Mittwoch, 12. Juni 2024

Schokolade: „Klimawandel ist im Supermarkt angekommen“

Handelsblatt hier  Geschichte von Müller, Anja Terpitz, Katrin • 11.6.24

Wetterextreme haben die Kakaopreise nach oben getrieben. Anders als viele andere Firmen im Mittelstand befasst sich Ritter Sport nun mit der Frage: Wie macht man ein Unternehmen klimaresilient?

Seit 1912 stellt Ritter Sport Schokolade her. Mehr als 10.000 Tonnen Rohkakao verarbeitet das Familienunternehmen aus dem schwäbischen Waldenbuch jährlich. Der traditionsreiche Produzent hat viel erlebt, eine Kakaokrise wie derzeit aber noch nicht.

Die Preise für den Rohstoff schwanken gewaltig. Seit Jahresanfang hatten sie sich zeitweise verdreifacht auf 11.000 US-Dollar je Tonne, sind dann wieder gefallen auf inzwischen knapp 9700 US-Dollar. Kakaobutter hat sogar noch mehr zugelegt in diesem Jahr – eine Lkw-Ladung „kostet derzeit rund eine Million Euro“, sagt Ritter-Sport-Chef Andreas Ronken. In früheren Zeiten waren es rund 125.000 Euro pro Ladung.

Ursache für den extremen Preisanstieg von Kakao sind Missernten durch Wetterextreme – eine Folge der Erderwärmung. Ronken sagt:


 „Der Klimawandel ist im Supermarkt angekommen.“
Eine Rückkehr zum Gewohnten werde es nicht geben.


Der Bundesverband der deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) ist ebenfalls „sehr besorgt“ – nicht nur was die Preise, sondern auch was die Verfügbarkeit von Kakao angeht. Daher versucht Ronken, sein Unternehmen klimaresilienter zu machen.

Viele empfänden den Klimawandel als Problem, das erst jetzt so langsam drängt, für Ritter Sport sei die Entwicklung aber schon seit Jahrzehnten absehbar gewesen. Das sei laut Ronken „ein Hauptgrund, weshalb wir uns schon so langjährig für Nachhaltigkeit engagieren“.


Viele Unternehmen wollen sich nicht an den Klimawandel anpassen

Ritter Sport ist eine Ausnahme. Viele mittelständische Unternehmen zögern, wenn es darum gehe, die Geschäftsmodelle an den Klimawandel anzupassen, sagt Gunther Dütsch, Partner der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Dütsch verantwortet das Thema Klima für den deutschen Markt sowie ESG-Technologien für Europa und die EMEA-Region.

„Bei vielen fehlt mir die Erkenntnis, dass wir es in Bezug auf die Auswirkungen des Klimawandels fünf vor zwölf haben“, sagt er. Unternehmen frage der Berater dann immer: „Wenn die Anpassung zu teuer ist: Was passiert denn, wenn Sie Ihr Geschäftsmodell so lassen, wie es ist?“

Ritter Sport hingegen hat bereits vor Jahren begonnen, sein Geschäftsmodell schrittweise umzustellen – indem das Unternehmen in Teilen auch selbst Kakaoanbauer wird und dabei nach Prinzipien der Nachhaltigkeit wirtschaftet. Seit mehr als zwölf Jahren betreibt es eine eigene Plantage in Nicaragua. Damals, als die Kakaopreise noch niedrig waren, wurde die Eigentümerfamilie noch belächelt.

Das hat sich geändert, auch wenn die eigene Plantage ein langfristiges Engagement ist. Heute steuert die Plantage erst fünf Prozent zum Umsatz bei, 2030 sollen es 25 Prozent sein. Das hilft dem Unternehmen, klimaresilienter zu werden, sagt Ronken. Allerdings sind alle Kakao-Anbaugebiete, auch die eigene Plantage in Nicaragua, durch den Klimawandel gestresst.


Es wird schon lange mehr Kakao verbraucht als geerntet

Christian Bunn, Kakao-Experte der Alliance Bioversity-CIAT, bestätigt: „Der Kakaoanbau leidet unter häufigeren Wetterextremen, eine Folge des Klimawandels. Ein Wechsel zwischen extrem trockenen und extrem feuchten Jahren ist purer Stress für die Pflanzen.“ Deshalb breiten sich Pilzkrankheiten wie die Schwarzfäule stärker aus. Im Schnitt dürfte die Kakaoqualität sinken.

Auch die Inflation und stark gestiegene Preise für Düngemittel haben den Kakaoanbau und die -ernte beeinträchtigt, heißt es vom BDSI. Armut, alternde Bäume und älter werdende Bauern kommen hinzu.

Die Bestände seien bereits seit 1991 gesunken, sagt Ronken, „weil mehr verbraucht als geerntet wird“. Was in den vergangenen Jahren noch durch Lagerhaltung abgefedert wurde, sei aufgebraucht. Schlechte Ernten, vor allem im vergangenen Jahr, machten die Verfügbarkeit von Rohkakao inzwischen zu einem echten Problem.

Was also tun? Kakao-Experte Bunn sagt, dass es durchaus ratsam sei, die Anbauregionen zu erweitern. Denn bislang kommt Kakao überwiegend aus den westafrikanischen Ländern Ghana (20 Prozent) und vor allem von der Elfenbeinküste (43 Prozent). Kakaopflanzen brauchen zuverlässigen Niederschlag und tropisches Klima – und das gibt es nur rund um den Äquator. Ritter Sport ist deswegen nach Nicaragua gegangen.

Doch auch dort verringerten Hurrikans, Überflutungen sowie überlange Dürreperioden die Erntemengen und erforderten Investitionen in Klimaanpassung wie Bewässerungsanlagen. Ritter-Sport-Chef Ronken weiß: Der Klimawandel am Äquator ist viel dramatischer als in Europa. Falle eine Regenzeit aus oder regne es deutlich mehr, komme es zu Erosionen, was enorme Auswirkungen auf Erntemengen habe.

Ritter Sport hat auf der Plantage „El Cacao“ 30.000 Schattenbäume auf der 2500 Hektar großen Farm gepflanzt, nutzt nur die Hälfte der Fläche für den Kakaoanbau und weitere Flächen als Wald- und Feuchtgebiete zum Schutz und zur Förderung der Biodiversität.


Höhere Preise machen den Kakao-Anbau nachhaltiger

„Die Menschen am Äquator haben den Klimawandel nicht verursacht“, litten aber stärker unter ihm, sagt Ronken. Klimaschutz und Nachhaltigkeit hingen beim Kakao untrennbar zusammen. Deshalb stellt sich Ritter Sport auch hierzulande mit Solarpark, Windkraftanlagen und E-Trucks um.

Durch die höheren Preise könnten auch die Kakaobauern nachhaltiger wirtschaften, ihre Farmen pflegen und bessere Erträge einfahren. Allerdings profitieren sie bislang kaum von der Entwicklung des Marktes.

Denn die sogenannten Cocoa-Boards, die vor Ort die Preise mit den Bauern verhandelten, zahlten zwar heute rund 50 Prozent mehr, aber noch lange nicht genug: Während die Bauern rund 2,50 Euro bis 2,60 Euro bekämen, zahle Ritter Sport sieben bis acht Euro pro Kilo an die Cocoa-Boards. Es sei bislang nicht transparent, wo die Differenz eigentlich hinfließe, sagt Ronken.

Dass die Bauern bislang zu wenig verdient hätten, war laut Ronken auch ein Grund dafür, dass Schokolade so günstig war. Eine typische Kakaobauernfamilie verdiente 2018 weniger als die Hälfte dessen, was sie für ein menschenwürdiges Leben bräuchte, ermittelte das Ivorian Center for Socio Economic Research. In vielen Anbaugebieten ist Kinderarbeit trotz vieler Hilfsprogramme auch anderer Schokoladenhersteller noch immer verbreitet.

Auf der eigenen Plantage in Nicaragua zahle Ritter Sport Bauern mehr als den Mindestlohn, zudem eine Krankenversicherung und sorgt für medizinische Betreuung. Darüber hinaus qualifiziere das Unternehmen die 450 Mitarbeiter in der eigenen Akademie selbst, sodass diese mit der Zeit aufsteigen und mehr verdienen könnten. Das Familienunternehmen unterstützt auch den Bau von Schulen.

Die Bauern, die den Kakao für die Farm liefern, bekämen laut Ritter Sport, je nach Weltmarktpreis, das Zwei- bis Dreifache derjenigen in Westafrika. Hinzu kommen noch Kakaoprogramme, die Ritter Sport sowohl in Nicaragua als auch in Westafrika finanziert. Damit werden die Bauern dabei unterstützt, auch andere Pflanzen anzubauen. So fördern sie die Biodiversität und werden unabhängiger von der Kakaoernte.


Nachhaltiges Wirtschaften dürfte die Schokoladenpreise verteuern

Doch Schokoladenhersteller, die wie Ritter Sport in Nachhaltigkeit und klimaresilienten Anbau investieren, haben höhere Kosten. Kunden müssten daher bereit sein, deutlich mehr zu bezahlen, sagt Berater Dütsch: „Es gibt für Verbraucher kein Recht auf billige Preise.“

Ritter-Sport-Chef Ronken rechnet perspektivisch damit, dass die Bauern mehr von höheren Rohkakaopreisen profitieren. Dadurch würden wieder mehr Bauern Kakao anbauen, was die Verfügbarkeit des Rohstoffes erhöhe.

„Ein auskömmliches Einkommen ist der beste Dünger für die Bauern“, sagt Ronken. Durch die hohen Rohkakaopreise „wird nicht das Ende der Schokoladenindustrie eingeläutet, sondern der Anfang von Nachhaltigkeit“.

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