Ende Dezember ging Frankreichs modernstes Kernkraftwerk ans Netz – mit zwölf Jahren Verspätung. Nun stellt der französische Rechnungshof dem Projekt ein katastrophales Zeugnis aus.
Der französische Rechnungshof hat nach der Inbetriebnahme des dritten Reaktors am Kernkraftwerk Flamanville einen Bericht veröffentlicht, der dem Projekt allenfalls eine „mittelmäßige Rentabilität“ bescheinigt. Aufgrund „neuer Dynamiken“ und der „Anhäufung von Risiken und Zwängen“ fordern die Kontrolleure einen sofortigen Stopp aller Kernkraft-Ausbaupläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser möchte innerhalb der kommenden Jahre zwischen sechs und 14 neuen Atomreaktoren bauen.
Kosten für Atomreaktor haben sich versiebenfacht
Der französische Energiekonzern EDF, der unter staatlicher Kontrolle steht, hatte im Jahr 2007 mit dem Bau des Reaktors begonnen. Ursprünglich sah der Plan vor, dass er 2012 ans Netz gehen sollte. EDF veranschlagte damals Kosten von rund 3,3 Milliarden Euro. Der nun veröffentlichte Bericht beziffert die Gesamtkosten des Baus auf 23,7 Milliarden Euro, mehr als das Siebenfache des ursprünglichen Budgets.
Unter den dramatisch gestiegenen Kosten leidet auch die Rentabilität des Reaktors. Selbst im wohlwollendsten Szenario der Rechnungsprüfer müsste die EDF den Strom aus Flamanville 3 für über zwölf Cent pro Kilowattstunde verkaufen, um über die 60 Jahre Laufzeit hinweg einen Profit von vier Prozent zu erwirtschaften. In den laut Bericht wahrscheinlicheren Auslastungsszenarien läge der Preis sogar bei knapp 14 Cent. Zum Vergleich: Der Industrie-Abnahmepreis für Großverbraucher in Frankreich liegt derzeit bei 4,2 Cent pro Kilowattstunde.
Die EDF gleicht die Differenz zu den Erzeugungskosten ihrer Kraftwerke aus. Durch dieses System und die exorbitant hohen Kosten für den staatlich finanzierten Strompreisdeckel in der Energiekrise hat die EDF inzwischen einen Schuldenberg von über 50 Milliarden Euro angehäuft. Auch Emmanuel Macron hat inzwischen einsehen müssen, dass das System Reformbedarf hat. 2026 wird der Industriestrompreis um rund zwei Drittel auf sieben Cent steigen.
Reaktor sollte für Frankreich zum Prestigeprojekt werden
EDF wollte mit Flamamville 3 auch beweisen, dass der Bau neuer Reaktoren des weiterentwickelten EPR-Typs günstig und schnell möglich sei. EPR steht für European Pressurized Reactor (Europäischer Druckwasserreaktor), einer unter Federführung der französischen Staatskonzerne Areva und EDF in Zusammenarbeit unter anderem mit Siemens entwickelten Reaktorbaureihe.
Neben den geplanten Reaktoren in Frankreich sollten auch im Ausland von EDF gebaute Kraftwerke für eine Renaissance der Atomkraft sorgen. Vor allem die Projekte im britischen Hinkley Point sowie im finnischen Olkiluoto sorgten jedoch wie Flamanville immer wieder für Negativschlagzeilen.
EPR wird zum mehrfachen Milliardenfiasko
Hinkley Point C, eine Anlage mit zwei EPR-Reaktorblöcken, sollte ursprünglich 21 Milliarden Euro kosten, aktuelle Schätzungen gehen aber von über 50 Milliarden Euro aus. Auch die Inbetriebnahme wurde bereits mehrfach verschoben und ist derzeit für 2030 oder 2031 angepeilt. EDF sicherte sich im Rahmen des Bauauftrags einen gesicherten Abnahmepreis, der etwa doppelt so hoch war wie der damals übliche Strompreis sowie einen jährlichen Inflationsausgleich. Die britische Regierung steuert über die Gesamtlaufzeit des Reaktors hinweg insgesamt rund 100 Milliarden Euro bei. Die Rechnung zahlt also die britische Bevölkerung.
Auch im finnischen Olkiluoto explodierten die Kosten für den Bau eines EPR-Reaktors von EDF und betrugen am Ende mit rund elf Milliarden Euro fast das Vierfache der ursprünglich veranschlagten drei Milliarden Euro. Der geplante Bau eines weiteren Reaktors wurde daraufhin abgesagt. Immerhin ging der Olkiluoto 3 im Jahr 2022 ans Netz. Weil in diesem Fall keine garantierten Abnahmepreise vereinbart wurden, belasten die immensen Verluste der beteiligten Staatskonzerne EDF und Areva die Staatskasse Frankreichs, sodass sich auch ein Untersuchungsausschuss der französischen Nationalversammlung des Themas annahm.
Atomenergie steht vor weltweiter Renaissance
Einer aktuellen Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge ist das Interesse, neue Kernreaktoren zu bauen, aktuell so hoch wie seit den Ölkrisen der 1970er-Jahre nicht mehr. Mehr als 40 Nationen planen demnach den Ausbau vonüber 70 Gigawatt AKW-Kapazitäten in den kommenden Jahren.
Aktiv ist bislang vor allem China, das massiv neue Atomkraftwerke zubaut. Auch Japan, Indien oder Korea bauen derzeit an neuen Atommeilern oder fahren abgeschaltete Kraftwerke wieder hoch. IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol rechnet daher mit einem nie dagewesenen Niveau der atomaren Stromproduktion: „Es ist heute klar, dass das starke Comeback der Kernenergie (…) in vollem Gange ist“.
Atomenergie ist Thema im Bundestagswahlkampf
Auch in Deutschland nimmt die Diskussion um eine Revision des Atomausstiegs kein Ende. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz betonte wiederholt, er halte den deutschen Atomausstieg 2023 für einen großen Fehler und machte „blanke Ideologie“ der Ampelregierung dafür verantwortlich. In ihrem Wahlprogramm wirbt die Partei außerdem für die Prüfung einer Reaktivierung der deutschen Atomkraftwerke. Auch die AfD und Spitzenkandidatin Alice Weidel stehen der Kernenergie positiv gegenüber und wünschen sich eine Rückkehr und den massiven Ausbau von Atomkraftwerken.
FDP und BSW sprechen sich gegen Neubauten konventioneller Akws aus und möchten Kraftwerke neuerer Generationen, zum Beispiel SMR, kleine Mini-Reaktoren, oder Kernfusionsanlagen, und die Forschung an ihnen fördern. Die Liberalen wollen es ferner den Kraftwerksbetreibern freistellen, ihre abgeschalteten Anlagen wieder hochzufahren.
Erneuerbare sind erheblich günstiger als Atomstrom
SPD, Grüne und Linke hingegen setzen auf Erneuerbare Energiequellen und lehnen neue Kernkraftwerke kategorisch ab. Wind, Solar und Co. haben bereits 2024 rund 60 Prozent des deutschen Stroms erzeugt – Tendenz jährlich steigend. Außerdem ist Strom aus Erneuerbaren deutlich günstiger als Atomstrom. Während Solar- und Windenergie im großen Maßstab produziert dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme zufolge schon für zwischen 4,1 und 10,3 Cent erzeugt werden können, kostet Kernenergie aus neuen Atomkraftwerken unter Einbeziehung von Abbruch-, Entsorgungs- und weiterer Kosten zwischen 13,6 und 49 Cent pro Kilowattstunde.
hier
Frankreich: Rechnungshof für sofortigen Stopp aller Atomkraftprojekte
Wenn die französische Regierung ihrer Energiepolitik wirtschaftliche Überlegungen zugrunde legt, dürfte es vorbei sein mit der Atom-Nation. Der Rechnungshof hat sich bereits dafür ausgesprochen, alle Kernkraftprojekte zu stoppen.
Wirtschaftlich nicht tragbar
In der Berichterstattung über den jüngsten Bericht des Gremiums zum Thema wurde vor allem die Nachbetrachtung auf den Bau des jetzt ans Netz gegangenen Reaktors Flamanville 3 thematisiert. Dessen Fertigstellung erfolgte über 12 Jahre verspätet und statt der ursprünglich geplanten 3 Milliarden Euro liefen letztlich Kosten in Höhe von 23,7 Milliarden Euro auf.
Der Rechnungshof untersucht in seinem Bericht aber auch die aktuell geplanten Bauprojekte. Die von Präsident Emmanuel Macron 2022 angekündigte Initiative zur Erneuerung der Kraftwerksflotte sieht erst einmal den Bau von sechs weiteren Anlagen vor. Diese würden an sich schon nicht ausreichen, um die Leistung aller Atomkraftwerke, die aufgrund ihres Alters absehbar vom Netz gehen werden, zu ersetzen. Ursprünglich wurden die Baukosten dieser neuen European Pressurised Reactors (EPR2) auf 51,7 Milliarden Euro geschätzt, doch schon 2023 wurde diese Summe aufgrund gestiegener Material- und Ingenieurskosten auf 67,4 Milliarden Euro angehoben. EDF, der staatliche Energiekonzern, hat bislang keine aktualisierte Kostenschätzung veröffentlicht, obwohl dies Ende 2023 erwartet wurde.
Scheitern wahrscheinlich
Die geplanten Bauarbeiten sollen 2027 beginnen, doch der Bericht des Rechnungshofs warnt vor erheblichen Risiken: "Die Akkumulation von Risiken und Unsicherheiten könnte zum Scheitern des EPR2-Programms führen." Insbesondere die unzureichende Vorbereitung der Lieferketten und die schwache Rentabilität des Flamanville-EPR, der Probleme haben wird, seine Kosten je wieder einzuspielen, bereiten den Rechnungsprüfern Sorgen.
Der Kraftwerksbetreiber EDF betonte, dass klare Finanzierungs- und Regulierungsmechanismen eine Voraussetzung für endgültige Investitionsentscheidungen seien. Diese Entscheidungen sollen laut Unternehmen Anfang 2026 getroffen werden. Bisher gibt es hier aber noch nichts Greifbares - und das, obwohl die französische Regierung bereit wäre, mit zinslosen Krediten einzuspringen, um die finanziell schwer angeschlagene EDF nicht noch weiter zu belasten.
International nicht besser
Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass internationale Bauprojekte hier positiv zurückstrahlen. So baut EDF auch den britischen Reaktor Hinkley-Point-C. Auch dessen Bauzeit und Kosten laufen völlig aus dem Ruder, und der chinesische Partner hat sich längst zurückgezogen. Ohne Garantien der britischen Regierung, Strom des Kraftwerkes zu hohen Preisen abzunehmen, wäre das Projekt wohl schon pleite.
Der Rechnungshof geht daher inzwischen davon aus, dass die bisherigen Planungen von EDF und Regierung zu den kommenden Kraftwerksprojekten schlicht scheitern werden. Wenn die Regierung aus politischen Motiven an ihrem Plan festhält, würden also gravierende Zusatzkosten auf den Steuerzahler zukommen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen