Sonntag, 19. Januar 2025

„Verpasste Chance“ für Deutschlands Verkehrsplanung: neue Straßen werden gebaut während andernorts Brücken gesperrt werden

Ja so kennen wir ihn doch wieder, unseren Verkehrsminister Wissing! Vermutlich wird auch unter Merz ein Verkehrsminister sitzen, der ähnlich denkt.

RND hier  Frank-Thomas Wenzel und Andrea Barthélémy  18.01.2025,

Infrastruktur: Umweltschützer wollen mehr Sanierung statt Neubau

„Freifahrtschein für den Verkehrsminister“
„Verpasste Chance“ für Deutschlands Verkehrsplanung: Viele Milliarden Euro fließen bis 2030 in Schienen und Straßen – doch ein klarer Vorrang für das Sanieren von kaputter Infrastruktur fehlt nach wie vor, kritisieren Umweltschützer.


 
Alles im Lot bei der Verkehrsplanung – so lässt sich ein 180 Seiten starkes Papier des Verkehrsministeriums (BMDV) kurz und knapp zusammenfassen. Doch nach Ansicht der Umweltschutzorganisation BUND ist gar nichts im Lot mit dem Papier, das den sperrigen Titel: „Bericht zur Überprüfung der Bedarfspläne (BPÜ) für die Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße“ trägt. 
Dahinter steckt die Zukunft der wichtigsten Infrastrukturen hierzulande. Im Fokus stehen vor allem Autobahnen und Schienenwege. Doch der BUND sieht großen Nachbesserungsbedarf, was Klimaschutz und klare Prioritäten für das Sanieren maroder Infrastruktur angeht.

Der Bericht, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, wurde mit erheblicher Verspätung Mitte Dezember an die Mitglieder des Verkehrsausschusses verschickt. Die müssen in der letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl nun entscheiden, ob sie auf Basis der 180 Seiten noch Nachbesserungen beim Ministerium einfordern wollen – oder das erst nach der Wahl zum Thema machen.

Mehr als 1000 Projekte - doch keine Prio für Sanierung
Aus dem Haus von Volker Wissing (parteilos) heißt es im Fazit des Ministeriumsberichts: „Die BPÜ-Ergebnisse zeigen, dass die Bedarfspläne für die Bundesschienenwege und die Bundesfernstraßen angesichts der prognostizierten Verkehrsentwicklung in ihrer Gesamtheit angemessen und weiterhin erforderlich sind.“ Gemeint sind weit mehr als 1000 Projekte für die Zeit bis zum Jahr 2030, die im Bundesverkehrswegeplan festgehalten sind. Darunter der Ausbau der A5 bei Frankfurt zum 10-Spuren-Highway. Eine klare Priorisierung für das Sanieren von kaputten Brücken, Schienen und Straßen enthält der Bericht jedoch nicht.

Jens Hilgenberg, Leiter Verkehrspolitik beim BUND, ist das zu wenig. „Angesichts des Sanierungsbedarfs und der begrenzten finanziellen Mittel muss der naturverträgliche Ausbau des Schienennetzes und der Erhalt maroder Brücken, Schienen und Straßen endlich Vorrang bekommen“, sagte er dem RND. Es dürfe kein Tabu sein, besonders klimaschädliche und naturzerstörende Autobahnprojekte, die meist auch besonders unwirtschaftlich seien, aus den Plänen zu streichen. Nur so könnten die nationalen und internationalen Klima- und Naturschutzziele eingehalten werden.

Ministerium hält an Bedarfsplänen fest
Dass das Ministerium an allen Projekten der bisherigen Bedarfspläne festhalten will, hält Hilgenberg für eine Fehleinschätzung: Eine zielgerichtete Priorisierung der Projekte werde verhindert. Genau dies könne aber dazu führen, „dass neue Straßen geplant und gebaut werden, während andernorts Brücken gesperrt werden“ müssten. „Der Bundestag muss sich jetzt mit dem Vorschlag des Bundesverkehrsministeriums befassen und eine grundlegende Überarbeitung einfordern“, so Hilgenberg.

Auch Susanne Menge, Obfrau der Grünen im Verkehrsausschuss, hält die Bedarfsplanüberprüfung für eine verpasste Chance. „Sie ist ein Freifahrtschein für den Bundesverkehrsminister, weiterhin nach Gutdünken Verkehrsprojekte zu realisieren.“ Es sei allen klar, dass bei weitem nicht alle Autobahnen und Ortsumfahrungen gebaut werden können. „Dafür gibt es weder das Geld noch die Planungskapazitäten.“ Der Fokus müsse in den nächsten 15 Jahren vielmehr auf dem Ausbau und der Sanierung des Schienennetzes liegen. „Und das muss sich im neuen Investitionsrahmenplan niederschlagen.“

Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Isabel Cademartori, betont, dass die zur Verfügung stehenden Mittel bei Weitem nicht ausreichen, um alle geplanten Projekte bis 2030 zu realisieren. „Die verkehrlich wichtigsten Projekte können aber als Erstes in Angriff genommen werden“, sagt sie. Alle Projekte, die bis dahin noch nicht fortgeschritten seien, kämen in der nächsten Legislaturperiode erneut auf den Prüfstand. „Hier werden wir neue Kriterien ansetzen müssen, die auf die bessere Vernetzung der Verkehrsträger hinzielen”, sagt die Verkehrspolitikerin.

Die Summen, um die es bis 2030 geht, sind jedenfalls gigantisch: Allein für die 84 Schienenprojekte sind insgesamt 262 Milliarden Euro nötig. Für den Aus- und Neubau von Fernstraßenprojekten kämen 180 Milliarden Euro zusammen. Zugleich seien weder zusätzliche Kosten für die Sanierung maroder Autobahnbrücken noch die Planungskapazitäten dafür gesichert - so der BUND, der sich bei diesen Zahlen auf ein Schreiben aus dem Finanzministerium vom Juli 2024 beruft.

Auch Straßensanierung dauert zu lange
Gleichzeitig machen die Umweltschützer darauf aufmerksam, dass in den Jahren 2016 bis 2023 nur 5,5 Prozent Autobahnvorhaben mit der höchsten Dringlichkeitsstufe (Engpassbeseitigung) umgesetzt wurden. Bleibe es bei der Geschwindigkeit werde es etwa 60 Jahre dauern, um die Projekte im Bedarfsplan umzusetzen.

Indes: Die zentralen Aussagen des Berichts sind für Insider keine Überraschung. Die Bedarfspläne sind Konkretisierungen des aktuellen Verkehrswegeplans (BVWP 2030). Als zusätzlicher Orientierungspunkt dient dabei die neue Basisprognose für die Entwicklung des Verkehrs bis 2040, die Wissing Ende Oktober vorgestellt hat. Grundannahme ist, dass insbesondere der Güterverkehr auf der Straße deutlich zunimmt – nämlich um ein Drittel in den nächsten 15 Jahren. Beim „motorisierten Individualverkehr“ mit dem Pkw wird zwar ein deutlicheres Minus beim Anteil am Verkehrsmix erwartet. Wissing wies aber seinerzeit darauf hin, dass dies kein Stopp-Signal für den Straßenneubau sei, da es gelte, an vielen Stellen im Straßennetz, Engpässe zu beseitigen.

Fachleute zeichnen düsteres Bild : „Mehr Verkehr ist kein Naturgesetz“  hier
Was bei den Planungen für neue Straßen und Schienen schiefläuft 
 
Fachleute des österreichischen Umweltamts weisen nach, dass das Konzept für den Ausbau der Bundesverkehrswege in Deutschland nicht mehr den aktuellen Anforderungen für Klima- und Naturschutz entspricht. Ferner liegen die Kosten erheblich höher, als bislang veranschlagt. Umweltorganisationen fordern einen Ausbaustopp für Autobahnen.
 
Eine Prognose und ihre Probleme: Wie der Minister auf den Verkehr der Zukunft schaut
Schon im Oktober bemängelten Umwelt- und Naturschützer, dass die Projektionen die Einhaltung von nationalen und internationalen Abkommen zu Natur- und Klimaschutz ignorierten. Und Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr beim ADAC, erinnerte daran, dass bis 2045 der Verkehr in Deutschland klimaneutral werden müsse. Zugleich würden enorme Summen allein schon für den Erhalt des Straßennetzes benötigt. Wenn dennoch neu- oder ausgebaut werde, müsse man sich auf dringliche Vorhaben fokussieren. Zugleich sollten Investitionen für die Schiene besonderes Gewicht bekommen.

Dem BUND geht es letztlich darum, eine grundlegende Änderung der Planungsgrundlagen zu erreichen: Weg von hypothetischen Zahlen fürs Wirtschafts- und Verkehrswachstum. Hin zu Treibhausgas-Emissionen als Grundlage für Priorisierungen von Verkehrsinvestitionen. So wie es Österreich bereits vorgemacht hat.

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