Dienstag, 25. Juni 2024

Strompreiszonen in Deutschland: Ein kleiner Stich, aber er könnte heilsam sein.

Ich finde diesen Newsletter sehr beachtenswert, weil darin an sich komplizierte, technische Fragen verständlich erklärt werden.

Newsletter Rico Grimm <cleanteching@mail.beehiiv.com>  hier  June 18th, 2024  

Wie Schweden in die deutsche Energiepolitik eingreift 

In dieser Woche gebe ich dir zwei kurze Denkanstöße zu Strompreiszonen und Freileitungen (ja, schon wieder). 

Deutsche Strompreiszone wird zur europäischen Peinlichkeit

  • Die schwedische Regierung hat einen Antrag von 50 Hertz und Svenska Kraftnat für eine neue 700 MW-Leitung durch die Ostsee abgelehnt. Das berichtet Reuters.

  • Die schwedische Energieministerin sagte: „Wir können Südschweden, das ein großes Defizit bei der Stromerzeugung hat, nicht mit Deutschland verbinden, wo der Strommarkt heute nicht effizient funktioniert.“

  • „Das würde zu höheren Preisen und einem instabileren Strommarkt in Schweden führen.“

  • Deutschland hat einen nationalen Strompreis. Weil gleichzeitig die Netze nicht genug Strom vom windreichen Norden in den industriestarken Süden transportieren können, muss Windenergie immer wieder abgeregelt werden und im Süden die Gaskraft einspringen. 

  • Der erneuerbare Strom ist im Norden und Nordosten durch die einheitliche Strompreiszone künstlich teurer. 

  • Diesen Aufpreis möchte Schweden, das selbst vier Strompreiszonen im Land hat, nicht zahlen. 

  • Die Nord-Bundesländer fordern seit Monaten, dass auch Deutschland mehrere Strompreiszonen bekommt. Dann wäre der Strom dort billiger, wo viel von ihm hergestellt wird. 

  • Weil im Norden mehr in die Energiewende investiert wird, sind auch die Netzentgelte höher als im Süden. 

🍏 Was ich denke 

Schwedens Absage ist genau der richtige Weckruf zur richtigen Zeit in der deutschen Strompreiszonen-Debatte. 

Es ist einerseits vollkommen verständlich, dass jene Länder, die viel Industrie und vergleichsweise wenig erneuerbare Energie haben, auf einem fiktionalen deutschen Einheitspreis beharren. Gleichzeitig ist es vollkommen unverständlich, für Bürger und Unternehmen im Norden, die in Sichtweite großer Windparks wohnen, stellenweise sogar mehr für ihren Strom zahlen zu müssen als Menschen und Firmen im Süden. 

Das liegt an den Netzentgelten, die für den Netzausbau von den Stromkunden bezahlt werden müssen. 

Diese Karte zeigt, wie sie sich in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Sie sind vor allem in Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern deutlich gestiegen (orange).

 

Quelle: Bundesnetzagentur


Schwedens Absage ist peinlich für Deutschland und hievt die Strompreiszonen-Debatte in Deutschland nun endgültig auf die europäische Ebene. Dort war sie zwar schon die ganze Zeit, weil Deutschland als großer Flächenstaat im Herzen Europas eine entscheidende Rolle im gesamten europäischen Netz spielt. 

Aber manchmal hilft es ja, die Dinge einfach mal auszusprechen. 

Die Gegner des einheitlichen Strompreises haben jetzt ein Argument mehr: Er gefährdet nicht nur die deutsche Energiewende, sondern auch die europäische Einheit. 

Ich möchte aber noch einen anderen Aspekt hinzufügen: Einheitliche Strompreise sind ein marktwirtschaftliches Fiasko und ultimativ behindern sie die Energie-Transformation auch auf einer sehr grundsätzlichen Ebene. 

Denn eigentlich wollen wir doch unterschiedlich teuren Strom. Eigentlich wollen wir doch Unternehmen, die mit diesem billigen Strom neue Industrien hochziehen, und zwar genau dort, wo der Strom nicht noch einmal hunderte Kilometer weit transportiert werden muss.

Flexibilität im Netz hat nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Komponente. Dort, wo Energie billig(er) zu erzeugen ist, sollten sich die Industrien ansiedeln. Es gibt einen Grund dafür, dass sich die deutsche Schwerindustrie zunächst in der Nähe der Kohlereviere ansiedelte. 

Für Länder mit vergleichsweise wenig erneuerbarer Energie ist das schwer zu schlucken. Schon klar. Aber der Ausweg ist auch klar: mehr erneuerbare Energie. 

Im Süden könnten etwa Höhenwindräder der Energiewende noch einmal einen Schub verleihen, gleichzeitig gibt es natürlich noch immer genug Flächen für althergebrachte Windparks. 

👉️ Steige tiefer ein

Strompreiszonen für Deutschland: Vorbild Skandinavien? (Bericht von Agora Energiewende)  hier

Strompreiszonen – Welche Folgen hätten sie für Bayern? (BR)  hier

Interview mit Schleswig-Holsteins Energieminister Tobias Goldschmidt  hier


Freileitung vs. Erdkabel: Liest Markus Söder diesen Newsletter?

  • Exakt 48 Stunden, nachdem ich prophezeit hatte, dass Bayern sich auf keinen Fall wieder für Freileitungen starkmachen werde, erklärte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, dass sich Bayern nun für Freileitungen starkmachen werde. 

  • Aus der Meldung des Landtags: „Zur Beschleunigung des Stromleitungsbaus soll der Vorrang der teuren Erdverkabelung aufgehoben werden. Künftig müsse der Grundsatz ‚Überirdisch wo möglich, unterirdisch wo nötig‘ gelten.“ Das betrifft nicht jene Trassen, die bereits geplant oder gebaut werden.

  • Außerdem wolle Bayern den Windkraftausbau beschleunigen und Gewinne aus den Anlagen sollen zum Teil an die Kommunen bzw. Bürger gehen.

Der Vollständigkeit halber: Markus Söder liest nicht diesen Newsletter. 

🍏 Was ich denke 

Nach Söders Ankündigung werden Freileitungen für neue Hochspannungstrassen wahrscheinlicher.

Denn Bayern war vor zehn Jahren die entscheidende politische Kraft für den Erdkbabel-Zwang; damals war es ein absoluter Widerstand. Aber vor allem die verbliebenen Gegner Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind bereits Hauptakteure der Energiewende. Sie haben nichts prinzipiell gegen Freileitungen, sondern dagegen, allein die ganzen Lasten der Energiewende zu tragen. 

Damit öffnet sich Raum für politische Verhandlungen. Möglich wäre es zum Beispiel, dass die Nordländer ihre Erdkabel-Haltung aufgeben, wenn Bayern ihnen wiederum bei der Frage der Strompreiszonen entgegenkommt. 

👉️ Steige tiefer ein

  • Mein Crashkurs: Freileitung vs. Erdkabel  hier


Der Thinktank RMI hat die dritte Edition seines jährlichen Reports „The Cleantech Revolution“ veröffentlicht (hier)

 und sie ist prall gefüllt mit interessanten Charts wie dem oben. Der Chart zeigt, wie Kerntechnologien der Energiewende immer und immer wieder die skeptischen Vorhersagen für deren Ausbreitung geschlagen haben. 


Was allerdings keine Rekorde mehr bricht: fossile Energie. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen