Sonntag, 26. Januar 2025

Rede von Wolfram Frommlet

 Laut Gegen Rechts -  Demonstration Ravensburg 25.01.25

Rede von Wolfram Frommlet

Zur Person – ich bin Mitglied in der Gewerkschaft Ver.di und bei Reporter ohne Grenzen.


Der christliche Parteichef Markus Söder weiß, wie Populismus geht: er präsentiert eine herzerweichende Rechnung: die CSU will die Mütterrente ausweiten. Die würde vier Milliarden kosten. Die Migranten dagegen kosteten 50 Milliarden, sagt er. Es könne ja nicht sein, dass Deutschland für „unsere Mütter“ weniger übrig habe, als „für Menschen, die noch nie im Land waren“. Genau solche aber schufen einen erheblichen Teil unseres Wohlstands – die sog. Gastarbeiter. Eine fast vergessene Geschichte. Ein Rückblick.

1946 wurden in Recklinghausen die Ruhrfestspiele gegründet, unter dem Motto  „Kunst für Kohle – Kohle für Kunst“.

Die Kunst kam vom Schauspielhaus Hamburg, die Kohle aus dem „Pütt“ in Recklinghausen. Viele der Bergleute hatten polnische Namen  – Kowalski, Grabski, Podolski, Szymanski..

Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen Arbeitslosigkeit und Hunger in Ostpreußen und Schlesien, die zum heutigen Polen gehörten, zu. Zwischen 1867 und Anfang der 1920er Jahre wanderten etwa 700.000 Polen aus.  Der Großteil  siedelte sich im Ruhrgebiet an, wo es Arbeitskräftemangel in Bergbau und Stahlindustrie gab. 

Man nannte sie die „Ruhrpolen“, die „Polaken“.  Die erste Generation von Arbeitsmigranten im Ruhrgebiet.

Die zweite kam ab 1956, die sog. „Gastarbeiter“-Generation. 

Am 20. Dezember 1955 wurde ein Anwerbeabkommen mit Italien unterzeichnet. Es folgten Griechenland, Spanien (1960), die Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). 1956 kamen die ersten Migranten aus diesen Ländern. Im Ruhrgebiet waren es vorwiegend türkische Arbeiter aus Anatolien, die für die Arbeit in den Bergwerken und in der Stahlindustrie ausgebildet wurden. Türken, die noch nie etwas von einer Gewerkschaft gehört hatten und Anfang der Siebziger Jahre, als deutsche Kumpels im Bergbau streikten, systematisch von oben als Streikbrecher eingesetzt wurden.   

Von 1956 bis 1973 kamen etwa 14 Millionen Arbeitsmigranten nach Deutschland. Außer in Bergwerken, in der Stahlindustrie arbeiteten sie in der Landwirtschaft, der Autoindustrie, im Straßenbau, in der Gastronomie. 

Die „Gastarbeiter“ wurden nicht wie Gäste behandelt sondern wie Arbeitsmaterial. Der Schriftsteller Max Frisch schrieb 1965:

„Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen. Sie fressen den Wohlstand nicht auf, im Gegenteil, sie sind für den Wohlstand unerlässlich. ...sie sind keine Gäste, die man bedient…. Man fühlt sich überfremdet. Langsam nimmt man es ihnen doch übel.“

„Gastarbeiter“ – das war Akkordarbeit, Fließband, die ausländischen Frauen arbeiteten in der Leichtlohngruppe 2 mit Stundenlöhnen um 4,70 Mark. Sie waren in keinem Betriebsrat vertreten. Sie wurden als „Lohndrücker“ bezeichnet. Rassismus machte sich breit. Die  Stückzahlen, die Bandgeschwindigkeiten wurden erhöht, damit auch die Gewinne, die sich mit den „Gästen“ machen ließen.  1973 wurde zum Streikjahr. Wo Gewerkschaften die Solidarität verrieten, wagten die „Gastarbeiter“ auch sog. „wilde Streiks“. Arbeitsmigranten politisierten die Arbeitskämpfe in Westdeutschland.  

Elf Millionen „Gastarbeiter“ kehrten in ihre Heimatländer zurück, etwa drei Millionen  blieben, integrierten sich, zahlen in die deutsche Renten- und Krankenversicherung, Deutschland ist ihre Heimat geworden. Hunderte von Namen ehemaliger Migranten finden sich auf den Ravensburger Gelben Seiten, auch von neuen Migranten -  Ashraf und Fanzia Khan, Malliaros Konstantinos oder Elisabetha De Cassa. Damir Zurga oder Ahmed Yardimci - sie haben ein Restaurant, eine Autolackiererei, eine KFZ-Werkstatt, sind Barbier oder Gartengestalter.  


Unsere Stadt wäre ärmer ohne sie. Wir können und wollen nicht auf sie verzichten. Aber auf Alice Weidel und Björn Höcke, auf Hans-Georg Maaßen mit der Werteunion oder Typen wie Hubert Aiwanger aus Bayern.

Ein kleiner historischer Nachtrag noch an die deutschnationalen Gemüter: Ende des 18. Jahrhunderts, und dann 1848 / 1849, zu Beginn der  demokratischen Revolution, taten Deutsche, was viele Flüchtlingen heute tun – sie flohen vor Arbeitslosigkeit, vor politischer Unterdrückung. Sie träumten von Meinungsfreiheit, von Religionsfreiheit,  von einer Arbeit, die sie ernähren würde. Sie hatten den „American Dream“. Sie schufen, mit anderen europäischen Migranten,  das weiße Amerika. Die Indigenen bekamen die Bibel oder den Tod. Um 1900 lebten von fünf Millionen „Ureinwohnern“, die sie Indianer nannten,  noch  237.000. 

Vergleichbares hat man von den Flüchtlingen heute, in Deutschland, nicht gehört. Nur zur Erinnerung, Frau Weidel und Herr Söder.



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