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Die Kampagne der CDU/CSU gegen die Grünen hat funktioniert. Sie konnte ihr Ergebnis um 1,1 % verbessern, was ungefähr dem Anteil der Wähler:innen entspricht, die von den Grünen zur CDU gewechselt sind. Hat sie also die Wahl „gewonnen“?
Demokratische Wahlen haben immer auch Elemente eines sportlichen Wettbewerbs. Der Unterschied ist: Im Sport ist Gewinnen das eigentliche Ziel. In der Politik ist der Wahlsieg ein erster Zwischenschritt, der über die Möglichkeiten zur Beteiligung an einer künftigen Regierung und über deren politische Richtung entscheidet. Wenn man einen Moment lang all die Befindlichkeiten, Floskeln und Träumereien der „gescheiterten“ oder „siegreichen“ Politiker:innen außer Acht lässt, die unsere Medienöffentlichkeit so faszinieren, deuten die Ergebnisse der Europawahl auf alles andere als einen CDU-Sieg.
Angenommen, es ginge bei diesen Zahlen um die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl. Dann hätte die CDU/CSU den Anspruch, den Kanzler zu stellen. Einen Anspruch, mehr nicht. Eine Regierungsmehrheit müsste sie erst suchen. Die Folge könnte sein, dass ihre Regierung nach kurzer Zeit ähnlich zerstritten und handlungsunfähig dastünde wie heute die Ampel.
Die eigentliche Frage nämlich, wofür eine demokratische Opposition in der Multikrise von Krieg, Klima und Migration kämpfen soll, hat Friedrich Merz auch nach zweieinhalb Jahren noch nicht beantwortet. Geht es um eigenen Zugewinn? Um die Verkleinerung der regierenden Parteien? Um das Predigen der eigenen Weltsicht? Oder ist das Ziel die Vorbereitung einer eignen, erfolgreichen Regierungsarbeit?
Der „Kampf gegen den Rechtsextremismus“ jedenfalls ist gründlich schiefgegangen. Friedrich Merz hat als Parteivorsitzender nicht, wie versprochen, die AfD halbiert, sondern nur die demokratische Konkurrenz reduziert.
Aus Erfahrung zu lernen ist die CDU trotzdem nicht bereit – ebenso wenig wie Markus Söder oder FDP-Fraktionschef Christian Dürr, die durch Sprüche über eine weitere „Verschärfung“ des Asylrechts WählerInnen von AfD und BSW zurückholen wollen – und dabei brav das Lied nachsingen, das die menschenfeindlichen Ideolog:innen ihnen seit Jahren vorgesungen haben. In der Wirklichkeit haben die von der EU beschlossenen Neuregelungen längst den Spielraum ausgeschritten, den die Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz noch lassen. Wenn die Bild-Zeitung jetzt fordert, das Grundrecht auf Asyl „auszusetzen“, wird deutlich, wohin diese Reise geht. Gewiss ist allerdings, dass Fantastereien über Asyllager in Ruanda weder Wählerinnen zurückholen noch das Bundesverfassungsgericht überzeugen werden.
Wer die kommenden Wahlen als Asylwahlen zu inszenieren versucht, kann damit möglicherweise die Grünen weiter in die Ecke drängen. Nur bedeutet die Übernahme der Themen der Antidemokraten zugleich, denjenigen die Hegemonie zu überlassen, die Migration zu ihrem Markenkern gemacht und auch deshalb in Deutschland die Europa-Wahlen gewonnen haben. Wenn Ursula von der Leyen in Europa einen anderen Weg geht, wird zugleich deutlich, dass der strategisch denkende Teil der CDU das Dilemma verstanden hat.
Ein Ergebnis der Strategie von Merz und Söder ist vor allem im Osten zu besichtigen. Wenn der sächsische Ministerpräsident am letzten Montag plötzlich versucht, SPD und Grünen in seiner Koalition öffentlich gute Regierungsarbeit zu bescheinigen, erinnert das an das berühmte Pfeifen im Walde. Der Erfolg der Oppositionsarbeit von CDU und CSU im Bundestag bedeutet konkret, dass nicht nur Herr Kretschmer, sondern auch seine Kollegen in Brandenburg und Thüringen demnächst ohne Koalitionspartner dastehen könnten. Und zwar nicht irgendwann, sondern bereits im September.
Wenn sich das Europa-Ergebnis hingegen auf Bundesebene wiederholt, wird auch die nächste Bundesregierung höchstwahrscheinlich eine Dreier-Koalition. Was spricht dann dafür, dass sie besser regiert als die Ampel? Soll z. B. die FDP dabei sein? Die Illoyalität gegen ihre Regierungspartner zum Grundprinzip gemacht hat? Oder wird es schwarz-rot-grün? Was wird dann aus der Schuldenbremse, auf die sich Merz immer wieder festlegt? Vor allem die Grünen werden kaum bereit sein, alles zurückzudrehen, was sie gerade mit hohen politischen Kosten angeschoben haben.
Es spricht viel dafür, dass ein Hauptgrund für das Wahldesaster der Ampelparteien und den Erfolg der Populisten das Fehlen einer sichtbaren Führung ist. Wenn die Zukunft düster aussieht und man das Gefühl hat, sie nicht beeinflussen zu können – wenn Menschen Angst haben – neigen sie dazu, sich einen Anführer oder eine Anführerin zu suchen. In einer Demokratie sollte das jemand sein, der oder die erklärt, wo man sich gerade befindet, wohin es gehen soll, wie man dorthin kommt und was jede/r Einzelne tun muss, damit das Ziel erreicht wird. Damit demokratische Führung sich in konkreten Menschen verkörpern kann und an die Stelle der Gefühle von Einsamkeit und Fremdbestimmung ein gemeinsames Vorhaben tritt.
Wie sähe eine CDU-geführte Bundesregierung aus, die den politischen Notwendigkeiten entspricht – weil sie „Politik auf der Höhe der Zeit“ (Habeck) macht? Eine Regierung, die als Team funktioniert – und zugleich politikfähig, also vorausschauend und durchsetzungsfähig wäre? Das sind die Fragen hinter den Zahlen des Wochenendes. Auch wenn es gerade spannender erscheint, sich darüber zu erregen, wie lange die Ampel noch durchhält.
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