Dienstag, 14. Januar 2025

Batterie-Tsunami am Horizont

Wahnsinn, wie schnell jetzt alles laufen kann - außer dem Netzausbau, leider. Ich frage mich, ob es nicht noch sinnvoller wäre, Kleinspeicher zu fördern. Denn alles was vor Ort gespeichert werden kann, kommt gar nicht erst in die Netze und belastet diese nicht. Wir werden sehen wie es weiter geht.

Focus hier  14.01.2025  Florian Reiter

Nur eine Baustelle bleibt: Jetzt kommt der „Batterie-Tsunami“ - und löst unser größtes Energie-Problem

Große Batteriespeicher gelten als Rückgrat der Energiewende, der Ausbau verlief aber jahrelang schleppend. Das ändert sich gerade, in rasend schnellem Tempo.
Nur ein Hindernis kann den „Tsunami“ jetzt noch stoppen.

Einer der europaweit größten Produzenten von grüner Energie sucht jetzt sein Glück in Deutschland. Der französische Versorger Neoen gab in der vorigen Woche den Baustart seines ersten deutschen Batteriespeichers bekannt. Im nördlichen Sachsen-Anhalt, bei Arneburg, soll bis 2026 einer der größten deutschen Speicher entstehen - Kapazität: 45 Megawatt (MW). 

Man verfolge „ehrgeizige Ziele“, sagt Andrés Marx, Geschäftsführer von Neoen Deutschland, mehrere Projekte seien bereits „in fortgeschrittener Entwicklungsphase“. Im Ausland betreibt Neoen bereits einige der größten Speicheranlagen der Welt - jetzt will es auch in die Bundesrepublik expandieren. Zusammengenommen überschreiten die in Deutschland geplanten Projekte die Kapazität von einem Gigawatt (GW), hieß es in einer Mitteilung.

Tsunami am Horizont
Mit seinen aggressiven Plänen ist der französische Energie-Riese nicht allein. Batteriespeicher sind ein wesentlicher Baustein der Energiewende - und in den kommenden Jahren steht der Bundesrepublik eine Welle von Speicher-Projekten bevor, die sie noch nie erlebt hat. In der Branche ist schon die Rede von einem „Batterie-Tsunami“.

Zum Hintergrund: Insgesamt sind in Deutschland derzeit große Batteriespeicher mit einer Leistung von 1,7 Gigawatt Speicherleistung installiert, zeigen Daten der Rheinisch-Westfälischen Hochschule (RWTH) Aachen. In Planung befinden sich aktuell noch 287 Großspeicher-Projekte mit einem Volumen von 2,4 Gigawatt, wie aus dem sogenannten Marktdatenstammregister der Bundesnetzagentur hervorgeht.

Willkommener Ansturm
Das ist aber nur der Anfang: Der Tsunami, der auf Deutschland zurollt, ist wesentlich größer. Dafür muss man nicht auf die offiziellen Daten schauen, sondern noch einen Schritt zurückgehen. Das Branchenmedium „PV Magazine“ hat bei den Übertragungsnetzbetreibern angefragt, wie viele Anschlüsse für Großspeicher ans Netz bei ihnen reserviert seien. Diese Anfragen werden meistens schon gestellt, bevor ein Bauprojekt offiziell in die Planungsphase übergeht.

Das Ergebnis: Unglaubliche 226 Gigawatt seien derzeit beantragt - mehr als das Hundertfache der momentanen Kapazität. Zwar werden nicht alle Projekte am Ende auch Realität, gerade Anschlüsse werden gerne mal unverbindlich reserviert. Ohnehin ist der „TsunamI“ aber erst mal keine schlechte Nachricht, im Gegenteil: Große Batteriespeicher können das dringlichste Problem der Energiewende zumindest abmildern.   

Zu viel und doch zu wenig
Erst die Dunkelflaute im Dezember hatte gezeigt: Wenn Wind- und Solarenergien aufgrund ungünstiger Wetterumstände keinen Strom produziert, müssen Importe sowie teure Gas- und Kohlekraftwerke in die Bresche springen - der Preis springt in die Höhe. Und Solaranlagen haben das grundsätzliche Problem, dass sie nachts keinen Strom produzieren.

Andererseits gibt es auch Tage, an denen etwa die Windparks in der Nordsee mehr Strom produzieren, als benötigt wird. Der „überschüssige“ Strom verfällt dann ungenutzt oder wird zu Negativpreisen an der Börse verkauft. 

Dunkelflauten sind selten, aber das Problem mit dem Überangebot wird immer größer: An insgesamt 457 Stunden im vergangenen Jahr lag der Strompreis im negativen Bereich. Speicher erlauben es aber, zumindest einen Teil des Stroms nicht verfallen zu lassen, sondern für schlechtere Zeiten vorzuhalten. Wenn sich also die Nutzung erneuerbaren Stroms mit Speichern besser verteilen lässt, drückt das die CO2-Bilanz und auch die Kosten - denn in der Erzeugung sind die Erneuerbaren Energien mittlerweile mit Abstand am günstigsten.

Neues Geschäft
Für Projektentwickler und Energieversorger waren Speicher bis vor kurzem aber nur bedingt interessant. Zumeist wurden die Akkus genutzt, um sogenannte „Regelleistung“ bereitzustellen, also Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Von den Netzbetreibern gibt es dafür eine großzügige Vergütung, aber der Markt ist kompliziert und schwankt stark.

Die Preise für Batterien auf den Weltmärkten fallen aber rasant. Dadurch ergibt sich jetzt ein neues Geschäftsmodell: die kurzfristige Einspeicherung. Der Besitzer eines Solarparks kann mit Hilfe einer Batterie einen Teil des tagsüber generierten Stroms speichern und ihn erst abends ins Netz einspeisen - wenn die Großhandelspreise auf dem Strommarkt höher sind. Windparks wiederum können den Strom einer turbulenten Nacht für folgende windarme Stunden vorhalten. Bislang rechneten sich solche Speicher nur mit staatlicher Förderung, aber die fallenden Batteriepreise ändern die Kalkulation.

„Das war liebevolle Handarbeit“
„Wir sind jetzt langsam an einem Punkt, an dem man den Markt ernst nimmt“, sagt Philipp Merk, Geschäftsführer des Münchner Speicherunternehmens Kyon Energy. „Wenn ich nur vier, fünf Jahre zurückdenke - da wurden Batteriespeicher noch zusammengeschustert. Man hat sich einen hochstehenden Hochsee-Container gekauft und Module hineingeschoben. Das war sehr liebevolle Handarbeit.“

Das habe sich jetzt geändert, sagt Merk - auch weil die Bedeutung für Speicher durch die Kapriolen mit Dunkelflauten und negativen Strompreisen immer offensichtlicher werde. „Die Volatilität im Strompreis hat weiter zugenommen. Viele glaubten zunächst, dass das mit der Energiekrise zusammenhängt, aber langsam wird deutlich, dass wir da wirklich ein fundamentales physikalisches Problem haben.“

Das Speicher-Paradox
Doch der Speicher-Boom bringt auch Probleme mit sich. Darauf weisen vor allem die Netzbetreiber hin, die Herrscher über die Stromkabel und Leitungen in Deutschland. Insgesamt entlasten große Batterien zwar die Leitungen, etwa in Situationen, in denen sehr viel Strom im Netz ist. Doch der Anschluss dieser Speicher, die viel Strom in kurzer Zeit bewegen können, bedeutet für die Netzbetreiber erstmal: Stress.

Der deutsche Batterien-Tsunami ist bei den Betreibern längst angekommen. Der im Norden und Süden aktive Betreiber Tennet etwa verzeichnet nach eigenen Angaben mittlerweile Anschlussanfragen für 115 Projekte mit einer Leistung von 39 Gigawatt, Tendenz stark steigend. Ergebnis: Die Betreiber kommen mit den Anschlüssen nicht mehr hinterher. 

Denn Großbatterien sind anspruchsvoll. Oft müssen für die Projekte eigens Leitungen ausgebaut oder neue Trafostationen errichtet werden, weil sonst die großen Stromtransfers nicht bewältigt werden können. Es ist paradox: Die Speicher, die das deutsche Netz entlasten sollen, können nicht angeschlossen werden, weil das Netz schon voll ist. 

„... dann herrscht bei uns schon Partystimmung“
Bei den Speicherfirmen wächst der Frust. „Es wird tatsächlich täglich schlimmer“, sagt Merk. „Wir sehen wirklich tagtäglich, dass die Netzbetreiber überlastet sind.“ Nicht selten, erzählt der Geschäftsführer, komme mittlerweile die Rückmeldung, dass ein Anschluss erst in zehn Jahren erfolgen könne. „Wenn wir jetzt einen Netzanschluss bekommen vor 2030, herrscht bei uns schon Partystimmung.“

Die Stimmung bei den Netzbetreibern ist da schon gedämpfter. Speicher „können einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze leisten“, sagte Tennet-Chef Tim Meyerjürgens im Dezember. „Allerdings nur, wenn sie so verortet und betrieben werden, dass sie dem Netz dienen.“ Eine Studie von Tennet hatte damals ergeben, dass zusätzliche Speicher unter Umständen sogar eine Belastung für das Netz darstellen können - etwa wenn sie im stromreichen Norden errichtet werden. Sinnvoll seien neue Großspeicher vor allem in Bayern und Hessen. 

Doch bei der Entscheidung für einen Standort spielt die Netzstabilität bei den Projektfirmen naturgemäß nur eine untergeordnete Rolle. Für die Netzbetreiber gerät der ungeregelte Wildwuchs daher zur Herausforderung. Einig sind sich am Ende aber alle: Deutschland braucht noch viel mehr Großspeicher. Das sieht auch Tennet-Chef Meyerjürgens so: „Wir sehen Batteriespeicher als eine zentrale Technologie im künftigen Energiesystem.“

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