Wir brauchen ein Sondervermögen für den Klimaschutz
In der Finanzkrise haben Wirtschaft und Politik strengere Klimapolitik ausgebremst. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen. Ein Kommentar
Kurzes Quiz gefällig? „Wer mehr Emissionen einsparen will, muss entweder die Atomkraftwerke länger laufen lassen oder riskiert, dass große Industrieunternehmen Deutschland verlassen und Millionen Arbeitsplätze verloren gehen.“ Das hat der Präsident des deutschen Industrieverbands BDI gesagt – aber wann?
Es könnte der Wahlkampfsound im Jahr 2025 sein. Doch das Zitat stammt aus dem Jahr 2007, vom damaligen BDI-Chef Jürgen Thumann. Schon damals galt: Die Industrie läuft Sturm gegen die Klimapolitik.
Dabei nimmt der internationale Klimaschutz in dieser Zeit gerade Fahrt auf.
Auf dem G8-Treffen in Heiligendamm im Juni 2007 ringen sich die Industrieländer das Versprechen ab, den weltweiten Emissionsausstoß bis Mitte des Jahrhunderts zu halbieren, auch wenn eine verbindliche Zusage, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen, ausbleibt. Ein halbes Jahr später legt die EU-Kommission ein ambitioniertes Klimapaket vor.
Doch dann reißt die globale Finanzkrise die Wirtschaft in den Abgrund. Energie teurer machen durch den europäischen Emissionshandel? Unvermittelbar. Tausende Arbeitsplätze sind in Gefahr – und jetzt die Industrie belasten? Unmöglich. Das Momentum ist weg.
Prompt scheitern die Klimaverhandlungen in Kopenhagen 2009, obwohl das der späteste Zeitpunkt ist, um eine Nachfolgervereinbarung des Kyoto-Protokolls zu verabschieden. Erst sechs Jahre später, auf der Weltklimakonferenz in Paris, bekennt sich die Weltgemeinschaft zum 1,5 Grad-Ziel.
2025 steckt Deutschland wieder in der Wirtschaftskrise.
Wieder erheben sich kritische Stimmen gegenüber strengerem Klimaschutz, macht die Union das Abschaffen des Heizungsgesetzes zum Wahlkampfthema, obwohl der Gebäudesektor Jahr für Jahr zuverlässig seine Reduktionsziele reißt.
Wieder nennen Teile der Wirtschaft und Politik Nachhaltigkeitspflichten eine unerträgliche Belastung, obwohl man sich fragen muss, ob es wirklich zu viel verlangt ist, dass Unternehmen sich damit auseinandersetzen, wie viele Emissionen sie produzieren und wie sich diese reduzieren lassen.
Wirtschaftliche Stagnation und eine sinkende Industrieproduktion dürfen keine Ausrede sein, Klimaschutz abzuschwächen. Den Fehler aus der Finanzkrise darf die Politik nicht wiederholen.
Das Schöne ist: Das muss sie auch nicht. Die Ökonomin Mariana Mazzucato sagte kürzlich im Interview: „Für Krieg schaffen wir Geld aus dem Nichts, weil wir Krieg als ein dringendes Problem behandeln.“
„Aus dem Nichts“ bedeutet in Wahrheit neue Schulden. Doch das ändert nichts an der Kraft der Argumentation: Auch mehr Klimaschutz ist, wie mehr Verteidigung, in erster Linie eine Frage des politischen Willens und des Problembewusstseins.
Ist Klimawandel wie Krieg?
Für den Kampf gegen den Klimawandel gilt die gleiche Dringlichkeit wie für die Verteidigung. Die Erderwärmung um 1,5 Grad, die der europäische Klimadienst für 2024 feststellt, hat die Weltgemeinschaft nicht aufhalten können. Müssen wir also erst sagen: Klimawandel ist wie Krieg, damit diese Dringlichkeit endlich fassbar wird?
Klimawandel kann Folgen wie ein Krieg haben. Wer das nicht wahrhaben möchte, kann sich Fotos von der Flutkatastrophe im Ahrtal, in Spanien, Österreich, Tschechien, Polen, Bangladesch anschauen. Die jüngsten Waldbrände in Los Angeles beschrieben Augenzeugen als Apokalypse oder wie die Folgen eines Atomkrieg. Das macht das Pariser Klimaabkommen in Wahrheit zu einem Friedensvertrag.
Eine Klimapolitik, die dieser Dringlichkeit gerecht werden wollte, wäre disruptiv. Beispielsweise in Form eines 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens für Investitionen in Stromnetze, Energiespeicher und Schienen. Und in Form einer Zeitenwende in der Gebäudesanierung und Mobilität.
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