Dienstag, 21. Januar 2025

Bayern: Mit dem Tempo der heutigen Maßnahmen im Freistaat erreichen wir die Klimaneutralität in 230 Jahren.

Zeit  hier   20. Januar 2025, Quelle: dpa Bayern

Energiepolitik: Viel Protest: Bayerns gekipptes Klimaziel

Mehr als 10.000 Menschen haben in den vergangenen Tagen mit einer Unterschriftensammlung gegen die von der Staatsregierung geplante Verschiebung von Bayerns Klimaneutralität auf das Jahr 2045 protestiert. 

Die Grünen hatten den Petitionsaufruf kurzerhand nach Bekanntwerden der Absprache von CSU und Freien Wählern initiiert. Sie verlangen ein Festhalten an dem bisher im Klimagesetz verankerten Ziel, den Freistaat bis 2040 klimaneutral zu machen. Bayerns Klimapolitik wird so unfreiwillig Teil des Bundestagswahlkampfes.

Söders Argumente: Atomausstieg, Weltlage, Wirtschaftsprobleme
Erst vor wenigen Tagen hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärt, dass Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) eine Gesetzesvorlage erarbeiten solle, welche das neue Jahresziel beinhalte. Er begründete den zunächst geheim gehaltenen Plan mit dem deutschen Ausstieg aus der Atomenergie, der veränderten Weltlage und den Herausforderungen für die Wirtschaft. Söder reagierte mit seiner jüngsten Einlassung auf eine öffentliche Diskussion, welche entbrannt war, nachdem Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) die bisher interne Absprache ausgeplaudert hatte.

Umweltminister sagt im Dezember im Landtag Ziel 2040 «steht»
Zur Erinnerung: Noch am 12. Dezember, also nachdem das Kabinett bereits seine Absprache hinter verschlossenen Türen getroffen hatte, sagte Glauber im Landtag noch nichts über 2045. Stattdessen betonte er: «Bayerns Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, steht. Dafür arbeitet diese Staatsregierung, dafür arbeitet der Bayerische Landtag, dafür arbeiten wir als Abgeordnete.» Von CSU und Freien Wählern erhielt er dafür laut Protokoll der Sitzung Beifall. Schon alleine dieses Verhalten wirft Fragen auf, da er offenkundig im Parlament zumindest nicht vollständig Rede und Antwort gestanden hat.

Atomkraft spielt in Energieplan für Klimaneutralität keine Rolle
Doch nicht nur der Stil der Aktion ist fragwürdig und intransparent: Bei genauer Betrachtung der bayerischen Energieplanungen für die Klimaneutralität wirkt die Argumentation zur Kernkraft auch inhaltlich nicht plausibel. So schreibt das Umweltministerium in einer Anfrage des Grünen-Abgeordneten Martin Stümpfig, dass weder im «Energieplan Bayern 2040» noch in der landeseigenen «Energiesystemanalyse – Bayern klimaneutral» die nun laut Söder unverzichtbare Atomenergie bis dato eine Rolle gespielt hat. Auch seien der Regierung keine anderen wissenschaftlichen Analysen bekannt, aus denen hervorgeht, dass die Klimaneutralität bis 2040 nur mit Atomkraft machbar sei.

Ein weiterer Faktor, der gegen eine schnelle Klimaneutralität des Freistaats mit Kernenergie spricht, ist die nicht absehbare Dauer, bis sie überhaupt zur Verfügung stünde. Derzeit gilt die - auch mit den Stimmen der CSU beschlossene - Gesetzesgrundlage zum deutschen Atomausstieg. Demnach ist die Nutzung der Kernenergie zur Erzeugung von Elektrizität ausgeschlossen. 

Nutzungsperspektiven für Isar 2 nicht absehbar
Das 2023 abgeschaltete Atomkraftwerk Isar 2 könnte laut einer «groben Abschätzung» des Umweltministeriums frühestens drei bis vier Jahre nach der Änderung des Atomgesetzes wieder in Betrieb genommen werden. Ein Neubau würde - ungeachtet hoher Milliardenkosten - zweifelsohne noch viel länger dauern, weshalb vermeintlich klimaschonende Kernenergie aus Bayern auch für ihre Befürworter nicht absehbar ist.

An dieser Faktenlage hat sich seit der Erstellung des Energieplans nichts geändert - weshalb Söders Verweise auf den Atomausstieg hier nicht nachvollziehbar sind, wie Stümpfig findet: Die Behauptung, nur mit Kernkraft könne 2040 erreicht werden, «ist komplett haltlos». «Im Jahr 2022, als das Atomkraftwerk Isar 2 noch ganzjährig in Betrieb war, hat es theoretisch gerade einmal 4,9 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Die Gesamtemissionen in Bayern betragen über 85 Millionen Tonnen.» 

Stümpfig: «Es wurde gelogen»
Stümpfigs Kritik geht noch weiter: «Klimaschutz ist Söder tatsächlich egal. Das ist fatal angesichts der enorm zunehmenden Schäden in Bayern.» Allein das Sommerhochwasser 2024 habe mindestens Schäden in Höhe von zwei Milliarden Euro verursacht. «Das Unterlaufen eines gültigen Gesetzes ist unglaublich. Und ich bleibe dabei: Es wurde gelogen.»

© dpa-infocom, dpa:250120-930-349346/1



Focus hier

Bayern macht heimlichen Klima-Rückzieher, doch dann verplappert sich Aiwanger

Vom eigenen Koalitionspartner entlarvt: CSU verschweigt Klima-Rückzieher

Der Freistaat Bayern hatte einst das ambitionierte Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein – und damit früher als alle anderen Bundesländer. Doch dieses Vorhaben ist inzwischen offenbar vom Tisch. Wirtschaftsminister Aiwanger ließ diese Nachricht nun beiläufig durchsickern, was umgehend eine Welle der Empörung auslöste.

Ohne große öffentliche Aufmerksamkeit hat sich die bayerische Staatsregierung von ihrem ursprünglichen Klimaziel verabschiedet. Schon Mitte November fiel intern die Entscheidung, dass Bayern nicht wie geplant bis 2040 klimaneutral sein wird. Stattdessen wurde das Ziel auf das Jahr 2045 verschoben. Dem Bayerischen Rundfunk liegt der genaue Wortlaut des internen Beschlusses vor.

Bekannt wurde die Verschiebung des bayerischen Klimaziels , weil Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger auf einer Winterklausur der Freien-Wähler aus dem Nähkästchen plauderte. Am Rande der Winterklausur der Freien Wähler hatte er gesagt, das bayerische Klimaschutzziel sei kassiert.

Söder fordert neue Kernenergie-Projekte
Kurz nach der November-Klausur hatte Markus Söder öffentlich noch erklärt, dass er das Klimaziel skeptisch sehe: „Wenn es nicht eine grundlegende Wende in der Energiepolitik in Deutschland gibt, insbesondere bei der Kernenergie, dann sind die Klimaziele weder in Deutschland noch in Bayern zu erreichen.“ Dass er das bayerische Ziel bereits aufgegeben hat, erklärt er nicht.

Opposition verärgert, Staatskanzlei schweigt zu internen Beschlüssen
Bei der Opposition von SPD und Grünen sorgt das nun für Ärger. Martin Strümpfig, klimaschutzpolitischer Sprecher der Grünen, kritisiert vor allem das Vorgehen der bayerischen Staatsregierung: „Heute erfahren wir, dass es offenbar schon am 11. November ein Geheimpapier gegeben hat, wo davon die Rede war, dass man sich wahrscheinlich von den Klimazielen 2040 verabschiedet. Was ist das für ein Vorgehen? Wie geht man da mit der Wahrheit um?“ Die Staatskanzlei hält sich bislang bedeckt: Zu möglichen internen Beschlüssen äußere man sich grundsätzlich nicht.

Aiwanger warnt: „Besser kein Zeitfenster setzen“.
Dass die Verschiebung auf 2045 überhaupt öffentlich wurde, ist dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zu verdanken. Heute geht er noch einen Schritt weiter: „Ich warne nur davor, neue Zeitfenster zu setzen, die einseitig die Industrie unter Druck setzen (...) und die wir in ein paar Jahren wieder einkassieren müssen.“.

Die Staatsregierung allein kann das Klimaziel allerdings nicht ändern, dazu müsste das Gesetz im Parlament geändert werden.



Süddeutsche Zeitung hier  
Von Thomas Balbierer

„Wie ein Traum vom Hausbau ohne Bauplan“

Seit bekannt ist, dass Bayerns Staatsregierung ihr Klimaziel 2040 abräumen will, herrscht Verwirrung in der Klimapolitik. Nun geht ein Wissenschaftler hart mit Söder und Aiwanger ins Gericht.

2040, 2045 oder vielleicht erst irgendwann? Die bayerische Klimapolitik ist in Unordnung geraten, seit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) vergangene Woche verraten hat, dass die Staatsregierung ihr Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2040 längst „kassiert“ habe. Einem internen Beschluss aus dem November zufolge will die Koalition aus CSU und Freien Wählern ihr Ziel perspektivisch um fünf Jahre nach hinten verschieben, auf 2045. Ob und wann eine Gesetzänderung kommen soll, ist offen.

Im Dezember hatte Umweltminister Thorsten Glauber, ein Parteikollege Aiwangers, noch behauptet, dass der Freistaat „natürlich“ am Klimaziel 2040 festhalte. Zu diesem Zeitpunkt war man sich hinter den Kulissen bereits einig über die Verschiebung auf 2045. Doch selbst dieser Plan wackelt inzwischen. Freie-Wähler-Chef Aiwanger will nun gar kein festes Datum mehr ins Gesetz schreiben. „Wir brauchen eine realistische Wirtschafts- und Klimapolitik und müssen wegkommen von fixen Jahreszahlen, die wir am Ende doch nicht einhalten können“, sagte er am Wochenende der Mediengruppe Bayern. Die Zukunft der bayerischen Klimapolitik ist unklar.

Das aktuell gültige Klimaschutzgesetz sieht vor, die klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen in Bayern bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Bis „spätestens“ 2040 soll der Freistaat kein zusätzliches CO₂ mehr in die Atmosphäre blasen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte das Klimagesetz im Jahr 2021 vorangetrieben. „Wir sind es unseren Kindern schuldig, dass wir uns nicht aus Angst vor Lobbygruppen, vor Leugnern oder vor Ewiggestrigen vor der Verantwortung drücken“, sagte er damals.

Zur aktuellen Klima-Debatte hat sich Söder bislang nicht geäußert. Am Montag verwies sein Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann (CSU) lediglich auf Aussagen, die Söder im November 2024 am Rande von Haushaltsverhandlungen getätigt hat. Damals sagte der Ministerpräsident, dass Bayerns Klimaziel nur mit Atomkraft einzuhalten sei. „Wenn nicht, dann müssen wir sie auf 2045 für Bayern setzen, wie im Bund und wie in Europa.“ Von einem konkreten Beschluss oder einer Gesetzänderung war keine Rede.

Kritiker werfen Söder vor, dass die Atomkraft nur ein Vorwand sei, das ehrgeizige Klimaziel abzuräumen. Der Atomausstieg wurde 2011 beschlossen, Söders Klimagesetz trat 2023 in Kraft. Staatskanzlei-Chef Herrmann entgegnete, dass sich die energiepolitische Lage mit dem russischen Angriff auf die Ukraine grundlegend verändert habe, etwa durch den Stopp russischer Gaslieferungen. Darauf müsse man reagieren. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sagte im Radiosender Bayern 1: „Man muss in diesen Zeiten alles mit in Erwägung ziehen, und dazu gehört auch die Atomkraft.“

„Dass es an dem Atom-Aus läge, ist eine Lüge“
Aus der Wissenschaft kommt dazu deutlicher Widerspruch. „Dass es an dem Atom-Aus läge, ist eine Lüge“, teilt Energie-Experte Michael Sterner auf SZ-Anfrage mit. Sterner ist Professor an der Hochschule Regensburg und hat sich intensiv mit der bayerischen Klimapolitik beschäftigt. „Wenn das AKW Isar 2 unter Volldampf weitergelaufen wäre, hätte es gerade mal fünf Prozent der bayerischen Emissionen vermieden“, so Sterner. Die bayerische Staatsregierung habe „nicht ansatzweise“ genug unternommen, um das Klimaziel zu erreichen. „Wie ein Traum vom Hausbau ohne Bauplan“, kritisiert der Forscher.

Er hat im vergangenen Jahr für eine Greenpeace-Studie ausgerechnet, mit welchen Maßnahmen Bayern tatsächlich Emissionen einsparen könnte. Zum Beispiel mit einem flächendeckenden Austausch alter Ölheizungen, einer Solarpflicht für Wohnhäuser und Parkplätze oder einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. „Wir haben anteilig die meisten Ölheizungen und die meisten Emissionen im Verkehr“, teilt Sterner mit. Er sieht auch in der bayerischen Landwirtschaft Einsparpotenziale. Beim Ausbau der Wind- und Solarenergie sei zudem noch viel Luft nach oben. „Wenn Bayern hier weiter versagt, muss der Rest der Republik den Freistaat mitziehen“, prognostiziert der Wissenschaftler.

Das anvisierte Klimaziel 2045 ist laut Sterner für Bayern unerreichbar. „Mit dem Tempo der heutigen Maßnahmen im Freistaat erreichen wir die Klimaneutralität in 230 Jahren.“ Die bayerische Klimapolitik brauche einen Masterplan, fordert der Experte. „Naturgesetze sind nicht verhandelbar.“

Sollte die Staatsregierung ihr Klimaschutzgesetz nicht ohnehin abräumen, müsste sie bald aktiv werden. Söders Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass die Staatsregierung in diesem Jahr „zusätzliche steuernde Maßnahmen“ einleiten muss, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Welche Maßnahmen das konkret sind, beantwortet das Umweltministerium auf SZ-Anfrage nicht. Es teilt nur mit, dass die Frage „im Laufe des Jahres 2025 auf Basis aktueller Daten und Einschätzungen“ analysiert werde.

Aus der Opposition und von Umweltverbänden kommt seit Tagen scharfe Kritik. „Die Staatsregierung hat dem bayerischen Klimaziel 2040 vor Wochen den Todesstoß versetzt, aber die Menschen in Bayern und das Parlament darüber im Dunkeln gelassen – das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der unverzüglich aufgeklärt gehört“, teilte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze mit. Man werde das Thema kommende Woche auf die Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses setzen. „Der Beschluss zur Abkehr vom Klimaziel muss öffentlich werden“, forderte Schulze.

Zudem haben die Grünen eine Petition gestartet, in der sie Unterschriften für ein Festhalten am Klimaziel 2040 sammeln. Der Titel „Rettet Bayerns Klimaziel“ weckt Erinnerungen an das erfolgreiche Volksbegehren „Rettet die Bienen“ von 2019. Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf hoffen die Grünen offenbar, Profit aus dem Klima-Streit zu schlagen. Bislang dreht sich der Wahlkampf vor allem um die Themen Wirtschaft, Migration und Sicherheit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen