Sonntag, 23. Juni 2024

Wärmepumpen: Merz entdeckt seinen inneren Habeck

Spiegel  hier  Eine Kolumne von Christian Stöcker  23.06.2024

Friedrich Merz und die Union haben sehr erfolgreich für Gas- und Ölheizungen geworben. Den Schaden hatte die Wärmepumpenbranche. Jetzt sieht der CDU-Chef plötzlich alles anders – zum Glück.

Friedrich Merz scheint manchmal wie ein Mann, den die wirklich existenziellen Fragen umtreiben: Was ist Wahrheit? Was sind Fakten? Was kann man überhaupt wissen? Und wer?

Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.

Kann zum Beispiel jemand, der Philosophie studiert und zu einem literaturwissenschaftlichen Thema promoviert hat, sich auch jenseits der Vierzig noch relevantes Wissen über ganz andere Themen aneignen?

Bis vor Kurzem vertrat Merz die Meinung, dass das nicht möglich sei. Über Wirtschaftsminister Robert Habeck hat Merz einmal gesagt: »Der Bundeswirtschaftsminister ist Kinderbuchautor, ich bin Jurist. Wir haben beide von Technologie keine Ahnung.«

Ständig »Ideologie« mit Technologie verwechselt

Tatsächlich hat Habeck mit seiner Frau einige Kinderbücher geschrieben (und diverse für Erwachsene), aber macht einen das wirklich unfähig, sich im Laufe des Lebens neue Informationen anzueignen? Ich persönlich glaube ja an lebenslanges Lernen. Auch Friedrich Merz scheint seine Meinung zu ändern, und das ist eine gute Nachricht.

Dieses »wir haben beide keine Ahnung« traf damals womöglich sogar zur Hälfte zu, auf Merz nämlich. »Wir überlassen es Ingenieuren und nicht Ideologen, welche Technologien angewendet werden«, hat Merz einmal twittern lassen, und damit waren sowohl Wärmepumpen als auch Elektroautos gemeint. Dabei wussten die Ingenieure – und andere gut informierte Leute – schon damals sehr genau, dass Wärmepumpen und Elektroautos besser fürs Klima sind, nur die Ideologen wollten das nicht wahrhaben


Fakten zu Ideologie erklären und Ideologie zu Fakten,
das ist bei den Freunden fossiler Brennstoffe sehr populär.


Wärmepumpen ablehnen und nutzen gleichzeitig

Die Talkshow-Dauerwahlkämpfer der Union gingen noch deutlich weiter: Sie wussten nicht nur nicht, ob die Wärmepumpe wirklich besser ist, sie wussten sogar, dass sie eigentlich ziemlich schlecht ist. Jens Spahn: »Wenn der Strom nicht günstiger und grüner wird, macht die Wärmepumpe wenig Sinn« (das ist falsch). Eine Wärmepumpe einzubauen koste »80.000 bis 100.000 Euro« (auch das ist falsch ). Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer  fand, wenn künftig keine Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden dürften, sei das »eine Verarschung der jungen Generation« – dabei heizt Kretschmer selbst mit Wärmepumpe.

Genau übrigens wie der Klimawandel-»Skeptiker« Frank Schäffler von der FDP, der das Gebäudeenergiegesetz beim FDP-Parteitag im Frühjahr 2023 zu Fall gebracht hatte. Anschließend feierte die Gasbranche .

Lieber wieder russisches Gas?

Kretschmer fand damals, vor gut einem Jahr, man solle lieber wieder Gas aus Russland kaufen.

Den Vogel schoss aber wiederum Jens Spahn ab, mit diesem Satz, gesagt in einer Talkshow im März 2023: »Es gibt die ersten Wasserstoffgeräte, da haben Sie die Photovoltaik auf dem Dach, können damit im Keller jeden Tag Wasserstoff produzieren und die Gasheizung behalten.«

Das wäre sinnlos aufwendig, technisch schwierig und ziemlich gefährlich, denn Wasserstoff ist ein flüchtiges Gas, das Material »versprödet« und eine niedrige Energiedichte aufweist. Deshalb macht so etwas Absurdes auch so gut wie niemand. Es soll tatsächlich ein paar Leute geben, die Wasserstoff in Gasflaschen auf der Terrasse aufbewahren – ich persönlich würde neben so jemandem nicht wohnen wollen.

Die »Bild«-Zeitung, die zu substanziellen Teilen fossilen Großinvestoren gehört, fand Spahns aberwitzige Behauptung damals trotzdem den »schlüssigsten Vorschlag«.

Es geht immer nur um fossile Absatzmärkte

Als Frank Schäffler und seine Verbündeten das Gebäudeenergiegesetz der Gasbranche zuliebe entkernt hatten, sagte der Gaslobbyist Gerald Linke: »Wasserstoff und grüne Gase werden zukünftig feste Bestandteile im Wärmemarkt sein.«

Ganz sicher nicht: Heizen mit Wasserstoff ist eben gefährlicher, teurer Nonsens , eine Nebelkerze , die nur dem Erhalt der Gas-Infrastruktur dienen soll. Deshalb fand Gaslobbyist Linke diese Nebelkerze so gut. Um ein früheres Mitglied des »Wasserstoffrats« der Bundesregierung zu zitieren : »Stand heute ist es unverantwortlich, den Leuten zu sagen: ›Stellt euch eine Wasserstoffheizung in den Keller‹.«

Die Haltung der CDU zur Wärmepumpe war trotz alledem von quantenphysikalischer Unschärfe geprägt: Merz sagte immer wieder, man könne ja gar nicht wissen, ob sie wirklich besser sei, Spahn und diverse andere behaupteten immer wieder, sie sei schlecht, zu teuer, und es gebe – fiktive – Alternativen, die die Gasheizung retten würden. Unablässig flankiert  von den Freunden fossiler Brennstoffe im Springer-Hochhaus.

All das half – aber nur den Profiteuren fossiler Brennstoffe. Weniger erfreut waren die Hersteller der Zukunftstechnologie Wärmepumpe, die aus einer einzigen Kilowattstunde Strom drei bis vier Kilowattstunden Heizwärme erzeugen kann, ganz ohne Abgase.

Der Geschäftsführer von Stiebel Eltron, Kai Schiefelbein, sagte der »Wirtschaftswoche« diplomatisch: »Die politische Volatilität hätte man aber vermeiden können.« Max Viessmann wurde deutlicher : »Was rund um die Wärmepumpe passiert ist, ist an Dramatik nicht zu überbieten. […] Eine Technologie, die nachweislich effizienter ist und Vorteile hat, wurde kaputt geredet. Was an Mythen verbreitet wurde, an Polarisierung und Populismus stattgefunden hat, hat mich fassungslos gemacht.«

Die beständige Propaganda wirkte: Knapp 800.000 neue Gasheizungen  wurden in Deutschland vergangenes Jahr eingebaut, ein Zuwachs von 32 Prozent, und wohl noch zusätzliche 100.000 Ölheizungen , eine Verdoppelung des Absatzes. Die Leute, die auf die Propaganda hereingefallen sind, werden das bald bereuen: Die Preise für fossile Brennstoffe werden schnell steigen, sobald der Gebäudesektor 2027 in den europäischen Emissionshandel  aufgenommen wird. Dann müssen CO₂-Preise für Öl und Gas bezahlt werden. Völlig zu Recht, denn diese Brennstoffe verursachen gewaltige Schäden.

Wie die Dinge wirklich liegen – die Wärmepumpe ist die klar überlegene Technik, sie funktioniert auch bei sehr kalten Temperaturen, auch in Altbauten, sie ist auf lange Sicht im Betrieb schon jetzt klar günstiger als eine Gasheizung, und so weiter – war auch 2023 selbstverständlich bereits wiss-bar. Aber die Gaslobby war augenscheinlich stärker.

Mittlerweile scheint Friedrich Merz seine existenzielle Erkenntnisnot hinsichtlich der Wärmepumpe überwunden zu haben . Als er diese Woche – mit Jens Spahn! – der Eröffnung einer »Wärmepumpen-Akademie« beiwohnte, sagte Merz: »Wir, die Union, wir stehen voll und ganz hinter dieser Wärmewende.« Huch?

Die Wärmepumpe sei eine »faszinierende« Technologie und »ein ganz wesentlicher Träger für diese Transformation«. Und, fast schon Comedy: »Eigentlich hätte im Jahr 2023 eine viel höhere Zahl von Wärmepumpen eingebaut werden müssen.«

Plötzlich schien das noch kürzlich Un-wissbare also wiss-bar geworden zu sein, die eigene Propaganda Schnee von gestern. Die Union will das Gebäudeenergiegesetz jetzt auch nicht mehr  »wieder zurücknehmen«, wie Merz vergangenen Herbst noch erklärt hatte.

Prognose: Solche erstaunlichen Entdeckungen – das, was die Grünen und Leute, die sich auskennen, schon die ganze Zeit empfehlen, ist tatsächlich die beste Lösung – werden Friedrich Merz und seine Parteispitze bis zur Bundestagswahl noch häufiger machen. Sie werden – hoffentlich! – ein Herz für erneuerbare Energien, Speichertechnologie, Elektromobilität und Energieeffizienz entdecken. Denn es ist – auch global – längst völlig klar, dass die Entwicklung in dieser Richtung läuft, und zwar immer schneller.

Wenn Merz seinen inneren Habeck entdeckt, ist das gut für Deutschland. Leider kommt dieser Sinneswandel für Hunderttausende Deutsche zu spät. 

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