Donnerstag, 27. Juni 2024

Weltweite Klimaklagen: Jugendliche auf Hawaii setzen Klimaschutzziele durch

Watson  hier  25.06.2024, Lisa Slomka

Kinder und Jugendliche, die im US-Bundesstaat Hawaii geboren sind, haben ein Anrecht auf eine saubere und gesunde Umwelt. So steht es in der Verfassung.

Jugendliche verklagen Bundesstaat wegen Ausbau von Straßen

Aus Sicht der Jugendlichen verstößt die hawaiianische Regierung doch genau dagegen. Denn: Hawaii baut immer neue Straßen und investiert nicht in nachhaltige Mobilitätsarten. Weil Hawaii dadurch den Klimawandel begünstige und die Umwelt zerstöre, wurde der Bundesstaat verklagt.

Doch wenige Wochen vor Prozessbeginn konnten sich die Parteien außergerichtlich einigen. Demnach erkennt die hawaiianische Verkehrsbehörde die Verfassungsrechte der Jugendlichen an und will schon nächstes Jahr CO₂ sparen. Außerdem soll es eine Kommission aus Jugendlichen geben, die die Behörden in Sachen Klimaschutz beraten.

Auswirkungen der Klimakrise sind auf Hawaii spürbar

Doch die hawaiianischen Inseln stehen vor weiteren Herausforderungen. Das Urlaubsparadies, bekannt für seine atemberaubenden Strände und malerischen Berglandschaften, hat mit dem Anstieg des Meeresspiegels und der Erosion an Stränden zu kämpfen.

Laut Geowissenschaftler Chip Fletcher von der Universität Honolulu steigt der Meeresspiegel auf den hawaiianischen Inseln drastisch an: "Wir bekommen auf einmal Feuchtgebiete in Städten, unter Straßen, in Gegenden, die nie dafür ausgerichtet waren", sagt er im Interview mit "hr-info".
Hinzu kommen Extremwetterereignisse, wie die verheerenden Brände auf Maui im vergangenen August.

Klimakrise: Waldbrand auf Maui hinterlässt Verwüstung und Tote

In der hawaiianischen Kleinstadt Lahaina sind mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen. Was einst als kleiner Waldbrand anfing, breitete sich zu einem gigantischen Feuersturm aus. Extreme Trockenheit und starke Passatwinde begünstigten den Flammenherd.

Klimaschutz in Montana: Jugendliche siegen vor Gericht
Viele junge Menschen setzen sich lautstark für den Klimaschutz ein und greifen zu drastischen Maßnahmen. Bereits im vergangenen August zogen Jugendliche aus Montana vor Gericht, um ihre Rechte in Sachen Klimaschutz durchzusetzen.

Genauso wie auf Hawaii ist den Bürger:innen in Montana eine saubere und gesunde Umwelt für heutige und künftige Generationen garantiert.

Doch die Realität sieht ganz anders aus. Der Bundesstaat verfügt über die größten Kohlereserven in den Vereinigten Staaten. Zudem ist er Förderer von Öl und Gas mit 4.000 Öl- und 5.000 Gasquellen. Weil Montana die Förderung und Nutzung fossiler Brennstoffe unterstützt, zogen 16 junge Leute im Alter von fünf bis 22 Jahren vor Gericht. Das Ergebnis: Sie bekamen recht.


Spiegel hier  Geschichte von Susanne Götze  bereits im April 2023

Erfolgreiche Klage im US-Bundesstaat Montana: Klimaschuld und Sühne
 
Ein gewonnener Klimaprozess sorgt in den USA für Aufsehen. Die Bewegung feiert ihn als Erfolg, weltweit führen solche Klagen allerdings nur selten zu mehr Klimaschutz. Was die Prozesse bringen und warum die Schuldfrage immer drängender wird.

Die Frage der Schuld in der Causa Klimakrise ist derzeit Gegenstand von weltweit über 2000 Klimaklagen. Es sind Geschichten von David gegen Goliath: Junge Menschen gegen Öl- und Gaskonzerne, Aktivisten gegen konservative Regierungen, Inselstaaten gegen Industriestaaten. 

Climate crime, Klimaverbrechen, ist ein recht junger Tatbestand in der Justizgeschichte: Da der Klimawandel menschengemacht ist, sind es auch Menschen, die für die steile CO₂-Kurve in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich sind. Doch ob es in diesem Sinne auch Klimaverbrecher gibt und sich Regierungen angesichts der Klimakrise mitschuldig machen, wenn sie ihre Politik nicht ändern, ist kontrovers.

In dieser Woche gab es einen Sieg für die Klagefront: In Montana urteilte eine Richterin, der US-Bundesstaat verletze das verfassungsmäßige Recht der 16 jungen Klägerinnen und Kläger auf eine »saubere und gesunde Umwelt«. In ihrem Urteil erklärte sie ein Landesgesetz für verfassungswidrig, weil Behörden bei der Prüfung von Genehmigungsanträgen für Erdöl- und Erdgasprojekte nicht die Auswirkungen von Treibhausgasen beachten müssen.

Die jungen Klägerinnen und Kläger argumentierten mit dem Wohlergehen ihrer Familien: durch Waldbrände, extreme Temperaturen und Dürre sei ihr Leben zunehmend beeinträchtigt. Es ging um Stromausfälle und tote Rinder, die verdurstet und verhungert sein sollen. Die Klimakrise senke ihren Lebensstandard und gefährde ihr Geschäft. Das überzeugte Richterin Kathy Seeley: »Montanas Emissionen und der Klimawandel haben sich als wesentlicher Faktor für die Auswirkungen des Klimas auf die Umwelt Montanas sowie für Schäden und die Verwundbarkeit (der Kläger) erwiesen«, heißt es in dem Urteilsschreiben.

Montanas Anti-Klimagesetz

Den Klägern geht es jedoch nicht um eine Entschädigung für bereits erlittene Schäden, sondern um Anerkennung. Das Gericht gestand ein, dass die Folgen der Klimakrise wie Dürre den Bürgern massiv schaden und ihre Zukunft gefährden – und dass der Auslöser dafür die Förderung und Verbrennung von fossilen Rohstoffen wie Kohle, Öl und Gas ist. 

Doch da genau ist das Problem. Unter Montanas Erde liegen die größten förderbaren Kohlevorkommen der USA, und der Staat wird dank seiner Erdöl- aber auch Gold- und Kupfervorkommen auch »Treasure State« (Schatz-Bundesstaat) genannt.

Dementsprechend konservativ und nicht gerade Klimaschutz-freundlich wird dort regiert:
Erst im Mai verabschiedete der republikanische Gouverneur Greg Gianforte eine »Anti-Climate-Law«, ein Anti-Klimagesetz, wonach es untersagt ist, die Klimabilanz von Großprojekten zu berechnen
. Er reagierte damit wiederum auf einen Erfolg der in dem Bundesstaat ebenfalls recht aktiven Umweltbewegung. Diese hatte vorher gegen die Genehmigung eines neuen Gaskraftwerks geklagt und im April gewonnen.

Die Klimaklagen sind in Montana deshalb eine Art Machtprobe zwischen fossiler Industrie und Umweltbewegung. Die US-Zeitung »Washington Post« titelte deshalb, Montana würde zum »climate battleground« – zum Klimakampfplatz. Doch auch der letzte Sieg der jungen Klimakläger ist nur vorläufig. Eine Sprecherin des Generalstaatsanwalts von Montana nannte das Urteil in einem Statement »absurd« und kündigte an, in Berufung zu gehen. Der Gouverneur wiederum sieht durch solche Klimaverordnungen die Autorität der staatlichen Behörden untergraben.

Wie erfolgreich sind Klimaklagen?

Eines ist sicher: Die Klimabewegung hat gerade erst begonnen, solche Klagen als Instrumente im Kampf gegen fossile Konzerne und unliebsame Gesetzgeber einzusetzen. Der Protest hat sich in den letzten Jahren zunehmend von der Straße in die Gerichtssäle verlagert: Allein 2022 sind weltweit knapp 2200 Klimaklagen verhandelt worden, heißt es in einem Ende Juli erschienenen Bericht des Uno-Umweltprogramms (UNEP) und der Columbia University in New York City. Bei der ersten Auflage des Berichts von 2017 waren es nicht einmal 900.

Sogar der Weltklimarat (IPCC), erwähnte die Klagen in seinem aktuellen Sachstandsbericht: Einige der Prozesse hätten eine Rolle dabei gespielt, »das Ergebnis und die Ambitionen der Klimapolitik« zu beeinflussen, heißt es da.

Dennoch sind die Erfolge der Klimakläger angesichts der hohen Anzahl der Klagen eher gering. Die allermeisten Prozesse gab es nach dem Bericht in den USA, nur ein Fünftel davon in Entwicklungsländern. In Deutschland waren bis Dezember 2022 an die 38 Gerichtsverfahren anhängig.

Die einzige wirklich erfolgreiche Klage hierzulande war der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Frühjahr 2021. Die Große Koalition musste daraufhin das Klimaschutzgesetz nachbessern.

Die Richter erklärten damals, dass der Staat bereits in den nächsten Jahren für ehrgeizigen Klimaschutz sorgen muss, um die Freiheitsrechte der nächsten Generationen nicht zu gefährden. Je weniger bis 2030 geschehe, desto härter würden die Einschränkungen danach – das sei nicht verfassungskonform. Bis heute gilt die Auslegung von Grundrechten und Klimaschutz als wegweisend.

Dennoch blieb dieser Beschluss recht nebulös: So schreibt das Gericht nicht vor, wie die Regierung sicherstellen muss, ein solches Ungleichgewicht zu verhindern. Nur, dass sie es tun muss. Weil sie die Klimaziele deshalb immer noch in Gefahr sehen, klagen Umweltorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe oder der Bund für Umwelt und Naturschutz weiter – und das auf verschiedenen Ebenen: vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ausgang: offen.

In einem weiteren prominenten Fall hatten 2021 sieben Umweltschutzverbände Shell vor einem Gericht in Den Haag verklagt. Das Unternehmen wurde durch das Urteil gesetzlich verpflichtet, bis zum Jahr 2030 seinen Treibhausgasausstoß um 45 Prozent netto zu verringern, gemessen am Stand des Jahres 2019. Doch ist auch hier der Erfolg zweifelhaft: Shell hat inzwischen seinen Hauptsitz in das Vereinigte Königreich verlegt und gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Die Klimaschuld wird berechenbar – und damit justiziabel

Die hohe Zahl an Klimaklagen in den Vereinigten Staaten – 1522 der 2180 – sind wahrscheinlich auf die lange Geschichte der Prozessführung des Landes zurückzuführen, erklärte Studienautorin Maria Antonia Tigre gegenüber der Onlineplattform »Inside Climate News«. Doch in den USA hätten diese Rechtsstreitigkeiten nicht unbedingt zu systemischen Veränderungen in der Klimapolitik geführt. Ausnahme ist der bisher spektakulärste Fall aus dem Jahr 2007, bei dem die US-Umweltbehörde EPA aufgefordert wurde, Grenzwerte für Neuwagen beim Ausstoß von Treibhausgasen zu setzen. Das markierte den Beginn der Regulierung von Treibhausgasemissionen in den USA.

Auch wenn von Hunderten Klagen nur wenige große Erfolge sind – Experten sind überzeugt, dass die Zahl der Klimaklagen weiter zunehmen wird. So wird etwa die Frage, wer für die Schäden der Klimakrise aufkommt, immer dringender. Es wird deshalb künftig nicht nur darum gehen, dass Regierungen mehr für den Klimaschutz tun oder Konzerne grüner werden.

Vielmehr gehen die Autoren der Unep-Studie davon aus, dass Klagen auf eine Entschädigung für Klimaschäden zunehmen, dabei geht es etwa um die Haftung nach Extremwetter wie Dürren oder Überschwemmungen. Auch der Forderung nach Klimaanpassung zum Schutz der Bevölkerung könnte juristisch Nachdruck verliehen werden, sowie die Anerkennung von Klimawandel als Migrationsgrund oder das Anzeigen von Greenwashing als Verbrauchertäuschung.

Außerdem trägt mittlerweile die Attributionsforschung – die den Anteil des Klimawandels an einzelnen Wetterereignissen berechnet – dazu bei, dass die Klimaschuld kein abstrakter Vorwurf mehr ist. Die Schuld kann sogar ziemlich genau berechnet werden – wenn die Gerichte diesem Ansatz folgen.

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