Samstag, 8. Juni 2024

Warum wir im Zeitalter der fossilen Energien feststecken – und kaum Besserung in Sicht ist

 hier  SPIEGEL-Klimabericht  Von Susanne Götze  07.06.2024

Nach der Hochwasserwoche fordert eine Mehrheit mehr Geld für Klimaanpassung, und auch Markus Söder hat dazugelernt. Ein Klimabericht spricht derweil von »verlangsamter Beschleunigung« – nicht unbedingt eine frohe Botschaft.

Deutschland hat diese Woche in Sachen Klimakrise einiges dazugelernt, besonders der bayerische Ministerpräsident Markus Söder . Er behauptete bei einem Gummistiefelbesuch in den betroffenen Hochwassergebieten, dass »normalerweise« keiner mit so einem heftigen Hochwasser gerechnet habe. »Hier entstehen Ereignisse, die es vorher nicht gab.« Nicht nur Klimaschützer fanden das zum Fremdschämen: Offenbar sind sämtliche Weltklimaberichte an der bayerischen Regierung komplett vorbeigegangen.

Die erscheinen bereits seit 1990 (!). Im mittlerweile sechsten Weltklimabericht, der bereits 2021 erschien, gibt es sogar ein eigenes Kapitel über Wetterextreme. Damals sagte die Wissenschaftlerin Friederike Otto: »Je wärmer es weltweit wird, desto mehr werden wir nie erlebte und bisher nie erreichte Extremereignisse sehen.« Dabei mache es einen entscheidenden Unterschied, ob die Welt auf eine 1,5- oder 2-Grad-Erhöhung gegenüber der vorindustriellen Zeit zusteuere.

Hätte man lesen können, ist seit drei Jahren online verfügbar. Deutschland erwärmt sich übrigens überdurchschnittlich schnell, seit Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Temperatur im Jahresmittel bereits um 1,8 Grad Celsius. Leider strengt es sich in Sachen Klimaschutz und Klimaanpassung nicht entsprechend an.

Durch das Hochwasser könnte es ein Umdenken geben. Laut einer Umfrage sprechen sich 76 Prozent der Deutschen für mehr Investitionen bei Klimaanpassung und Klimaschutz aus. Das zeigt zumindest ein Stimmungsbild einer Umfrage von dieser Woche, die von der Kampagnenorganisation Campact in Auftrag gegeben wurde. Viel Unterstützung gibt es auch für einen besseren Katastrophenschutz und eine Pflichtversicherung für Gebäude in Hochwasserrisikogebieten. Rund 67 Prozent der Befragten halten die Schäden durch den Klimawandel letztlich für teurer als Investitionen in den Klimaschutz.

Das sieht auch die Bundesumweltministerin Steffi Lemke so. Im Gespräch mit meinem Kollegen Serafin Reiber  fordert sie nun mehr Geld für Klimaschutz und Klimaanpassung. »Wir müssen endlich was machen, und das heißt auch, alle finanzpolitischen Instrumente zu prüfen«, sagte Lemke. Die Schuldenbremse, so könnte man zwischen den Zeilen lesen, muss auf den Klima-Prüfstand. Das fordert auch Campact-Gründer Christoph Bautz: »Das nächste Jahrhunderthochwasser kommt bestimmt. Wir brauchen dringend ein Sondervermögen in den Katastrophen- und Klimaschutz

Forscher: Beschleunigte Verlangsamung ist keine Trendwende

Unterdessen hat ein 57-köpfiges Forschungsteam aus 15 Ländern eine Art Mini-Update zum Weltklimabericht erstellt. Den IGCC-Report (»Indicators of Global Climate Change«)  gibt es seit 2023, und er soll die News-Lücke schließen, die zwischen der Veröffentlichung der Weltklimaberichte entsteht (der nächste erscheint erst wieder um 2027). 

Die klare Botschaft: Die Erde erwärmt sich so schnell wie nie seit dem vorindustriellen Zeitalter. Dabei betrachten die Forscherinnen und Forscher längere Zeiträume. Im vergangenen Jahrzehnt (2014 bis 2023) sei die Temperatur durch Aktivitäten des Menschen um rund 0,26 Grad gestiegen. Das sei ein Rekord bei der Aufzeichnung mit Messgeräten, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreiche, berichtet die internationale Gruppe um Piers Forster von der Universität Leeds im Journal »Earth System Science Data«. Ein Jahrzehnt zuvor (2004 bis 2013) waren es nach Angaben der Universität rund 0,20 Grad Erwärmung.

Ursache dafür ist zweifelsfrei der Anstieg des Treibhausgasausstoßes, im Schnitt habe der Mensch im vergangenen Jahrzehnt pro Jahr Treibhausgase mit der Klimawirkung von rund 53 Gigatonnen Kohlendioxid produziert. Gleichzeitig sei die Menge an kühlenden Aerosolen in der Atmosphäre gesunken. Laut neuesten Studien könnten die 2020 in Kraft getretenen Umweltvorschriften für Schiffskraftstoffe einen »starken temporären Schock« für die Netto-Wärmeaufnahme des Planeten darstellen (lesen Sie dazu unsere Meldung).

Im Vergleich zum Zeitraum 1850 bis 1900 betrug die vom Menschen verursachte Erwärmung im Durchschnitt des vergangenen Jahrzehnts (2014 bis 2023) 1,19 Grad. Ein Jahr zuvor (2013 bis 2022) lag der Jahrzehnt-Durchschnitt mit 1,14 Grad noch etwas niedriger.

Ein Absatz in dem Report erzielte besondere Aufmerksamkeit in deutschen Medien – wohl auch, weil er zwischen den Horrormeldungen erstmals einen Lichtblick andeutet. Es gebe Anzeichen dafür, »dass sich der Anstieg der CO₂-Emissionen im vergangenen Jahrzehnt im Vergleich zu den Nullerjahren verlangsamt hat«, schreibt das Autorenteam. Je nachdem, welche Maßnahmen nun künftig beschlossen würden, könnte das aktuelle Jahrzehnt eine Umkehr bringen. Das verleitete einige Medien wie die »FAZ« dazu, vielleicht etwas voreilig »Die Erderwärmung auf dem Weg in die Entschleunigung« zu titeln.

Gleichzeitig machten in den vergangenen Wochen Berichte von einem rekordverdächtigen Anstieg des CO₂-Gehalts innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten die Runde – gemessen auf der legendären Messstation auf dem Vulkan Mauna Loa in Hawaii.

»Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch«, erklärt Jan Minx, der für das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC an dem IGCC-Bericht mitgeschrieben hat. »Wir vergleichen in solchen größeren Berichten Trends von Jahrzehnten, nicht von Monaten oder einzelnen Jahren«, so Minx gegenüber dem SPIEGEL-Klimabericht. Monatliche Peaks könnten zeitlich begrenzte Ursachen haben, aber seien oft nicht aussagekräftig.

Doch die im Bericht beobachtete »verlangsamte Beschleunigung« hält der Forscher trotzdem nicht für eine frohe Botschaft. »Wir sehen noch längst keine Trendwende, auch nicht im langjährigen Durchschnitt«, so Minx. Davon könnte man erst sprechen, wenn über mehrere Jahre hinweg die Emissionen sinken würden. Derzeit stiegen sie aber noch ungebrochen – wenn auch im Jahrzehnte-Vergleich etwas moderater. »Wir stecken noch fest im fossilen Zeitalter«, meint der MCC-Wissenschaftler. Es würden immer noch neue fossile Kraftwerke ans Netz gebracht sowie Öl- und Gasfelder neu erschlossen.

Der Lichtblick ist demnach nur sehr klein. Ab wann die Menschheit sich zu einer Trendwende durchringen kann, weiß derzeit niemand. Die Wissenschaftler sind leider auch nur die Protokollanten der Klimakrise. Ändern müssen vor allem Politiker etwas. Womit wir wieder bei Markus Söder, Steffi Lemke und einem möglichen Aufweichen der Schuldenbremse wären. Vielleicht verändern die tragischen Hochwasser-Eindrücke von dieser Woche ja tatsächlich etwas.

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