hier Frankfurter Rundschau Artikel von Joachim Wille •8.1.25
Der Thinktank „Energy Watch Group“ legt ein Konzept vor, wie das CO2-freie Deutschland bis 2045 sogar mit Kostenentlastung erreicht werden kann.
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Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, also in nur 20 Jahren. Das erfordert einen tiefgreifenden Umbau vor allem in den Sektoren Energieversorgung, Gebäudewärme, Verkehr und Industrie, die zusammen rund 90 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verursachen. Eine „Roadmap“ des Thinktanks „Energy Watch Group“ (EWG) zeigt nun, wie diese Transformation gelingen kann – und dabei für die Bürgerinnen und Bürger unter dem Strich sogar eine Kostenentlastung gegenüber dem fossilen System ermöglicht.
Bisher hat der klimagerechte Umbau nur im Stromsektor richtig Fahrt aufgenommen – mit einem Anteil von inzwischen über 60 Prozent Ökostrom im Netz. In allen anderen Bereichen stagniert die Transformation oder ist zu langsam. Es hapert etwa bei der Umstellung auf Elektrizitäts- und Wasserstoffnutzung in der Industrie, beim Hochlaufen der E-Mobilität wie beim Wärmepumpen-Einsatz in der Gebäudeheizung. Hier braucht es also einen Turbo.
Fünf Prozent mehr Investitionen würden ausreichen
Die EWG-„Roadmap CO2-neutrales Deutschland“ rechnet vor, dass der klimagerechte Umbau in allen Sektoren gegenüber dem Status quo bis 2045 rund 1900 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen erfordert, pro Jahr also 95 Milliarden. Was teuer erscheint, ist laut dem Thinktank allerdings gut finanzierbar. Es entspräche einer Erhöhung der Gesamtinvestitionen in Deutschland, die laut der Analyse 1800 Milliarden Euro jährlich betragen, um fünf Prozent. Das sei „volkswirtschaftlich leistbar“, so der Thinktank.
Die EWG-Fachleute betonen zudem, dass dieser Zusatzbelastung Einsparungen gegenüberstehen, die diese Investitionen refinanzieren – unter anderem der Wegfall von Erdöl-, Erdgas- und Kohleimporten. Diese betragen laut EWG rund 85 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu komme, dass die zusätzlichen Investitionen einen „starken Konjunkturschub“ auslösen würden, weil das Geld im Inland etwa für Wärmepumpen und Wasserstoffanlagen ausgegeben wird, statt ins Ausland an die Produzenten fossiler Energie abzufließen.
Klimaneutral heizen
Die Wärmepumpe gilt – wenn es um Wärme in Gebäuden geht – als die Technologie der Zukunft. Allerdings läuft die Umstellung auf diese Technik bisher zu langsam, das Ziel des Bundes von 500 000 Neuinstallationen pro Jahr wird bei weitem verfehlt.
Um dies zu ändern, schlägt die EWG-Roadmap einen subventionierten Strompreis von zehn Cent pro Kilowattstunde für Wärmepumpen vor, wodurch diese Heizungsart im Betrieb deutlich günstiger als Erdgas- oder Ölheizungen wäre.
Zinsgünstige KfW-Kredite sollen zudem die Finanzierung erleichtern. Für Mietwohnungen sieht das Konzept vor, dass die Vermieter:innen einen Teil der Heizkosten mittragen, sie im Gegenzug aber die Kaltmiete dann warmmietenneutral erhöhen können.
So entstünde mehr Anreiz, in die Umstellung von fossilen Heizungen auf Wärmepumpen zu investieren. Die Umstellung soll dadurch dann warmmietenneutral erfolgen.
„Der Gesamtnutzen ist 110 Milliarden pro Jahr und 2,5 Prozent Steigerung des Bruttoinlandsprodukts“, so der Thinktank, dessen Präsident der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell ist, einer der Mitverfasser des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von 2000. Außerdem könnten bis zu einer Million zusätzlicher Arbeitsplätze entstehen. Ein weiterer Wohlstandszuwachs entstehe aus der Stärkung von Deutschland als „Clean Tech Standort im internationalen Wettbewerb“. Und: „Ebenso senkt die mit Beenden der Verbrennung fossiler Energien verbesserte Luftqualität die Gesundheitskosten spürbar.“
Für die einzelnen Sektoren sieht die Roadmap Folgendes vor:
Strom. Die steigenden Anteile von Wind- und Solarstrom werden mit flexibel steuerbaren Backup-Anlagen zur verlässlichen Stromversorgung ergänzt, die konsequent Ökoenergie nutzen: Wasserkraft, Biogas, grüner Wasserstoff und Stromspeicher. Deren Beschaffung erfolgt per Ausschreibung im Rahmen des EEG, damit die günstigsten Anbieter zum Zuge kommen, und zwar gesondert nach wetterabhängiger und steuerbarer Einspeisung ins Netz.
Gebäudewärme. Die Erzeugung erfolgt künftig sowohl in Einzelheizungen wie kommunalen Wärmenetzen vor allem durch Wärmepumpen und Geothermie. Auch Biomasse, also vor allem Holz, soll weiter eingesetzt, die Nutzung aber gegenüber heute nicht gesteigert werden. Öl- und Erdgas-Heizungen laufen parallel dazu aus.
Verkehr. Autos und Lkw werden beschleunigt komplett auf Batterie-Antriebe umgestellt, da sie sie im Lebenszyklus billiger als Verbrenner mit E-Fuels sind. Ein Verbrennerverbot für Neuwagen soll bereits 2030 eingeführt werden. Damit wird der aktuell noch Benzin und Diesel beigemischte Biosprit für den Flugverkehr frei, was CO2-neutrales Fliegen günstiger macht als das mit synthetischem Kerosin aus Ökostrom.
Industrie. Prozesswärme in der Produktion wird mit wachsenden Anteilen von Ökostrom und der bereits derzeit eingesetzten Menge an Bio-Kraftstoffen erzeugt, die Stahlherstellung erfolgt sukzessive mit grünem Wasserstoff anstatt wie bisher mit Erdgas und Kohle.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass ein hoher Anteil von Öko-Energie importiert werden muss, etwa in Form von Wasserstoff oder Umwandlungsprodukten wie Ammoniak aus Nahost und Afrika, und dass vorübergehend auch Erdgas-Kraftwerke als Backup nötig sein werden. Laut EWG soll die Produktion von Ökostrom und grünem Wasserstoff hingegen praktisch komplett im Inland erfolgen, beim Strom allerdings eingebunden ins europäische Elektrizitätsnetz, das Import und Export zum Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage ermöglicht. Es sei möglich, grünen Wasserstoff im Inland „preislich mit Importen wettbewerbsfähig“ herzustellen, argumentieren die EWG-Fachleute unter Verweis auf Studien, so vom DIW und dem Wuppertal-Institut. Und dies sei auch notwendig, um Überschüsse an Wind- und Solarstrom nicht teuer abzuregeln, sondern für die H2-Produktion zu nutzen.
Thinktank hält „Brückentechnologien“ wie Erdgas für unnötig
Der Thinktank hält zudem „Brückentechnologien“ wie die vorübergehende Nutzung von Erdgas in Backup-Kraftwerken für unnötig. Es handele sich hier um „teure Umwege“, „da sie vor Ende ihrer Lebensdauer teuer umgerüstet werden müssten, um 2045 CO2-neutral zu sein“. Es sei wirtschaftlicher, direkt in CO2-neutrale Lösungen zu investieren, wird argumentiert.
Die Studie rechnet vor, dass sich das CO2-neutrale Deutschland für die privaten Haushalte und die Wirtschaft unter dem Strich finanziell positiv auswirkt. So ergebe sich für die Haushalte ein Einkommensplus von 35 Milliarden Euro pro Jahr, bei einem durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt zum Beispiel seien es 1700 Euro pro Jahr. Die Entlastung bei Gewerbe, Handel und Dienstleistungen wird auf 38 Milliarden Euro pro Jahr beziffert, die der Industrie auf 13 Milliarden. Allerdings sind dabei verschiedene Subventionen im Stromsektor vorgesehen, um den Hochlauf der klimafreundlichen Technologien zu beschleunigen. So soll die Stromsteuer wegfallen, und für Wärmepumpen sollen die Energiepreise auf zehn Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden.
Für die Industrie sieht die Roadmap vor, dass die Kosten für Elektrizität und Wasserstoff in sonst abwanderungsgefährdeten Branchen 20 Jahre lang auf das aktuelle Preisniveau fossiler Energien heruntersubventioniert werden.
Gegenfinanziert werden diese Ausgaben unter anderem durch den Wegfall der EEG-Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt und durch in der Roadmap vorgeschlagene Steuererhöhungen, etwa für Kraftfahrzeuge. Außerdem verweist der Thinktank darauf, dass der vorgeschlagene Modernisierungspfad ein beträchtliches zusätzliches Wirtschaftswachstum auslösen werde, das mehr Geld in die Kassen des Staates spüle.
Die Roadmap zeige damit „einen für Wirtschaft und Bürger rentablen Weg zur CO2-Neutralität auf, der sozial ausgewogen und haushaltsneutral ist“, sagt der EWG-Geschäftsführer und Autor der Studie, Hartmut Fischer, der FR. Mit der Roadmap zielt der Thinktank natürlich auch auf die Konzepte der künftigen Bundesregierung. „Ein solcher Weg ist für die Verankerung eines starken Klimaschutzes in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen notwendig.“
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