Donnerstag, 6. Juni 2024

»Die Kanalisation auszubauen, das ist keine Lösung«

 hier  Spiegel  Ein Interview von Martin Schlak  04.06.2024

Anpassung an Starkregen

Durch die Erderwärmung nimmt extremes Wetter zu, Hochwasser treten immer häufiger auf. Der Geograf Markus Keck erklärt, wie sich das Land am besten für den Starkregen der Zukunft rüstet.

SPIEGEL: Herr Keck, Sie leben in der Nähe von Augsburg. Auch Ihre Gemeinde stand in den vergangenen Tagen teilweise unter Wasser. Waren Sie dort auf die Katastrophe vorbereitet?

Keck: Durch meinen Heimatort fließt ein kleiner Fluss, die Schmutter. Nach dem Regen am Wochenende und einem Dammbruch hat er sich in einen reißenden Strom verwandelt. Das Wasser trat über die Ufer, ein Teil des Ortes musste evakuiert werden. Insgesamt hat der Katastrophenschutz hier gut funktioniert. Ich bekam den Eindruck, dass die Kommunikation zwischen dem Land und dem Landkreis reibungslos lief. Die Feuerwehren und das Technische Hilfswerk arbeiteten eng zusammen. Noch besser wäre es natürlich, wir würden unsere Infrastruktur so bauen, dass solche Hochwasser gar nicht erst entstehen.

Zur Person

Markus Keck, 45, ist seit dem Jahr 2021 Professor für urbane Klimaresilienz an der Universität Augsburg. Dort erforscht er, wie Städte widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels werden können.

SPIEGEL: An manchen Orten in Bayern fiel innerhalb eines Tages so viel Regen wie sonst in einem Monat – mehr als 130 Liter auf einem Quadratmeter. Und durch den Klimawandel dürfte Starkregen künftig häufiger auftreten und extremer werden. Kann man eine Kanalisation für solche Wassermassen auslegen?

Keck: Könnte man, aber es wäre viel zu teuer. Und noch aus einem anderen Grund ist es unsinnig: Die Abwassersysteme leiten das Regenwasser in Gewässer ab, entweder auf direktem Weg oder über eine Kläranlage. Wenn wir den Durchmesser der Kanalisation überall verbreitern, würde das Wasser also noch schneller in die Flüsse rauschen und die Pegel noch stärker steigen. Wir sollten stattdessen dem Wasser Möglichkeiten geben, oberirdisch abzufließen und zu versickern. Bei Starkregen muss das Wasser zurückgehalten werden, solange es geht. Dann dauert die Hochwasserlage zwar insgesamt länger, aber die Pegel bleiben niedriger. Die Kanalisation auszubauen, das ist keine Lösung.

SPIEGEL: Wie kann es denn gelingen?

Keck: Hochwasserschutz beginnt weit vor der Stadt. Dort müssen wir Flutpolder errichten, also eingedeichte Gebiete, die bei Hochwasser geflutet werden können, und verstärkt Flussauen anlegen, die das Wasser für eine Zeit aufhalten. Wir sollten auch überlegen, wie wir die vielen kleinen Kanäle, Bäche und Nebenflüsse im ländlichen Raum besser nutzen können, um Wasser in der Fläche zu halten. Und in den Städten müssen wir deutlich mehr Grünflächen schaffen, damit auch dort Wasser versickern kann.


»Wir müssen uns nicht für jedes Problem eine eigene Lösung ausdenken,
das ist doch eine gute Nachricht.«

Markus Keck


SPIEGEL: Sie sprechen von der sogenannten Schwammstadt. Die wird schon seit vielen Jahren von Forschenden beworben. Warum wird sie nicht umgesetzt?

Keck: Die meisten Innenstädte sind sehr verdichtet. Das umzubauen, dauert. Eine Stadt kann ja nicht einfach sagen: Wir reißen Ihr Haus ab und bauen hier einen Park. Deshalb rücken neben Dächern vor allem Verkehrsflächen in den Fokus, die für eine Begrünung zurückgewonnen werden sollen. Wenn etwa eine Straße ohnehin erneuert wird, kann man die Gelegenheit gut nutzen und einen Teil der Verkehrsfläche begrünen. Dort lassen sich zum Beispiel Pocket-Parks anlegen – und auf vorhandenen Brachflächen Mikrowälder.

SPIEGEL: Wie groß ist denn ein Pocket-Park?

Keck: Der kann ganz klein sein. Wir haben in Augsburg mit Studierenden einen temporären Pocket-Park auf der Fläche einer einzigen Parklücke angelegt. Da könnte man nun sagen: Das ändert doch nichts. Aber wenn man viele kleine Flächen anlegt, zeigt es im Großen eine Wirkung. Mikrowälder können schon bei der Größe eines halben Tennisfelds beginnen. Idealerweise greift man in diese Fläche nicht mehr ein und überlässt sie der Natur. Dann tut man gleichzeitig viel für die Artenvielfalt.

SPIEGEL: In vielen Städten tobt schon jetzt ein Verteilungskampf um Platz. Wie wollen Sie Menschen für die Schwammstadt begeistern?

Keck: Sie müssen das so sehen: Der Klimawandel stellt uns vor eine ganze Reihe von Herausforderungen. Wenn Extreme zunehmen, steigt ja nicht nur die Gefahr für Hochwasser. Auch Hitzewellen werden extremer und die Trockenheit größer. In all diesen Fällen greift das gleiche Mittel: Grünflächen. Auf der einen Seite halten sie das Wasser zurück, auf der anderen Seite sorgen sie bei Hitze für Kühlung. Und dann haben grüne Flächen noch andere Funktionen, sie filtern etwa Schadstoffe aus der Luft und bieten uns Erholungsraum. Wir müssen uns also nicht für jedes Problem eine eigene Lösung ausdenken, das ist doch eine gute Nachricht.

SPIEGEL: Tun die Kommunen genug, um sich an Starkregen anzupassen?

Keck: Es geschieht viel, auch wenn das oft unbemerkt bleibt. Werden neue Quartiere geplant, wird der Hochwasserschutz beispielsweise gleich mitgedacht. Dann legen Kommunen fest, wie viel Prozent der Flächen entsiegelt sein müssen oder sie schreiben eine Dachbegrünung vor. Ich erhoffe mir zudem einiges vom neuen Klimaanpassungsgesetz, das Mitte des Jahres in Kraft tritt und dann von den Ländern umgesetzt werden muss. Mit diesem Gesetz werden Gemeinden und Kreise dazu verpflichtet, ein Klimaanpassungskonzept zu erarbeiten. Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass Klimaanpassung zu einer kommunalen Pflichtaufgabe wird. Das würde für zusätzliche Finanzmittel vom Bund und den Ländern sorgen. Und es würde ermöglichen, das nötige Personal einzustellen. Manche Kommunen beschäftigen bereits einen Klimaschutzmanager, meist aber auf einer befristeten Stelle für ein paar Jahre. Das reicht, salopp gesagt, gerade aus, um mit allen Akteuren einer Kommune ins Gespräch zu kommen. Damit ist es natürlich nicht getan. Die Klimaanpassung wird uns über Jahrzehnte beschäftigen, wir brauchen da einen langen Atem.


»Wer den Hochwasserschutz kleinredet oder für Polemik nutzt,
hat die Tragweite des Problems nicht verstanden.«

Markus Keck


SPIEGEL: Anstatt das Wasser aufwendig zurückzuhalten, könnte man doch auch einfach die Dämme deutlich erhöhen. Ist das keine Lösung?

Keck: Das tut man schon, und das zeigt auch Wirkung. Hätten wir die Dämme in den vergangenen Jahren nicht verstärkt, hätten wir bei diesem Hochwasser sicher mehr Tote beklagen müssen. Die Maßnahmen vor den Toren der Stadt sind aber mindestens genauso wichtig. Denn die schützen ja nicht nur die flussabwärts gelegenen Städte, sondern auch kleinere Gemeinden. Wir möchten in Deutschland für gleiche Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land sorgen, dann müssen wir auch danach handeln – und den Blick nicht nur auf Donau, Rhein und Elbe legen, sondern auch auf die vielen kleinen Zubringerflüsse.

SPIEGEL: Die bayerische Hochwasserstrategie sah einmal vor, dass entlang der Donau zahlreiche Flutpolder entstehen. Diese Flächen sollen bei Hochwasser geflutet werden und so einen Teil des Wassers zurückhalten. Zwei Projekte wurden im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern im Jahr 2018 begraben, bis heute sind erst zwei Polder überhaupt in Betrieb. Die Landesregierung steht dafür nun in der Kritik. Zu Recht?

Keck: Aus heutiger Sicht war es sicher ein Fehler, die zwei Polderprojekte zu streichen. Andererseits gab es gegen die Pläne vor Ort zum Teil Widerstände. Viele Menschen wünschen sich zwar Klimaresilienz, aber nicht vor der eigenen Haustür. Die Umsetzung solcher Vorhaben ist viel komplexer, als man denkt. Das kann man niemandem verübeln. Kritisch wird es, wenn man als Politiker die Einwände verstärkt, anstatt sie zu entkräften. Wer auf einer übergeordneten Ebene den Hochwasserschutz kleinredet oder für Polemik nutzt, hat die Tragweite des Problems nicht verstanden. 

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