Es gibt viele Anzeichen fürs Älterwerden: graue Haare, Aufsteh-Geräusche und die "Erkenntnis", dass heutige Songs, Bücher, Computerspiele und Nahrungstrends schlechter sind als die von früher. Beispiel "Smash Burger": Sieht doch aus, als habe man einen mehrfach überfahrenen Burger auf dem Autobahnparkplatz aufgesammelt! Aber, klar: So reden alte Leute.
Ein weiteres Anzeichen fürs Älterwerden: nicht nur theoretische Sorge um das Auskommen nach dem Ende der Karriere. Die Rente ist bekanntlich nicht sicher, also haben sogar die ehemals aktiv-muffeligen Deutschen inzwischen den Kapitalmarkt für sich entdeckt - zumal in Zeiten, als die Zinsen gering waren und die Hürden für ETF und Aktien durch praktische Apps erheblich gesenkt wurden.
Nun droht die Aktienwende, weil Robert Habeck im Wahlkampf 2025 eine Idee hatte: "Diejenigen, die große Einkommen haben, sollen sich beteiligen an den Kosten des Sozialsystems", sagte er, und versprach, wenn er Teil der nächsten Regierung ist, werde er Kapitalerträge sozialversicherungspflichtig machen.
Aktien, die Anlage der Psychopathen
Uff! Ganz neu ist die Idee eigentlich nicht, sie stammt aus dem Wahlprogramm der Grünen - aber nichts glänzt so frisch wie ein politischer Vorstoß, wenn ihn ein Kanzlerkandidat verkündet.
Ich weiß nicht, ob Habecks Idee gut ist oder nicht. Der Grüne behauptet, das ganze helfe der hart arbeitenden Mitte. Manche, wie der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr, behaupten, der Vorschlag treffe die hart arbeitende Mitte. Viele Ökonomen sind offenbar entsetzt - aber auch nicht alle. Kommunikativ war Habecks Vorstoß nicht erfolgreich: Seit Tagen steht er nun in den Schlagzeilen, was nicht nur daran liegt, dass der Unionskonkurrent dieser Tage recht still ist.
Viele Fragen zum Wahl-Aufreger
Habeck fühlt sich in Streit um Krankenkassenbeiträge missverstanden
Habeck spricht vermutlich zu einer bestimmten Zielgruppe, mit bestimmten Vorurteilen. Im Weltbild seiner (linken und festangestellten) Adressaten sehen Menschen mit Kapitalanlagen aus wie Patrick Bateman in "American Psycho" und haben beide Unterarme mit Rolexuhren umwickelt. Sie arbeiten nicht, weil das Geld für sie arbeitet. Wer will solchen Leuten nicht irgendetwas wegnehmen, um das Sozialsystem zu sanieren?
Will Robert an meine Altersvorsorge?
Mit ein wenig Sorge schaue ich allerdings auf mein eigenes ETF-Depot, das mir als Selbstständigem dann, wenn ich noch älter bin, den Erwerb extraweicher Brötchen ermöglichen sollte. Will Robert mir da was wegnehmen? Mal überlegen: Ich arbeite nur so mittelhart. Eine Rolex habe ich nicht und kommt mir unter diesen Umständen natürlich nicht mehr ins Haus. Nähere Anhaltspunkte dazu, ob ich unter einem grünen Kanzler ärmer werde, etwa Freibeträge, teilt mir Habeck leider nicht mit.
Er lässt damit ein kommunikatives Vakuum, das andere (Dürr, Ökonomen) bereitwillig füllen. Habeck will offenbar auch gar nicht selbst entscheiden, was gelten soll. Es sei doch ein "super Beispiel dafür, dass wir uns auch als Land überlegen sollten", setzt er bei einer Pressekonferenz an, dann: "Also ein geeignetes Forum wäre beispielsweise ein Bürgerrat!", oder, improvisiert Habeck weiter, "begleitet vielleicht durch eine Expertenkommission, die Vorschläge und Berechnungen unterbreitet".
Vielleicht, mal sehen, oh, ich habe eine Idee, alle machen mit. Die Ausführungen des Grünen klingen wie Freejazz, unberechenbar und ohne Plan. Er inszeniert sich zugleich als kumpeliger Herbergsvater, der auch über die ganz schlimmen Themen redet, eben den Zustand der Sozialkassen. Das ist ehrenhaft, zumal die Jahrzehnte der schwarz-roten Regierungsdominanz ein bisschen was liegengelassen haben, Brücken etwa, Energieversorgung, Bahn, Digitalisierung, Rente.
Habeck und die Wirtschaftspolitik
Habeck wird davon aber nicht profitieren. Sein Problem ist sein "Resonanzraum": Jeder Politiker hat einen und wenn von draußen Kritik mit der richtigen Frequenz ertönt, dann beginnt auch der Politiker zu dröhnen.
Beispiel: Als Armin Laschet neben Frank-Walter Steinmeier im Ahrtal lachte, machte sich die Öffentlichkeit vor allem über Laschet her. Der Grund: Laschet machte schon vorher einen unprofessionellen, etwas zu quirlig-unernsten Eindruck. Das Lachen traf genau die Frequenz dieses Resonanzraums, bediente jedes Vorurteil und verhinderte Laschet als Kanzler. Steinmeier dagegen hielt man damals schlimmstenfalls für etwas öde, bei ihm geriet nichts ins Schwingen.
Habecks Resonanzraum schwingt immer dann, wenn es um fehlende Wirtschaftskompetenz geht. Diesen gewissen Luftikusruf hat der amtierende Wirtschaftsminister sich über die Jahre erarbeitet, durch Fehltritte und vermeintliche Patzer in ökonomischen Detailfragen: zur Pendlerpauschale etwa, den Kompetenzen der Finanzaufsicht Bafin, dem Heizungsgesetz oder der Frage, ob ein Unternehmen, das den Betrieb aufgibt, insolvent ist (die Antwortet lautet nein, damit hatte Habeck übrigens recht).
Worte statt Zahlen
Nun, zumal inmitten Habecks Buchveröffentlichung, verfestigt sich der Eindruck: Hier kann einer mit Worten, aber nicht mit Zahlen. Er findet die richtige Redetemperatur, wenn es um die groben Linien und Gefühle geht. Dann segelt er elegant über Ozeane aus Metaphern! (Sehen Sie? "Ozeane aus Metaphern", so ein Quatsch! Aber ich will ja auch nicht Kanzler werden.) Aber er wirkt unsicher und unentschlossen, wenn es um die schnöde Wirtschaftspolitik geht.
Das sind alles bekannte Vorurteile. Warum, fragt man sich also, begibt sich Habeck auf für ihn so derart dünnes Eis? Vielleicht sollten die Grünen lieber zur Taktik der CDU übergehen: Die scheint ihre Spitzenleute wie Carsten Linnemann und Friedrich Merz derzeit eher zu verstecken, fahren damit aber gut.
Der beste Kandidat ist eben immer noch einer, der nicht dumm auffällt - Olaf Scholz hat es so bis ins Amt geschafft. Ein Wahlkampf nach dem Mikadoprinzip wäre innovativ und eine erfrischende Trendumkehr einer sonst immer persönlicher werdenden Debatte.
Das Talken bei Markus Lanz und Co. müssten in diesem Fall andere übernehmen - beispielsweise ein Bürgerrat, vielleicht begleitet von einer Expertenkommission, aber sicher bin ich mir da auch nicht.
Quelle: ntv.de
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