Focus hier 27.06.2024 Von Peter Löwen
Ellen Enkel - Nachfolgerin von Prof. Dudenhöffer - im InterviewElektroauto, Verbrenner-Aus, Sanktionen – die Bemühungen von Industrie und Politik zum Umstieg auf die E-Mobilität beobachtet Ellen Enkel genau. Aus Sicht der Professorin führt an der Verkehrswende kein Weg vorbei. Und auch wenn klare Konzepte fehlen, glaubt sie im Interview mit fondsmagazin.de an den Erfolg.
Frau Professorin Enkel, es wird wieder das Verbrenner-Aus diskutiert und die Europawahl gab eher denen Auftrieb, die das Aus vom Aus wollen. Ist das denn realistisch?
Ich komme gerade von einer Konferenz der EU-Kommission, bei der es ums Thema Mobilität ging und am Rand natürlich auch ums Verbrenner-Aus. Und ich muss sagen: Die politische Diskussion führt in die Irre. Ich will mal versuchen, sie vom Kopf auf die Füße zu stellen: Es gibt keinen Beschluss auf EU-Ebene, die Herstellung von Motoren, die mit Diesel oder Benzin angetrieben werden, zu verbieten. Lediglich die Zulassung in Europa soll ab 2035 auf klimaneutrale Antriebe beschränkt sein.
Es gibt die Klimaziele, von denen sich feste Vorgaben für die CO2-Emissionen ableiten. Daran wird die EU-Kommission festhalten. Aus Sicht der deutschen Automobilwirtschaft wäre ein längeres Verweilen beim Verbrennungsmotor natürlich wünschenswert, denn die Automobilindustrie macht noch immer 80 bis 90 Prozent ihrer Umsätze mit der Verbrenner-Technologie. Die Gesetzgebung schreibt aber gar nicht vor, ob die in der EU nach 2035 zugelassenen Pkw batterieelektrisch sein müssen, sondern dort steht ausdrücklich, dass der Weg zu Nullemissionen technologieoffen bleibt.
ÜberEllen Enkel studierte von 1991 bis 1998 Biologie, Pädagogik und Theologie an den Universitäten Bielefeld und Paderborn. Von 1998 bis 2003 promovierte sie in Wirtschaftspädagogik und schloss ihre Dissertation über Wissensnetzwerke mit summa cum laude ab. Von 2003 bis 2008 leitete sie das Kompetenzzentrum Open Innovation am Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen. Im Jahr 2008 wurde Ellen Enkel als Professorin für Innovationsmanagement an die Zeppelin Universität in Friedrichshafen berufen. Dort lehrt und forscht sie bis 2020. Dann folgt sie dem Ruf an die Universität Duisburg-Essen als Nachfolgerin von Prof. Ferdinand Dudenhöffer auf den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Mobilität und unterstützt das Institut für Mobility Transformation (MOTION). Seit 2012 ist sie zudem Chefredakteurin des Fachmagazins R&D Management Journals.
Das mag ja sein. Aber in Wahrheit gibt es doch dann zum Elektroauto keine brauchbare Alternative, oder?
Eine brauchbare Alternative wird die Brennstoffzelle in zehn Jahren oder mehr sein, weil die Technologie noch nicht weit genug entwickelt ist. E-Fuels sind auch eine brauchbare Alternative – aber nur für Wohlhabende, da E-Fuels in der Herstellung sehr teuer sind. Richtig ist: Für den Normalverdiener wird in absehbarer Zeit nur das batteriebetriebene Auto eine Alternative sein, wenn er auf emissionsfreie individuelle Mobilität setzt.
Halten Sie die Diskussion zur Zukunft des Verbrenner-Motors also noch für sinnvoll?
Sie macht keinen Sinn, weil es keine Alternativen zum mittelfristigen Umstieg gibt. Machen wir weiter wie bisher, ist die Folge eine brutale Klimaerwärmung. Deswegen ist die Diskussion in einigen Parteien nicht zielführend. Sie verunsichert die Menschen. Im Moment müssen sich die Bürgerinnen und Bürger bereits mit so vielen neuen Technologien wie Wärmepumpen, Ladeinfrastruktur und Solaranlagen auseinandersetzen, da überfordert eine erneute und nicht zielführende Diskussion über den Antrieb des nächsten Autos die Bevölkerung. Natürlich ist die Infrastruktur weder für batterieelektrische Fahrzeuge noch für Wasserstofftankstellen für Lkw gut genug ausgebaut, ein klassisches Henne-Ei-Problem.
War Tesla eigentlich der Gamechanger?
Gamechanger oder Vorreiter vielleicht insofern, als Tesla das Elektroauto aus der „Knäckebrot-und-Müsli-Ecke“ herausgeholt und Druck auf die etablierten deutschen Hersteller ausgeübt hat, ihrerseits ihre Kompetenz bei der Elektromobilität zu demonstrieren. Während andere Hersteller wie Nissan oder Kia zunächst reine Vernunft-Elektroautos gebaut haben, brachte Tesla 2012 mit dem Model S ein Luxusauto mit großer Reichweite, sehr sportlichen Fahrleistungen und attraktivem Design auf den Markt. Tesla erreichte mit dem Modell S zeitweise den größten Marktanteil in der Luxusklasse in den USA und verwies sogar die mit Verbrennungsmotor ausgestattete Mercedes S-Klasse auf den zweiten Platz. Auch hat Tesla direkt von Beginn an ein eigenes Ladenetz aufgebaut, das haben deutsche Hersteller anders gemacht. Heute leidet Tesla genauso unter sinkenden Absatzzahlen wie alle Hersteller von batterieelektrischen Fahrzeugen.
Tausende unverkaufte Teslas stehen in der Nähe der Fabrik in Grünheide herum. Man hat den Eindruck, hierzulande will kein Mensch mehr ein E-Auto.
Weniger wollen eins. Es hat hierzulande einen dramatischen Einbruch beim E-Auto-Verkauf von minus 11 Prozent im ersten Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahresquartal gegeben. Gründe sind vor allem der Wegfall der Förderung, der immer noch schleppende Ausbau der Ladeinfrastruktur, aber auch die Diskussion der Politik. Das ist aber ein deutsches Phänomen, EU-weit ist der Verkauf um sechs Prozent gestiegen. Gerade hybride Pkw, also mit zwei Antriebsmöglichkeiten, erleben einen Aufschwung.
Es geht doch um mehr: Ich kaufe mir doch nicht für ein Drittel mehr Geld ein schlechteres Auto!
Batterieelektrische Pkw sind nicht schlechter, aber im Vergleich mit ihrem Verbrenner-Äquivalent teurer. Die Mittelschicht oder einkommensschwache Haushalte können sich ein neues E-Auto nicht leisten. Dazu kommt: Auf dem Gebrauchtwagenmarkt herrscht Unsicherheit über den Wiederverkaufswert und die Batterielebensdauer. Es fehlen die Erfahrungswerte zu gebrauchten E-Modellen. Hier könnte die Politik und Autoindustrie wirklich viel zur Verbesserung der Situation durch Labels und Prüfverfahren beitragen. Förderung neuer Technologien ist wichtig, um der Technologie in den Markt zu helfen und die ersten Kundengruppen zu überzeugen sowie ein mögliches Investitionsrisiko abzumildern. Der Wegfall der Umweltprämie war aber viel zu früh, denn der Markt war noch nicht so weit und bricht deswegen jetzt ein. Die dadurch entstandene Unsicherheit trifft vor allem die Mittel- und Unterschicht. Sie werden mit ihrem Mobilitätsbedürfnis alleingelassen.
Aber es gibt noch den öffentlichen Nahverkehr.
Da ist nicht viel geschehen, es gibt doch nicht wirklich mehr Geld dafür. Das Deutschlandticket ist zwar eine tolle Alternative, aber eben nicht für jeden. Wer am Stadtrand wohnt, in Blockrandbebauung mit limitierten Parkplätzen ohne Wallbox, oder als Handwerker zum Arbeitsplatz pendelt, weil es kein Homeoffice gibt, der wird dies auch künftig mit dem eigenen Auto machen müssen – Auto ist hier kein Luxus, sondern lebensnotwendig.
Einige Autohersteller setzen auf den E-Antrieb, andere halten sich alle Möglichkeiten offen. Wer ist schlauer?
Die Hersteller nehmen ihre Ziele für die E-Auto-Anteile zurück, weil sie sehen, dass der Wandel langsamer vonstattengehen wird, die Kunden wieder zögerlicher werden. 2023 betrug der E-Anteil an Neuzulassungen in der EU 14,6 Prozent. Um bis zum Jahr 2030 bereits bei 100 Prozent zu sein, müsste demnach der Anteil von Jahr zu Jahr jeweils um rund 12 Prozent zunehmen, oder aber sprunghaft, etwa aufgrund eines Technologiedurchbruchs nach oben schießen. Beides dürfte recht unrealistisch sein bis 2030. Es ist also vollkommen nachvollziehbar, wenn sich die Hersteller nicht mehr auf ein bestimmtes Datum festlegen wollen, ab wann sie 100 Prozent Quote bei den Elektroantrieben in der EU erreichen wollen.
Aber man kann doch nicht ewig fördern.
Gemessen am Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 gut 15 Millionen Elektroautos im Bestand zu haben, geht es deutlich zu langsam voran. Der Bestand betrug zum Jahreswechsel rund 1,4 Millionen Pkw. Es müssten zur Zielerreichung demnach jedes Jahr rund 1,9 Millionen Fahrzeuge neu zugelassen werden, was einem Zulassungsanteil von mehr als 60 Prozent entsprechen würde. Im April lag dieser Anteil bei rund 12 Prozent. Eine Alternative zur natürlichen Entwicklung des Marktes ist das Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip: Anreize durch Förderung schaffen und gleichzeitig Strafen durch höhere Benzinpreise, Verbrenner-Aus, Klimaziele für Städte und Gemeinden. Wir haben keine Zeit für eine natürliche Entwicklung.
Was sagen Sie zu den hohen Importzöllen für chinesische Autos, wie sie die USA gerade einführen?
Für die USA ist der Effekt der Importzölle auf chinesische Autos vernachlässigbar. Nordamerika importierte 2023 rund 12.000 E-Autos aus China. Aber wenn wir das in der EU machten, träfe das China deutlich empfindlicher. Hier wurden 500.000 Autos importiert.
Was ist dann mit dem Klimaziel? China baut die günstigeren E-Autos, die wir doch auch zur Erfüllung der Klimaziele brauchen.
Die chinesischen Hersteller sind in der Lage, Elektrofahrzeuge zu niedrigeren Preisen anzubieten als die deutschen Hersteller und sind dazu technisch sehr konkurrenzfähig. Noch sind die Chinesen nicht etabliert auf dem deutschen Markt, haben kein Service- und Händlernetz aufgebaut. Das wird sich aber mittelfristig ändern. Dann wird sich der Wettbewerbsdruck für die heimischen Hersteller auch hier in Europa verschärfen. Die deutschen Autobauer haben sich zu einem anderen Weg entschlossen. Sie fangen nicht in den unteren Modellreihen an und bauen als Erstes einen echten „Volkswagen“. Sondern sie fangen oben im Luxussegment an und bauen ein Premium-Modell. Von oben wird die neue Technologie dann kaskadenförmig nach unten zu den günstigeren Modellen übertragen. Diese Strategie hat zum einen zur Folge, dass es sehr wenige konkurrenzfähige Klein- und Kompaktmodelle deutscher Hersteller zu günstigen Preisen gibt, zum anderen, dass die deutschen Hersteller zunehmend Marktanteile auf dem chinesischen Markt verlieren. Das trifft allerdings genauso auf die japanischen, koreanischen und US-Hersteller zu. 2023 hat der chinesische Hersteller BYD den langjährigen Primus Volkswagen in China als Marktführer abgelöst.
Zölle würden Gegenzölle provozieren. Dann haben unsere Autobauer auch wieder das Nachsehen.
Die Automobilindustrie bietet ja leider keine Alternativen durch die gewählte Kaskadenstrategie. Sie hatte genügend Förderanreize, um frühzeitig alle Modelle zu transformieren. Aufgrund des geringen Absatzes von E-Autos hat sie dies aber nicht gemacht. Das war eine strategische, profitorientierte, aber keine kundenorientierte Entscheidung.
Die Zulieferer leiden mehr als die Hersteller. Kommt jetzt das große Zulieferer-Sterben?
Wir diskutieren nicht erst seit gestern über die Transformation in Richtung E-Mobilität. Kein Zulieferer kann behaupten, vom Strukturwandel kalt erwischt worden zu sein. Aber das Problem ist das Timing: Wann fahre ich mein erfolgreiches Verbrenner-Geschäftsmodell zurück und fahre die Produktion von Teilen für E-Autos hoch? Die Unsicherheit darüber, wann mein Kunde – der Autohersteller – die Strategie endgültig wechselt, macht es für Zulieferer sehr schwierig. Das ist eine große Herausforderung. Sie zu bewältigen, kostet jede Menge Geld, weil zweigleisig gefahren wird. Die Folge ist: Produktionsstätten werden ins billigere Ausland verlagert, weil der Margendruck sonst nicht auszugleichen ist. Deswegen brauchen wir jetzt eine klare Linie.
Deutschland ist das Mutterland des Automobils. Wird es die Wende meistern oder geht die Branche daran kaputt?
Ich antworte mit dem berühmten: Wir schaffen das! Jedes Land hat seine eigene Mobilitätskultur. Da sind die Deutschen anders als Franzosen, Schweden und die Italiener. Unsere Kultur war stark aufs Auto als Statussymbol ausgerichtet. Das Auto machte uns individuell flexibel, man konnte den Arbeitsplatz wechseln oder in den Urlaub fahren. Auto und Hausbesitz sind in unserer Kultur als Sicherheitsgüter tief verankert. Aktuelle Studien belegen auch heute, dass Mobilität Wohlstand schafft. Auch in der jungen Generation ist Mobilität wichtig, aber diese muss nicht zwangsläufig mit einem eigenen Autobesitz verbunden sein. Die Jüngeren sind viel offener für alle Möglichkeiten der Mobilität, also beispielsweise für gemeinsame Nutzung oder neue Mobilitätskonzepte, bei denen Mobilität als Dienstleistung angeboten wird. Schließlich steht ein Auto 90 Prozent seiner Lebenszeit nur auf dem Parkplatz und kostet Geld. In den neuen Mobilitätskonzepten liegt unsere Zukunft.
Aber die Anbieter von Carsharing verbrennen auch Geld.
Stimmt, dennoch brauchen wir den Modal-Split. Dazu lassen sich bestimmte kurze Strecken komfortabel mit dem E-Bike zurücklegen oder dem ÖPNV. Der müsste im Mobilitätskonzept wie die anderen Formen dann in einem Monatsabo enthalten sein. Wir brauchen die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger, individuell, tagesaktuell und zuverlässig. Dabei gehen wir als Gesellschaft auf schmalem Grat, denn die beteiligten Unternehmen wollen wirtschaftlichen Erfolg. Aber als Gesellschaft müssen wir es allen ermöglichen, mobil zu sein, um etwa zur Schule, zum Arzt oder zum Supermarkt zu gelangen. Und das wird sich nie ändern. Das Ziel lautet: Mobilitätsteilhabe, kombiniert mit wirtschaftlich erfolgreichen Konzepten. Die Alternativen zum Auto müssen attraktiv und für alle möglich sein. So funktioniert Veränderung.
Welche Innovationen sehen Sie da?
Es gibt zahlreiche interessante Innovationen im Mobilitätsbereich. Gerade rund um das Laden der Batterie gibt es neue Geschäftsmodelle wie das Batterie-Swapping. Wie bei E-Scootern wird die leere Batterie gegen eine volle getauscht, ohne Wartezeit durch Aufladen. Auch das Evolution-Konzept ist toll, bei dem die Lebensdauer des gesamten E-Autos fast bis ins Unendliche verlängert werden kann. Alle fünf Jahre werden die Verschleißteile inklusive Batterie ausgetauscht und durch eine neue Außenhülle erhält das Fahrzeug wieder moderne Funktionen und Aussehen. Dieses Modell wird unsere Wahrnehmung vom Auto und dessen Lebensdauer maßgeblich verändern.
Der Artikel erschien zuerst auf fondsmagazin.de .
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