Zeit hier Interview: Marcus Gatzke und Ferdinand Otto 28. Juni 2024
Werner Kogler: "Da wird der Volkskanzler Kickl schnell zum Volksverräter Kickl"
Die FPÖ will aus Österreich ein zweites Ungarn machen, sagt Vizekanzler Werner Kogler. Ein Gespräch über die Grünen als Feindbild, Söders Kettensäge und Lindners Ich-AG.
Er führte seine Grünen aus der außerparlamentarischen Opposition zurück in den Nationalrat – und direkt in die Regierung mit den Konservativen: Werner Kogler, Vizekanzler in Österreich und Minister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, spricht im Interview über den selbst ernannten "Volkskanzler" Herbert Kickl, den Sieg der Rechtspopulisten bei der EU-Wahl – und was Österreich Deutschland voraus hat.
ZEIT ONLINE: Herr Kogler, Sie haben sich in dieser Woche mit Ihrem Amtskollegen Robert Habeck getroffen. Konnten Sie sich angesichts der schwachen Wahlergebnisse bei der Europawahl Trost spenden?
Werner Kogler: Wir brauchen keinen Trost. Die Grünen haben aus verschiedenen Gründen gerade etwas Gegenwind. Aber wir lassen uns nicht umblasen. In Österreich haben wir schon in wenigen Monaten die nächste Wahl. Und da sind wir ganz optimistisch.
"Orbánistan heißt Niedergang"
ZEIT ONLINE: Ist Gegenwind nicht ein wenig untertrieben? Die FPÖ ist in Österreich stärkste Kraft geworden, die Grünen haben drei Prozentpunkte verloren. Die Umfragen für die Nationalratswahlen sehen nicht viel besser aus. Warum sind Ihre Landsleute so empfänglich für Rechtspopulismus?
Kogler: Der Rechtspopulismus hat in Österreich eine lang zurückliegende Tradition. Eine Brandmauer, so wie es sie in Deutschland noch gibt, hat in Österreich nie existiert. Hier haben die sogenannten Freiheitlichen sogar schon mehrmals mitregiert. Aber auch wenn die FPÖ gerade in den Umfragen vorn liegt, heißt das eben nicht, dass dann deren Chef Herbert Kickl wirklich Kanzler in Österreich wird, oder die FPÖ an einer Regierung beteiligt wird. Wir müssen die Wähler auch darauf aufmerksam machen, was das für das Land bedeuten würde.
ZEIT ONLINE: Was würde es bedeuten?
Kogler: Die Kickl-FPÖ nimmt sich Viktor Orbán zum Vorbild. Sie will die Freiheit der Medien und andere rechtsstaatliche Grundsätze einschränken. Wir sehen gerade in Wien, dass viele junge Ungarn das Land verlassen und zu uns kommen. Das Wirtschafts- und Sozialsystem Ungarns läge ohne die Milliarden aus Brüssel längst am Boden. Die einzigen großen Investitionen kommen jetzt ausgerechnet aus China. Das sollte uns als aufrechte Europäer hellhörig machen. Ungarn ist eine Niedergangswirtschaft – Orbánistan heißt Niedergang.
Werner Kogler im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Kogler stammt aus einem kleinen Ort in der Steiermark, studierte Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Graz – und gründete 1981 die "Alternative Liste Graz" mit. 1999 zog er erstmals in den Nationalrat ein. Seit 2017 ist er Bundessprecher der Grünen. © Jacobia Dahm für ZEIT ONLINE
ZEIT ONLINE: Wenn es so augenscheinlich ist, wie schlimm die FPÖ für Österreich ist, warum wird sie trotzdem von so vielen gewählt?
Kogler: Der Rechtsruck ist mittlerweile ein gesamteuropäisches Phänomen. Wir leben in Kriegs- und Krisenzeiten, da haben es die regierenden Parteien schwerer. Ich warne davor, jeden, der rechts wählt, als Nazi zu bezeichnen. Viele sind einfach verunsichert, was angesichts der turbulenten Zeiten auch in gewisser Weise nachvollziehbar ist. Aber soll man deshalb den Kopf in den Sand stecken und nicht mehr dafür eintreten, was man für richtig hält? Auf keinen Fall. Wir müssen weiter Lösungen anbieten. Die FPÖ lebt von Problemen, sie präsentiert keine Lösungen. Oder wie es mein Kollege Robert Habeck sagt: Sie bewirtschaften die Probleme.
ZEIT ONLINE: Das größte Problem in Österreich, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, ist aus Sicht vieler Menschen die unkontrollierte Migration. Wird das von der FPÖ auch größer gemacht, als es in Wirklichkeit ist?
Wenn Kickl dann mit dem
Kampfbegriff "unregulierte Migration" aufhetzt,
dann bleiben auch jene Menschen,
die wir dringend benötigen, fern.
Werner Kogler
Kogler: Teilweise ja. Natürlich haben wir Probleme bei der Integration, das müssen wir als Grüne auch immer wieder klar benennen. In Österreich wurden über Jahre sehr viele Menschen aufgenommen. Das ist gerade in den Großstädten nicht immer so leicht zu stemmen, etwa an den Schulen. Derzeit kommen noch viele Vertriebene aus der Ukraine dazu – für die es eine große Aufnahmebereitschaft gibt. Aber damit können und müssen wir umgehen.
ZEIT ONLINE: Viele Menschen wollen aber genau das Gegenteil: weniger Migration.
Kogler: Da gibt es ein unterschiedliches Bild. Es gibt viele Sorgen und wir müssen uns denen zuwenden. Wir brauchen Arbeitsmigration, der Fachkräftemangel ist auch in Österreich sehr groß. Wir müssen Menschen anwerben, aus der EU, aber auch aus Drittstaaten. Das Risiko von Wohlstandsverlusten ist sehr groß, wenn wir hier nichts unternehmen. Wenn Kickl dann mit dem Kampfbegriff unregulierte Migration aufhetzt, dann bleiben auch jene Menschen, die wir dringend benötigen, fern.
ZEIT ONLINE: Europa schafft es nicht, seine Außengrenzen effektiv zu kontrollieren, das müssen Sie doch zugeben.
Kogler: Am Schluss ist es doch so, dass eine Festung Europa mit null Zuwanderung uns wirtschaftlich ruinieren wird. Wir brauchen ein Gleichgewicht aus Ordnung und Humanität. Kontrolle an den Außengrenzen? Selbstverständlich.
ZEIT ONLINE: Niemand will sie komplett zurückführen, sie sollte nur besser organisiert und kontrolliert verlaufen.
Kogler: Nehmen Sie den unlängst beschlossen europäischen Migrationspakt. Damit ist noch lange nicht alles gelöst, aber, bei aller berechtigter Kritik, er ist eine Chance für einheitliche Asylverfahren, einheitliche Standards und auch eine gewisse Basis für einen Verteilungsmechanismus. Das ist ein Fortschritt.
"Lindner ist faktisch eine Ich-AG"
ZEIT ONLINE: Wenn man Menschen fragt, gerade zum Beispiel in Ostdeutschland, warum sie rechts wählen, dann sagen viele: Weil ich gegen die Grünen bin, weil ich gegen eine Klimapolitik bin, die den Menschen viel abverlangt. Erleben Sie das auch in Österreich?
Kogler: Es werden bei dem Thema absichtlich sehr viele Missverständnisse erzeugt, und zwar nicht nur von den Rechtsextremen allein. Ich bin davon überzeugt und so sind wir auch 2019 in den Nationalrat wieder eingezogen, dass wir den Klimaschutz so organisieren können, dass er zu einer wirtschaftlichen Chance wird. Damit haben wir auch in den vergangenen Jahren erfolgreich begonnen. Und zwar kaum mit Verboten oder neuen Regularien, sondern mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und staatlicher Förderung.
ZEIT ONLINE: Beim Wähler scheinen diese Erfolge nicht anzukommen, sie fürchten um ihren Wohlstand. Vielleicht auch deshalb haben einige Konservative in Deutschland die Grünen zum "Hauptgegner" erklärt.
Markus Söder steht beispielhaft
für einige rückgratlose Konservative.
Werner Kogler
Kogler: Die Erfolge kommen noch zu wenig bei den Wählern und Wählerinnen an, das stimmt. Daran müssen wir auch arbeiten, gegen alle Widerstände. Dass die Rechten und Rechtsextremen uns zu ihren Lieblingsfeinden auserkoren haben, liegt daran, dass wir Grüne in Österreich und in Deutschland grundlegende und notwendige Veränderungen wollen. In Deutschland hat beispielsweise CSU-Chef Markus Söder nach seiner Baumumarmung die Kettensäge ausgepackt und geht auf die Grünen los. Er steht damit beispielhaft für einige rückgratlose Konservative, die beim kleinsten Gegenwind – verursacht von Fossillobbyisten – ins Wanken geraten.
ZEIT ONLINE: Sie sagen, es ist nicht ausgemacht, dass die FPÖ an die Regierung kommt. Für eine Mehrheit im Parlament gegen die FPÖ braucht es aber wahrscheinlich mindestens drei Parteien. Wären Sie mit dabei?
Kogler: Wir Grüne haben diese Debatte längst begonnen. Um es einmal deutlich zu sagen: Es gibt in Österreich keine Direktwahl des Bundeskanzlers, wir haben eine Nationalratswahl und da werden dann Mehrheiten gebildet. Ich bin recht zuversichtlich, dass entsprechende Mehrheiten ohne die FPÖ zusammenkommen werden. Dafür müssen aber alle ihr Wort halten – auch mein Kollege, der derzeitige Bundeskanzler Karl Nehammer.
ZEIT ONLINE: Sie würden trotz der großen Probleme in den vergangenen Monaten sagen: mit der ÖVP gerne wieder?
Kogler: Gerne ist für mich keine Kategorie. Wir sind ja nicht in der Politik, weil alles so einfach ist. Es geht darum, konstruktive Allianzen durch überzogene Rhetorik nicht schon jetzt zu verunmöglichen. Das ist Demokratie. Es herrscht unter den meisten Parteien ein breiter Konsens, dass wir das demokratische Fundament verteidigen wollen. In diesen Grundfragen gibt es viel mehr, was uns eint, als was uns trennt. Das Trennende müssen wir auch diskutieren, aber nicht so, dass es uns am Ende unversöhnlich zurücklässt.
Es ist immer der gleiche Kreislauf:
Oppositionsbank, Regierungsbank – Anklagebank.
Werner Kogler
ZEIT ONLINE: Aber wäre die ÖVP bereit, noch mal mit den Grünen zu koalieren? Der Frust ist an der Basis schon groß.
Kogler: Im Frühjahr 2019 hätte niemand damit gerechnet, dass ausgerechnet die Grünen mit dieser Sebastian-Kurz-ÖVP koalieren werden – mich eingeschlossen. Und dass es am Ende auch noch funktionieren und viel weitergehen würde in Österreich. Die Alternative wäre auch damals Türkis-Blau gewesen, das haben wir Grüne verhindert, in dem wir Verantwortung übernommen haben.
ZEIT ONLINE: In Deutschland läuft es mit der Ampel – auch einer Dreierkonstellation – eher schlecht als recht.
Kogler: Das liegt schon an manchen handelnden Akteuren. Wir haben Glück: In Österreich gibt es weder einen Christian Lindner noch eine Schuldenbremse. Lindner ist faktisch eine Ich-AG. Was er in der Situation, in der Deutschland ist, macht, ist wenig lösungsorientiert. Das zeigt: Es ist nicht entscheidend, ob zwei oder drei Parteien an der Regierung sind, entscheidend ist der Wille zur Zusammenarbeit.
ZEIT ONLINE: Sie klingen noch recht optimistisch, während andere bereits vor einem langsamen Verfall der Demokratie warnen.
Kogler: Deshalb muss man sich ja zusammentun. Wo soll das sonst hinführen? Aber natürlich müssen wir Dinge ansprechen, beispielsweise die Nähe der FPÖ zu Wladimir Putin. Da kriegen sie schon deutliche Probleme – etwa beim Thema Staatssicherheit. Da wird der Volkskanzler Kickl schnell zum Volksverräter Kickl.
ZEIT ONLINE: Die FPÖ hat in Österreich im Bund mitregiert, ist an mehreren Landesregierungen beteiligt. Warum nicht sagen: Lasst die Rechtspopulisten mal machen – entweder sie entzaubern sich, oder sie mäßigen sich an der Macht?
Kogler: Es steht zu viel auf dem Spiel, um noch mal verlorene Jahre zu riskieren. Österreich ist ein gutes Beispiel dafür, warum da Schreckliches lauert, wenn wir denen freie Hand lassen. Es ist immer der gleiche Kreislauf: Oppositionsbank, Regierungsbank – Anklagebank.
Die produzieren Skandale, die ihresgleichen suchen. Bisher hat sich die FPÖ jedes Mal aus eigener Unfähigkeit in die Luft gesprengt, bevor sie noch weiteren Schaden anrichten konnte. Aber darauf darf man nicht vertrauen.
ZEIT ONLINE: Also: Wie begegnet man der rechten Gefahr?
Kogler: Man darf die FPÖ nicht mehr ungestört wüten lassen – auch in den sozialen Medien. Wenn alle nackt über die Blumenwiese laufen, aber die ein Maschinengewehr im Anschlag haben, dann muss die demokratische Mitte reagieren. Und das mit aller Kraft, dann kann das gelingen. Das ist mehr als Zweckoptimismus. Das ist meine Überzeugung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen