Sonntag, 30. Juni 2024

Wandel zum Guten: Muss man blöd sein, um zu hoffen?


Ich mag die Kolumne von Herrn Fichtner sehr. Was könnten wir im Moment mehr brauchen als seine aufbauenden Worte?
Er sagt:  "Es wird also schwer. Aber die Arbeit läuft".
Dann lasst uns endlich anpacken!



hier im Spiegel /Eine Kolumne von Ullrich Fichtner  29.06.2024

Ein zerstörerischer Pessimismus bestimmt mittlerweile die allgemeine Stimmung. Wer noch an die Rettung der Menschheit glaubt, gilt als naiv. Dabei gibt es einen entscheidenden Grund, warum wir alle nicht verzweifeln müssen.

Ich bekomme Zuschriften von Lesern, auch Kritik von Kollegen, die mich spöttisch fragen, wie ich denn eigentlich auf die Idee käme, dass »alles gut« würde. Ob ich mir als Optimist nicht ein bisschen naiv vorkomme beim Ausstellen leuchtender Beispiele inmitten der großen Finsternis.

Einer hat einmal geschrieben, und kam sich dabei sicher besonders schlau vor: »In Ihrer Welt würde ich auch gerne leben.« Das sollte heißen, auf gut Deutsch: Wie kann man nur so blöd sein und noch hoffen? Immerhin hat er mich nicht gleich geduzt.

Zum Autor

Ullrich Fichtner, Jahrgang 1965, bereist als Reporter des SPIEGEL seit 2001 die Welt. Er hat aus vielen Kriegs- und Krisengebieten berichtet, mit wechselnden Dienstsitzen in Hamburg, New York und Paris. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. 

Dass viele Menschen heute, zumal im reichen Europa, den Glauben an die Zukunft verlieren, findet er unbegreiflich. Heutige Kinder seien, im Gegenteil, »geboren für die großen Chancen«, meint er, und so lautet auch der Titel seines aktuellen Buches.

Also, wie kann man so blöd sein? Es gibt darauf kurze und sehr lange Antworten, eine eher knappe hat Paul J. Crutzen gegeben, Atmosphärenforscher und Chemie-Nobelpreisträger, dem die Menschheit den erfolgreichen Kampf gegen das Ozonloch verdankt. In einem Interview hat Crutzen vor zehn Jahren gesagt, und ich zitiere das wörtlich, damit es sich jeder und jede bei Bedarf hinter die Ohren schreiben kann: 


»Wir müssen die enormen Errungenschaften der Menschheit hervorheben,
damit wir ein besseres Gefühl dafür bekommen,
dass wir nicht dem Schicksal ausgeliefert sind,
sondern kluge Entscheidungen für eine kluge Zukunft treffen können.«


Hier spricht der Mann, der den Begriff Anthropozän zwar nicht erfunden, aber seit Beginn des Jahrtausends populär gemacht hat. Anthropozän? Das ist die Vorstellung, dass der Mensch die Geschehnisse auf der Erde durch sein Wirtschaften und Verhalten stärker prägt, als es die natürlichen Prozesse tun. Es geht darum, dass wir uns die Welt wirklich, nicht nur metaphorisch, untertan gemacht haben, mit allen bekannten Folgen, darunter Erderwärmung, Artensterben und totale Vermüllung.

Das ist die gängige Lesart von Anthropozän: Das Menschenzeitalter (offiziell von den Geologen noch nicht verkündet) wird als Etikett für menschliche Hybris und Zerstörungswut genommen. Und dieser Eindruck war ja auch die längste Zeit völlig korrekt. Die Tatsache, beziehungsweise: der Wahnsinn, dass die Hälfte der seit 1850 vom Menschen in die Umwelt geblasenen Treibhausgase erst in der Zeit nach 1990 ausgestoßen wurde, ist dafür ein besonders schockierendes Beispiel.

Anthropozän hat als Begriff aber auch noch eine andere, in der Regel unterbelichtete und positive Seite: Wenn es denn stimmt, dass der Mensch so viel Macht hat, dann fällt ihm jetzt ungeheure Verantwortung zu – und die Verpflichtung, seine gewaltigen Möglichkeiten zu nutzen, um den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Das Anthropozän als Chance

Diese Operation hat, für mein Gefühl, gerade begonnen, und ich bin bestimmt nicht der Einzige, dem jetzt hier und da der »wind of change« um die Nase bläst. Die Anzeichen dafür, dass die Menschheit – als Menschheit – verstanden hat, dass es so, wie es war, nicht weitergehen kann, häufen sich zweifellos


Das Rettende wächst,
weil Wissenschaft ihren Fokus verändert,
neue Unternehmer auftreten,
Staaten anders handeln und
Menschen nie aufhören, von einer guten Zukunft zu träumen.


Wer also Futter für Zuversicht sucht, wird hier fündig. In Paris hat mit dem Klimaabkommen 2015 eine Entwicklung begonnen, die sich nicht einfach abtun lässt. Es läuft seither ein wissenschaftlich begleiteter, vertraglich geregelter Prozess, der darauf zielt, das Anthropozän als Chance zu begreifen. Die menschliche Macht soll nicht mehr die Zerstörung des Planeten und seiner Bewohner als Kollateralschaden haben, sondern zum Schutz und langfristigen Erhalt der Biosphäre eingesetzt werden.

Es ist ein gewaltiges Experiment mit ungewissem Ausgang, aber es ist ein Pfad, auf den sich 195 Vertragsparteien – das ist die ganze Welt – geeinigt haben. Und es werden jetzt viele weitere solcher Pfade betreten: 


Die Vereinten Nationen haben Konventionen
zum Schutz der Artenvielfaltund der Meere ins Werk gesetzt,
ehrgeiziger, als es selbst die Umwelt-NGOs erwartet hatten. 


Organisationen wie die EU oder die G7 haben das Ende des fossilen Zeitalters auf ihre Tagesordnungen gesetzt. Der Bund der Asean-Staaten erstrebt Nachhaltigkeit, afrikanische und lateinamerikanische Länder sind grüne Vorreiter geworden, globale Bündnisse von Großstädten und Kommunen betreiben den ökologischen Umbau der Welt.

Rückkehr zur Pferdekutsche

Man kann das alles abtun und ungenügend finden, aber ich hätte dann schon die Gegenfrage, wie es denn anders gehen soll? Und wenn die Vorschläge dann, grob gesagt, auf die Rückkehr zur Pferdekutsche hinauslaufen, habe ich keine große Lust, dem zuzuhören. Es sind ganz andere Nüsse zu knacken. Die härteste ist die Dekarbonisierung, aber gleich dahinter kommt schon das Problem, wie die ökologische Transformation sozial verträglich und im demokratischen Rahmen zu organisieren ist.

Das wird schwer, weil »sozial verträglich« auch heißt, dass die meisten Menschen – auch die in Entwicklungsländern – auf Konsum und einen gewissen Komfort nicht verzichten wollen. Nicht vergessen: Die Gelbwestenbewegung in Frankreich entzündete sich an einer – ökologisch begründeten – Erhöhung des Benzinpreises, und sie trug zur Stärkung der politischen Ränder kräftig bei. Es wird also schwer. Aber die Arbeit läuft.

Um also die Eingangsfragen zu beantworten: Ich weiß so wenig wie alle anderen Menschen, ob »alles gut« wird, es haben aber alle Leute, die in diese Richtung arbeiten, meine volle Sympathie.
Ich bin folglich auch kein Optimist, weil Optimisten ja daran glauben, dass schon alles irgendwie gut wird. Das ist mir aber zu einfach. 


Es braucht Zuversicht, das schon,
einen Glauben an die Möglichkeit des Gelingens,
und ich wüsste auch gar nicht, wie man ohne ihn leben sollte. 


Und dem schlauen Schreiber, der angeblich in meiner Welt leben will, rate ich davon ab: Es ist nämlich deutlich mühsamer, aus guten Gründen nicht zu verzweifeln, als ständig den Untergang an die Wand zu malen.

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