Donnerstag, 23. Januar 2025

Das Perfide ist, dass eine massenhafte Mobilisierung von Maschinen und Automaten dahintersteckt

Süddeutsche Zeitung hier  Kommentar von Johan Schloemann  21. Januar 2025,

Im Kampf gegen Niedertracht hilft vor allem: Anstand

Trump und Co. haben aus Meinungsfreiheit einen Kampfbegriff gemacht, um die Gesellschaft zu strangulieren. Dagegen kommt man mit staatlicher Regulierung nicht an. Aber es gäbe noch eine andere Möglichkeit.

Klar kann und darf man sagen, dass Millionen von Einwanderern das Land verlassen sollten oder dass nur die Linken an den Waldbränden schuld seien. Es klingt auch zunächst richtig, was Meta-Chef Mark Zuckerberg neuerdings anführt, um noch mehr schleusenfreie Kommunikation auf seinen Netzwerken zu rechtfertigen: Was die durch demokratische Wahl legitimierte Gefolgschaft von Donald Trump an ideologischen und aggressiven Gedanken im amerikanischen Kongress von sich geben kann, das müsse man fortan auch auf Facebook oder Instagram sagen dürfen. Im Einklang damit verkündet Trump nun mit seinem Amtsantritt, er werde die Meinungsfreiheit „wiederherstellen“.

Die Plattformen stellen Diffamierung auf Dauersendung

Nach den Maßstäben einer traditionellen politischen Öffentlichkeit ist das Problem aber nicht so sehr, dass derartige Dinge geäußert werden; man kann ihnen widersprechen.

Nein, das Perfide ist, dass eine massenhafte Mobilisierung von Maschinen und Automaten dahintersteckt; dass Algorithmen die Verrohung anfeuern und auch noch mit Werbegeld belohnen; dass Tech-Konzerne bösartige alternative Öffentlichkeiten fördern oder sogar erst schaffen. Und dass damit gefährliche Konditionierungen einhergehen, in die die ganze Menschheit hineingezogen wird, etwa wenn stundenlanges Durchwischen von Videos die Gehirne zermürbt.

Man kann so Radikalismus und Diffamierung auf Dauersendung stellen: endlose Inhalte von der Art „lawful, but awful“ – erlaubt, aber furchtbar. Rechtspopulisten und Libertäre feiern das, indem sie „Meinungsfreiheit“ als Kampfbegriff missbrauchen– obwohl sie selbst alles dafür tun, den pluralistischen Raum der „Mainstream-Medien“ und der Bildungseinrichtungen zu strangulieren, und obwohl ihre angeblichen Wahrheitsplattformen ihrerseits hochgradig intransparent sind und willkürlich agieren. Der Gipfel ihrer „free speech“-Unverfrorenheit ist dann noch, dass solche Disruption als Verteidigung konservativer Werte wie Nation oder Familie verkauft wird. Man muss dieser Tage wieder an das Bekenntnis denken, das einer der ausgestiegenen Gründer der AfD vor einigen Jahren aussprach: Wir haben ein Monster geschaffen.

Es ist so viel Unsinn in der Welt, man kann nicht alles löschen

Es ist dieser düstere technologisch-politische Pakt, der die liberale Mitte glauben macht, wehrloser denn je zu sein. Und dass sie schon in der Minderheit sei – was aber zumindest in Deutschland nicht stimmt. Die Sorge grassiert: Alles, was an Recht, Vernunft, Wissen, Toleranz und demokratischer Ordnung mühsam aufgebaut wurde über lange Zeit, werde nun zusammengetreten. Das Gefühl macht kleinlaut, verzagt, es versetzt viele in Starre. Da ist es nur zu verständlich, dass man die Regulierung der opportunistischen digitalen Giganten verteidigen möchte, gerade auch in Europa. In der Tat ist nicht jede Kontrolle des Internets „Zensur“, und staatliche Maßnahmen gegen Desinformation etwa durch Russland oder gegen Diskriminierung bleiben angebracht.

Aber es ist nicht ratsam, sich nur auf solche Instrumente zu verlassen. Man muss vielmehr aus dieser entrüsteten und defensiven Haltung herauskommen, andernfalls sind die kommenden Jahre nicht auszuhalten, weder mental noch politisch. Denn selbst unter vollem Einsatz der Faktenchecker-Truppen ist ja immer noch recht viel Unsinn in der Welt. Das kann man nicht alles löschen. Dem kann man sich nur entgegensetzen in ebenjenem anstrengenden, wirklich schützenswerten Raum der Meinungsfreiheit in offenen Gesellschaften, den man, so gut es denn geht, mit Zivilität, Kritik und Beherrschtheit füttern muss.

Wer das für naiv hält ...

Das heißt: argumentieren, sich kundig machen. Nicht predigen, nicht mit jedem Sprechakt gleich „unsere Demokratie verteidigen“. Bei den Tatsachen bleiben, an die Kraft der Aufklärung im Kleinen glauben. Die politischen und ökonomischen Motive hinter den Parolen freilegen. Wachsam gegenüber Extremisten bleiben, aber nicht überall nur teuflische Verführung sehen, sondern um Pläne und Konzepte streiten. Nicht alle Probleme zur selben großen Krise erklären. Und den Mist zwischendurch ausschalten, um sich ihm gestärkt wieder stellen zu können. Niemandem ist der regelmäßige Rückzug ins Private zu verdenken, wenn jetzt wieder vier Jahre mit Trump im Weißen Haus (und mit Alice Weidel im Bundestag) bevorstehen. Pausen braucht jeder, aber sie dürfen nicht zur dauerhaften Lähmung der liberalen Mitte führen, die die Provokateure genau so beabsichtigen.

Man kann einwenden, dass das furchtbar naiv klingt. Auch angesichts der ungeheuerlichen Wucht der Anfeindungen und Drohungen, die viele im Netz und auf der Straße erleiden. Aber was bleibt denn sonst übrig? Es kann nicht darum gehen, den Kopf in den Sand zu stecken oder alles hinzunehmen. Die besten Filter aber sind wir Menschen selbst, der Anstand, den wir leben. Wenn Dummheit und Niedertracht drohen Land zu gewinnen, dann ist das erste und vielleicht auch das letzte Mittel, das man gemeinsam dagegen hat: anders sein.

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