Montag, 10. Juni 2024

Was Populismus anrichtet

Spiegel hier  Eine Kolumne von Christian Stöcker  09.06.2024

Europawahl und Flut

Hubert Aiwangers Haltung zur Flutkatastrophe ist symptomatisch für die Gefahr, die europaweit von Populisten ausgeht: Sie lehnen bitter nötiges Handeln wütend ab – weil sie die Realität an sich leugnen.

Im September 2018 stand Hubert Aiwanger  auf einer Bühne in einem halb vollen Bierzelt und tat, was er im liebsten tut: Er brüllte. Er versprach »einen Stopp dieser Stromtrassen, ein Verhindern dieses Polders«. Einen Flutpolder in Regensburg, also eine Fläche, auf die man bei Bedarf Hochwasser umlenken kann, werde es »mit den Freien Wählern als Regierungspartner in München« nicht geben. Und so kam es dann auch. Das Resultat steht jetzt in Regensburger Kellern.

Zum Autor 

Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.

Für Aiwangers Polderpopulismus gab es damals Applaus und vereinzelt zustimmendes Johlen. Man fragt sich, wie viele der Leute, die an diesem Tag im Bierzelt saßen, sich diese Woche in ihren Gummistiefeln oder beim Blick in den überfluteten Keller an diesen Moment erinnert haben.

Dass Aiwanger die Flutpolder und die Stromtrassen buchstäblich in einem Atemzug nannte, ist so symptomatisch wie entlarvend. Es ging natürlich um die bitter nötigen, immer noch nicht fertigen, wegen populistischer Entscheidungen sündteuren Trassen, die Windstrom von Nord- nach Süddeutschland bringen sollen. Mit Blick auf die Stromtrassen hat Aiwanger seine Meinung mittlerweile geändert , denn weil der billige Windstrom nicht in Süddeutschland ankommt, drohen dort höhere Strompreise. Markus Söder ist deshalb natürlich ganz erbost .

Sie sind bevorzugte Hassobjekte von Nimbys (not in my backyard), also Leuten, die in ihrer Umgebung auch notwendige Veränderungen strikt ablehnen.

Dass Hubert Aiwanger gegen beide agitierte, hat Methode. Und es ist ein gutes Beispiel für eine universelle Wahrheit: Wer auf Populisten hört, wer Populisten wählt, wird das früher oder später bereuen. Bei vielen der Leute, die damals im Bierzelt klatschten, trifft »früher« es vermutlich besser.

Man wollte es eben nicht hören

Aiwanger behauptete ja immer wieder, die erbittert bekämpften Polder – einer davon lag rein zufällig im Wahlkreis seiner eigenen Lebensgefährtin  – würden gar nicht gebraucht, weil solche Hochwasser ja so selten seien.

Zitat aus dem Bericht des Weltklimarats von 2007: Für Europa bringe die Erderhitzung eine »höhere Wahrscheinlichkeit für plötzliche Flutwellen im Inland«.
Man hätte das schon wissen können. Aber man wollte es eben nicht hören.

Populismus, also den Leuten nach dem Mund reden, auch im Angesicht von Expertise und besseren Argumenten, die für ein anderes Vorgehen sprechen, ist nicht nur das Spezialgebiet von Hubert Aiwanger. Es ist auch in weiten Teilen der CSU populär. Die Ablehnung der Nord-Süd-Trassen, beziehungsweise das Beharren auf sehr teuren Erdkabeln statt ganz normaler Überlandleitungen, geht auch auf das Konto von Horst Seehofer – und Markus Söder .

Und nun erlebt Bayern eben gleich doppelt die Konsequenz von populistischer Nimby-Politik: Die Stromtrassen sind nicht fertig, was jetzt Probleme verursacht. Das ist teuer und schlecht fürs Klima gleichermaßen. Die Polder wurden nicht gebaut, also stehen Regensburg und Passau eben mal wieder unter Wasser. Der Untergrund mancher Donauinsel sei »Wackelpudding «, so formulierte es diese Woche Regensburgs Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer.

Populismus ist das Gegenteil von Führung

Wie hoch die Schäden durch das aktuelle Rekordhochwasser am Ende ausfallen werden, ist noch unklar. Klar ist: Es wird teuer. Vor allem aber hat die Katastrophe einmal mehr Menschenleben gefordert. Prognose: Diese Katastrophenflut wird nicht die letzte Extremwetterkatastrophe dieses rekordheißen Jahres bleiben. Extremregen wird wahrscheinlicher, Hitzewellen auch, und die Hurrikansaison der USA droht entsetzlich zu werden, andernorts drohen wieder Megabrände.

Populisten tun immer das Gleiche: Sie erfinden oder dramatisieren Probleme, bevorzugt solche, die mit Ressentiments zu tun haben. Und sie ignorieren oder negieren echte Probleme, torpedieren Lösungen und Schutzmechanismen, weil die Veränderungen erfordern, die manchen Leuten nicht passen. Populismus ist das Gegenteil von verantwortungsvoller Führung.

Die Kombination »gegen Energiewende und gegen Schutzmaßnahmen« ist eine perfekte Zusammenfassung, die eindrucksvoll zeigt, warum das nicht funktionieren kann.

Gefahr fürs Klima, Gefahr für die Wirtschaft

Das ist der Grund, warum ein großer Erfolg der rechtsradikalen bis rechtsextremen Parteien bei der Europawahl an diesem Wochenende so fatal wäre. Immerhin: In den Niederlanden haben sich augenscheinlich die Kräfte der Vernunft knapp durchgesetzt, die rechtsradikale Partei von Geert Wilders landete knapp hinter einem Bündnis aus Sozialdemokraten und Grünen.

Viele von Europas Rechtspopulisten, auch Geert Wilders, sind auch Klimawandelleugner  oder lehnen mindestens wirksame Klimapolitik ab. Genauso wie Rechtspopulisten in Argentinien, Brasilien oder den USA. Gleichzeitig werden viele rechtsradikale Parteien in Europa von Wladimir Putin gehätschelt, auch finanziell. Und dessen Macht hängt bekanntlich an Erlösen aus Öl und Gas.

Deshalb ist es so fatal, wenn Matteo Salvinis Lega, die AfD oder die österreichische FPÖ noch mehr Macht bekommen: Sie leugnen die Realität an sich, und wer die Realität leugnet, kann kaum realistische Politik machen. 

Das Gleiche gilt auch für nicht putinfreundliche Rechtsextreme wie Giorgia Meloni. Wenn die Rechtspopulisten zu stark werden, ist der Green Deal der EU in Gefahr , und das wäre, ähnliche wie beim Polder- oder Energiepopulismus doppelt fatal: klimapolitisch wie wirtschaftlich. Denn die USA und China werden auch ohne Europa die Transformation vorantreiben. Rechtspopulisten wollen Europa in ein gestriges, aus Schloten und Auspuffen qualmendes Verbrennerghetto verwandeln.

Kurze Beine werden immer kürzer

Leider zieht sich der klimapolitische Populismus bis weit ins sogenannte bürgerliche Lager hinein: Der Verbrennerpopulismus von Unionsparteien und anderen Mitgliedern der EVP-Fraktion ist ebenso kurzsichtig wie Hubert Aiwangers Polderpopulismus oder die Nimby-freundliche Ablehnung notwendiger Stromtrassen.

Weil viele Dinge, Stichwort: große Beschleunigung, immer schneller passieren, werden die Populisten von ihren eigenen Lügen mittlerweile immer schneller eingeholt. So wie Hubert Aiwanger oder so wie die Befürworter des britischen EU-Austritts, den mittlerweile eine deutliche Mehrheit der britischen Bevölkerung für einen Fehler hält – und der ganz objektiv betrachtet natürlich auch einer war.

Bis die Wahrheit den Wählenden aber ins Bewusstsein dringt, können Populisten trotzdem jede Menge Schaden anrichten – in Bayern ist das gerade live zu besichtigen. 

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