Sonntag, 23. Juni 2024

Unterschätzen wir extreme Hitze? Was auf Menschen weltweit zukommt

 RND hier Saskia Heinze Mit Material der dpa 19.06.2024

Tote in Saudi-Arabien und Griechenland

Saudi-Arabien, Griechenland, die USA: An vielen Orten weltweit kämpfen Menschen mit Temperaturen weit über 40 Grad Celsius. Solche extremen Hitzewellen werden häufiger und intensiver. Die gesundheitlichen Folgen werden oft unterschätzt. Wie sollten wir uns an das neue Normal im Klimawandel anpassen?

Es ist üblich, dass mehr als eine Million Gläubige Mitte Juni zur Pilgerstätte nach Mekka kommen. Es ist auch bekannt, dass es in Saudi-Arabien zu dieser Zeit vergleichsweise heiß ist. Aber so heiß? In der großen Moschee und an weiteren heiligen Stätten zeigte das Thermometer an einem Freitagabend Mitte Juni zwischenzeitlich bis zu 51,8 Grad Celsius an. In der Folge starben wohl zahlreiche Menschen, die an der Hadsch teilgenommen hatten.

Nicht nur in Saudi-Arabien beherrscht dieser Tage die Hitze den Alltag der Menschen. In Griechenland, beliebt als Urlaubsziel in den Sommermonaten, sind seit Anfang Juni bereits mindestens fünf Touristen hitzebedingt ums Leben gekommen. Beim Wandern, beim Strandbesuch, bei bis zu 40 Grad Celsius. Weitere werden noch vermisst. Auch Zypern meldet erste hitzebedingte Todesfälle.

Hitzerekorde zwischen 40 und 50 Grad Celsius gibt es seit Anfang Juni auch in Teilen der USA.
 In weiten Teilen des mittleren Westens und Nordostens des Landes sind momentan zig Millionen Bewohner und Bewohnerinnen von Hitzewarnungen betroffen, bei Waldbränden kam es Medienberichten zufolge zu Todesfällen. Auch die Türkei ächzt unter Temperaturen von über 40 Grad Celsius. Weitere Länder werden sich in diesem Sommer wahrscheinlich noch einreihen: Meteorologen und Meteorologinnen rechnen in den kommenden Tagen beispielsweise bereits mit einer starken Hitzewelle in Italien. Ein Land, das auch von Urlaubern aus Deutschland mit dem Beginn der Sommerferien gerne angesteuert wird.

Extreme Hitzewellen sind erwartbar

Überraschend ist es für Forschende nicht, dass es in diesem Jahr bereits im Juni weltweit zu solch extremer Hitze kommt. Je stärker der menschengemachte Klimawandel ausfällt, desto häufiger und intensiver finden auch Extrem­wetter­ereignisse statt, erläutert der Weltklimarat in seinem aktuellen Bericht hier (2023).

Dass sich die Hitzemuster weltweit verändern, zeigt sich schon länger. „In allen Regionen haben Zunahmen extremer Hitzeereignisse zu Todesfällen und Erkrankungen geführt“, hält der Weltklimarat fest. Und chinesische und US-amerikanische Forschende haben kürzlich weltweit meteorologischer Beobachtungsdaten im Zeitraum von 1979 bis 2020 analysiert. Sie kommen zum Schluss: Große Hitzewellen halten sich länger und bewegen sich zunehmend langsamer über Landflächen.

Auch in unseren Breitengraden treten extreme Hitzeereignisse immer häufiger, in ihrer Intensität stärker und auch länger anhaltend auf. Auswertungen des Copernicus-Klimawandeldienstes zeigen speziell für Europa: 2023 war gab es bereits eine Rekordzahl von Tagen mit „extremer Hitzebelastung“ – also mit Temperaturen ab 38 Grad Celsius (Definition des Deutschen Wetterdienstes). Auch die Zahl der Tage mit mindestens „schwerer Hitzebelastung“, mit 32 Grad Celsius und mehr, hat in ganz Europa zugenommen.

Forschende rechnen damit, dass sich dieser Trend auch 2024 und darüber hinaus fortsetzt. „Zusammengesetzte, sich gegenseitig verstärkende Hitzewellen und Dürren werden laut Projektionen zufolge häufiger werden“, heißt es im IPCC-Bericht. Europa ist zudem der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt. Seit Jahresbeginn ist jeder Monat der jeweils wärmste seit Aufzeichnungsbeginn.

Wann, wo und wie lange extreme Hitzewellen konkret auftreten, das lässt sich aber nicht verlässlich vorhersagen. „Die Forschung kam immer wieder zu den gleichen Ergebnissen: Die Vorhersagbarkeit beträgt im besten Fall rund zwei Wochen“, wird Michael Riemer, Meteorologe an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, in einer Mitteilung zitiert.

Hitze greift den Körper an - und kann tödlich sein

Klar ist aber: Extreme Hitze ist längst kein Zukunftsrisiko mehr. Und damit auch Hitzestress, der „tiefgreifende Auswirkungen“ auf die Gesundheit hat, betont unter anderem der Copernicus-Bericht. Hitzestress ist ein Maß dafür, wie der menschliche Körper auf die hohen Temperaturen in Kombination mit anderen Faktoren wie der Feuchtigkeit oder der Windgeschwindigkeit reagiert. Herrschen längere Zeit Temperaturen um die 30 Grad Celsius, nimmt auch das Risiko hitzebedingter Krankheiten zu. Es kann beispielsweise zum Hitzschlag, Flüssigkeitsmangel und Sonnenstich kommen. Ein erhöhtes Risiko tragen Menschen mit Vorerkrankungen, über 65-Jährige, Säuglinge und Kleinkinder.

In den vergangenen 20 Jahren ist die hitzebedingte Sterberate in Europa bereits um rund 30 Prozent gestiegen. Schätzungen zufolge hat die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in 94 Prozent der von Forschenden überwachten europäischen Regionen zugenommen. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) gab es im Sommer 2023 in Deutschland rund 3200 hitzebedingte Sterbefälle.

An Hitze anpassen im Alltag

Wie können sich Menschen an die eigentlich erwartbaren Risiken besser anpassen? Das Beispiel Griechenland, wo Touristen trotz starker Hitze ihren Freizeitaktivitäten nachgingen, zeigt, dass sich viele der erhöhten Gefahren nicht immer bewusst sind. „Viele unterschätzen ihre Kräfte und auch die Anstrengungen, die mit einer Wanderung in der prallen Sonne verbunden sind“, sagt etwa der Athener Kardiologe Thomas Giannoulis. „Die Temperatur kann bei 37 Grad im Schatten in der Sonne gerne auf bis zu 60 Grad steigen.“ Dadurch sei die Gefahr groß, zu dehydrieren und einen Hitzschlag zu erleiden. „Und diese Gefahr steigt, je älter ein Mensch ist.“ Tatsächlich handelt es sich bei den bislang verstorbenen und noch vermissten Menschen ausnahmslos um Touristen im Alter zwischen 55 und 80 Jahren.....

Hitzeschutz: Eine öffentliche Aufgabe

In Sachen Prävention ist aber nicht nur der Einzelne gefragt: „Gesundheitsschäden durch Hitze und Hitzewellen lassen sich weitgehend vermeiden“, hieß es bereits in einer Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation Europa von 2019. Die Prävention erfordere eine Reihe von Maßnahmen auf unterschiedlicher Ebenen: von der Vorsorge des Gesundheitswesens, die mit meteorologischen Frühwarnsystemen abgestimmt ist, über rechtzeitige amtliche und ärztliche Hinweise bis zu Verbesserungen in Wohnungsbau und Stadtplanung. Diese Maßnahmen könnten in einem Aktionsplan zur Schutz der Gesundheit bei Hitzewellen festgelegt werden – zugeschnitten auf verschiedene Zielgruppen. Auch Großveranstaltungen müssen sich in Zukunft ernsthaft damit auseinandersetzen, wie sie ihre Besucherinnen und Besucher vor Hitze schützen.

In Mekka hatten die Behörden Gläubige dazu aufgerufen, Sonnenschirme zu tragen, sich zur besonders heißen Mittagszeit nicht draußen aufzuhalten und genügend Wasser zu trinken. Doch die Umsetzung geeigneter Hitzeschutzmaßnahmen ist weltweit noch ausbaufähig – auch in Deutschland. So fordert zum Beispiel die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), ein Zusammenschluss von Experten und Expertinnen aus Medizin und Forschung, lokale Hitzeschutzbündnisse und Aktionspläne auf regionaler Ebene.

Dabei müssen nicht nur die Bedürfnisse von älteren Menschen beachtet werden, sondern auch etwa von Kindern. Auch Kitas, Schulen und Sportvereine müssten sich besser auf den Klimawandel einstellen, forderte Dirk Holzinger, Kinderarzt am Düsseldorfer Universitätsklinikum, im vergangenen Jahr im RND-Interview. „Bei über 30 Grad können Kinder nicht in der Mittagssonne Fußball spielen. Da müsse man flexibler werden – und solche Aktivitäten in die Morgenstunden oder auf abends verlegen.“ Wandern, pilgern, Sport treiben – bei Hitze gelten andere Regeln.


hier Frankfurter Rundschau 19.06.2024,Von: Carsten Herrmann-Pillath
Stadt-Wald statt Betonwüste: Wie Begrünung unser Überleben retten soll

Um dem Hitzestress zu entkommen, sollten wir auf naturbasierte Lösungen setzen. Plakativ gesagt geht es darum, Städte zu bewalden. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.

Der Klimawandel bedeutet weltweit, dass sich die Lebensbedingungen in den Städten zunehmend verschlechtern werden, denn der sogenannten „Hitze-Insel“ Effekt wird sich verschärfen, also die im Schnitt deutlich höhere Temperatur in Städten im Vergleich zum Umland. Das spielt zusammen mit der Alterung der Weltgesellschaft in den meisten Regionen: Ältere Menschen sind besonders von Hitzewellen betroffen, vor allem jene in unteren Einkommensschichten. Selbst in reichen Industrienationen wird dies zunehmend ein Problem.

Der „Techno-Fix“ der Kühlung ist kontraproduktiv, da er Wärme exportiert, wie wir vom Kühlschrank wissen. Deswegen ist die Strategie der Wahl eine „naturbasierte Lösung“ (Nature-based solution): die Begrünung der Städte.

Stadtstaat Singapur verfolgt Strategie des „rewilding“

Doch das ist leichter gesagt als getan, denn ein paar Bäume mehr pflanzen hilft nicht viel. Auch nützen Parks jenen älteren Menschen nichts, deren Mobilität eingeschränkt ist. Es geht vielmehr darum, plakativ gesagt, Städte nicht nur zu begrünen, sondern zu bewalden.

Der Stadtstaat Singapur verfolgt eine solche Strategie des „rewilding“ mit dem Ergebnis, dass heute fast 30 Prozent der Fläche mit Baumkronen bedeckt sind. In Paris sind es lediglich knapp neun Prozent, Frankfurt liegt immerhin bei rund 22 Prozent. Natürlich geht es dann nicht mehr nur darum, abgegrenzte Zonen für Begrünung zu schaffen: Vielmehr muss die gesamte „graue“ Infrastruktur auf Begrünung angelegt werden.


Das sind nicht nur Bäume, sondern etwa grüne Dächer
oder eine vertikale Mauerbepflanzung.
Selbst sogenannte Unkräuter in Straßenfugen,
wenn sie hinreichend große Flächen besiedeln,
haben messbare Effekte auf die Temperatur nahe dem Boden,
die für die Menschen entscheidend
ist.
 


Nun zieht Flora auch Fauna nach sich: Singapur verfolgt auch eine Politik der Rückkehr von Wildtieren in den urbanen Lebensraum.

Weltweiter populistischer Widerstand gegen grüne Politik

Mit dem Bericht zu „BiodiverCities 2030“ des World Economic Forum kann man durchaus sagen, dass es nicht mehr um Öko-Fantasien geht, sondern um eine Strategie des Überlebens, die im Mainstream angekommen ist. Die bewaldete Stadt wird auch zu einem Ort der Biodiversität, eine Alternative zur Renaturierung und Konservierung in Schutzgebieten. Längst ist urbane Ökologie ein höchst produktives Forschungsfeld.

Es kann aber nicht angehen, solche Ideen technokratisch zu definieren und umzusetzen, wie der weltweite populistische Widerstand gegen grüne Politik zeigt. Vielmehr ist eine engagierte Teilnahme der Bevölkerung unabdingbar, zum Beispiel als sogenannte „Eco-Stewards“ an Schulen oder in Unternehmen. Hier schließt sich der Kreis: Gerade ältere Menschen können eine führende und gestaltende Rolle spielen, in ihrer wieder lebensfreundlichen Nachbarschaft.

Der Autor ist Volkswirt und Professor und Fellow am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt.

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