Montag, 20. Januar 2025

Verkehrs-Rückwende in Berlin: "Wir müssen Klimapolitik auch sozialverträglich halten" - und damit meint er dann günstige Parktickets für Autos

Frankfurter Rundschau hier 13.01.2025, Von: Felix Lill

Autoparadies Berlin

Was wird aus der Umweltpolitik, wenn die CDU regiert? In Berlin deutet sich an: Probleme werden verschleppt, mit oft populistischen Argumenten.


Bild: DPA  hier

Wüsste man es nicht besser, könnte man Dirk Stettner (CDU) für einen Oppositionspolitiker halten. „Es gibt grüne Narrative, die falsch sind!“, fährt er in seinem Büro im Berliner Abgeordnetenhaus aus der Haut, sobald er auf die Verkehrspolitik in der Hauptstadt angesprochen wird. Es sei nicht wahr, dass Stettners Partei das Klima nicht wichtig sei. „Und es wird behauptet, alles werde gekürzt.“ Die CDU aber wolle Berlin „so schnell wie möglich“ klimaneutral machen. Nur, sagt der Fraktionsvorsitzende: „Das kostet Geld!“

Theoretisch hat Berlin große Pläne. Bis 2045 soll Deutschlands größter Stadtstaat klimaneutral werden, also netto nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als eingespart werden. In der Praxis aber sehen zahlreiche Expert:innen das Ziel in Gefahr, spätestens seit die CDU-geführte Regierung für ihren 40-Milliarden-Haushalt 2025 knapp ein Zehntel einsparen musste – und vor allem die Klimapolitik gestutzt hat. Wobei Stettner betont: „Als eine der großen Metropolen in der EU haben wir natürlich große Verantwortung.“

Tatsächlich ist die Bedeutung von Ballungsräumen für den Kampf gegen die Erderwärmung enorm. In der Europäischen Union machen Städte nur vier Prozent der Landfläche aus, bilden aber den Wohnsitz von 75 Prozent der Menschen. Weltweit verursachen Städte rund 70 Prozent der CO2-Ausstöße und 65 Prozent der verbrauchten Energie. Den größten Anteil an Verschmutzung haben Gebäude, der Verkehrssektor und die Industrie – allesamt Schadstoffverursacher, die eher in Städten zu finden sind.

Sofern der Green Deal der EU und dessen Ziel der Klimaneutralität bis 2050 – das die CDU auf Europaebene mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geprägt hat – eingehalten werden soll, wird man um ambitionierte Klimapolitik in Städten nicht umhinkommen. Aber Berlin – mit 3,8 Millionen Menschen gar die größte Stadt in der EU – gilt bisher kaum als Vorbild. 2023 warb die CDU mit dem Spruch: „Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten.“ Ist Deutschlands Hauptstadt eine Autostadt, keine Klimastadt?

Die Etatkürzungen erklärt der CDU-Fraktionsvorsitzende Stettner, dessen Partei auch den Berliner Bürgermeister stellt, mit Sachzwängen. „Unsere Vorgänger hatten viel Fantasie“, sagt der 55-Jährige mit ernster Miene. Eine knappe Finanzlage erzwinge Einschnitte: Nun muss das 29-Euro-Ticket dran glauben, diverse zuvor anberaumte Radschnellwege werden nicht in die Planung aufgenommen und auch der Ausbau des ÖPNV-Netzwerks wird weiter stocken. „Wir haben ein schweres Erbe übernommen.“

Das Erbe, von dem Stettner spricht, liegt kaum zwei Jahre zurück. Bis 2023 regierte in Berlin noch eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken. Nach mehreren Blamagen – zuletzt einer in Berlin chaotisch fehlorganisierten Bundestagswahl 2021 – wurde die CDU 2023 stärkste Kraft. Die SPD diente sich ihr als Juniorpartnerin an, seither regiert eine große Koalition. Und jener Bereich, in dem besonders viel Veränderungen spürbar sind, ist das zuvor von den Grünen verantwortete Verkehrsressort.

„Wir müssen Klimapolitik auch sozialverträglich halten“, beteuert Dirk Stettners Parteikollege Danny Freymark, der in der Berliner CDU-Fraktion für Umweltpolitik zuständig ist. Für ihn heißt das nicht etwa eine günstigere Bereitstellung von ÖPNV-Tickets oder von den Grünen zuvor geplante Investitionen in Radschnellwege, deren Nutzung für Verkehrsteilnehmer:innen letztlich gratis wäre. „Über allem schwebt: Die öffentlichen Kassen sind leer“, so Freymark.

Klimapolitik hat dieser Tage einen schweren Stand, nicht nur wegen der schleppenden volkswirtschaftlichen Lage, durch die weniger Geld in die Staatskassen gespült wird. Seit das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2023 urteilte, dass die von der Bundesregierung vorgesehene Umwidmung des Corona-Sondervermögens für Klimapolitik gesetzeswidrig war, mangelt es überall an Mitteln. Denn vom Sondervermögen sollten auch die Länder profitieren – können dies nun aber weniger als erhofft.

Wenn Danny Freymark von sozialer Verträglichkeit der Klimapolitik spricht, meint er günstige Parktickets für Autos. 10,20 Euro kostet ein Anwohnerticket in Berlin derzeit pro Jahr – tatsächlich ein Preis, den sich wohl jede Person leisten kann, die zumindest genügend Geld besitzt, um Auto zu fahren. Teurere Parktickets oder gar eine Innenstadt-Maut lehnt die CDU ab. „Wir wollen die Menschen nicht mit Preissetzungen in eine bestimmte Richtung drängen“, sagt Stettner. „So etwas machen wir nicht.“

Dabei sind die Parkticketpreise so niedrig, dass sie nicht einmal die Verwaltungskosten decken. Während die Regierung anderswo argumentiert, es fehle Geld, verzichtet Berlin hier also auf Einnahmen in Millionenhöhe. Zur Kostendeckung wäre eine Erhöhung auf mehr als 30 Euro nötig, was Berlin wiederum 4,2 Millionen Euro einspielen würde. Damit ließen sich auch Straßenbahnlinien verlängern oder Radwege bauen. Stattdessen wirbt die CDU auf Plakaten mit dem Spruch: „Parkplätze statt Ideologie“.

Beobachtet Felix Creutzig die Entwicklungen der Berliner Verkehrs- und Klimapolitik, schüttelt er frustriert den Kopf. „Verkehrsthemen sind in den letzten Jahren stark politisiert worden. Und der Berliner Bürgermeister hält dabei an einer Autofahrerklientel fest.“ Felix Creutzig ist Experte für Transportpolitik am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin und verfolgt Nachhaltigkeitsthemen im Transportsektor seit Jahren. Für Berlin wirkt er mit Blick auf die Klimaziele kaum optimistisch.

„Der Verkehrsteil des Senats macht diverse Entscheide des grünen Vorgängers rückgängig“, so Creutzig. „Ob es um Radschnellwege, kleinere Radwege oder E-Scooter-Stationen geht: Geld wird abgezogen, dann in neue Ampelschaltungen gesteckt.“ Das offensichtliche Bemühen der CDU, sich als Antithese zu einer vermeintlich grünen Öffentlichkeit zu präsentieren, verursacht dabei Kosten. „Wir unterinvestieren in vielen Bereichen. Mit Krediten könnten wir aber viel bewegen. Das würde sich auch rechnen“, sagt Creutzig.

Die Initiative

In Europa haben sich 112 Städte im Rahmen der EU-Initiative „100 klimaneutrale und intelligente Städte bis 2030“ vorgenommen, bis Ende der Dekade klimaneutral zu werden. Mit ihren Konzepten sollen sie dann als Beispiel für alle anderen Städte auf dem Kontinent dienen, es ihnen bis 2050 gleichzutun – das Jahr also, für das die gesamte Europäische Union Klimaneutralität anstrebt.

Berlin will bis 2045 klimaneutral werden. Städte haben eine besondere Bedeutung im Kampf gegen den Klimawandel, weil sie die größte Menge an Schadstoffen ausstoßen. Die EU will die Initiative vor allem durch Wissensaustausch zwischen den teilnehmenden Städten fördern.

Die Art, wie die CDU in Berlin Politik macht, kann damit auch als Aussicht darauf dienen, was Deutschland bald auf Bundesebene erwarten dürfte. Denn nach dem Scheitern der Ampelkoalition wird eine von der CDU geführte Koalition mit der SPD mittlerweile als wahrscheinlichstes Szenario erwartet. Falls Berlin tatsächlich als Vorbote für den Bund dient, bedeutet dies in der Verkehrspolitik etwa einen als ideologiefreie Politik verkaufter Populismus, der das Autofahren über den öffentlichen Nahverkehr stellt?

Jedenfalls schwimmt Deutschlands Hauptstadt im internationalen Vergleich vor allem verkehrspolitisch gegen den Strom. Paris hat in der Innenstadt den Durchgangsverkehr für Autos verboten, um mehr Platz für andere Verkehrsteilnehmer zu schaffen. In London, wo schon lange eine Innenstadt-Maut gilt, sind höhere Parkpreise für SUV geplant. Tokio ermöglicht die Anmeldung neuer PKW schon lange nur noch, sobald die Besitzer:innen einen Parkplatz vorweisen können. So werden vollgeparkte Straßen vermieden.

Ein entscheidender Hintergedanke all dieser Schritte: Gerade Verbrennerautos, die weiterhin die Straßen dominieren, tragen entscheidend zu den Treibhausgasausstößen bei. Für einen Erfolg des Green Deal wird daher EU-weit an neuen Konzepten gearbeitet, wie insbesondere die Städte einen Beitrag zur Verringerung ihrer ökologischen Fußabdrücke beitragen könnten.

Im Rahmen der Initiative „100 klimaneutrale und intelligente Städte bis 2030“ sollen teilnehmende Städte schon bis Ende der Dekade klimaneutral werden und dann als Vorbild dafür dienen, wie sich CO2-Emissionen senken, der Verkehr flüssiger machen und die Luftqualität verbessern lässt. Aus Deutschland machen mit: Aachen, Dortmund, Dresden, Heidelberg, Leipzig, Mannheim, München und Münster. Man experimentiert mit Sharing-Systemen, autofreien Vierteln, Ladeinfrastruktur und mehr.

Nur wird diese Initiative nur dann Erfolg haben, wenn andere Städte – insbesondere so große wie Berlin – nachziehen. Wie viel Grund zur Zuversicht besteht, wenn schon jetzt zu wenig getan wird, obwohl man es eigentlich besser weiß? Linda Vierecke hat auf diese Frage keine schnelle Antwort. „Unsere Gesetze sind eigentlich nicht schlecht“, sagt die SPD-Abgeordnete in ihrem Stadtteilbüro in Prenzlauer Berg. „Wir halten sie nur leider nicht ein.“

Linda Vierecke ist klimapolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Landtag und zählt auf, was alles schon geleistet sein müsste, aber nicht geleistet wird. „Wir müssten viel mehr Ladeinfrastruktur für E-Mobilität einrichten. Wir müssten auch mehr PV-Anlagen an die Dächer der Stadt anbringen.“ Aber bis heute werde nicht einmal bei Neubauten konsequent daran gedacht. „Es fehlt hier an Ernsthaftigkeit. Deswegen verfehlen wir die Klimaziele.“

Und beim Thema Verkehr? Die Frage nach einer Innenstadt-Maut – selbst, wenn nur für Verbrenner – stößt auch bei Sozialdemokrat:innen auf wenig Gegenliebe, weil sie bei der eigenen Wählerschaft wohl unpopulär wäre. „Radschnellwege und Straßenbahnen würden wir allerdings gerne ausbauen.“ Dies scheitere aber am Koalitionspartner. „Alles, was auf Kosten von Parkplätzen und Autospuren geht, ist mit der CDU nicht zu machen.“

Dabei hatte Berlin vor kurzer Zeit die seltene Möglichkeit, sich selbst ein paar Fesseln im Dienst der Nachhaltigkeit anzulegen: Anfang 2023 waren rund 260 000 Unterschriften gesammelt worden mit der Forderung, Berlin müsse bis 2030 klimaneutral werden, womit die Schwelle für einen Volksentscheid erreicht war. Beim Datum sprach sich keine der größeren Parteien – weder die Fraktionen der rot-grün-roten Regierung noch die CDU – für eine Zusammenlegung mit der Berlin-Wahl aus.

Was folgte: Es stimmte zwar eine Mehrheit für den Entscheid. Aber nicht zuletzt durch die terminliche Entkopplung vom Tag der Abgeordnetenhauswahl kamen nicht genügend Personen zur Abstimmung, sodass der Volksentscheid dennoch abgelehnt wurde. „Ich finde, die Initiative hätte es verdient, am Wahltag zur Abstimmung zu stehen,“ sagt Linda Vierecke, die damals noch nicht im Abgeordnetenhaus saß. „Dass es am Quorum scheiterte, war sehr schade.“

Bei der CDU – wo man sich das Auto nicht wegnehmen lassen will – wird das Bedauern nicht geteilt. Wobei auch Dirk Stettner zugibt, dass er nicht glaubt, das Auto werde für ewig das dominante Mobilitätsmittel bleiben. Er denkt schon etwas weiter in die Zukunft: „Ich bin davon überzeugt, dass wir früher oder später mit Flugtaxis arbeiten werden.“ Wie sich das wiederum mit Klimapolitik verträgt und was das Ganze wohl kosten würde, führt Stettner nicht weiter aus.


Dieser Text ist Teil des europäischen grenzüberschreitenden Rechercheprojekts „Take Me Down to a Zero Carbon City“ und wurde durch einen Grant des Journalismfund Europe finanziert. Es wurde kein inhaltlicher Einfluss auf die Recherche ausgeübt.


hier  Detector.fm  17.01.2025  Fahrrad-Podcast Antritt zum Anhören

War’s das mit der Verkehrswende in Berlin, Ragnhild Sørensen?

Die Verkehrswende in Berlin fährt rückwärts, wir sprechen mit Ragnhild Sørensen darüber 

Antritt  - Der Fahrradpodcast bei detektor.fm

Freitags dreht sich bei uns alles rund ums Fahrrad. Im “Antritt” blicken wir auf alle Aspekte des Radfahrens von Sport bis Pendeln: Rennrad, Mountainbike, Technik, Verkehrspolitik, Training, Radsport, Strecken, Mode – alle Facetten spielen eine Rolle. Werkstattmeisterin Christiane spricht über Fahrrad-Reparatur und urbanes Radfahren. Jens Klötzer über Technik, Radsport und Fahrrad-Ausrüstung.

2015 ist in Berlin eine neue Bewegung auf den Plan getreten: Der Volksentscheid Fahrrad hatte es sich zum Ziel gesetzt, ein Radgesetz zu initiieren, dass die Bedingungen für den Rad- und Fußverkehr in Berlin deutlich verbessern und auf den Stand der Zeit bringen sollte. Mehr als 100 000 Unterschriften sind dafür gesammelt worden, das Vorhaben ist 2018 im Berliner Mobilitätsgesetz gemündet. Die Verkehrswende schien damit in Gesetzesform gegossen.

Doch während es unter wechselnden Regierungen an vielen Stellen mit der Umsetzung gehapert hat, steht das Rad der Verkehrswende in Berlin inzwischen still. Besonders viel Aufmerksamkeit hat dabei die Absage an neun von zehn geplanten Radschnellwegen erregt, von den im Gesetz festgeschriebenen Zielen ist Berlin auch darüber hinaus weit entfernt. 600 Millionen Euro sollten bis 2030 in den Radverkehr investiert werden. Daraus wird wohl nichts mehr werden, meint Ragnhild Sørensen, Pressesprecherin des Vereins Changing Cities, der aus dem Volksentscheid Fahrrad hervorgegangen ist. Wir sprechen mit ihr über das Auf und Ab in Sachen Verkehrswende in Berlin, die Ursachen für diese Entwicklungen und ihre Perspektiven auf die Visionslosigkeit der aktuellen Verkehrspolitik.


hier  Artikel von Peter Neumann • 19.1.25

Volksbegehren für eine autofreie Innenstadt in Berlin: „Es ist brutal, wie es auf den Straßen zugeht“

Sie sorgten mit umstrittenen Forderungen für Aufsehen. Dann hörte man lange nichts mehr von ihnen. Aber jetzt sind die Aktivisten, die ein Volksbegehren für eine autofreie Berliner City planen, wieder da.

Wenn alles gut geht, wollen sie im Spätsommer mit der Abstimmung beginnen und Unterschriften für ihr Anliegen sammeln: Die Zahl der privaten Autos in der Innenstadt soll stark sinken. „Jetzt geht es wieder richtig los“, sagen die Sprecherinnen Anna Baatz und Marie Wagner der Berliner Zeitung. „Energie und Motivation sind ganz oben. Wir freuen uns, intensiv weitermachen zu können.“

Die einen halten ihn für unverzichtbar, damit die 3,4-Millionen-Einwohnerstadt-Berlin funktioniert und sie selber gut ans Ziel kommen. Die anderen wollen ihn reduzieren, damit die Straßen sicherer werden und es leiser wird. Über den Autoverkehr wird in Berlin schon seit Jahrzehnten diskutiert. Aber selten wurde ein so tiefgreifender und weit gehender Ansatz in die Diskussion eingeführt wie im Herbst des ersten Coronajahrs.

Das Bündnis Berlin autofrei kündigte 2020 an, dass es mit Plebisziten erreichen will, dass das Zentrum so gut wie autofrei wird. „Unser Name ist Programm“, teilte es mit. „Wir möchten den Autoverkehr innerhalb des S-Bahn-Rings deutlich reduzieren, damit Berlin zu einer lebenswerteren Stadt wird. Wir halten die Forderung nach einer autofreien Innenstadt für längst überfällig. Deshalb nehmen wir die Verkehrspolitik selbst in die Hand: direktdemokratisch mit einem Volksentscheid.“ Im ersten Schritt soll der Autoverkehr im Zentrum um 50, im zweiten Schritt um 80 Prozent abnehmen.

Wie zu erwarten stieß der Entwurf des „Berliner Gesetzes für gemeinwohlorientierte Straßennutzung (GemStrG Bln)“ auf Kritik. Ein so großer Eingriff stand bislang nicht zur Debatte. Nicht einmal die Grünen wollten das Anliegen in dieser Form unterstützen.

Im Grundsatz sieht das geplante Gesetz vor, dass die Autonutzung in der Innenstadt auf allen Straßen, die dem Land unterstehen, stark beschränkt wird. Juristisches Vehikel soll das Straßenrecht sein. Fast alle Straßen würden für den Privat-Autoverkehr entwidmet. Für private Pkw-Fahrten wäre künftig eine Erlaubnis erforderlich. Sie würde für maximal zwölf 24-Stunden-Zeiträume pro Jahr erteilt, später nur noch für sechs. Zwar sind Ausnahmen geplant. Doch die Stoßrichtung ist klar: Weg mit den Autos in der City!

Trotz der weitreichenden Forderung bekam die Initiative Zulauf und Zustimmung.
Im Sommer 2021 konnten die ehrenamtlichen Aktivisten, die Changing Cities, Greenpeace oder den Verkehrsclub Deutschland zu ihren Unterstützern zählen, eine Hürde nehmen.
In der ersten Stufe des Plebiszits, in dem es um den Antrag auf ein Volksbegehren geht, sammelten sie 50.333 Unterschriften. Zum Vergleich: 20.000 gültige Unterschriften von wahlberechtigten Berlinern sind laut Gesetz nötig, um diese Etappe erfolgreich abhaken zu können. In der zweiten Stufe war vorgesehen, dass sich der Senat positionierte.

Doch die von der SPD geführte Senatsverwaltung für Inneres und Sport setzte ein Stoppzeichen. „Die angestrebten Regelungen, den privaten Autoverkehr im gesamten Innenstadtbereich grundsätzlich gesetzlich zu verbieten und nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, sind im Ergebnis unverhältnismäßig und mit der allgemeinen Handlungsfreiheit unvereinbar“, teilte die Behörde mit. Auch die Senatsverwaltung für Mobilität, die damals von der Grünen-Politikerin Bettina Jarasch geleitet wurde, äußerte Bedenken. Sie bezeichnete das geplante Gesetz als unsozial.

Im Mai 2022 legte die Innenverwaltung den Fall dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin vor (Aktenzeichen VerfGH 43/22). Dort waren aber sechs der neun Richterstellen frei, und die Besetzung zog sich in die Länge. Erst im vergangenen Sommer war das Gericht wieder arbeitsfähig. Inzwischen hat es im Autofrei-Verfahren eine mündliche Verhandlung anberaumt – für den 2. April 2025. Damit kann es jetzt weitergehen.

„Natürlich war es nicht leicht, so lange zu warten“, sagte Sprecherin Anna Baatz der Berliner Zeitung. „Aber wir wollten uns nicht dauerhaft ausbremsen lassen von einem Senat, der unser Verfahren verzögert und die Richterstellen im Verfassungsgerichtshof so lange nicht besetzt hat. Deshalb haben wir in dieser Zeit weiter gemacht.“ Die Gruppe habe Aktionen, Diskussionsabende und Podcasts organisiert und sich anderen Initiativen vorgestellt: „Die vergangenen Jahre waren nicht ruhig.“

„Allerdings hat es der Senat uns auch sehr einfach gemacht, aktiv zu bleiben. Der Stillstand in der Berliner Verkehrspolitik ist skandalös, und das regt nicht nur uns auf“, berichtet die 29-Jährige, die aus der Nähe von Köln stammt. Einige Menschen hätten unsere Initiative verlassen. „Aber wir haben auch Zulauf bekommen und neue Mitglieder gewonnen“, so Baatz. „Jetzt gerade wird das Onboarding wieder intensiviert.“

Dass die Motivation all die Jahre geblieben ist, liege auch daran, dass sich im Grunde nichts zum Besseren geändert hat, erklärt Marie Wagner. „Unsere Wahrnehmung, wie viel Platz Autos auch in Berlin im öffentlichen Raum einnehmen, ist in all den Jahren nicht geschwunden“, sagt die 32 Jahre alte gebürtige Berlinerin, die wie ihre Ko-Sprecherin ebenfalls einen Führerschein besitzt (aber ihr Auto nur selten bewegt). „Es wird einfach viel zu viel Platz von Blechkisten blockiert. Bis vor ein paar Jahren habe ich diesen Zustand nicht in Frage gestellt, er war für mich eine Art Normalität. Heute denke ich anders. Für uns ist es nicht normal, wie viel Blech die Straßen in Berlin blockiert.“

Gerade erst habe die Polizeistatistik wieder einmal gezeigt, wie gefährlich die Straßen in Berlin sind - vor allem für diejenigen, die am langsamsten oder am schwächsten, die zu Fuß und mit dem Rad unterwegs sind, ältere Menschen und Kinder. „Im vergangenen Jahr wurden im Berliner Straßenverkehr 55 Menschen getötet, das sind 22 mehr als im Jahr zuvor“, berichtet Marie Wagner. 24 Fußgänger und elf Radfahrer starben 2024. 27 Senioren, elf mehr als im Jahr davor, und ein Kind kamen ums Leben.

„Die erste Unterschriftensammlung 2021 war Wahnsinn“, erinnert sich Anna Baatz. „Ich habe eine große Energie gespürt. Menschen aus ganz Berlin stießen zu uns und unterstützten uns in ihrer Freizeit, auf der Straße Unterschriften zu sammeln. Ich war sehr beeindruckt davon, wie gut das geklappt hat.“ Deshalb sei sie für die zweite Phase sehr optimistisch. Anfang April geht es los.

Wir sind sehr zuversichtlich, dass uns der Verfassungsgerichtshof grünes Licht gibt“, erklärt die Sprecherin. „Dann geht unser Thema ins Abgeordnetenhaus, das uns anhören muss.“ Wenn das Parlament den Gesetzentwurf wie zu erwarten nicht übernimmt, geht es weiter. „Nach einer bestimmten Frist können wir damit beginnen, Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln. Wir rechnen damit, dass es im Spätsommer 2025 losgeht. Wir brauchen rund 175.000 gültige Unterschriften von wahlberechtigten Berlinerinnen und Berlinern, damit das Volksbegehren ein Erfolg wird.“

.....Nun richten sich die Erwartungen auf den 2. April, wenn der Verfassungsgerichtshof ab 10.30 Uhr im Gebäudes des Kammergerichts in der Schöneberger Elßholzstraße über die die Zulässigkeit des Antrags auf Einleitung des Volksbegehrens verhandelt. „Theoretisch kann es passieren, dass wir vor Gericht scheitern. Aber praktisch rechnen wir derzeit nicht damit“, so Anna Baatz.

Der Senat habe bei dem renommierten Verwaltungs- und Umweltrechtler Remo Klinger ein Gutachten in Auftrag gegeben, das der Initiative grundsätzlich Recht gibt. Baatz: „Klinger hat attestiert, dass er in unserem Gesetzentwurf im Prinzip keine Verstöße gegen Landes-, Bundes- und EU-Recht sieht. Wir sind zuversichtlich, dass der Verfassungsgerichtshof in unserem Sinne entscheidet.

Dem Bündnis gehe es nicht um einzelne Straßen. „Wir wollen die Verkehrswende, in ganz Berlin. Diejenigen, die aufs Auto angewiesen sind, sollen mit dem Auto mobil sein“, erklärt die Sprecherin. Hat die Initiative Erfolg, werden sie nicht mehr in Staus stehen und ihre Zeit nicht mehr mit der Suche nach Parkplätzen verschwenden. „Alle anderen sind innerhalb des S-Bahn-Rings, wo der öffentliche Verkehr gut ausgebaut ist, mit Bus und Bahn unterwegs. Oder sie fahren Rad oder gehen zu Fuß.“

„Wir finden unsere Idee gerecht“, sagt Anna Baatz. „Berlin sollte es nicht so machen wie Städte mit einer City-Maut oder Staugebühr wie London und New York, wo nur noch Reiche mit dem Auto mobil sein dürfen. Ich bin von unserem Gesetzentwurf und der großen Idee, die dahinter steht, überzeugt.“

So viel steht fest: Eine Autostadt ist Berlin nicht, wenn man sich die Daten anschaut. Im weltweiten Vergleich ist die deutsche Hauptstadt ziemlich schwach motorisiert. So wurde die Zahl der Kraftfahrzeuge pro tausend Einwohner 2022 auf 407 beziffert. In Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sei die Quote sogar nur rund halb so hoch. Das könnte die Erfolgschancen des Volksbegehrens Berlin autofrei beeinflussen.

Die jüngste umfassende Verkehrserhebung „Mobilität in Städten“, 1972 als „System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV)“ begründet, fand 2023 statt. Die Auswertung liegt noch nicht vor. Doch die Zahlen der 2018er-Befragung bestätigen die Feststellung, dass die Bedeutung des Autos in Berlin geringer ist als viele denken. Was die Zahl der zurückgelegten Kilometer anbelangt, steht es mit 41 Prozent nach dem öffentlichen Verkehr (42 Prozent) auf Platz 2. In ganz Berlin haben rund 43 Prozent der Haushalt keinen Pkw und kein motorisiertes Zweirad. In Mitte sind es sogar 62 Prozent. Dort wurden nur zwölf Prozent der Wege als Autofahrer oder Mitfahrer zurückgelegt.

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