Grundstoffe wie Stahl, Zement und chemische Grundstoffe produziert worden“. Darüber hinaus sei wegen der milden Winter weniger geheizt worden.
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