Sonntag, 19. Januar 2025

Atomkraft ohne massive Subventionen gibt es nicht

Spiegel hier  Eine Kolumne von Christian Stöcker  19.01.2025,

Die »Renaissance der Atomkraft« bleibt ein Wunschtraum

Union und FDP setzen auf Atomkraft – geknüpft an unerfüllbare Bedingungen. Und auch die Internationale Energieagentur träumt von einer »neuen Ära der Atomenergie«. Doch mit der Realität hat das nichts zu tun.

Joe Kaeser, Aufsichtsratschef von Siemens Energy, bei Sandra Maischberger: »Es gibt kein einziges Atomkraftwerk auf dieser Welt, das sich ökonomisch rechnet.« Dabei liefert Siemens Energy selbst Bauteile für Atomkraftwerke, aber Kaeser ist eben ein ehrlicher Mann.

Tatsächlich wird Atomkraft überall »massiv von Regierungen subventioniert«. So steht es in der »Financial Times« , nicht in einer Greenpeace-Broschüre.

Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.

Die Versorger sind sich einig: Das wird nichts

Der Chef des deutschen Energieversorgers RWE, Markus Krebber, sagte der »Rheinischen Post«: »Ein Neubau dauert bis zu zehn Jahre oder mehr, Atomkraft hilft nicht bei den aktuellen Engpässen. Aktuelle Kernkraftprojekte in anderen Ländern zeigen, sie sind oft doppelt so teuer wie geplant und kosten zweistellige Milliardenbeträge.« Selbst »doppelt so teuer« ist manchmal noch geschmeichelt, aber dazu gleich.

Auch die letzten drei Atomkraftwerke, die zu Beginn der Ampelregierung abgeschaltet wurden, wieder anzufahren, hält Krebber für aussichtslos und zu teuer. Selbst der Chef der AKW-Betreiberfirma Preussen Elektra, Guido Knott, sagte im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Atomausstieg, Kraftwerke wieder anzufahren »macht keinen Sinn« . Preussen-Elektra gehört zu E.on.

Der Chef der Atomsparte des dritten großen Energieversorgers, EnBW, sieht das genauso : »Der Rückbaustatus unserer fünf Kernkraftwerke ist praktisch gesehen irreversibel«, so Jörg Michels. Und: »Wir glauben nicht, dass der Neubau von Kernkraftwerken in Deutschland eine Lösung der Fragen zu heutigen Problemstellungen der Energieversorgung wäre.«

Atomkraft ohne massive Subventionen gibt es nicht

Solche Einigkeit unter denen, die an neuen Atomkraftwerken theoretisch Geld verdienen würden, ist bemerkenswert. Sie reflektiert die ökonomische Realität: Atomkraft ist teuer und ohne Subventionen unmöglich. Die extrem teuren Endlager sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Außerdem passen Atomkraftwerke nicht zu erneuerbaren Energien, weil sie nur langsam hoch- und heruntergefahren werden können, also träge sind. Besser gleichen flexible Speicher und Wasserstoffkraftwerke Flauten und Dunkelheit aus.

Trotz alledem hält sich die Vorstellung von einer »Renaissance der Atomkraft« weiterhin hartnäckig. Wenn man sich den deutschen Wahlkampf ansieht, mit entlarvenden Einschränkungen. In einem Papier von CDU und CSU aus dem vergangenen Jahr stand, man wolle prüfen, ob die »Wiederaufnahme des Betriebs der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke unter vertretbarem technischem und finanziellem Aufwand noch möglich ist«. Die Antwort kennen wir bereits. Sie lautet:»Nein.«

Markus Söder fordert in Bayern trotzdem den Stopp des Rückbaus des AKW Isar 2, den nicht einmal der Betreiber für sinnvoll hält. Und im Wahlprogramm der Union steht trotz allem  wieder etwas von der »Option Kernenergie«.

Die FDP setzt weiterhin auf Feenstaub

Die FDP hält es mit Harry Potter: Man kann sich ja mal ein Wunder wünschen! Aus dem FDP-Wahlprogramm: »Wir Freien Demokraten wollen die Nutzung klimafreundlicher Zukunftstechnologien wie Kernfusion und sicherer Kraftwerke ohne Subventionen ermöglichen.« Da könnte auch stehen »wir wollen die Nutzung von Feenstaub ermöglichen«, denn Fusionskraftwerke gibt es nicht – und Kernkraft »ohne Subventionen« auch nicht.

Selbst Christian Lindner wies noch vor Kurzem wieder und wieder darauf hin, dass Atomkraftwerke »am Markt nicht versicherbar« sind. Wenn aber der Steuerzahler das Risiko für Störfälle trägt, ist das eine gewaltige Subvention. Überhaupt: Die »Union of Concerned Scientists« hielt in einer Studie  schon 2011 fest, dass die gewaltigen Subventionen »die beträchtlichen Kosten und Risiken der Atomkraft verschleiern«. Daran hat sich nichts geändert.

Überall Konjunktive und unerfüllbare Bedingungen

Die Begeisterung von Union und FDP für Atomkraft ist wohl deswegen mit so vielen Konjunktiven und unerfüllbaren Bedingungen verknüpft, damit sie nach der Wahl vermeintlich geräuschlos abgeräumt werden kann. Eigentlich täuschen diese Parteien die Wähler – ähnlich wie die märchenhaften Steuersenkungsversprechen von Union  und FDP 

Merz, Söder und Lindner wissen, dass nach der Wahl in Deutschland weder Atomkraftwerke reaktiviert noch neue gebaut werden. Aber weil sie keine energiepolitischen Vorschläge haben, die sich von denen der Grünen unterscheiden, erzählen sie bis zum 23. Februar eben Märchen. Das wird bei all jenen, die diese Märchen glauben, zwangsläufig für Enttäuschung und noch mehr Politikverdrossenheit sorgen.

Et tu, IEA?

Von AKW-Fans wurde diese Woche ein aktueller Bericht  der Internationalen Energieagentur (IEA)begeistert zitiert. Die IEA gilt in Energiefragen eigentlich als politisch neutral. Sie interessiert sich primär dafür, dass künftig CO₂-neutrale Energieversorgung ausreichend vorhanden ist. Deshalb feiert auch die IEA erneuerbare Energien, die derzeit den weit überwiegenden Teil aller neuen Stromversorgung ausmachen: 80 Prozent des globalen Zubaus im Jahr 2022 und 86 Prozent im Jahr 2023 .

Doch in dem neuen IEA-Bericht  stehen überraschende Sätze: »Die Markt-, Technologie- und Regulierungsfundamente für eine neue Wachstumsära für Atomenergie in den kommenden Jahrzehnten«, will die Organisation ausgemacht haben. In »über 40 Ländern« gebe es »Unterstützung für eine Ausweitung der Nutzung von Atomenergie«. Unterstützung vielleicht, Geld aber meist nicht.

Auch bei der IEA träumt man dennoch von einer »neuen Ära der Atomkraft «. Warum? Weil aus Sicht der Agentur einfach alles besser ist als noch mehr fossile Brennstoffe.

Ein einzelnes Pilotprojekt in China

Große Hoffnungen setzt IEA-Chef Fatih Birol auf einen neuen Reaktortyp namens Small Modular Reactor (SMR). Tatsächlich machen SMRs jedoch vor allem durch eingestellte Projekte Schlagzeilen. Ein Unternehmen, das solche Reaktoren bauen wollen, kassierte 2023 seine Pläne  für die USA und will stattdessen auf Wind, Sonne und Batterien setzen. Ein Zweites ging bankrott . Das erstere, NuScale, hatte zuvor viele Millionen Dollar an Subventionen vom US-Energieministerium verbrannt, ebenso wie andere SMR-Unternehmen. Auch das bankrotte Start-up mit dem originellen Namen Ultra Safe Nuclear Corporation (USNC) hatte zuvor Subventionen und andere Vergünstigungen  eingesammelt.

In China ist ein einzelnes SMR-Pilotprojekt  im Bau. In den USA hat das Start-up Kairos vergangenen Juli mit der Baugrube angefangen  – für einen Demonstrationsreaktor.

Auch die IEA übt sich bei diesem Thema in »Wunschdenken«. Die »ersten kommerziellen SMR-Projekte« würden vermutlich »um 2030 herum den Betrieb aufnehmen«, heißt es in dem Bericht. Bis dahin wird das CO₂-Budget , das mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel ist, vollständig aufgebraucht sein.

Und selbst 2030 ist angesichts der derzeitigen Lage doch reichlich optimistisch. Die IEA weist auch darauf hin, dass Kernkraft derzeit weniger als zehn Prozent der globalen Stromerzeugung ausmacht.

Winzige Tropfen auf sehr heiße Steine

Erneuerbare Energien einschließlich Wasserkraft machten bereits 2023 30 Prozent der Stromerzeugung aus, die IEA rechnet mit einem Wachstum bis auf einen Anteil von 46 Prozent im Jahr 2030 – fast vollständig aus den Bereichen Wind- und Solarenergie. Allerdings hat die IEA das Wachstum gerade in diesen Bereichen in den vergangenen zwanzig Jahren verlässlich unterschätzt. Sie setzt immer wieder lineare Trends an, wo tatsächlich exponentielles Wachstum  besteht. Und das trifft längst auch auf Speichertechnologie zu.

Woher kommt also der Glaube der IEA an die Atomkraft? Wenn man sich den Bericht genau ansieht, ruhen die Hoffnungen fast ausschließlich auf China. Dort sind der IEA zufolge Kernkraftwerke mit einer geplanten Gesamtleistung von etwa 33 Gigawatt im Bau, auch dort hoch subventioniert . Auf Platz zwei landet Indien mit noch knapp sechs geplanten Gigawatt. Das entspricht etwa der Leistung der letzten drei in Deutschland abgeschalteten AKW – in einem Land mit über 1,4 Milliarden Einwohnern und einem prognostizierten Gesamtbedarf von 227 Gigawatt  Leistung in den kommenden zwei Jahren.

Ökonomisch desaströs

Die einzigen europäischen Projekte auf der Liste sind Hinkley Point C in Großbritannien (ca. 3,4 Gigawatt) und der neue Reaktor 3 im französischen Flamanville in Frankreich (ca. 1,7 Gigawatt). Es werden keineswegs »überall um uns herum« Atomkraftwerke gebaut, wie immer wieder gern behauptet.

Die real existierenden Projekte sind ökonomisch desaströs: Hinkley Point wird mit mindestens sechs Jahren Verspätung fertiggestellt werden und hat – derzeit! – ein Preisschild in Höhe von umgerechnet 54 Milliarden Euro. Der Strom aus dem Kraftwerk wird unvergleichlich teuer sein .

Für den Preis dieses einen Reaktors könnte man mehr als 80 große, wasserstofffähige Gaskraftwerke bauen, die man, anders als ein Atomkraftwerk, wirklich nur bei Bedarf schnell hoch- und anschließend wieder herunterfahren kann. Deutschland braucht derzeit etwa 30 davon .

Frankreichs Rechnungshof ruft »Stopp!«

Zum Thema Flamanville hat sich gerade erst der französische Rechnungshof geäußert. Die Kosten für den dritten Reaktor dort haben sich seit dem Projektstart im Jahr 2006 versiebenfacht, das Projekt ist zwölf Jahre im Verzug, sogar die Kostenschätzung von 2020 wurde noch einmal um vier Milliarden Euro überzogen. Was, um den ehemaligen »Capital«-Chefredakteur Dirk Specht zu zitieren »mehr ist, als ursprünglich das komplette Projekt kosten sollte«.

Der französische Rechnungshof erwartet für den Reaktor  eine »mediokre Rentabilität«, wenn er – falls das klappt – im Laufe dieses Jahres tatsächlich in den Regelbetrieb geht. Specht hat einen langen und lesenswerten Text  über den Rechnungshofbericht geschrieben – er fällt für die in Deutschland so oft gepriesene französische Atomkraft vernichtend aus.

Frankreichs Rechnungshof will – anders als Frankreichs Staatskonzern EDF – keine weiteren Investitionen in Kernkraftwerke sehen. Außerdem fordert er endlich ordentliche Studien zu den tatsächlichen Kosten und will in internationale Projekte nur noch dann investieren, wenn Verzögerungen ausgeschlossen und konkrete Gewinne garantiert werden können. Der Grund dürfte einmal mehr das Milliardengrab Hinkley Point C sein, denn das baut EDF, der Staatskonzern, der, wenig überraschend, hoch verschuldet ist . Auch in Frankreich bezahlen für die Atomkraft letztlich also die Steuerzahler, und zwar kräftig. Das wird bei innereuropäischen Preisvergleichen gern ignoriert.

Wunschtraum der Atomlobby

Eine »Renaissance der Atomkraft« gibt es in Wahrheit nur in einem Land der Welt: China. Das ist gut, denn jedes chinesische Kohlekraftwerk, das aufgrund alternativer Formen der Stromerzeugung abgeschaltet werden kann, ist ein Gewinn für die Menschheit. Auch China steckt allerdings nur einen winzigen Bruchteil des Geldes  in Atomkraftwerke, das dort in erneuerbare Energien investiert wird. Auch in Speichertechnologie fließt in China mehr Geld als in Kernkraft.

Global betrachtet bleibt die »Renaissance der Atomkraft« das, was sie auch in deutschen Wahlprogrammen ist: ein Wunschtraum.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen