Freitag hier Ingar Solty
Die EU erwägt, wegen billiger Produkte Strafzölle gegen China zu erheben. In der angespannten Lage reist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach Beijing, wo er dem Thema schwerlich aus dem Weg gehen kann
Robert Habeck ist seine Reise nach Ostasien angetreten. Nach seinem Besuch in Südkorea wird er nun in China unter anderem mit Zheng Shan-je, dem Vorsitzenden der Staatlichen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC), Handelsminister Wang Wentao, Industrieminister Jin Zhuanglong und mit Studenten der Zhejiang-Universität zusammentreffen.
Der Besuch erfolgt in brisanten Zeiten. Letzte Woche ist die Europäische Kommission dem Vorbild der USA gefolgt und will prüfen, ob sie die Volksrepublik mit hohen Strafzöllen auf chinesische E-Autos belegt, die das Reich der Mitte zu erheblich günstigerem Preis anbieten kann als die hiesigen Autobauer. Die Biden-Regierung in den USA hatte kürzlich entsprechende Schutzzölle gegen chinesische E-Autos, Solaranlagen und andere, insbesondere grüne Produktpaletten verfügt. Damit setzte sie nicht nur den Trump’schen Wirtschaftskrieg gegen China fort, sondern verschärfte ihn. Trumps Strafzölle von 25 Prozent wurden von Biden per Präsidenten-Dekret kurzerhand auf 100 Prozent gesteigert.
China sieht in dieser Politik eine Politisierung des Handels und eine Form der Eindämmungspolitik. Staatspräsident Xi Jinping hat wiederholt kritisiert: Der Westen halte sich an seine eigenen Freihandelsregeln, solange er die Märkte dominiere. Sobald aber der Globale Süden aufhole und konkurrenzfähig würde, gehe er zum Protektionismus über und breche die von ihm selbst aufgestellten und in der Welthandelsorganisation vertraglich festgelegten Regeln.
90 Prozent für den wachsenden Binnenmarkt
Bislang rechtfertigte man im Westen geplante oder umgesetzte schutzzöllnerische Maßnahmen mit Verweis auf vermeintliche Überkapazitäten Chinas. China betreibe damit Dumping-Politik und dränge Konkurrenten vom Markt. Die chinesische Regierung verweist darauf, dass von Überkapazitäten keine Rede sein könne. Zum einen würden Chinas Elektroautokonzerne zu mehr als 90 Prozent einen wachsenden Binnenmarkt bedienen. In Sachen Elektrobusse für den ÖPNV liegt der Prozentsatz sogar bei rund 99 Prozent. Zum anderen sähen die Prognosen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte nicht zuletzt in den Entwicklungsländern eine erheblich wachsende Nachfrage nach grüntechnologischen Produktpaletten wie E-Autos, Fotovoltaik-, Windkraftanlagen usw. voraus. China bediene mit seinen günstigen Produkten diesen boomenden Weltmarkt.
Tatsächlich sind sowohl in den USA als auch in Deutschland beispielsweise die einstigen Fotovoltaik-Unternehmen schon vor etwa einer Dekade pleitegegangen. Ein De-Risking, das sich von chinesischen Importen in diesen und anderen grünen Technologien, die für den avisierten Umbau der Wirtschaft nötig sind, unabhängig macht, ist schwer vorstellbar.
Dass China so viele E-Autos in seinem Binnenmarkt absetzt, hängt mit dem massiven Ausbau regenerativer Energien zusammen: Strom ist dadurch so preisgünstig, dass Elektroautos in Anschaffung, Betankung, Wartung und Versicherung erheblich günstiger sind als herkömmliche Verbrenner. Während also in China das E-Auto einheimischer Hersteller ein echter Volkswagen ist, bezahlten in Deutschland die unteren und mittleren Einkommensklassen mit ihren Lohnsteuern jene Subventionen, mit denen sich die Angehörigen der oberen Mittel- und Oberklasse E-Autos als Zweit- oder Drittwagen anschaffen. Denn selbst mit diesen Fördermitteln blieben die schließlich ein Luxusgut, erheblich teurer als vergleichbare Verbrennermodelle.
Beitrag für die „Harmonie von Mensch und Umwelt“
Die Volksrepublik kann vor diesem Hintergrund also plausibel argumentieren: Sicherlich würden auch in Europa und in den USA die Volksklassen E-Autos und Solaranlagen kaufen, sofern sie diese denn bezahlen können. Für die Nachfrage würden die chinesischen Hersteller das Angebot bereitstellen. Das Gleiche gelte für den Globalen Süden mit seinen beschränkten Finanzressourcen, dem man zur grünen Modernisierung verhelfe. Dass China also einen wesentlichen Beitrag für die „Harmonie von Mensch und Umwelt“, die „Versöhnung von Entwicklung und Nachhaltigkeit“ leiste, wird als Soft-Power-Argument gleich mitgeliefert.
Entsprechend schwerfällig sind Versuche, die chinesische Argumentation zu entkräften. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Klimapolitik in Europa. In Deutschland etwa nahm die Bundesregierung bestehend aus SPD, Grünen und FDP 2021 ihre Arbeit als „Fortschrittskoalition“ auf. Nach den Jahren bleiernen Stillstands unter der Großen Koalition der Merkel-Ära wolle man nun kühn den Weg in die Dekarbonisierung und Elektrifizierung der Wirtschaft gehen, um damit auch die eigenen Klimaschutzziele zu erreichen. Die „Ampel“ hat also selbst die potenzielle Nachfrage nach bezahlbaren Elektrofahrzeugen, Solaranlagen für den Hausgebrauch usw. erzwungen.
Die EU hat angesichts der Argumentationsschwierigkeiten nun die Rechtfertigung für Schutzzölle gegen die übermächtige Konkurrenz aus Fernost neu begründet. Eine Kommission soll prüfen, ob nicht staatliche Subventionspolitik die Produkte aus China so günstig mache. Die EU-Kommission verlangt nun in allergrößtem Umfang Betriebsinformationen von chinesischen Autokonzernen. Die chinesische Regierung zeigt sich empört. Das Vorgehen der EU lasse, kommentiert die Frankfurter Rundschau, „aus chinesischer Sicht den Verdacht der Industriespionage entstehen“, immerhin ein bemerkenswerter Umstand, weil Vorwürfe dieser Art in den vergangenen Jahrzehnten von den USA und der EU gegenüber China erhoben wurden. Aber China „im Elektro-Zeitalter“ sei nun einmal „auf Augenhöhe“. Faktisch ist die Volksrepublik hyperwettbewerbsfähig.
Europäisches Schweinefleisch als Waffe
Im Raum steht jetzt der Vorwurf, die EU wolle ihren Standort mit unlauteren Mitteln schützen. Sie hat dafür bislang aber noch nicht die Unterstützung der Autokonzerne selbst. Das hat Gründe: Zum einen ist China als Markt durch seine große Mittelklasse für die deutsche Autoindustrie alles entscheidend. Die deutschen Autokonzerne befürchten entsprechend Vergeltungsmaßnahmen von chinesischer Seite. Schon länger erhebt die chinesische Regierung Sonderausfuhrerlaubnisse für „seltene Erden“. In Reaktion auf die EU-Maßnahmen heißt es aus China, man prüfe nun Einfuhrbeschränkungen auf europäisches Schweinefleisch. Die Angst, China könne dazu den Export deutscher Verbrennermodelle beschränken, befeuert die Skepsis.
Zum anderen ist für die transnationalen Konzerne verringerte Wettbewerbsfähigkeit nur bedingt ein Problem: Sie amerikanisieren sich, um vom Inflation Reduction Act zu profitieren. So bauen vor allem BASF und VW, bis heute größter Autobauer der Welt, für ihr China-Geschäft längst unabhängige Tochterkonzerne im Reich der Mitte auf. Problematisch würde im Falle eines Handelskrieges natürlich der Re-Import, aber die Produktion für den chinesischen Binnenmarkt wäre so gesichert. So oder so: Deindustrialisierung ist vor allem für die europäischen Gesellschaften, ein Problem, weniger aber für das deindustrialisierende, im Sinne von den Standort verlagernde Kapital.
Habeck reist nun nach China, um die Wogen zu glätten. Dabei muss er den Spagat zwischen zunehmender wirtschaftlicher und politisch-militärischer Konfrontation Chinas und den Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen aus Deutschland meistern. Man dürfe nicht sagen: „Ach komm, jetzt geht's den Bach runter, und dann hauen wir uns auf die Mütze. Das wär ja schlecht“, sagte er kürzlich. Im Kontrast zu Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem letzten Besuch hat Habeck heute vor allem mittelständische Unternehmen, darunter auch ein Solaranlagen-Startup, und Vertreter des BDI mit nach China genommen. Das ist indes auch ein Signal.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen