Samstag, 22. Juni 2024

Energy Sharing sollte im Solarpaket 2 festgezurrt werden - ab Ende 24 können wir darauf warten

hier  Capital  von Selma Schmitt  schon vom 30.10.2023

Kann Energy Sharing den Stromverbrauch verändern? 

ENERGIEVERBRAUCH: Bei Energy Sharing teilen sich Verbraucher Erneuerbare-Energie-Anlagen. Ein aktuelles Forschungsprojekt untersucht, ob und wie das den individuellen Stromverbrauch verändert

In der Holbeinstraße in Bielefeld können Mieterinnen derzeit selbst grünen Strom produzieren. Dort findet das sogenannte Melani-Projekt statt, ein Akronym für „Mehrfach genutzte Energiespeicher im MehrfamiLienhAus Nachhaltig Integrieren“. 24 Mietparteien teilen sich eine Solaranlage und einen Energiespeicher, jede besitzt einen festgelegten virtuellen Anteil. Eine App zeigt den Probanden an, welchen Strom sie gerade zu welchem Preis verbrauchen. Solarstrom kostet 15 Cent, Batteriestrom knapp 30 Cent und Netzstrom rund 50 Cent. Die Bewohner können ihren Anteil auch an ihre Nachbarn verschenken oder für einen geringen Centbetrag vermieten, wenn sie beispielsweise den ganzen Tag im Büro sind und wahrscheinlich kaum Solarenergie verbrauchen werden. Demgegenüber steht eine ebenso große Vergleichsgruppe, die in baugleichen Immobilien wohnt, aber dauerhaft einen Mischstrompreis aus den drei Energie-Quellen Solar-, Batterie- und Netzstrom bekommt.

„Wir wollen testen, ob die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer ihren Stromverbrauch an die Wetterbedingungen anpassen“, sagt die Projektverantwortliche Franziska Straten vom Ökostromanbieter Naturstrom. Die Hoffnung: Probanden lassen beispielsweise Spül- und Waschmaschine vor allem dann laufen, wenn die Sonne scheint und Strom für sie günstig ist. Ergebnisse gibt es noch nicht, eine erste Bilanz solle nach dem kommenden Sommerhalbjahr 2024 gezogen werden, sagt Straten.

Beim Melani-Projekt geht es also um Energy Sharing, dem Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern zu Energiegemeinschaften. Verbraucher finanzieren dabei Wind- oder Solaranlagen in ihrer Umgebung und können im Gegenzug einen Teil des produzierten Stroms beziehen. Das Potenzial für diese gemeinsam produzierte Energie ist enorm, zeigt eine Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) aus dem Jahr 2022. Demnach könnten über 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland mit vergünstigtem Energy-Sharing-Strom versorgt werden. Für die prognostizierten Investitionskosten in Höhe von 6,5 bis 12,8 Mrd. Euro müssten sie dem IÖW zufolge nur jeweils 100 bis 200 Euro zusteuern. Außerdem würden sie durch den vergünstigten Stromtarif direkt an der Energiewende teilhaben, was zu einer gesteigerten Akzeptanz für Erneuerbare führen könnte. Im Optimalfall führt dieser finanzielle Anreiz auch zu einem effizienteren Stromverbrauch: gewaschen wird, wenn die Sonne scheint – derselbe gewünschte Effekt, den auch das Melani-Projekt untersucht.

Bei öffentlichen Netzen wird es kompliziert

Auch die Europäische Union ist vom Energy Sharing überzeugt. Sie hat das Konzept bereits im Jahr 2019 in einer Richtlinie festgeschrieben. In Deutschland hapert es aber bis heute an der Umsetzung. Hierzulande können sich Menschen zwar zu Bürgerenergiegemeinschaften zusammentun und gemeinsam Energie produzieren. Sie können diesen Strom aber nicht selbst verbrauchen.

Das Problem sind öffentliche Netze: Sobald Strom durch ein öffentliches Kabel geht, werden sehr viele Entgelte fällig, erklärt Volker Quasching von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin gegenüber der „Tagesschau“. Wer Strom verkauft, hat damit die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Energieversorger, „was rechtlich sehr kompliziert wird“.  

Der Rechtsrahmen sollte sich eigentlich bald ändern, schließlich hat es das Thema Energy Sharing in den Koalitionsvertrag geschafft. Im aktuellen Solarpaket 1 ist eine entsprechende Regelung allerdings nicht enthalten. Wahrscheinlicher ist eine Umsetzung im zweiten Solarpaket, das für Oktober 2024 angedacht ist.

Entlastung beim Mieterstrom

Möglich sind derzeit nur geteilte Anlagen, die durch nicht öffentliche Netze laufen. Darunter fallen sogenannte Mieterstrommodelle, bei denen Unternehmen beispielsweise eine Solaranlage in der Nähe einer Mietwohnung betreiben und den Strom anschließend durch nicht-öffentliche Netze an die Mieter liefern. Bislang ist das aber ein Nischenmarkt, Erneuerbare-Energie-Anlagen sind teuer und die bürokratischen Hürden hoch. Eine Solaranlage mit 10 Kilowatt-Peak (kWp) und Speicher kostet für ein durchschnittliches Einfamilienhaus etwa 28.500 Euro, schätzt das PV-Unternehmen Enpal.

Auch das Melani-Projekt fällt unter Mieterstrom. Dass das Modell in naher Zukunft bei einer breiten Masse Anwendung findet, ist aber unwahrscheinlich: „Unser Projekt ist ein Forschungsvorhaben und hat daher keine Serienreife“, sagt Projektverantwortliche Straten. Allerdings ließen sich einzelne Elemente auf die regulären Mieterstrom-Vorhaben übertragen, beispielsweise die regelmäßige Kommunikation mit den Verbraucherinnen über eine App.

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