Zeit hier ZEIT ONLINE Eine Kolumne von Marcel Fratzscher
Fratzschers Verteilungsfragen /Die Wirtschaftskolumne von ZEIT ONLINE
Wieso die politische Rechte gewinnt
Weltweit erstarkt die extreme Rechte, die radikale Linke wird aber marginalisiert. Der Grund ist ihre Radikalität, faschistische Methoden und extrem reiche Unterstützer.
Ein politischer Rechtsruck und die Aushöhlung der liberalen Demokratie sind fast überall in der westlichen Welt Realität geworden – ob in den USA mit dem Sieg Donald Trumps oder dem Vormarsch rechtsextremer Kräfte in vielen europäischen Ländern. Die Antwort darauf sollte nicht in einer linken Gegenbewegung liegen, sondern in der Stärkung der politischen Mitte, des Liberalismus und unserer freiheitlichen Grundordnung.
Die politische Rechte erstarkt; das hat sich bei der Europawahl, den Landtagswahlen in Ostdeutschland und der US-Wahl in diesem Jahr gezeigt. Vielen Rechten wie der AfD geht es um die Wahrung von Privilegien einer kleinen Minderheit – in westlichen Demokratien häufig von weißen Männern mit traditionellen Werten. Sie kämpfen primär gegen die zunehmende Vielfalt in einer offenen Gesellschaft. Die beiden Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt und Steven Levitsky beschreiben diesen Versuch des Machterhalts in den USA als "Tyrannei der Minderheit". Und auch in Deutschland gibt es zunehmend eine solche Tyrannei einer kleinen Gruppe.
Die politische Linke strebt dagegen eine stärkere Umverteilung von Reich zu Arm an. Sie führt keinen kulturellen, sondern einen sozioökonomischen Verteilungskampf, der auf einen stärkeren Sozialstaat abzielt. Sie betont die Befriedigung von Grundbedürfnissen als Grundlage von Gerechtigkeit, dabei geht es vielen primär um die Gleichheit gesellschaftlicher Gruppen. Die politische Rechte dagegen gibt vor, Leistung als Grundlage von Gerechtigkeit zu betonen, tatsächlich aber Besitzstandswahrung betreibt.
Die Ursachen der Verteilungskonflikte liegen vor allem in der Globalisierung und der neoliberalen Wirtschaftsordnung – der Idee, Wettbewerb und Märkte seien staatlichen Institutionen und Kooperation überlegen. Globalisierung und Neoliberalismus haben viel Wohlstand geschaffen, der allerdings sehr ungleich verteilt wurde, und haben die kulturelle Polarisierung sowie sozioökonomische Ungleichheiten verstärkt.
Die Macht der Verteilungsthemen
Als Antwort wollen Rechte und Linke das politische und wirtschaftliche System revolutionieren.
Die politische Linke übt seit jeher harte Systemkritik am Kapitalismus und an der Marktwirtschaft. Sie fordert grundlegende Veränderungen der Eigentumsrechte und der Regeln des Wettbewerbs.
Die Rechte will die Demokratie und ihre Institutionen grundlegend auszuhöhlen, um ihrer Klientel größere Rechte einzuräumen, konservative Werte zu stärken und gesellschaftliche Veränderungen zu bremsen.
Die Politik beider ist durch Protektionismus geprägt. In Deutschland sind beide sehr skeptisch gegenüber der Westbindung Deutschlands, der starken Partnerschaft mit den USA und der Nato. Beide wünschen sich einen starken Staat, aber für unterschiedliche Ziele.
So ist es nicht überraschend, dass die AfD nicht nur Stimmen von der Union gewonnen hat, sondern vor allem auch von der Linken. Einer der Gründe für den beachtlichen Erfolg des BSW ist ihre clevere Art und Weise, Verteilungsthemen der politischen Linken mit denen der extremen Rechten zu kombinieren: Das Bündnis fordert mehr Umverteilung von Reich zu Arm, aber nur für Deutsche.
Wieso erleben wir den Rechtsruck fast überall in den westlichen Demokratien, und wieso wird die politische Linke so stark marginalisiert?
Ein Teil der Antwort ist die Radikalität der Rechten.
Viele Konservative beklagen die Stärkung "links-grüner" Werte über die letzten 40 Jahre durch einen zunehmenden Einfluss im Bildungssystem, in den öffentlich-rechtlichen Medien und anderen öffentlichen Institutionen. Die politische Rechte ist jedoch gewillt, demokratische Institutionen zu instrumentalisieren, um ihre Ziele schnell und umfangreich zu erreichen. Die Erfahrungen Polens, Ungarns oder Italiens mit autokratischen und neofaschistischen Regierungschefs veranschaulichen dies.
Ein zweiter Grund für den Erfolg der Rechten sind ihre faschistischen Methoden.
Sie nutzen Irrationalität, Ausgrenzung sowie das Streuen von Fake-News und Verschwörungstheorien, um Ängste zu schüren.
Kaum eine Partei macht dies so effektiv wie die AfD. Ironischerweise gewinnt sie dadurch Wählerinnen und Wähler, die den größten Schaden durch ihre Politik hätten – dies ist das sogenannte AfD-Paradox, das ich in mehreren Kurzstudien aufgezeigt habe. Es sind vor allem junge und mittelalte Menschen, mit weniger Einkommen und Bildung, mit einer geringeren Mobilität und in strukturschwachen Regionen, die überproportional häufig die AfD wählen. Die extrem neoliberale und ausgrenzende Politik der AfD würde jedoch genau ihnen besonders stark schaden. Diese Gruppe scheint jedoch bewusst oder unbewusst diese Nachteile zu akzeptieren.
Ein dritter Grund für den politischen Erfolg der (extremen) Rechten ist die Macht ihrer Unterstützer.
Donald Trump wäre in den USA ohne die Unterstützung vieler hochvermögender und einflussreicher Personen und Medien nicht so stark geworden. Und auch der AfD gelingt es in Deutschland immer mehr Unterstützung von Hochvermögenden und Unternehmern zu erhalten. All dies ist der politischen Linken nie gelungen, auch weil sie genau diese zu ihren politischen Gegnern erklärt hat.
Wie kann die Aushöhlung der Demokratie durch die extreme Rechte verhindert werden?
Ein Verbot der AfD mag richtig sein, den Rechtsruck wird es wohl nicht aufhalten. Auch eine Stärkung der politischen Linken kann wie gezeigt nicht die Antwort sein. Und eine Radikalisierung der politischen Linken, die die Methoden der extremen Rechten nutzt, würde Demokratie und Wohlstand noch stärker gefährden. Ein zentraler Teil der Antwort muss die Versachlichung des öffentlichen Diskurses sein. Es fördert eine Entzauberung der politisch Rechten und ihrer in die Katastrophe führenden Politik.
Ein Verbot der AfD mag richtig sein, den Rechtsruck wird es wohl nicht aufhalten. Auch eine Stärkung der politischen Linken kann wie gezeigt nicht die Antwort sein. Und eine Radikalisierung der politischen Linken, die die Methoden der extremen Rechten nutzt, würde Demokratie und Wohlstand noch stärker gefährden. Ein zentraler Teil der Antwort muss die Versachlichung des öffentlichen Diskurses sein. Es fördert eine Entzauberung der politisch Rechten und ihrer in die Katastrophe führenden Politik.
Kooperationen statt Verteilungskampf
Der grundlegende Irrglaube der politisch Rechten ist ihr Nullsummendenken – die Überzeugung, dass nicht Kooperation, sondern ein Verteilungskampf um Ressourcen und Rechte die Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit sind. Dies ist ein gefährlicher Irrglaube, weil es niemandem besser gehen wird, wenn Geflüchtete schlecht behandelt werden, das Bürgergeld gekürzt wird, Kinder in Armut leben, die öffentliche Infrastruktur ausgedünnt wird oder die Renten und der Mindestlohn gesenkt werden. Alle großen Herausforderungen unserer Zeit – der Schutz von Klima und Umwelt, künstliche Intelligenz und Digitalisierung, geopolitische und soziale Konflikte oder Migration – können nur mit einer starken Kooperation, global und innerhalb von Gesellschaften gelöst werden. Es ist kein Zufall, dass wirtschaftlicher Wohlstand fast ausschließlich in liberalen Demokratien entstanden ist, mit starken freiheitlichen Werten, Solidarität und Kooperation.
Unsere westlichen Demokratien und ihre marktwirtschaftlichen Ordnungen benötigen grundlegende Reformen, sodass sie wieder stärker im Sinne aller Gruppen funktionieren. Die politische Mitte kann eine Brücke schlagen zwischen den unterschiedlichen Verständnissen von Gerechtigkeit, Leistung und Bedürfnissen.
Mit unserer liberalen Demokratie und sozialen Marktwirtschaft haben wir das bestmögliche politische System und die beste Grundlage für unseren Gesellschaftsvertrag. Wir brauchen keine Revolution von rechts oder von links, sondern wir benötigen mutige Reformen, die Macht der Aufklärung und einen öffentlichen Diskurs, der wieder auf Fakten und Tatsachen und nicht auf Populismus beruht.
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