Bei der Bundestagswahl 2025 kann es erstmals passieren, dass Direktkandidaten trotz Wahlsieg nicht in den Bundestag einziehen. Ihre Wahlkreise können „verwaist“ bleiben, wären also nicht im Parlament vertreten. Wie es dazu kommt und was das bedeutet – einfach erklärt mit Grafiken.
„Die versuchte Wahlmanipulation der Ampel ist entlarvt und verworfen worden.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder feierte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Sommer 2024 als „klaren Erfolg für die CSU“. Aus seiner Sicht nachvollziehbar, denn die von Karlsruhe gekippte Abschaffung der Grundmandatsklausel hätte den Einzug der bayerischen Kleinpartei in den Bundestag vereiteln können. Deshalb hatte die CSU in einem ungewöhnlichen Schulterschluss mit der Linken gegen die Wahlrechtsreform geklagt – und teilweise recht bekommen.
Aber eben nur teilweise. Die von der Ampel beschlossene Zweitstimmendeckung hielten die Verfassungshüter nämlich für grundsätzlich konform mit dem Grundgesetz. „Wir bedauern dieses Minus an direkter Demokratie“, beklagte Söder damals – und machte die Abschaffung der Zweitstimmendeckung sogleich zur „Koalitionsbedingung für eine nächste Bundesregierung“.
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz befürchtet, das Verfahren werde „bei der nächsten Bundestagswahl zu einer unangemessenen Benachteiligung insbesondere von Wahlkreisbewerbern der CDU und der CSU führen“. Das Wahlrecht schade „dem Grundsatz der demokratischen Repräsentanz der Wahlkreise im Deutschen Bundestag“.
Wie Sieger zu Verlierern werden können
Tatsächlich kann es mit den neuen Regeln passieren, dass Gewinner von Direktmandaten nicht in den Bundestag einziehen dürfen. Ihre Wahlkreise können dadurch „verwaist“ bleiben, wären also gar nicht im Parlament vertreten. Wie es dazu kommen kann, lässt sich am besten anhand eines konkreten Beispiels erklären – und zwar Schritt für Schritt.
Nehmen wir an, die Zweitstimmendeckung hätte schon bei der Bundestagswahl 2021 gegolten. Dann wäre zunächst einmal der Anteil der Zweitstimmen auf die Sitze im Bundestag umgerechnet worden. Hier unterscheidet sich das neue Wahlrecht nicht vom alten, außer dass damals die reguläre Sitzzahl im Bundestag bei 598 lag, nun liegt sie bei 630.
Die CSU hatte damals 5,2 Prozent der Zweitstimmen gewonnen. In einem Bundestag mit 630 Sitzen wären das umgerechnet 36 Sitze gewesen.
In einem zweiten Schritt müssen nun die Sitzkontingente im Bundestag auf die Bundesländer verteilt werden. Wie viele Sitze einer Partei pro Bundesland zustehen, hängt natürlich wiederum vom dortigen Zweitstimmenergebnis ab. In unserem Beispiel können wir uns diesen Rechenschritt sparen, denn die CSU gibt es ja nur in Bayern. Alle ihre 36 Sitze im Bundestag entfallen daher auf Bayern.
An diesem Punkt käme das neue Wahlrecht ins Spiel. Die CSU hatte 2021 nämlich über die Erststimmen 45 bayerische Wahlkreise gewonnen. Das sind neun Mandate mehr als die 36 Sitze, die ihr nach dem Zweitstimmenanteil eigentlich zustehen. Anders gesagt: Diese neun Mandate sind nicht mehr durch den Zweitstimmenanteil „gedeckt“.
Nach altem Wahlrecht dürfte die CSU diese überzähligen Mandate behalten, als sogenannte Überhangmandate. Dieses Verfahren hat den Bundestag aber immer weiter vergrößert, zumal dann auch noch Ausgleichmandate an die anderen Parteien vergeben wurden, damit der Zweitstimmenproporz gewahrt blieb. Deshalb sind Überhangmandate nach den neuen Regeln nicht mehr erlaubt....
Am stärksten betroffen wäre tatsächlich die Union gewesen, mit elf ausgeschiedenen CDU-Direktmandaten in Baden-Württemberg und den schon genannten neun CSU-Wahlkreisen in Bayern. Das hatte Friedrich Merz wohl im Hinterkopf, als er die Zweitstimmendeckung als „unangemessene Benachteiligung“ der Union bezeichnete.
Nun muss man bei der Rückschau auf 2021 bedenken: Das neue Wahlrecht gab es damals eben noch nicht. Hätten die Wählenden um die Effekte gewusst, hätten sie sich mutmaßlich anders verhalten.
...Ob solche Ansätze jemals Schule machen, bleibt aber offen. Schließlich dürfte bald eine Partei an der Regierung sein, die ihre Unzufriedenheit mit der Ampelreform mehrfach zum Ausdruck gebracht hat. Das letzte Wort übers Wahlrecht ist noch nicht gesprochen.
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